Haftung nach § 82 EStG iVm § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung ohne Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/3100842/2018-RS1 | Für Arbeitskräfteüberlassungen ins Inland sieht § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung (BGBl. III Nr. 92/2005 idF BGBl II Nr 44/2006) eine Entlastung an der Quelle vor, wenn sichergestellt ist, dass das ausländische Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen oder der inländische Gestellungsnehmer für die überlassenen Arbeitskräfte die Pflichten des Arbeitgebers im Sinne der §§ 76, 78, 79, 80, 82, 84 und 87 EStG wahrnimmt.
Die DBA-Entlastungsverordnung steht im Rang einer Durchführungsverordnung und kann das originär innerstaatliche Einkommensteuerrecht nicht abändern. Besteht im Inland keine Betriebsstätte iSd § 81 EStG 1988 ist eine Haftung gem § 82 EStG 1988 nicht zulässig.
Die DBA-Entlastungsverordnung ist deshalb so auszulegen, dass sie auf die Überwachung des „freiwilligen Lohnsteuerabzugs“ (wie in der Verwaltungspraxis auch vor Neufassung des § 47 Abs 1 EStG 1988 mit BGBl I 2019/91 üblich) durch ein Finanzamt abstellt, ohne den Arbeitskräfteüberlasser ausdrücklich zur Haftungsübernahme zu verpflichten. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Kapferer Frei und Partner Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs GmbH, Wilhelm-Greil-Straße 15, 6020 Innsbruck, und ***Liquidator***, über die Beschwerde vom gegen die Haftungsbescheide gem § 82 EStG 1988 des Finanzamtes Innsbruck vom für die Jahre 2014 und 2015, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Haftungsbescheide werden aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
Im Fokus gegenständlicher Entscheidung steht die Rechtsfrage, ob bei einer Arbeitskräfteüberlassung ins Inland eine Haftung nach § 82 EStG 1988 iVm § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung (BGBl. III Nr. 92/2005 idF BGBl II Nr 44/2006) auch mangels Vorliegens einer inländischen Betriebsstätte iSd § 81 EStG 1988 zulässig ist.
I. Verfahrensgang
Bei der beschwerdeführenden Partei (in Folge kurz: bfP) fand eine gemeinsame Prüfung lohnabhängiger Abgaben für den Zeitraum 2013 - 2015 statt.
Die Abgabenbehörde folgten den Feststellungen des prüfenden Organs und erließ am unter Verweis auf den Bericht vom selben Tag und "allenfalls" auf die Niederschrift über die Schlussbesprechung die nunmehr angefochtenen Haftungsbescheide, mit denen die bfP als Arbeitgeberin für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn zu entrichtenden Lohnsteuer in Anspruch genommen wurde, sowie Bescheide über die Festsetzung von Säumniszuschlägen.
In der nach Fristverlängerung rechtzeitig eingebrachten Beschwerde vom brachte die steuerliche Vertreterin der bfP zusammengefasst vor, die bfP sei ein britischer Reiseveranstalter und verkaufe in Großbritannien Pauschalreisen nach ***Ort Inland***. Eine Tochtergesellschaft der bfP, die ***x GmbH***, betreibe dort ein Hotel und Chalets. Das Personal, welches vor Ort zum Einsatz komme, stamme ebenfalls aus Großbritannien. Dieses werde von der bfP nach Österreich entsandt und der Tochtergesellschaft zum Betrieb des Hotels und der Chalets überlassen. Durch die Überlassung werde keine lohnsteuerliche Betriebsstätte begründet, die bfP führe jedoch freiwillig eine österreichische Lohnverrechnung durch.
Ferner sei dem Finanzamt offengelegt worden, dass die bfP die Vereinfachungsregelung nach dem Expatriates-Erlass (Rz 1038 LStR) anwende. Es liege daher kein Wiederaufnahmegrund vor und die Haftungsbescheide seien aufzuheben. Schließlich habe die bfP auch auf die Richtigkeit dieses Erlasses vertraut, zumal es sich hierbei um eine vom BMF kundgemachte Rechtsmeinung handle. Die Abgabenbehörde habe daher überdies eine gesetzeswidrige Ermessensübung getroffen und daher unrechtmäßig Haftungsbescheide erlassen. Unabhängig davon sei die von der bfP gewählte Lohnabrechnung jedenfalls durch den Erlass gedeckt. Schließlich sei die bfP auch aufgrund des § 7b Abs 1 AVRAG verpflichtet gewesen, die nach Kollektivvertrag vorgesehenen Sonderzahlungen ab dem Jahr 2015 monatlich aliquot auszubezahlen und somit nach dem Tarif zu versteuern. § 7b Abs 1 AVRAG iVm § 67 Abs 10 EStG 1988 beschränke daher überdies die Niederlassungs- bzw Dienstleistungsfreiheit durch eine wirtschaftliche und steuerliche Schlechterstellung, ohne dass dafür sachlich gerechtfertigte Gründe vorlägen.
Mit Beschwerde wurde eine Entscheidung durch den Senat und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beantragt.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde gegen die Haftungsbescheide 2014 und 2015 als unbegründet abgewiesen.
In weiterer Folge wurde mit Schriftsatz vom die Vorlage der Beschwerde hinsichtlich der Haftungsbescheide 2014 und 2015 beantragt.
Die Beschwerde wurde am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Eingabe vom wurden im Lichte der Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/3100671/2018, die Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie Entscheidung durch den Senat zurückgezogen und nochmals vorgebracht, dass es sich bei der geprüften Lohnverrechnung der bfP um eine gem Rz 927 LStR freiwillig geführte Lohnverrechnung eines Personalüberlassers handle. Die bfP habe daher im verfahrensgegenständlichen Zeitraum über keine Betriebsstätte iSd § 81 EStG 1988 im Inland verfügt und könne daher auch nicht zur Haftung herangezogen werden.
Der Eingabe waren zudem ein Schreiben der steuerlichen Vertreterin der bfP vom an das Finanzamt, in dem die Zuteilung einer Dienstgeber-Steuernummer zur Durchführung "einer freiwilligen Lohnverrechnung" beantragt wurde, sowie eine "Erklärung juristischer Personen für Zwecke der DBA-Quellenentlastung" vom beigefügt.
Nach Übermittlung der Eingabe an die Abgabenbehörde verbunden mit dem Ersuchen um eine allfällige Stellungnahme, brachte die Abgabenbehörde am im Wesentlichen vor, dass im Falle der Entlastung an der Quelle bei grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung in Verbindung mit einem Befreiungsbescheid gem § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung das ausländische Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen bzw. der inländische Gestellungsnehmer (Beschäftiger) für die überlassenen Arbeitskräfte die Arbeitgeberpflichten zu erfüllen habe und insbesondere auch § 82 EStG 1988 zur Anwendung komme. Mit der Quellenentlastung bei grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung gehe daher auch eine Haftung des ausländischen Beschäftigers für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer einher. Unabhängig davon, ob es sich im Beschwerdefall um eine freiwillige Lohnverrechnung im Sinne der Rz 927 der LStR handle, hafte der ausländische Arbeitgeber aufgrund der Bestimmungen der DBA-Entlastungsverordnung.
Der Stellungnahme waren zwei Bescheide iSd § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung vom bzw für die Zeiträume - sowie - beigefügt.
In weiterer Folge ersuchte das Bundesfinanzgericht die Abgabenbehörde erneut um eine Stellungnahme. Das diesbezügliche Ersuchen vom bezog sich auf den bisher objektivierbaren Sachverhalt, insbesondere auf das Fehlen einer inländischen Betriebsstätte nach § 81 EStG 1988. Dabei wurden seitens des Bundesfinanzgerichtes auch Bedenken geäußert, dass ohne das Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte eine Haftung nach § 82 EStG 1988 nicht zulässig sei und dass die DBA-Entlastungsverordnung keine über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Haftung begründen könne.
In der am erstatteten Stellungnahme führte das Finanzamt zusammengefasst aus, dass § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung unter bestimmten Voraussetzungen eine Entlastung an der Quelle für Vergütungen für die Gestellung von Arbeitskräften zur inländischen Arbeitsausübung zulasse. Voraussetzung sei, dass das Finanzamt auf Antrag einen Befreiungsbescheid erlasse, wenn sichergestellt sei, dass keine Umgehungsgestaltung vorliege und das ausländische Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen oder der inländische Gestellungsnehmer (Beschäftiger) für die überlassenen Arbeitskräfte die Arbeitgeberpflichten im Sinne der §§ 76, 78, 79, 80, 82, 84 und 87 EStG 1988 wahrnehme. § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung ermögliche eine Entlastung von der Einbehaltung und Abfuhr der Abzugsteuer für den Beschäftiger direkt an der Quelle bei einem gleichzeitigen Einbehalt der Lohnsteuer. § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung fuße jedoch nicht auf § 47 EStG 1988, sondern auf der DBA-Entlastungsverordnung und damit letztlich im jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen selbst. Die Entlastung an der Quelle sei jedoch nur möglich, wenn bestimmte Verpflichtungen eingehalten werden, insbesondere, wenn der Überlasser oder der Beschäftiger für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer hafte (§ 82 EStG). Eine "freiwillige Haftung" sei nicht im Sinne des Verordnungsgebers gewesen, zumal er in der Verordnung ausdrücklich auf § 82 EStG 1988 verwiesen habe. Schließlich ergebe sich eine Lohnsteuerabzugsverpflichtung nicht nur aus der DBA-Entlastungsverordnung, sondern auch aus den erlassenen Befreiungsbescheiden. Mit den Befreiungsbescheiden sei unter Verweis auf § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung auch die Auflage verbunden gewesen, für die überlassenen Arbeitskräfte die lohnsteuerlichen Pflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Finanzamt wahrzunehmen. Aufgrund dieses individuellen Rechtsaktes (rechtskräftiger Bescheid) sei die Arbeitgeberin verpflichtet gewesen, die lohnsteuerlichen Pflichten des Arbeitgebers einschließlich der Haftung für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer wahrzunehmen. Die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer sei daher keinesfalls freiwillig, sondern aufgrund der Befreiungsbescheide zwingend gewesen. Die bfP hafte daher für die nicht richtig abgeführte Lohnsteuer.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die bfP ist eine britische Reiseveranstaltern (tour operator) in der Rechtsform einer Limited mit Sitz in London und hat im verfahrensgegenständlichen Zeitraum Pauschalreisen nach ***Ort Inland*** überwiegend an britische Touristen verkauft.
Die bfP hatte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum weder eine Betriebsstätte im Sinne des § 81 EStG 1988 noch hatte sie ihre Geschäftsleitung im Inland.
Die Tochtergesellschaft der bfP, die ***x GmbH*** mit Sitz in ***Ort Inland*** (FN ***123456a***), hat im verfahrensgegenständlichen Zeitraum ein Hotel sowie Chalets in ***Ort Inland*** betrieben.
Das in den Beherbergungsbetrieben der ***x GmbH*** eingesetzte Personal wurde von der bfP nach Österreich entsandt und der ***x GmbH*** überlassen. Das Personal, welches in Großbritannien ansässig war, war nur saisonal im Inland tätig, in der Regel von Anfang Dezember bis Ende April (unter 183 Tagen) und war nur beschränkt steuerpflichtig. Es kam zudem vor, dass Arbeitnehmer kürzer als eine gesamte Saison, teils nur wenige Wochen im Inland waren.
Mit den Arbeitnehmern schloss die bfP Arbeitsverträge ab, wobei u.a. der Arbeitsort (Hotel oder Chalet), die Jobposition sowie das Entgelt geregelt waren.
Die Aufwendungen für die Überlassung des Personals wurden der Tochtergesellschaft in Rechnung gestellt.
Die bfP hat die Lohnverrechnung für die nach Österreich entsandten Arbeitnehmer nach Rz 927 LStR in der damals geltenden Fassung auf "freiwilliger Basis" übernommen. Dieser Umstand sowie die Tatsache, dass die bfP Wohnkosten wegen doppelter Haushaltsführung bei Ermittlung der Lohnsteuerbemessungsgrundlage berücksichtigt, wurde der Abgabenbehörde mit Schreiben der bfP vom mitgeteilt.
Bereits am bzw beantragte die bfP beim Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart gem § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung eine Entlastung an der Quelle betreffend die Arbeitsgestellungsvergütungen.
Mit Bescheiden vom bzw wurde für die Zeiträume - bzw - Befreiungsbescheide iSd § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung erlassen, "verbunden mit der Auflage, für die überlassenen Arbeitskräfte die lohnsteuerlichen Pflichten des Arbeitgebers gegenüber dem ***FA*** wahrzunehmen".
In der Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass "die Zulässigkeit der Quellenentlastung mit der Auflage zu verbinden war, dass die lohnsteuerliche Erfassung der Arbeitskräfte sichergestellt wird. Das ***FA*** (St.Nr: ***BF1StNr1***) hat die Zuständigkeit für die Überwachung der Lohnsteuerabfuhr übernommen". In der Rechtsmittelbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass die Einbringung einer Beschwerde aufgrund des Rechtsmittelverzichts unzulässig ist.
Ein expliziter Hinweis, dass mit den Befreiungsbescheiden eine Haftung nach § 82 EStG 1988 verbunden war, findet sich in den Bescheiden nicht.
Weder in den angefochtenen Haftungsbescheiden gemäß § 82 EStG 1988 noch in dem darauf Bezug nehmenden Außenprüfungsbericht bzw. der Niederschrift über die Schlussbesprechung findet sich ein Hinweis auf die DBA-Entlastungsverordnung.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen zur Geschäftstätigkeit der bfP und ihrer Tochtergesellschaft ergeben sich schlüssig und widerspruchsfrei aus dem vorliegenden Akt. Im Übrigen wurde der entscheidungswesentliche Sachverhalt, insbesondere, dass die bfP das im Hotel bzw in den Chalets der Tochtergesellschaft eingesetzte Personal der Tochtergesellschaft überlassen hat und die bfP im Inland über keine Betriebsstätte verfügt, dem Finanzamt mit Aufforderung zur Stellungnahme vom mitgeteilt, wobei zu diesen Feststellungen keine Einwände oder Gegenäußerungen mehr vorgebracht wurden. Es ergaben sich im Beschwerdeverfahren auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte oder Geschäftsleitung. Daher konnte diese Feststellung bedenkenlos getroffen werden, auch wenn sie grundsätzlich der rechtlichen Beurteilung vorbehalten bliebe.
Die Feststellung, dass die bfP bei der Lohnverrechnung die direkt vom Lohn einbehaltenen Kostenbeiträge für die Bereitstellung der Unterkunft als Werbungskosten berücksichtigte und damit die Lohnsteuerbemessungsgrundlage minderte, ergibt sich aus dem Bericht über die Außenprüfung vom und ist ferner zwischen den Verfahrensparteien unstrittig. Das Bundesfinanzgericht konnte sich daher ohne weiteres dieser Feststellung anschließen.
Die Feststellungen zu den Befreiungsbescheiden insbesondere zu deren Inhalt sowie zu den Haftungsbescheiden nach § 82 EStG 1988 ergeben sich widerspruchsfrei aus den Bescheiden.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung)
Nach Artikel 15 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerumgehung bei den Steuern vom Einkommen (DBA GB) (BGBl 390/1970 idF BGBl III 135/2010) dürfen vorbehaltlich der Artikel 16, 18, 19, 20 und 21 Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.
Nach Abs 2 dürfen ungeachtet des Absatzes 1 dieses Artikels Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person für eine in dem anderen Vertragstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, nur in dem erstgenannten Staat besteuert werden, wenn
a) der Empfänger sich in dem anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Steuerjahres dieses anderen Staates aufhält, und
b) die Vergütungen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht in dem anderen Staat ansässig ist, und
c) die Vergütungen nicht von einer Betriebstätte oder einer festen Einrichtung getragen werden, die der Arbeitgeber in dem anderen Staat hat.
Zunächst ist festzuhalten, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes der Begriff "Arbeitgeber" in der 183-Tage-Klausel von Doppelbesteuerungsabkommen (Art 15 Abs 2 OECD-Musterabkommen) im Sinn eines wirtschaftlichen Arbeitgebers zu verstehen ist (). Insofern steht - wie im hier gegenständlichen Fall - bei Arbeitskräfteüberlassungen auch innerhalb der 183 Tage Regelung (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen der DBA) das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus nicht selbständiger Tätigkeit der überlassenen Arbeitnehmer Österreich zu. Demgegenüber dürfen nach Art 7 DBA GB Gewinne eines Unternehmens eines Vertragstaates nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass das Unternehmen seine Tätigkeit im anderen Vertragstaat durch eine dort gelegene Betriebstätte ausübt. Das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne der bfP steht Österreich demnach nicht zu.
Gem § 98 Abs 1 EStG 1988 unterliegen der beschränkten Steuerpflicht Einkünfte aus Gewerbebetrieb für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird; Einkünfte aus der Gestellung von Arbeitskräften zur inländischen Arbeitsausübung, auch wenn keine inländische Betriebsstätte unterhalten wird und kein ständiger Vertreter im Inland bestellt ist; Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit (Z 4).
Nach § 99 Abs 1 EStG 1988 wird […] bei Einkünften aus der Gestellung von Arbeitskräften zur inländischen Arbeitsausübung die Einkommensteuer beschränkt Steuerpflichtiger durch Steuerabzug erhoben (Abzugsteuer).
Für die Entlastung vom Steuerabzug aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen kann (u. a.) die Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend die Entlastung von der Abzugsbesteuerung auf Grund von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA-Entlastungsverordnung) zur Anwendung kommen (Jakom/Marschner EStG, 2016, § 99 Rz 43).
Nach § 5 Abs 1 Z 4 DBA-Entlastungsverordnung (BGBl. III Nr. 92/2005 idF BGBl II Nr 44/2006) ist eine Entlastung an der Quelle unzulässig, wenn Vergütungen für die Gestellung von Arbeitskräften zur inländischen Ausübung gezahlt werden (ausgenommen konzerninterne Personalüberlassung von Angestellten).
Nach § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung kann das Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart über Antrag eines abkommensberechtigten Arbeitskräfteüberlassungsunternehmens bei Vergütungen für die Gestellung von Arbeitskräften zur inländischen Arbeitsausübung zeitlich befristet durch Bescheid eine Entlastung an der Quelle zulassen, wenn sichergestellt ist, dass keine Umgehungsgestaltung vorliegt und das ausländische Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen oder der inländische Gestellungsnehmer (Beschäftiger) für die überlassenen Arbeitskräfte die Pflichten des Arbeitgebers im Sinne der §§ 76, 78, 79, 80, 82, 84 und 87 EStG 1988 wahrnimmt.
Vorweg ist festzuhalten, dass Doppelbesteuerungsabkommen Staatsverträge sind, die nach Art 50 B-VG der Genehmigung des Nationalrates bedürfen. Die Vorschriften von Doppelbesteuerungsabkommen sind unmittelbar anwendbar und sind aufgrund ihres Inhalts in die österreichische Rechtsordnung einzuordnen. Sie sind einfachen Bundesgesetzen gleichgestellt und können steuerliche Vorschriften in einfachen Bundesgesetzen auch verdrängen (Lang in Kofler et al (Hrsg), Steuerpolitik und Verfassungsrecht (2023), Doppelbesteuerungsabkommen und Verfassungsrecht, S 137).
Die DBA-Entlastungsverordnung wurde zur Durchführung von Doppelbesteuerungsabkommen auf deren Grundlage vom Bundesminister für Finanzen verordnet. Die gesetzliche Grundlage der Verordnung stellt das jeweils anwendbare Doppelbesteuerungsabkommen dar (Jakom/Marschner EStG, 2016, § 99)
Die DBA-Entlastungsverordnung steht somit im Rang einer Durchführungsverordnung und steht in der Normenhierarchie unterhalb von Gesetzen. Eine Verordnung kann ein Gesetz erläutern oder ergänzen, kann aber das originär innerstaatliche Einkommensteuergesetz nicht derogieren oder außer Kraft setzen.
Nach § 47 Abs 1 EStG 1988 (BGBl. I Nr. 8/2005) wird bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25) die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer), wenn im Inland eine Betriebsstätte (§ 81) des Arbeitgebers besteht. […]
Gemäß § 78 Abs 1 EStG 1988 hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten und gemäß § 79 Abs 1 EStG 1988 spätestens am 15. Tag nach Ablauf des Kalendermonates an das Finanzamt abzuführen.
Nach § 82 EStG 1988 haftet der Arbeitgeber dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn einzubehaltenden Lohnsteuer. […]
Nach getroffenen Feststellungen verfügte die bfP im verfahrensgegenständlichen Zeitraum über keine Betriebsstätte im Inland. Liegt keine Betriebsstätte vor, ist ein Lohnsteuerabzug nicht zulässig. Ein "freiwilliger Lohnsteuerabzug" war nach der Verwaltungspraxis durchaus üblich (vgl. Rz 927 LStR), eine gesetzliche Rechtsgrundlage dafür gab es jedoch nicht; ein solcher wurde erst durch die Neufassung des § 47 Abs 1 EStG 1988 mit BGBl I 2019/91 und BGBl I 2021/3 gesetzlich geregelt.
Ist ein Lohnsteuerabzug aufgrund des Fehlens einer inländischen Betriebsstätte nicht zulässig, kann auch keine Pflicht für den Arbeitgeber zur Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer (§ 78 EStG und § 79 EStG 1988) und in weiterer Folge auch keine Haftung nach § 82 EStG 1988 bestehen.
Vorstehende Erwägungen legen nahe, dass die DBA-Entlastungsverordnung Pflichten begründet, die über das gesetzlich festgelegte Maß hinausgehen. Dies könnte den Anschein erwecken, dass die Verordnung gesetzeswidrig ist. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Verordnung im Lichte einer verfassungsrechtlichen Auslegung lediglich als eine freiwillige Übernahme von Pflichten zu verstehen ist. Sie schafft keine zusätzlichen Pflichten (auch keine nach § 82 EStG 1988), sondern bietet lediglich eine Option zur freiwilligen Anwendung, ohne in die gesetzlichen Bestimmungen einzugreifen. Aus dem Wortlaut der Verordnung - "wenn sichergestellt ist, dass […] das ausländische Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen für die überlassenen Arbeitskräfte die Pflichten des Arbeitgebers iSd §§ 76, 78, 79, 80, 82, 84 und 87 EStG wahrnimmt" - lässt sich nicht ableiten, dass die bfP die (gesetzlich gar nicht bestehenden) Pflichten wahrzunehmen hat. Dies wird auch durch den , BMF-010221/0101-IV/4/2006 (Erläuterungen zur Anwendung der DBA-Entlastungsverordnung, BGBl III Nr 92/2005 idF BGBl II Nr 44/2006) deutlich, welcher u.a. ausführt, dass das ausländische Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen vorweg ein Finanzamt auszuwählen hat, das bereit ist, die lohnsteuerliche Überwachung zu übernehmen (Seite 18). Mit "sicherstellen" ist somit die Überwachung der "freiwillig übernommenen Pflichten" durch ein Finanzamt gemeint. Die Formulierung in der Verordnung legt den Schwerpunkt somit auf die Überwachung durch ein Finanzamt, ohne dass der Arbeitskräfteüberlasser ausdrücklich dazu verpflichtet wird, die "Pflichten" direkt aufgrund des Wortlauts der Verordnung zu übernehmen.
Auch dem Argument der Abgabenbehörde, dass aufgrund der rechtskräftigen Befreiungsbescheide als individuelle Rechtsakte die bfP zwingend verpflichtet gewesen sei, die lohnsteuerlichen Pflichten einschließlich der Haftung für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer wahrzunehmen, kann nichts abgewonnen werden. Zum einen wird in den Bescheiden nicht ausdrücklich auf die Haftung nach § 82 EStG 1988 hingewiesen, zum anderen bestand wie ausgeführt keine Pflicht die Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen. Ein Bescheid kann dem Normunterworfenen keine Pflichten auferlegen, die gesetzlich gar nicht bestehen. Ferner wurde in den Bescheiden lediglich ausgeführt, dass die lohnsteuerlichen Pflichten gegenüber dem Finanzamt wahrzunehmen seien. Eine Haftung kann nicht als Pflicht verstanden werden, sondern vielmehr die Konsequenz einer Pflichtverletzung.
Zusammenfassend hatte die bfP im Inland keine Betriebsstätte iSd § 81 EStG 1988, insofern bestand keine Verpflichtung zur Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer und somit kann die bfP auch nicht gem § 82 EStG 1988 zur Haftung herangezogen werden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs liegt - soweit überschaubar - zur gegenständlichen Rechtsfrage, insbesondere ob eine Haftung nach § 82 EStG 1988 iVm § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung (BGBl. III Nr. 92/2005 idF BGBl II Nr 44/2006) auch mangels Vorliegens einer inländischen Betriebsstätte iSd § 81 EStG 1988 (vor Neufassung des § 47 Abs 1 EStG mit BGBl I 2019/91 und BGBl I 2021/3) zulässig ist, nicht vor. Die Revision war daher zuzulassen.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 98 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 82 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 Art. 50 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 § 47 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 Art. 7 DBA GB (E), Doppelbesteuerungsabkommen Großbritannien und Nordirland (Einkommensteuer, Verhinderung der Steuerverkürzung), BGBl. III Nr. 32/2019 § 81 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 47 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 5 Abs. 3 DBA-Entlastungsverordnung, BGBl. III Nr. 92/2005 § 99 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
Zitiert/besprochen in | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2025:RV.3100842.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
ECLI Nummer:
ECLI:AT:BFG:2025:RV.3100842.2018
Fundstelle(n):
XAAAF-43977