TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH 06.11.2023, Ra 2021/16/0085

VwGH 06.11.2023, Ra 2021/16/0085

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
BAO §200 Abs2
BAO §279 Abs1
RS 1
Das BFG ist berechtigt, einen vorläufigen Bescheid im Falle der Beseitigung der Ungewissheit (vgl. § 200 Abs. 2 BAO) für endgültig zu erklären (vgl. , mwN).
Norm
BAO §279
RS 2
Eine ersatzlose Aufhebung (meritorische Entscheidung) darf nur dann erfolgen, wenn in dieser Sache keine weitere Entscheidung in Betracht kommt (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa , mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2018/16/0055 E RS 1
Normen
BAO §200 Abs1
BAO §208 Abs1 litd
VwRallg
RS 3
Im Falle eines zu Unrecht erlassenen vorläufigen Abgabenbescheides, der keine tatsächliche Ungewissheit im Sinne des § 200 BAO benennt und dennoch unbekämpft geblieben und in Rechtskraft erwachsen ist, beginnt die Verjährungsfrist gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Bescheid trotz fehlender Ungewissheit erlassen worden ist (vgl. auch Dziurdz, ÖStZ 2012, 354 ff, 356).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2012/15/0018 E VwSlg 8860 F/2013 RS 4

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätin Dr. Reinbacher sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Österreich (Dienststelle Sonderzuständigkeiten) in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/4100222/2019, betreffend Versagung der endgültigen Festsetzung von Grunderwerbsteuer (mitbeteiligte Partei: A P in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom  setzte das Finanzamt gegenüber dem Mitbeteiligten für den zwischen ihm als Übernehmer und seinem Vater als Übergeber am abgeschlossenen „Übergabsvertrag auf den Todesfall“ hinsichtlich einer näher bezeichneten Liegenschaft Grunderwerbsteuer vorläufig - gemäß § 200 Abs. 1 BAO - fest.

2 Mit Eingabe vom beantragte der Mitbeteiligte den vorläufigen Bescheid vom dahingehend abzuändern, dass die Grunderwerbsteuer nunmehr endgültig mit null festgesetzt werde. Begründend führte er aus, der im Jahr 1990 abgeschlossene Übergabsvertrag sei mit Notariatsakt vom aufgehoben worden.

3 Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Hinweis auf die bereits eingetretene Verjährung als unbegründet ab. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung ab. Der Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und hob den angefochtenen Bescheid auf. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Das Bundesfinanzgericht führte im Wesentlichen aus, die beiden Vertragsparteien seien sich einig gewesen, dass die Liegenschaft zum Zeitpunkt des Todes des Übergebers an den Übernehmer übergeben werden solle. Die Parteien des „Übergabsvertrages auf den Todesfall“ hätten daher die Übergabe der Liegenschaft mit Wirkung für den Fall des Ablebens des Übergebers bedungen. Grundsätzlich knüpfe die Grunderwerbsteuer an das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft an. Bedingungen, die das Verfügungsgeschäft beträfen, blieben dabei unbeachtlich.

6 Da das Ableben des Übergebers zufolge der §§ 8 iVm 4 BewG 1955 als ein vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhängiger Erwerb zu behandeln sei, entstehe nach § 8 Abs. 2 GrEStG die Steuerschuld erst mit dem Eintritt dieser „Bedingung“, daher mit dem Ableben des Übergebers. Damit entstehe ein Abgabenanspruch und die Steuerschuld erstmals mit dem Ableben des Übergebers. Dieser Zeitpunkt sei maßgebend für den Beginn der Verjährung.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, zu deren Zulässigkeit vorgebracht wird, das Bundesfinanzgericht weiche von der - näher genannten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verpflichtung des Verwaltungsgerichtes, gemäß § 279 Abs. 1 BAO in der Sache zu entscheiden, ab. Hinsichtlich der Frage des Eintritts der Verjährung bei Festsetzung einer Abgabe vor Entstehung der Steuerschuld fehle zudem Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10 Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in hier nicht interessierenden Fällen immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

11 Das Bundesfinanzgericht ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch berechtigt, einen vorläufigen Bescheid im Falle der Beseitigung der Ungewissheit (vgl. § 200 Abs. 2 BAO) für endgültig zu erklären (vgl. , mwN).

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf eine ersatzlose Aufhebung - die eine meritorische Entscheidung darstellt (vgl. etwa , mwN) - nur dann erfolgen, wenn in dieser Sache keine weitere Entscheidung in Betracht kommt (vgl. etwa , mwN).

13 Im vorliegenden Revisionsfall war eine ersatzlose Aufhebung des vom Mitbeteiligten angefochtenen Bescheides jedoch ausgeschlossen, weil dies zu Folge hätte, dass der verfahrenseinleitende Antrag des Mitbeteiligten auf endgültige Festsetzung der Grunderwerbsteuer - wie in der Amtsrevision zutreffend dargelegt - (endgültig) unerledigt bliebe (vgl. , zur Entscheidungspflicht hinsichtlich eines Antrags des Steuerpflichtigen auf Endgültigerklärung bzw. auf endgültige Festsetzung der Abgabe), wäre doch ein neuerlicher Abspruch darüber aufgrund der Bindungswirkung der aufhebenden Entscheidung unzulässig (vgl. , mwN).

14 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich schon deshalb als inhaltlich rechtswidrig, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

15 Für das fortgesetzte Verfahren wird - in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 VwGG - zur Frage der Verjährung auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach im Falle eines zu Unrecht erlassenen vorläufigen Abgabenbescheides, der keine tatsächliche Ungewissheit im Sinne des § 200 BAO benennt (bzw. dem keine tatsächliche Ungewissheit zu Grunde liegt) und dennoch unbekämpft geblieben und in Rechtskraft erwachsen ist, die Verjährungsfrist gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Bescheid trotz fehlender Ungewissheit erlassen worden ist, beginnt (vgl. , mwN).

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
BAO §200 Abs1
BAO §200 Abs2
BAO §208 Abs1 litd
BAO §279
BAO §279 Abs1
VwRallg
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021160085.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
VAAAF-45777