Kein Vorsteuerabzug bei Wissen-Müssen um Umsatzsteuerbetrug
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** über die Beschwerde der ***17***, ***18***, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Umsatzsteuer 2015, Steuernummer xx-xxx/xxxx, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Anwesenheit der Schriftführerin *** am zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Anlässlich einer bei der Beschwerdeführerin durchgeführten Außenprüfung betreffend Umsatzsteuer 07-12/2015 wurde folgende beschwerdegegenständliche Feststellung getroffen (s. Niederschrift über die Schlussbesprechung gemäß § 149 Abs. 1 BAO und Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung gemäß § 150 BAO vom ):
Das Geschäftslokal in ***1*** sei von der Beschwerdeführerin im Oktober 2014 übernommen und anschließend seien umfangreiche Sanierungs- und Umbauarbeiten durchgeführt worden. Im Zeitraum 19. Mai bis seien der Beschwerdeführerin Bauleistungen für das Geschäftslokal von der Firma ***6*** GmbH mit der Anschrift ***7***, in Höhe von 44.763,00 Euro netto in Rechnung gestellt worden. Die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer sei von der Beschwerdeführerin in der Umsatzsteuervoranmeldung für das 3. Quartal 2015 als abziehbare Vorsteuer (8.952,60 Euro) geltend gemacht worden. Alle gegenständlichen Rechnungen seien von der Beschwerdeführerin bar bezahlt worden. Die Beschwerdeführerin habe zu dieser Baufirma schriftlich bekannt gegeben, dass sie den Geschäftsführer, Herrn ***4***, an ihrem früheren Arbeitsplatz kennengelernt habe. Er habe ihr von seiner Baufirma erzählt. Die Rechnungen für die ausgeführten Bauleistungen habe ***4*** in ihr Lokal gebracht und sie habe diese dann bar bezahlt. Die Bauarbeiten seien von Anfang Mai bis Anfang August 2015 durchgeführt worden und es seien jeweils drei bis vier Arbeiter tätig gewesen. Es habe ein schriftliches Anbot der ***6*** GmbH vom gegeben. Die Beschwerdeführerin habe die Anmeldungen der Arbeiter gesehen und sie habe eine Kopie des Reisepasses von ***4*** sowie seiner e-card vorgelegt. In den Firmenräumlichkeiten der ***6*** GmbH sei die Beschwerdeführerin ihren Angaben nach nicht gewesen.
Erhebungen durch die Finanzbehörde hätten ergeben, dass die Firma ***6*** GmbH im Firmenbuch unter der Nummer ***5*** eingetragen sei. Mit TT.MM.2015 sei ein Konkursverfahren eröffnet und per TT.MM.2016 mangels Kostendeckung aufgehoben worden. Als Geschäftsführer der ***6*** GmbH sei ab Gründung bis zum Herr ***8*** (geb. tt.mm.jjjj) eingetragen gewesen. Dieser habe auch 25% der Gesellschaftsanteile gehalten. Ab seien sämtliche Gesellschaftsanteile an ***4*** (geb. tt.mm.jjjj) abgetreten worden und dieser habe die Geschäftsführung übernommen.
Anfragen bei der Hausverwaltung betreffend die angegebene Firmenadresse in ***7*** hätten ergeben, dass weder mit der ***6*** GmbH noch mit dem Geschäftsführer ***4*** ein Mietvertrag abgeschlossen worden sei. Es habe lediglich einen Mietvertrag mit der ***9*** GmbH (Geschäftsführer: ***8***) aus dem Jahre 2006 gegeben.
Laut dem Masseverwalter der ***6*** GmbH sei kein Kontakt zum Geschäftsführer ***4*** zustande gekommen und es seien daher keine Unterlagen vorgelegt worden. Eine Nachschau an der angegebenen Geschäftsadresse sowie an der Wohnadresse des Geschäftsführers habe keine Hinweise zur ***6*** GmbH ergeben. Es habe lediglich mit der Sekretärin des vormaligen Geschäftsführers (***8***) telefonisch Kontakt aufgenommen werden können. Diese habe mitgeteilt, dass seit Übernahme der Gesellschaftsanteile und der Geschäftsführung ab kein Kontakt mehr zur ***6*** GmbH bestanden habe. In einem Bericht an das Handelsgericht Wien habe es der Masseverwalter als erstaunlich beschrieben, dass sich von den 14, zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung aufrecht gemeldeten Dienstnehmer, lediglich ein einziger mit ihm in Verbindung gesetzt habe. Auch seien zehn Schreiben des Insolvenzverwalters an die Dienstnehmer mit "unbekannt" oder "nicht behoben" retourniert worden.
Die Unterschrift auf dem vorgelegten Anbot, den Eingangsrechnungen sowie den Kassabelegen sei zwar ident mit der Unterschrift der vorgelegten Reisepasskopie, weise jedoch absolut keine Übereinstimmung mit der beim Handelsgericht eingereichten Musterzeichnung auf.
Gemäß § 12 Abs. 1 UStG 1994 könne ein Unternehmer die von einem anderen Unternehmer in einer Rechnung (§11 UStG 1994) an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Laut § 11 Abs. 1 Z 3 UStG 1994 müsse eine Rechnung bestimmte Angaben (u.a. - den Namen und die Anschrift des liefernden und leistenden Unternehmers) enthalten. Die ***6*** GmbH habe in ihren Rechnungen die Adresse ***7*** ausgewiesen. Es habe die ***6*** GmbH jedoch weder von der Finanzverwaltung noch vom Masseverwalter an dieser Adresse ausfindig gemacht werden können. Auch die Beschwerdeführerin sei nach ihren Angaben nicht in den Firmenräumlichkeiten der ***6*** GmbH gewesen. Die Beschwerdeführerin habe weder die Angaben im Firmenbuch noch das Vorliegen einer UID-Nummer überprüft. Die aus den Rechnungen der ***6*** GmbH geltend gemachten Vorsteuern in Höhe von 8.952,60 Euro seien daher gemäß § 11 UStG 1994 nicht anzuerkennen.
Das Finanzamt folgte den Feststellungen der Außenprüfung und erließ am einen dementsprechenden Bescheid über die Festsetzung von Umsatzsteuer für 07-09/2015.
Mit Schreiben vom erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gegen diesen Bescheid und führte begründend aus:
"• Dass die Firma ***6*** GmbHvon mir persönlich beauftragt wurde und die Arbeiten wurden von dieser Firma ausgeführt. Alle Rechnungen wurden Bar beglichen.
• Die Firma war aufrecht im Gewerberegister gemeldet (Kopie des Gewerbescheins, Firmenbuchauszug, Ausweis vom Geschäftsführer und Gültigkeit der UID-Nummer usw. liegt vor)
• Weiters gebe ich Ihnen bekannt, dass folgende Personen die durchgeführten Arbeiten bezeugen können:
- die Lüftungsfirma ***10*** Mitarbeiter Herr ***11***, geb. am tt.mm.jjjj, wohnhaft in ***12***
- meine Begleitperson, die mit mir u.a. das Geld abhieb Herr ***13***, geb. am tt.mm.jjjj, wohnhaft in ***14***
Aus diesem Grunde bitte ich Sie um außer Kraftsetzung dieses Bescheids bzw. um Richtigstellung der UVA 07-09/2015 in der Höhe EUR 11.855,63 (s. Beilage UVA Meldung)."
Mit Beschwerdevorentscheidung gemäß § 262 BAO vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die ***6*** GmbH an der in den Rechnungen angeführten Adresse ***7*** nicht existiert habe. Scheine in einer Rechnung als leistender Unternehmer eine Firma auf, die unter der angegebenen Adresse nicht existiere, so fehle es an der Angabe des leistenden Unternehmers und liege keine Rechnung vor, die zum Vorsteuerabzuge berechtige ().
Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für das Jahr 2015 fest und verwies begründend auf die Beschwerdevorentscheidung vom .
Mit Schreiben vom stellte die Beschwerdeführerin, vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei Mag. ***15***, fristgerecht den Antrag auf Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht und ergänzte die Beschwerde wie folgt:
"Wie sich aus dem offenen Firmenbuch ergibt, ist die "***6*** GmbH" bereits seit an der Adresse ***7*** etabliert. Es kann also keineswegs davon gesprochen werden, dass die genannte Firma an der fraglichen Adresse niemals eine Geschäftstätigkeit entfaltet hätte. Andernfalls müßte davon ausgegangen werden, dass die am für das Jahr 2010, am für das Jahr 2011, am für das Jahr 2012 und am für das Jahr 2014 eingereichten Jahresabschlüsse allesamt unrichtig gewesen wären. Dieser Umstand wäre mit Sicherheit zumindest bei der steuerlichen Veranlagung des genannten Unternehmens aufgefallen.
Wie die Beschwerdeführerin bereits in der Beschwerde dargestellt hat, war für die genannte Firma an der bezeichneten Adresse darüberhinaus ein Baumeistergewerbe angemeldet. Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass die Erteilung des (konzessionierten) Baumeistergewerbes einen "Sitz" der Gesellschaft in einer Weise voraussetzt, dass Schriftstücke an dieser Adresse tatsächlich zugestellt und auch bearbeitet werden.
Weiters war, wie ebenfalls bereits vorgebracht und unter Beweis gestellt, im gesamten Zeitraum der Arbeiten die UID-Nummer AT ***16*** unter der Adresse ***7***, also unter der hier gegenständlichen Adresse gültig aufrecht. Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass gerade die österreichischen Finanzämter, wenn der Verdacht eines Scheinsitzes besteht, sehr rigoros die Gültigkeit von Umsatzsteuer-Identifikationsnummern beschränken. Auch dies war beim gegenständlichen Unternehmen bis zur Eröffnung der Insolvenz über das Unternehmen niemals der Fall.
Die Beschwerdeführerin hat sich, was gerade bei Bargeschäften auch zu Recht gefordert wird, in äußerst gewissenhafter Weise in jeder der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes entsprechenden Weise über das Bestehen und den Sitz der Gesellschaft der "***6*** GmbH" erkundigt.
Sie hat zeitnah hinsichtlich jeder Teilrechnung und hinsichtlich der Schlußrechnung jeweils die Gültigkeit der UID-Nummer der Leistungserbringerin abgefragt, sich einen Firmenbuchauszug und einen Gewerberegisterauszug vorlegen lassen. Aus sämtlichen dieser Urkunden ist übereinstimmend die hier gegenständliche Adresse als Sitz des Unternehmens hervorgegangen.
Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass der Europäische Gerichtshof in ständiger Judikatur erkennt, dass ein Vorsteuerabzug selbst trotz objektiv falscher Anschrift zu gewähren wäre, wenn der Leistungsempfänger alles ihm zumutbare unternommen hat, die Richtigkeit der Anschrift zu überprüfen. An die Rechnung dürfen keine Anforderungen gestellt werden, die die Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren ( RS. 123/87 und 330/07, Jeunehomme u.a., Slg. 1988, 1-4517; und v. , Rs. C-25/03, HE, Slg. 2005, I3123).
Deutsche Gerichte erkennen zu dieser Judikatur zum Beispiel in ständiger Rechtsprechung, dass es für die Anschrift im umsatzsteuerlichen Sinn (nur) darauf ankomme, ob unter dieser Adresse die Erreichbarkeit des leistenden Unternehmers (zum Zeitpunkt der Rechnungsausstellung!) hinreichend zuverlässig gewährleistet war (FG Köln, Urteil vom , Az. 4 K 1367/05, RN 51).
Im selben Urteil hat das Finanzgericht Köln, ebenso hier einschlägig, weil es sich auch dort um eine "kleine Baufirma" gehandelt hat, ausgeführt: "Im Zeitalter der mobilen Kommunikation und der Möglichkeiten, Buchführung und verwaltungstechnische Arbeiten von Dienstleistern erledigen zu lassen, dürfen hier die Anforderungen nicht überspannt werden: Grundsätzlich muß es auch jedem Unternehmen freistehen, von wo aus es seine Geschäftstätigkeit ausübt und ein Unternehmen mag - wie hier geschehen - seine Verwaltungstätigkeit delegieren und im Übrigen auch vom Wohnsitz eines seiner Geschäftsführer aus betreiben. Gerade für kleinere Baubetriebe dürfte es typisch sein, dass Kontakte aufgrund ständig wechselnder Baustellen zu einem Großteil von diesen aus und per Handy gepflegt werden, ohne dass die Baufirma an ihrem "Sitz" über einen vollständig ausgestatteten Bürobetrieb verfügt". (aaO, RN 53).
Auch das deutsche Bundesfinanzgericht kommt zu einer ähnlichen Erkenntnis: "Insbesondere rechtfertigen weder allein der Umstand, dass eine GmbH keine 'eigenen' oder ihr allein zur Verfügung stehenden Geschäftsräume hat, noch die Tatsache, dass nicht alle 'tatsächlichen Geschäfte' am angegebenen Sitz ausgeführt werden, die Annahme, der angegebene Sitz bestehe nur zum Schein und sei deshalb unbeachtlich." (BFH, Beschluß vom , Az. V B 108/01, RN 27).
Und: "Die Anschrift muss nur zum Zeitpunkt der Rechnungsausstellung bestanden haben. Verlegt der leistende Unternehmer später seinen Sitz, bleibt die bereits ausgestellte Rechnung richtig. Dies gilt selbst dann, wenn er untertaucht und sich seinen steuerlichen Pflichten entzieht (BFH, Urteil vom , Az. V R 51/93, RN 15).
Nichts anderes kann aber, da es sich um einheitlich auszulegendes Europäisches Recht handelt, in Österreich gelten. Auch spricht die vorhandene österreichische Judikatur nur scheinbar gegen die zitierten deutschen Erkenntnisse. Soweit erkennbar hatte sich nämlich auch das BFG bei Fällen ungenügender Adressangaben in Rechnungen bisher nur mit Umständen zu befassen, die für einen Rechnungsempfänger objektiv relativ leicht erkennbar gewesen wären. So entsprach die Adresse auf der Rechnung in RV/2759-W/08 beispielsweise nicht jener im zuvor abgeschlossenen Vertrag und auch nicht jener im Firmenbuch und war das Unternehmen an der in der Rechnung angegebenen Adresse, an der in Wahrheit ein Kaffehaus geführt wurde, niemals bekannt. Im ansonsten (am ehesten) vergleichbaren Fall RV/3198-W/11 wurde die Anerkennung der Vorsteuer verweigert, weil zum Zeitpunkt der Rechnungsausstellung keine gültige UID-Nummer des leistenden Unternehmens bestand. Auf den Umstand, dass das Unternehmen an seinem Sitz nicht (mehr) auffindbar war, weil es sich um die inzwischen leerstehende Wohnung der GeschäftsführerGesellschafterin gehandelt hatte, kam es in diesem Fall hingegen ausdrücklich nicht an. Auch die in der selben Entscheidung zitierten Erwägungen hinsichtlich der Ablehnung eines "Gutglaubensschutzes" durch den VwGH kommen im gegenständlichen Fall nicht zum Tragen, ist doch die Unternehmereigenschaft des Rechnungsausstellers auf Grund der zum Rechnungslegungszeitpunkt aufrechten UID-Nummer evident und eine Rechnungskorrektur (auf Grund der oben dargestellten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes) eben nicht erforderlich. Das "Risiko" einer nicht mehr möglichen Rechnungskorrektur trifft die Beschwerdeführerin daher schon deshalb nicht, weil eine Rechnungskorrektur nicht erforderlich ist, um die Vorsteuer erfolgreich geltend zu machen, selbst wenn, was im gegenständlichen Fall alles andere als erwiesen ist, die Geschäftsanschrift des leistenden Unternehmers auf der Rechnung sich als unrichtig erweisen sollte, solange der Rechnungsempfänger die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes bei deren Prüfung eingehalten hat. Dies kann im gegenständlichen Fall aber überhaupt nicht strittig sein (und wird, soweit erkennbar der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde auch gar nicht vorgeworfen). Im Sinne der Ausführungen des Finanzgerichts Köln ist es zweifellos auch in Österreich so, dass Geschäftsführer oder Personal kleiner Baufirmen in deren Büro oder an deren Sitz grundsätzlich schwer anzutreffen sind, weil diese eben grundsätzlich von Baustellen aus mit den Mitteln mobiler Kommunikation agieren. Es kann also keinesfalls von jedem Kunden verlangt werden, persönlich nachzuprüfen, ob Entscheidungsträger oder Mitarbeiter des Unternehmers selbst regelmäßig im Büro anwesend sind. Sämtliche oben bereits genannten Indizien sprechen aber eindeutig dafür, dass der Bürobetrieb des Leistungserbringers tatsächlich von der im Rechnungskopf genannten Adresse ausgeführt wurde, wären doch sonst insbesondere auch behördliche Zustellungen (z.B. die Erteilung des konzessionierten Gewerbes des Baumeisters) nicht erteilt worden, wenn die Firma "postalisch nicht erreichbar" gewesen wäre.
Da sämtliche von der Beschwerdeführerin im Sinne eines ordentlichen Kaufmannes erhobenen Indizien zum Zeitpunkt der Rechnungsausstellung darauf hindeuteten, dass die Leistungsgerbringerin (und zwar immerhin schon seit dem für "Scheinfirmen" oder "Briefkastenfirmen" jedenfalls unüblichen Zeitraum von über 5 Jahren!) an der im Rechnungskopf genannten Adresse etabliert war, ist ihr ein sorgfaltswidriges Verhalten imSinne der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes jedenfalls nicht zu unterstellen.
Im Gegenzug dazu stützt sich die belangte Behörde hinsichtlich der Behauptung, die Leistungserbringerin wäre zum Zeitpunkt der Rechnungsausstellung (plötzlich!) nach über fünfjähriger Tätigkeit nicht mehr an ihrer Sitzadresse tätig gewesen, lediglich auf Vermutungen und den (wie oben bereits ausgeführt für sich aber keine Beweiskraft entfaltenden) Umstand, dass das Leitungsorgan des Leistungserbringers nach einem nachfolgenden Konkurs (!) nicht mehr auffindbar, beziehungsweise untergetaucht ist. Auch die wenige Monate vor der Leistungserbringung erfolgte Änderung in der Geschäftsführung der Leistungserbringerin kann daran nichts ändern, ist doch im Geschäftsverkehr allgemein bekannt, dass, insbesondere "etablierte" Unternehmen mit Büroräumlichkeiten, also Unternehmen, die nicht "von zu Hause aus" geführt werden, bei einem Geschäftsführerwechsel nicht grundsätzlich auch die Geschäftsanschrift wechseln.
Die Beschwerdeführerin beantragt ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, insbesondere zu ihrer Einvernahme zur Klärung des Umstandes, dass sie sämtliche Maßnahmen der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes bei der Rechnungsprüfung aufgewendet hat und zur selbigen insbesondere auch die Ladung desZeugen ***11***, p.A. ***12***."
Die belangte Behörde legte die Beschwerde am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und führte ergänzend aus, dass entgegen den Angaben der Beschwerdeführerin kein Gewerberegisterauszug und auch keine Nachweise für die Gültigkeit der UID-Nummer der ***6*** GmbH vorgelegt worden seien. Nach der Rechtsprechung des EuGH liege an der Adresse ***7*** kein Sitz/feste Niederlassung des Unternehmens vor. Die Angaben auf den Rechnungen würden somit nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen, weshalb ein Vorsteuerabzug gemäß § 12 UStG 1994 ausgeschlossen sei. Die Beschwerdeführerin habe zwar angegeben, ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen zu sein und Überprüfungen des Unternehmens bzw. des Geschäftsführers vorgenommen zu haben, jedoch diese Behauptungen bis dato nicht nachweisen können.
In den am über Antrag der Beschwerdeführerin durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht erfolgte eine kontradiktorische Erörterung der Sach- und Rechtslage. Nach zunächst widersprüchlichen Angaben bestätigte die Beschwerdeführerin, dass sie alle ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen betreffend die ***6*** GmbH der Betriebsprüfung vorgelegt habe.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Strittig ist der Vorsteuerabzug in Höhe von 8.952,60 Euro aus Rechnungen der ***6*** GmbH.
Die ***6*** GmbH wurde mit Gesellschaftsvertrag vom gegründet und am zu FN ***5*** ins Firmenbuch eingetragen. Betriebsgegenstand war der Handel mit Waren aller Art. Der Sitz der Gesellschaft befand sich ab dem Jahr 2010 in ***7***.
Die Gesellschaft verfügte von bis über die Gewerbeberechtigung: Baumeister eingeschränkt auf ausführende Tätigkeit (GISA-Zahl: ***).
Mit Abtretungsvertrag vom erwarb Herr ***4***, geboren am tt.mm.jjjj, sämtliche Gesellschaftsanteile und wurde zum Geschäftsführer der Gesellschaft mit selbständiger Vertretungsbefugnis bestellt.
Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom TT.MM.2015, wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet und mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom TT.MM.2016 mangels Kostendeckung aufgelöst. Die Firma wurde gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit gelöscht.
Von der Beschwerdeführerin wurden im Geschäftslokal in ***1*** im Jahr 2015 umfangreiche Sanierungs- und Umbauarbeiten durchgeführt. Von der ***6*** GmbH wurden der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit den durchgeführten Bauarbeiten Leistungen in Rechnung gestellt (Rechnungen vom , , und ). Diese wurden von der Beschwerdeführerin bar bezahlt.
Die ***6*** GmbH führte die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt ab.
Die von der Beschwerdeführerin aus diesen Rechnungen geltend gemachte Vorsteuer in Höhe von insgesamt 8.952,60 Euro wurde von der belangten Behörde nicht anerkannt.
2. Beweiswürdigung
Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und den vom Bundesfinanzgericht vorgenommenen Abfragen im Firmenbuch.
Unstrittig ist, dass die in Rechnung gestellten Bauleistungen tatsächlich erbracht wurden.
Das Recht auf den Vorsteuerabzug ist ausgeschlossen, wenn die Beschwerdeführerin wusste oder wissen musste, dass der betreffende Umsatz in eine vom Rechnungsaussteller begangene Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war (vgl. mwN; stellvertretend für viele verb. Rs C-354/03, C-355/03 und C-484/03, Optigen u.a., Rn 54; , verb. Rs C-439/04 und C- 440/04, Kittel und Recolta Recycling, Rn 49).
Ob die Beschwerdeführerin von einer Umsatzsteuerhinterziehung wusste oder wissen musste, ist eine Tatfrage, die in freier Beweiswürdigung zu beurteilen ist (vgl. ). Die Beschwerdeführerin hat darauf verwiesen, dass sie die Arbeiten persönlich beauftragt habe und sie sich davon überzeugt habe, dass die ***6*** GmbH im Gewerberegister gemeldet gewesen sei. Sie habe eine Kopie des Gewerbescheines, einen Firmenbuchauszug, einen Ausweis des Geschäftsführers verlangt und die Gültigkeit der UID-Nummer überprüft. Wie von der belangten Behörde festgestellt, wurden von der Beschwerdeführerin lediglich eine Kopie des Reisepasses sowie der e-card des Geschäftsführers ***4*** vorgelegt. Auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren konnte die Beschwerdeführerin die fehlenden Nachweise nicht vorlegen.
Zum Vorbringen im Vorlageantrag vom , wonach die ***6*** GmbH bereits seit an der im Firmenbuch angegebenen Adresse etabliert gewesen sei und nachweislich eine Geschäftstätigkeit ausgeübt habe, ist festzuhalten, dass die Übernahme der Gesellschaftsanteile durch ***4*** und dessen Geschäftsführerbestellung am erfolgte. Das von der Beschwerdeführerin vorgelegte Anbot der ***6*** GmbH stammt vom . Die Eintragung des Herrn ***4*** als Geschäftsführer der ***6*** GmbH erfolgte im Firmenbuch erst am . Hätte die Beschwerdeführerin - wie von ihr behauptet aber nicht nachgewiesen - tatsächlich eine Überprüfung des Geschäftsführers anhand eines Firmenbuchauszuges vorgenommen, hätte sie erkennen können, dass ***4*** jedenfalls zum Zeitpunkt der Legung des Anbotes noch nicht mit der Funktion des Geschäftsführers der ***6*** GmbH betraut war. Mit den Umbauarbeiten wurde ab Mai 2015 begonnen. Ergänzend wird angeführt, dass das angemeldete Baumeistergewerbe nur bis aufrecht war. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass sie sich hinsichtlich jeder Teilrechnung und der Schlussrechnung in äußerst gewissenhafter Weise und in jeder der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes entsprechenden Weise über die ***6*** GmbH informiert habe, kann daher nicht gefolgt werden.
Die von der Beschwerdeführerin behauptete Geschäftsverbindung zwischen ihr und der von ***4*** vertretenen ***6*** GmbH erscheint auch im Hinblick auf die Zahlungsmodalitäten - gemessen an den allgemeinen Gepflogenheiten des Wirtschaftslebens - ungewöhnlich. Dass relativ große Rechnungsbeträge entsprechend den Angaben der Beschwerdeführerin zunächst von ihr mit einer Begleitperson "abgehoben" und die Baurechnungen dann bar bezahlt worden seien, stellt für das Bundesfinanzgericht ein weiteres Indiz dafür dar, dass die Beschwerdeführerin davon wusste, dass die Umsatzsteuer vom fraglichen leistenden Unternehmen nicht abgeführt wurde.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Bescheide betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen für bestimmte Zeiträume in vollem Umfang anfechtbar. Solche Bescheide haben aber insofern einen zeitlich begrenzten Wirkungsbereich, als sie durch Erlassung von diese Zeiträume umfassenden Umsatzsteuerjahresbescheiden außer Kraft gesetzt werden. Durch die Erlassung eines Umsatzsteuerjahresbescheides scheiden Bescheide betreffend Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen aus dem Rechtsbestand aus (vgl. , mwN). Nach § 253 BAO idF FVwGG 2012 gilt auch die Bescheidbeschwerde als gegen den späteren Bescheid gerichtet, wenn ein Bescheid an die Stelle eines mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheides tritt. Dies gilt - nach Satz 2 dieser Bestimmung - auch dann, wenn der frühere Bescheid einen kürzeren Zeitraum als der ihn ersetzende Bescheid umfasst. Nach Maßgabe des § 253 BAO ist vom Bundesfinanzgericht im Beschwerdefall daher über den Umsatzsteuerbescheid des Jahres 2015 vom abzusprechen.
§ 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 in der anwendbaren Fassung normiert:
Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:
1. Die von anderen Unternehmern in einer Rechnung (§ 11) an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist. Wurde die Lieferung oder die sonstige Leistung an einen Unternehmer ausgeführt, der wusste oder wissen musste, dass der betreffende Umsatz im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen oder sonstigen, die Umsatzsteuer betreffenden Finanzvergehen steht, entfällt das Recht auf Vorsteuerabzug. Dies gilt insbesondere auch, wenn ein solches Finanzvergehen einen vor- oder nachgelagerten Umsatz betrifft;
[...]"
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine formkonforme Rechnung (und damit die Angabe des Leistungserbringers) lediglich ein formelles Erfordernis für den Vorsteuerabzug. Verstöße gegen Formalvorschriften führen, sofern die materiellen Voraussetzungen vorliegen, grundsätzlich nicht zum Verlust des Vorsteuerabzuges. Anders verhält es sich u.a. dann, wenn ein Verstoß gegen die formalen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden (vgl. ). Wenn der in den Rechnungen angeführte Unternehmer die Leistungen nicht erbracht hat, ist es nicht möglich, die Steuerpflichtigeneigenschaft des Leistungserbringers zu prüfen (vgl. , Ferimet SL, Rn 37).
Das Recht auf den Vorsteuerabzug ist ausgeschlossen, wenn die Beschwerdeführerin wusste oder wissen musste, dass der betreffende Umsatz in eine vom Rechnungsaussteller begangene Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war. Aus der in freier Beweiswürdigung erfolgten Beurteilung des verfahrensgegenständlichen Sachverhaltes ergibt sich für das Bundesfinanzgericht, dass die Beschwerdeführerin davon wusste oder wissen musste, dass die Umsatzsteuer vom fraglichen leistenden Unternehmen nicht abgeführt wurde.
Im Rahmen der von der Beschwerdeführerin beantragten und am vor dem Bundesfinanzgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführerin die Möglichkeit zur Klärung aller zur Beurteilung des streitgegenständlichen Sachverhaltes erforderlichen Umstände eingeräumt. Die im Vorlageantrag vom beantragte Einvernahme des ***11*** als Zeuge dafür, dass die Beschwerdeführerin sämtliche Maßnahmen der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes bei der Rechnungsprüfung aufgewendet hätte, kann nicht zu einer anderen Beurteilung des Verfahrensgegenstandes führen und ist daher unerheblich. Der Beweisantrag wird gemäß § 183 Abs. 3 BAO abgelehnt.
Im Lichte der Beweiswürdigung ergibt sich, dass sich die Beschwerdeführerin der besonderen Ungewöhnlichkeit der Umstände der Geschäftsabwicklung mit der ***6*** GmbH bewusst gewesen ist und nicht die erforderlichen Sorgfaltspflichten erfüllt hat und somit vom Umsatzsteuerbetrug der ***6*** GmbH gewusst hat oder davon hätte wissen müssen. Damit steht der Beschwerdeführerin das Recht auf Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen nicht zu.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Bundesfinanzgericht entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Versagung des Vorsteuerabzuges bei Wissen-Müssen um Umsatzsteuerbetrug (vgl. ).
Die Revision ist daher nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7103155.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at