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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.02.2024, RV/6100183/2022

Auflösung des Gewinnfreibetrages gem § 10 Abs 5 EStG 1988 bei einer Betriebsaufgabe

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/6100183/2022-RS1
§ 10 Abs 5 EStG 1988 ist ein „nachträgliches Betriebsvermögen“ nicht zu entnehmen. Die Behaltefrist bezieht sich nicht auf die natürliche Person, sondern auf die Betriebsvermögenseigenschaft der Wertpapiere. Da mit der Betriebsaufgabe die betriebliche Sphäre erloschen ist, kann das fortgesetzte Halten im Privatvermögen nicht dazu führen, dass die Wertpapiere für die Dauer der gesetzlichen Behaltefrist dem Betriebsvermögen angehört hätten.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Albert Salzmann in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Hoffmann Reitsammer & Partner Steuerberatung GmbH & Co KG, Innsbrucker Bundesstraße 83A, 5020 Salzburg, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer 2018 zur Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Nach Durchführung eines Außenprüfungsverfahrens hat das Finanzamt Österreich (FA) am einen Einkommensteuerbescheid für 2018 erlassen und ist dabei von der Erklärung der beschwerdeführenden Partei (bP) abgewichen.

Mit Schriftsatz des steuerlichen Vertreters vom hat die bP Beschwerde gegen den genannten Bescheid erhoben und die unmittelbare Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (BFG) beantragt.

Mit Vorlagebericht vom hat das FA die Beschwerde dem BFG zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die bP hat mit ihren Betrieb als Arzt aufgegeben. Im Betriebsvermögen befanden sich zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe ua von 2014 bis 2017 erworbene Wertpapiere, für welche investitionsbedingte Gewinnfreibeträge geltend gemacht worden waren.
Die Betriebsaufgabe erfolgte nicht wegen höherer Gewalt oder wegen eines behördlichen Eingriffs.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen, insbesondere aus dem BP-Bericht vom sowie dem Beschwerdeschriftsatz der bP und ist zwischen den Verfahrens-parteien unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung

§ 10 Abs 5 EStG 1988 idgF lautet auszugsweise:
"Scheiden Wirtschaftsgüter, für die der investitionsbedingte Gewinnfreibetrag geltend gemacht worden ist, vor Ablauf der Frist von vier Jahren aus dem Betriebsvermögen aus oder werden sie ins Ausland - ausgenommen im Falle der entgeltlichen Überlassung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes - verbracht, gilt Folgendes:
1. Der investitionsbedingte Gewinnfreibetrag ist insoweit gewinnerhöhend anzusetzen. Der gewinnerhöhende Ansatz hat im Jahr des Ausscheidens oder des Verbringens zu erfolgen.
2. ...
Im Falle des Ausscheidens eines Wirtschaftsgutes infolge höherer Gewalt oder behördlichen Eingriffs unterbleibt der gewinnerhöhende Ansatz."

Literatur zur Rechtsfrage:
Beiser in SWK/2017/498: "Wird ein Betrieb aufgegeben, so bleiben die Wertpapiere für einen investitionsbedingten Gewinnfreibetrag notwendiges nachträgliches Betriebsvermögen, soweit sie bis zum Ablauf der Behaltefrist gehalten werden: Anschaffen und Halten sind durch den betrieblichen GFB verursacht (veranlasst/bedingt). Erst mit dem Ablauf der Behaltefrist von vier Jahren erlischt diese betriebliche Veranlassung und damit auch die Qualität als notwendiges Betriebsvermögen. Eine Nachversteuerung widerspricht dem Ziel, laufende Betriebsgewinne nach dem Vorbild des § 67 EStG zu begünstigen: Arbeitnehmer, die in Pension gehen, müssen nicht die nach § 67 EStG begünstigt besteuerten Bezüge der letzten vier Jahre nachversteuern."

Atzmüller in SWK/2017, 655ff: "Beiser sieht in diesen Fällen in den Wertpapieren "notwendiges nachträgliches Betriebsvermögen". Damit würden die Wertpapiere nicht aus dem Betriebsvermögen ausscheiden und es bliebe gewährleistet, dass dem ehemaligenBetriebsinhaber die Disposition in Bezug auf die Behaltefrist weiterhin verbleibt. Werden demnach die Wertpapiere nach Betriebsaufgabe oder -veräußerung bis zum Ende der Behaltefrist gehalten, würde die Nachversteuerung entfallen.
Allerdings fehlt der Einhaltung der Behaltefrist jeder Sinn, wenn es einen Betrieb, dessen Kapital gestärkt werden könnte, nicht mehr gibt. Es ist auch sachlich (Art 7 B-VG) keineswegs geboten, eine Dispositionsbefugnis weiter einzuräumen. Wird die Behaltefrist in Bezug auf den wertpapiergedeckten GFB nicht erfüllt, weil die Wertpapiere aus dem Betriebsvermögen ausscheiden, sieht das Gesetz in § 10 Abs 5 Z 1 EStG die Nachversteuerung vor, sofern keine Ersatzbeschaffung vorliegt. Was für das Ausscheiden des Wertpapiers durch Veräußerung gilt, kann nach dem Telos der Regelung nicht anders sein, wenn der betriebliche Zusammenhang wegfällt, weil der Betrieb aufgegeben wird oder ohne Wertpapiere übertragen wird. Mit der Betriebsaufgabe oder -veräußerung hat der Steuerpflichtige den betrieblichen Zusammenhang in Bezug auf die Wertpapiere gelöst und eine Disposition getroffen, für die das Gesetz die Konsequenz der Nachversteuerung vorsieht. Es ist nach Art 7 B-VG nicht geboten, ihn davon zu entbinden. Der GFB ist nachzuversteuern."

Mayer in BFGjournal 2020, 240: "Werden zur Inanspruchnahme eines investitionsbedingten Gewinnfreibetrags gemäß § 10 EStG Wertpapiere angeschafft, sind diese, unter Beachtung der Bestimmungen über Ersatzbeschaffungen gemäß § 10 Abs 5 Z 2 iVm Abs 3Z 1 EStG, für die Dauer von mindestens vier Jahren dem Betriebsvermögen zu widmen. Wird diese Behaltefrist nicht erfüllt, hat gemäß § 10 Abs 5 Z 1 EStG eine Nachversteuerung durch gewinnerhöhenden Ansatz des geltend gemachten Gewinnfreibetrags im Jahr des Ausscheidens der Wertpapiere aus dem Betriebsvermögen zu erfolgen. Durch eine Betriebsaufgabe bzw -veräußerung ohne Übertragung der Gewinnfreibetragswertpapiere gehen diese nach Ansicht des BFG ins Privatvermögen des ehemaligen Betriebsinhabers über. Erfolgt dies innerhalb der Behaltefrist, hat eine entsprechende Nachversteuerung zu erfolgen.
Die Möglichkeit, für die Anschaffung von Wertpapieren den investitionsbedingten Gewinnfreibetrag steuerlich geltend zu machen, zeigt insbesondere iZm den Regelungen über die Ersatzbeschaffung mMn die klare Absicht des Gesetzgebers, dadurch das Kapital des Betriebs für zukünftige Investitionen zu stärken. Erlischt die Verbindung zum Betriebsvermögen, kann dieser Zweck durch das Halten der Wertpapiere nicht mehr verfolgt werden. Daher ist die Entscheidung des BFG mE die Folge der richtigen teleologischen Auslegung des Gesetzes."

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Strittig ist die Rechtsfrage, ob im Zuge einer Betriebsaufgabe die bis zu diesem Zeitpunkt nicht zumindest vier Jahre im Betriebsvermögen gehaltenen Wertpapiere, für die ein Gewinnfrei-betrag in Anspruch genommen wurde, zwingend nachzuversteuern sind, oder die Behaltefrist auch nach der Betriebsaufgabe durch fortgesetztes Halten der Wertpapiere erfüllt werden kann.

Wie das BFG zu dieser Frage bereits in verschiedenen Entscheidungen (siehe dazu ; ; ; ; ) ausgeführt hat, müssen Wertpapiere, für die eine Inanspruchnahme des Gewinnfreibetrages nach § 10 EStG 1988 begehrt wurde, ab dem Anschaffungszeitpunkt mindestens vier Jahre dem Anlagevermögen des Betriebes angehören. Eine Betriebsaufgabe führt hinsichtlich der nicht veräußerten Wertpapiere dazu, dass diese aus dem Betriebsvermögen ausscheiden und nunmehr dem Privatvermögen des ehemaligen Betriebsinhabers zuzurechnen sind. Ob die Wertpapiere in der Folge weiterhin von der gleichen natürlichen Person gehalten werden oder nicht, kommt keine Bedeutung zu.

Die Betriebsaufgabe bewirkt zwangsläufig das Ausscheiden der im Betriebsvermögen gehaltenen Wertpapiere, welche im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe ins Privatvermögen der bP übergehen.

Das Gericht sieht keine gesetzliche Deckung für die Annahme eines "nachträglichen Betriebsvermögens". Die Behaltefrist bezieht sich nicht auf die natürliche Person der bP, sondern auf die Betriebsvermögenseigenschaft der Wertpapiere. Da mit der Betriebsaufgabe die betriebliche Sphäre erloschen ist, kann das fortgesetzte Halten im Privatvermögen nicht dazu führen, dass die Wertpapiere für die Dauer der gesetzlichen Behaltefrist dem Betriebsvermögen angehört hätten.

Das BFG sieht keine Notwendigkeit, vom Wortlaut des Gesetzes im Sinne einer teleologischen Interpretation abzuweichen. Das Telos der og Bestimmung liegt gerade nicht in der Gleichbehandlung von betrieblichen und nichtbetrieblichen Einkünften, sondern vielmehr in der Stärkung von Eigenkapital im Betriebsvermögen. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die og Bestimmung, weil diese Zielsetzung und deren Umsetzung nach Ansicht des BFG im Gestaltungsbereich des einfachen Bundesgesetzgebers liegt.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur Frage der Nachversteuerung von mit Wertpapieren gedeckten Gewinnfreibeträgen bei einer Betriebsaufgabe existiert zwar eine einheitliche Rechtsprechung des BFG und gibt es eine nahezu einhellige Lehrmeinung, es existiert jedoch keine Rechtsprechung des Verwaltungs-gerichtshofes. Die Revision war daher zuzulassen.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.6100183.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at