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VwGH 29.06.2022, Ra 2020/15/0015

VwGH 29.06.2022, Ra 2020/15/0015

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
EStG 1988 §108c
IO §46 Abs1 Z2
RS 1
Gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 IO gehören zu den Masseforderungen öffentliche Abgaben, wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Konkursverfahrens verwirklicht wird. Entsprechendes muss spiegelbildlich für die zeitliche Abgrenzung der Forderungen der Schuldnerin auf Prämien nach § 108c EStG 1988 gelten (vgl. ).
Normen
ABGB §1439
EStG 1988 §108c
IO §149 Abs1
IO §156 Abs4
IO §19
VwRallg
RS 2
Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung standen sich ein aufrechenbarer Prämienbetrag und eine angemeldete Forderung auf Umsatzsteuer in zumindest gleicher Höhe gegenüber. Die Aufrechnung selbst ist nach der rechtskräftigen Bestätigung des Sanierungsplans erfolgt, weshalb sich die Frage des Umfangs der Aufrechnungsbefugnis nach rechtskräftig bestätigtem Sanierungsplan stellt. Schon vor Ergehen des Urteils eines verstärkten Senates des , sprachen sich weite Teile der Lehre für eine Beschränkung der Aufrechnung auf die Quote aus (vgl. Buchegger, Ausgleichserfüllung [1988] 79 f; Rummel in Rummel ABGB² § 1439 Rz 11; Heidinger in Schwimann ABGB³ § 1439 Rz 16; Lovrek in Konecny/Schubert § 156 KO Rz 59, Nummer-Krautgasser, Aufrechnung und Zwangsausgleich ZIK 2009/7, 4; dieselbe in Aufrechnung in der Insolvenz: Grundlagen und aktuelle Rechtsfragen in Jahrbuch Insolvenz‑ und Sanierungsrecht 2014, 163 [183 ff]; Konecny, EvBl 2009/46; Holly in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.01 § 1439 Rz 16/6; Mohr, Sanierungsplan und Sanierungsverfahren nach dem Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010 Rz 250; Fichtinger, Die gesetzliche Aufrechnung im Insolvenzverfahren [2015] 335 ff). Dieser Auffassung schließt sich der VwGH an, zumal sich aus § 19 IO eine volle Aufrechnungsbefugnis nicht ableiten lässt, die Sicherungsfunktion der Aufrechnung keine andere Beurteilung zulässt und eine analoge Anwendung des § 149 Abs. 1 IO auf den aufrechnungsberechtigten Insolvenzgläubiger nicht in Betracht kommt (vgl. mit jeweils ausführlicher Begründung ). Eine über die Quote hinausgehende Aufrechnung kommt nur in Betracht, wenn der Gläubiger unverschuldet aufgrund eines Verschuldens des Insolvenzschuldners - wenn auch in Form leichter Fahrlässigkeit - an einer Aufrechnungserklärung vor rechtskräftiger Sanierungsplanbestätigung gehindert worden ist, zumal für diesen Fall § 156 Abs. 4 IO (analog) zur Anwendung kommt (vgl. Fichtinger, Insolvenzaufrechnung 402; Lovrek in Konecny/Schubert § 156 KO Rz 59 und ein weiteres Mal ).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des P C als Masseverwalter der X GmbH in G, vertreten durch die Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 8010 Graz, Kalchberggasse 1, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2100047/2019, betreffend Rückzahlung gemäß § 239 BAO und Abrechnung gemäß § 216 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Masseverwalter der X GmbH, über deren Vermögen am über Eigenantrag ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung der Schuldnerin eröffnet wurde. Das Sanierungsverfahren wurde am nach Abschluss eines Sanierungsplans rechtskräftig beendet. Die Insolvenzgläubiger sollten laut Sanierungsplan eine Quote von 30%, zahlbar durch eine Barquote von 5% binnen 14 Tagen ab rechtskräftiger Bestätigung des Sanierungsplans, eine Teilquote von 5% bis längstens sowie weitere Teilquoten von je 10% zum und , erhalten.

2 Die X GmbH tätigte im gesamten Jahr 2017, also sowohl vor, als auch nach Insolvenzeröffnung Aufwendungen, die für die Forschungsprämie anspruchsbegründend waren. Mit Eingabe vom beantragte die X GmbH die Zuerkennung einer Forschungsprämie für das Jahr 2017 in Höhe von 1,028.757,72 €.

3 Am schrieb das Finanzamt dem Abgabenkonto der X GmbH die Forschungsprämie 2017 in Höhe von 1,028.757,72 € gut, woraufhin die X GmbH die Auszahlung der Forschungsprämie und eines weiteren auf dem Abgabenkonto befindlichen Guthabens von 64,60 € beantragte (Eingaben vom ).

4 Das Finanzamt verbuchte am die zuvor im Insolvenzverfahren angemeldete Forderung auf Umsatzsteuer 10/2017 in Höhe von 1,028.757,72 € auf dem Abgabenkonto der X GmbH und rechnete die Umsatzsteuerschuld mit der Gutschrift aus der Forschungsprämie 2017 auf. Das verbleibende Guthaben von 64,60 € zahlte es an die X GmbH zurück, wohingegen es die Rückzahlung des Mehrbetrages in Höhe von 1,028.575,72 € mit Bescheid vom ablehnte.

5 Eine gegen den Bescheid vom gerichtete Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab, woraufhin der Revisionswerber deren Vorlage an das Bundesfinanzgericht beantragte.

6 Das Bundesfinanzgericht deutete den vom Finanzamt erlassenen Bescheid als Abrechnungsbescheid im Sinne des § 216 BAO und gab der dagegen erhobenen Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem es eine Revision für nicht zulässig erklärte, teilweise Folge. Zur Begründung führte es aus, im Revisionsfall sei zunächst entscheidend, ob die Prämienansprüche der X GmbH aus insolvenzrechtlicher Sicht in den Zeitraum vor oder nach Insolvenzeröffnung fielen und je nachdem mit Insolvenzforderungen des Finanzamts aufrechenbar seien oder nicht.

7 Gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 IO gehörten zu den Masseforderungen u.a. öffentliche Abgaben, wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Insolvenzverfahrens verwirklicht werde. Entsprechendes müsse für die zeitliche Abgrenzung der Forderung für eine Prämie nach § 108c EStG 1988 gelten. Die insolvenzrechtliche Einordnung der Prämienforderung erfordere somit die Feststellung, ob der die Forderung auslösende Sachverhalt vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden sei (Hinweis auf ).

8 Der Verwaltungsgerichtshof habe zur Frage der Zuordnung des Anspruches auf eine Bildungsprämie 2009 bei einem unterjährig eröffneten Insolvenzverfahren klargestellt, dass eine Aufteilung nach den einkommensteuerlichen Grundsätzen in einen Zeitraum vor und einen Zeitraum nach Insolvenzeröffnung zu erfolgen habe. Auf die Modalitäten der Geltendmachung nach § 108c Abs. 3 und 4 EStG 1988 bzw. die Fälligkeit komme es nicht entscheidend an (Hinweis auf ).

9 § 108c EStG 1988 in der für das Jahr 2009 geltenden Fassung habe „Prämien für Forschung und Bildung“ in einem geregelt. Mit dem Steuerreformgesetz 2015/2016 sei die Regelung über die Zuerkennung von Bildungsprämien gestrichen worden. Die im Jahr 2017 anzuwendende Fassung des § 108c EStG 1988 sei jedoch hinsichtlich ihrer rechtlichen Ausgestaltung weitgehend ident mit jener, welche dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2011/15/0188, zu Grunde gelegen habe. Die vom Verwaltungsgerichtshof dort getroffenen Aussagen seien auf den Revisionsfall übertragbar, weshalb die Aufwendungen für die Forschungsprämie 2017 für die insolvenzrechtliche Einordnung aufzuteilen seien.

10 Anhaltspunkte dafür, dass die Forschungstätigkeit nach Eröffnung des Sanierungsverfahrens eingestellt worden sei, lägen nicht vor. Auch nach der Eröffnung des Sanierungsverfahrens seien Löhne und Gehälter bezahlt worden. Dies lasse auf die Fortsetzung der Forschungstätigkeit schließen, zumal der Revisionswerber dem Bundesfinanzgericht über Aufforderung mitgeteilt habe, dass ein wesentlicher Anteil der Forschungsprämie 2017 auf Löhne und Gehälter entfalle. Mangels exakter zeitlicher Zuordnung der Aufwendungen habe deren Aufteilung im Schätzungswege zu erfolgen und die Aliquotierung der Aufwendungen scheine eine sachgerechte Lösung zu sein. Demnach entfielen 10/12 (857.298,10 €) der Aufwendungen auf die Zeit vor und 2/12 (171.459,62 €) auf die Zeit nach der Insolvenzeröffnung. Dem auf den Zeitraum Jänner bis Oktober entfallenden Teil der Forschungsprämie von 857.298,10 € (10/12) liege ein Sachverhalt zugrunde der vor Eröffnung des Sanierungsverfahrens verwirklicht worden sei. Dieser Teil der Prämie führe zu einer Insolvenzgutschrift (negativer Abgabenanspruch), welcher die Insolvenzforderung des Finanzamts aus der Umsatzsteuervorauszahlung 10/2017 gegenüberstehe. Die Aufrechnung der Forschungsprämie im Ausmaß von 857.298,10 € sei daher zu Recht erfolgt. Die verbleibende Forschungsprämie 2017 in Höhe von 171.459,62 € (2/10) stelle hingegen eine Massegutschrift dar, die nicht mit Insolvenzforderungen aufzurechnen sei. Insoweit sei der Beschwerde stattzugeben gewesen.

11 Zur Frage der Aufrechnung selbst vertrete der Revisionswerber - unter Bezugnahme auf das (verstärkter Senat) - den Standpunkt, dass die Aufrechnung der Forschungsprämie auch bei einer Qualifikation als negative Insolvenzforderung nur in Höhe der Quote zulässig sei. Diesem Vorbringen hielt das Bundesfinanzgericht entgegen, die X GmbH habe dem Finanzamt ihren Prämienanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Sanierungsverfahrens verschwiegen. Das Finanzamt habe während des Sanierungsverfahrens keine Kenntnis vom Prämienanspruch haben können. Das Finanzamt treffe somit kein Verschulden an der Unterlassung einer rechtzeitigen Aufrechnungserklärung. Damit habe die X GmbH, die vom Prämienanspruch Kenntnis gehabt und geplant habe, die Prämie für die Begleichung der Sanierungsquote zu verwenden, das Finanzamt schuldhaft an der Abgabe einer Aufrechnungserklärung während des Sanierungsverfahrens gehindert. Dieses Vorgehen, nämlich das Verschweigen des Prämienanspruchs bis zum Abschluss des Sanierungsverfahrens, stelle einen Anwendungsfall des § 156 Abs. 4 IO dar, der (auch laut dem vom Revisionswerber ins Treffen geführten OGH-Urteil) in Fällen wie dem vorliegenden analog anwendbar sei. Nach § 156 Abs. 4 IO könnten Gläubiger, deren Forderungen aus dem Verschulden des Insolvenzschuldners im Insolvenzverfahren unberücksichtigt geblieben seien, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Bezahlung ihrer Forderungen im vollen Betrage vom Insolvenzschuldner verlangen. In Bezug auf den Prämienbetrag von 857.298,10 € habe das Finanzamt daher eine volle Aufrechnung vornehmen können.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zunächst vorbringt, das Bundesfinanzgericht komme im angefochtenen Erkenntnis zu dem Schluss, der die Forschungsprämie begründende Sachverhalt sei nicht erst mit Ablauf des , sondern nach Maßgabe der Aufwandstätigung erfüllt worden, weshalb zwischen Aufwendungen vor und nach Insolvenzeröffnung zu unterscheiden sei. Damit weiche das Bundesfinanzgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, der den Zeitpunkt der Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhalts gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 IO mit jenem der Entstehung des Abgabenanspruches iSd § 4 Abs. 2 BAO gleichsetze (Hinweis auf ; und , 85/13/0057). Das vom Bundesfinanzgericht zur Bekräftigung seiner Rechtsansicht zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2011/15/0188, sei auch nicht einschlägig, weil dem Erkenntnis ein Fall zugrunde gelegen sei, in dem alle Aufwendungen die zur Bildungsprämie (dort 2009) geführt hätten, unstrittig vor Insolvenzeröffnung getätigt worden seien. Im Revisionsfall seien auch nach Insolvenzeröffnung Aufwendungen getätigt worden. Zu unterjährig eröffneten Insolvenzverfahren, bei denen auch nach Insolvenzeröffnung Prämien begründende Aufwendungen getätigt worden seien, liege keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vor. Die Revision sei weiters deswegen zulässig, weil ein verstärkter Senat des Obersten Gerichtshofes mit Urteil vom , 6 Ob 179/14p, die bis dahin strittige Frage des Umfangs der Aufrechnungsbefugnis nach rechtskräftig bestätigtem Sanierungsplan anders beurteilt habe als der Verwaltungsgerichtshof (Hinweis auf ) und davon auszugehen sei, dass sich der Verwaltungsgerichtshof in Abkehr von seiner bisherigen Entscheidungslinie in dieser Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes anschließen werde.

13 Das Finanzamt hat - nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung erstattet.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

15 Die Revision ist zulässig und begründet.

16 Soweit die Revision den Standpunkt vertritt, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, der den Zeitpunkt der Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhalts gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 IO mit jenem der Entstehung des Abgabenanspruches iSd § 4 Abs. 2 BAO gleichsetze, ist ihr Folgendes zu entgegnen:

17 Gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 IO gehören zu den Masseforderungen öffentliche Abgaben, wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Konkursverfahrens verwirklicht wird. Entsprechendes muss - wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 2011/15/0188, ausgesprochen hat - spiegelbildlich für die zeitliche Abgrenzung der Forderungen der Schuldnerin auf Prämien nach § 108c EStG 1988 gelten. Im angeführten Erkenntnis, das die Abgrenzung der Entstehung von Forderungen einer Schuldnerin vor und nach Insolvenzeröffnung zum Inhalt hatte, hat der Verwaltungsgerichtshof auch ausgesprochen, aus § 108c EStG 1988 ergibt sich, dass der die Prämie auslösende Sachverhalt in der Tätigung von (dort) Bildungsaufwendungen liegt. Auf die Modalitäten der Geltendmachung bzw. Fälligkeit der Prämie kommt es - anders als etwa bei Beurteilung der Frage des Entstehens des Abgabenanspruchs iSd § 208 Abs. 1 lit. a BAO für Zwecke der Verjährung (vgl. dazu ) - nicht entscheidend an. Wenn das Bundesfinanzgericht im angefochtenen Erkenntnis den Standpunkt vertrat, der die Forschungsprämie begründende Sachverhalt sei nach Maßgabe der Aufwandstätigung erfüllt worden, wich es nach dem Gesagten nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.

18 Da das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2011/15/0188, die Abgrenzung der zeitlichen Entstehung von Forderungen einer Schuldnerin vor und nach Insolvenzeröffnung zum Inhalt hatte, wird auch mit dem Zulässigkeitsvorbringen, es liege keine Judikatur zu unterjährig eröffneten Insolvenzverfahren vor, bei denen auch nach Insolvenzeröffnung Prämien begründende Aufwendungen getätigt worden seien, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt. Mit dem vorliegenden Erkenntnis wurde implizit zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei jenem Teil der Forschungsprämie, der auf nach der Insolvenzeröffnung getätigte Aufwendungen entfällt, um einen Anspruch der Masse handelt.

19 Dem Vorbringen, wonach die Frage des Umfangs der Aufrechnungsbefugnis nach rechtskräftig bestätigtem Sanierungsplan im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2001/10/0230, anders beurteilt worden sei als im Urteil eines verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes vom , 6 Ob 179/14p, ist zu entgegnen, dass dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom ein Fall zugrunde lag, in dem sich diese Frage nicht stellte. Den diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Bescheid hat der Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil die Rechtsmittelbehörde den Standpunkt vertrat, Forderungen des dortigen Beschwerdeführers seien durch Aufrechnung untergegangen, obwohl zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung keine Gegenforderung, sondern eine bloße Anwartschaft bestanden hatte.

20 Im Revisionsfall standen sich zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ein aufrechenbarer Prämienbetrag von 857.298,10 € und eine angemeldete Forderung auf Umsatzsteuer in zumindest gleicher Höhe gegenüber. Die Aufrechnung selbst ist unstrittig nach der rechtskräftigen Bestätigung des Sanierungsplans erfolgt, weshalb sich im Revisionsfall die Frage des Umfangs der Aufrechnungsbefugnis nach rechtskräftig bestätigtem Sanierungsplan (erstmalig) stellt. Schon vor Ergehen des Urteils eines verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes vom , 6 Ob 179/14p, sprachen sich weite Teile der Lehre für eine Beschränkung der Aufrechnung auf die Quote aus (vgl. Buchegger, Ausgleichserfüllung [1988] 79 f; Rummel in Rummel ABGB² § 1439 Rz 11; Heidinger in Schwimann ABGB³ § 1439 Rz 16; Lovrek in Konecny/Schubert § 156 KO Rz 59, Nummer-Krautgasser, Aufrechnung und Zwangsausgleich ZIK 2009/7, 4; dieselbe in Aufrechnung in der Insolvenz: Grundlagen und aktuelle Rechtsfragen in Jahrbuch Insolvenz‑ und Sanierungsrecht 2014, 163 [183 ff]; Konecny, EvBl 2009/46; Holly in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.01 § 1439 Rz 16/6; Mohr, Sanierungsplan und Sanierungsverfahren nach dem Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010 Rz 250; Fichtinger, Die gesetzliche Aufrechnung im Insolvenzverfahren [2015] 335 ff). Dieser Auffassung schließt sich der Verwaltungsgerichtshof an, zumal sich aus § 19 IO eine volle Aufrechnungsbefugnis nicht ableiten lässt, die Sicherungsfunktion der Aufrechnung keine andere Beurteilung zulässt und eine analoge Anwendung des § 149 Abs. 1 IO auf den aufrechnungsberechtigten Insolvenzgläubiger nicht in Betracht kommt (vgl. mit jeweils ausführlicher Begründung ).

21 Eine über die Quote hinausgehende Aufrechnung kommt nur in Betracht, wenn der Gläubiger unverschuldet aufgrund eines Verschuldens des Insolvenzschuldners - wenn auch in Form leichter Fahrlässigkeit - an einer Aufrechnungserklärung vor rechtskräftiger Sanierungsplanbestätigung gehindert worden ist, zumal für diesen Fall § 156 Abs. 4 IO (analog) zur Anwendung kommt (vgl. Fichtinger, Insolvenzaufrechnung 402; Lovrek in Konecny/Schubert § 156 KO Rz 59 und ein weiteres Mal ).

22 Das Bundesfinanzgericht geht im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass die Bestimmung des § 156 Abs. 4 IO im Revisionsfall greift, weil die X GmbH dem Finanzamt ihren Prämienanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Sanierungsverfahrens schuldhaft verschwiegen habe. Konkrete Feststellungen dazu traf es im angefochtenen Erkenntnis nicht. Auch auf das Vorbringen des Revisionswerbers im Beschwerdeverfahren, wonach die Forschungsprämie im Sanierungsverfahren der X GmbH in die Unternehmensplanung eingebunden worden sei, ging das Bundesfinanzgericht im angefochtenen Erkenntnis nicht weiter ein, obwohl dieses Vorbringen eine Kenntnis des Finanzamts vom Prämienanspruch indizieren würde.

23 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.

24 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ABGB §1439
EStG 1988 §108c
IO §149 Abs1
IO §156 Abs4
IO §19
IO §46 Abs1 Z2
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020150015.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
UAAAF-45306