VwGH vom 27.04.2020, Ro 2020/08/0001
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des F S in A, vertreten durch Schöpf & Maurer Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Paris-Lodron-Straße 3a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L501 2112841-1/34E, betreffend Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:
Salzburger Gebietskrankenkasse, nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Revisionswerber hat der Österreichischen Gesundheitskasse Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber als gemäß § 67 Abs. 10 ASVG Haftender der Salzburger Gebietskrankenkasse (im Folgenden: GK) rückständige Beiträge in der Höhe von insgesamt EUR 53.895,51 zuzüglich Verzugszinsen schulde.
2 Der Revisionswerber habe die primäre Beitragsschuldnerin, eine GmbH, in der Zeit vom bis zur Eröffnung des Sanierungsverfahrens ohne Eigenverwaltung am als alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer vertreten. Mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom sei das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet worden. Mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom sei der am vereinbarte Sanierungsplan mit einer Quote von 20%, zahlbar in drei Tranchen, bestätigt und das Sanierungsverfahren aufgehoben worden. Der Revisionswerber habe daraufhin vom bis zum abermals die GmbH vertreten. Mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom sei der Konkurs über die GmbH eröffnet worden, mit Beschluss vom sei der Konkurs nach Verteilung des Massevermögens aufgehoben worden.
3 Die erste Sanierungsplanquote in Höhe von 5% sei den Gläubigern vom Massekonto des damaligen Sanierungsverwalters überwiesen worden. Die GK habe dabei insgesamt EUR 12.938,28 erhalten. Aus dem zweiten Insolvenzverfahren seien am EUR 985,20 sowie aus einer Nachtragsverteilung weitere EUR 123,16 bezahlt worden. Außerdem habe die GK näher bezifferte Zahlungen des Insolvenz-Entgelt-Fonds erhalten. 4 Als älteste offene Forderung zum Zeitpunkt der Eröffnung des ersten Insolvenzverfahrens am sei der Beitrag 12/2010 anzusehen. Ausgehend vom Zeitpunkt der Fälligkeit dieses Beitrags errechnete das Bundesverwaltungsgericht durch Gegenüberstellung der Gesamtverbindlichkeiten und der darauf geleisteten Zahlungen eine allgemeine Zahlungsquote von 61,43% im Beurteilungszeitraum bis zur Eröffnung des ersten Insolvenzverfahrens, der eine Zahlungsquote hinsichtlich der Forderungen der GK (Kassen-Zahlungsquote) in Höhe von 51,05% gegenüberstand. Demnach sei die GK gegenüber den anderen Gläubigern um 10,38% bzw. EUR 48.225,46 benachteiligt worden. 5 Die älteste offene Forderung zum Zeitpunkt der - noch vor Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens erfolgten - allgemeinen Zahlungseinstellung am sei der Beitrag 06/2013 gewesen. Ausgehend davon errechnete das Bundesverwaltungsgericht eine allgemeine Zahlungsquote von 29,86% und eine Kassen-Zahlungsquote in Höhe von 22,67% im Beurteilungszeitraum zwischen der Fälligkeit des genannten Beitrags und der allgemeinen Zahlungseinstellung. Demnach sei die GK gegenüber den anderen Gläubigern um 7,19% bzw. EUR 5.670,05 benachteiligt worden. 6 Der Revisionswerber habe durch die Benachteiligung der GK in den beiden Beurteilungszeiträumen schuldhaft die Gleichbehandlungspflicht verletzt und hafte daher gemäß § 67 Abs. 10 ASVG. Die Zahlungen aus dem Insolvenzverfahren und aus dem Insolvenz-Entgelt-Fonds, welche die GK noch erhalten habe, minderten den Ausfall. Dieser sei aber noch erheblich höher als der jeweils aus der Differenz zwischen allgemeiner Zahlungsquote und Kassen-Zahlungsquote errechnete Haftungsbetrag, sodass sich die Haftung nicht reduziere.
7 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG "im Hinblick auf die Bildung von zwei Beurteilungszeiträumen aufgrund der Abführung von zwei Insolvenzverfahren" zulässig sei, zumal "eine Rechtsprechung in diesem Zusammenhang" fehle.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof daher - nach Durchführung des Vorverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht, in dem die GK eine Revisionsbeantwortung erstattet hat - erwogen hat:
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision aufzuzeigen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Das gilt auch dann, wenn sich die Revision zwar auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen oder zur Begründung der Zulässigkeit der konkret erhobenen Revision nicht ausreichen (vgl. , mwN).
10 Der Revisionswerber verweist unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision zunächst auf die diesbezügliche Begründung des Bundesverwaltungsgerichts, unterlässt es aber, darzulegen, dass bzw. inwieweit die - angesichts von zwei Insolvenzverfahren vom Bundesverwaltungsgericht als erforderlich angesehene - Bildung von zwei Beurteilungszeiträumen nicht den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits entwickelten Grundsätzen entsprochen haben sollte.
11 Als weitere Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung macht der Revisionswerber geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht den "Boden der gesicherten Rechtsprechung" verlassen habe, indem es die Zahlungen aus den Insolvenzverfahren und aus dem Insolvenz-Entgelt-Fonds bei der Berechnung der Zahlungsquoten nicht berücksichtigt habe.
12 Dieses Vorbringen führt zur Zulässigkeit der Revision, weil zur Berücksichtigung von Zahlungen des Insolvenz-Entgelt-Fonds bei der Prüfung der Gläubigergleichbehandlung noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt. 13 Was die Zahlungen aus dem Insolvenzverfahren in Zusammenhang mit der Haftung nach § 25a Abs. 7 BUAG und § 67 Abs. 10 ASVG betrifft, existiert allerdings - wie vorauszuschicken ist - eine gefestigte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (dass die zu § 25a Abs. 7 BUAG ergangene Rechtsprechung ohne weiteres auf § 67 Abs. 10 ASVG zu übertragen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht - vgl. etwa , sowie ): Demnach hat die nach Ende des Beurteilungszeitraums erfolgte Zahlung einer Insolvenzquote keinen Einfluss auf die der Ermittlung des Haftungsbetrages zu Grunde zu legenden Verbindlichkeiten und Zahlungen; sie kann nur dazu führen, den tatsächlich eingetretenen Schaden (soweit sich dieser auf bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewordene Verbindlichkeiten bezieht), der die äußerste Grenze der Haftung des Vertreters (Haftungsrahmen) bildet, zu reduzieren (vgl. insbesondere , Punkt 4.3. der Entscheidungsgründe). Ist also der eingetretene Schaden infolge der Zahlung einer Quote aus dem Insolvenzverfahren letztlich geringer als der errechnete Haftungsbetrag, so vermindert sich die Haftung insoweit, als sie sich auf den tatsächlich eingetretenen Schaden beschränkt. Hingegen gibt es keine rechtliche Grundlage dafür, die bezahlte Insolvenzquote auch dann, wenn der eingetretene Schaden nach deren Abzug noch über dem errechneten Haftungsbetrag liegt, dem Schuldner anteilsmäßig zugutekommen zu lassen; die gegenteilige Ansicht Müllers (Ausgewählte Fragen der Vertreterhaftung nach § 67 Abs 10 ASVG, in: Brameshuber/Aschauer (Hrsg), Jahrbuch Sozialversicherungsrecht 2017, 97 (106); Die Vertreterhaftung gem § 67 Abs 10 ASVG, in: Konecny (Hrsg), Insolvenz-Forum 2016, 185 (201 f)) beruht auf dem Missverständnis, dass nach der soeben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Zahlung aus dem Insolvenzverfahren jedenfalls - also auch dann, wenn der Ausfall unter Berücksichtigung dieser Zahlung noch den errechneten Haftungsbetrag übersteigt - und zur Gänze vom Haftungsbetrag abzuziehen wäre).
14 Hinsichtlich der Zahlungen des Insolvenz-Entgelt-Fonds kann nichts anderes gelten: Gläubigergleichbehandlung liegt nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (nur) dann vor, wenn das Verhältnis aller im Beurteilungszeitraum erfolgten Zahlungen zu allen Verbindlichkeiten, die zu Beginn des Beurteilungszeitraumes bereits fällig waren oder bis zum Ende des Beurteilungszeitraumes fällig wurden, unter Einschluss der Beitragsverbindlichkeiten dem Verhältnis der in diesem Zeitraum erfolgten Zahlungen auf die Beitragsverbindlichkeiten zu den insgesamt fälligen Beitragsverbindlichkeiten entspricht. Spätere Zahlungen - von welcher Seite auch immer - können auf diese Quoten keinen Einfluss haben, sondern nur den tatsächlich eingetretenen Schaden und damit den Haftungsrahmen reduzieren. Die frühere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Zahlungen des Insolvenz-Entgelt-Fonds (beginnend mit ) bezog sich demgegenüber nur auf Fälle einer Haftung allein wegen Verletzung der Pflicht zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeitragsanteile und nicht auf eine - hier zu beurteilende - Haftung wegen Verletzung der (allgemeinen) Pflicht zur Beitragsentrichtung (vgl. Julcher, Aktuelle Probleme der Vertreterhaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG, in: Pfeil/Prantner (Hrsg), Sozialversicherungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit (2016) 63 (70)).
15 Da der jeweilige Beitragsausfall im vorliegenden Fall auch nach den Zahlungen aus dem Insolvenzverfahren und dem Insolvenz-Entgelt-Fonds den errechneten Haftungsbetrag unstrittig noch (deutlich) überstiegen hat, ist das Bundesverwaltungsgericht nach den dargestellten Grundsätzen zu Recht davon ausgegangen, dass die Haftung nicht zu reduzieren war.
16 Auch sonst ist nicht zu sehen (und wird auch in der Revision nicht vorgebracht), dass das angefochtene Erkenntnis rechtswidrig wäre. Insbesondere entspricht die Bildung von zwei Beurteilungszeiträumen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zu den insoweit maßgeblichen Grundsätzen nochmals , insbesondere Punkt 4.5. der Entscheidungsgründe), ging es doch genau genommen um die Beurteilung von zwei Haftungstatbeständen (auch wenn letztendlich zulässigerweise die Haftungsbeträge zusammengerechnet wurden): einmal betreffend die Haftung für bis zur Einleitung des ersten Insolvenzverfahrens fällige, uneinbringliche Verbindlichkeiten und einmal betreffend die Haftung für bis zur allgemeinen Zahlungseinstellung im Vorfeld des zweiten Insolvenzverfahrens fällige, uneinbringliche Verbindlichkeiten. 17 Die Revision erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020080001.J00 |
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