VwGH vom 08.03.2022, Ro 2019/15/0184
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des J D in G, vertreten durch die LeitnerLaw Rechtsanwälte Edthaler Leitner-Bommer Schmieder & Partner Rechtsanwälte GmbH in 4040 Linz, Ottensheimer Straße 36, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5100491/2019, betreffend Einkommensteuer 2017, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Der in Österreich ansässige Revisionswerber erzielte im Jahr 2017 Einkünfte aus Kapitalvermögen aus nicht verbrieften Derivaten iSd § 27 Abs. 4 EStG 1988 in Höhe von 1,590.429,92 € (vor Berücksichtigung von Werbungskosten). Er hat diese Geschäfte über eine Bank in Dänemark (X Bank) abgewickelt, und zwar unter Einschaltung der von dieser Bank zur Verfügung gestellten Handelsplattform, über die per Internetzugang rasch Finanzinstrumente gekauft und verkauft werden können. Bei den Derivaten handelt es sich um Contracts of Difference auf Unternehmensaktien, Contract Futures auf Indizes, Optionen auf Währungspaare und Termingeschäfte mit Währungen. Die Contracts of Difference auf Unternehmensaktien werden außerbörslich abgeschlossen, wobei die X Bank als Gegenpartei auftritt. Die anderen Derivate werden über Termin- und Optionsbörsen gehandelt. Dem Revisionswerber wird der Gewinn aus den Geschäften über sein Verrechnungskonto bei der X Bank in Dänemark gutgeschrieben bzw. wird sein Verrechnungskonto bei Verlusten belastet. Die von der dänischen Bank angebotene Handelsplattform kann nur genutzt werden, wenn bei der Bank ein entsprechendes Verrechnungskonto zur Abwicklung der Handelsgeschäfte geführt wird.
2Im Einkommensteuerbescheid 2017 erfasste das Finanzamt - neben Einkünften aus selbständiger Arbeit - die in Rede stehenden Einkünfte aus Kapitalvermögen zum progressiven Steuertarif. Im Hinblick auf die Bestimmung des § 27a Abs. 2 Z 7 EStG 1988 brachte es den vom Revisionswerber für die Einkünfte aus Kapitalvermögen beantragten besonderen Steuersatz nach § 27a Abs. 1 Z 2 EStG 1988 von 27,5 % nicht zur Anwendung. Allerdings zog es Werbungskosten von 131.704,50 € ab und ermittelte die Einkünfte aus Kapitalvermögen mit dem Betrag von 1,458.725,43 €.
3Der Revisionswerber erhob Beschwerde und beantragte die Anwendung des besonderen Steuersatzes nach § 27a Abs. 1 EStG 1988 von 27,5 % auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen. Nach der Regelung des § 27a Abs. 2 Z 7 EStG 1988 komme der besondere Steuersatz von 27,5 % nur zur Anwendung, wenn eine österreichische auszahlende Stelle iSd § 95 Abs. 2 Z 2 lit. b EStG 1988 eine der Kapitalertragsteuer entsprechende Steuer von den positiven Einkünften aus nicht verbrieften Derivaten freiwillig einbehalte und abführe. Für positive Einkünfte aus nicht verbrieften Derivaten, die von einer Stelle im Ausland ausbezahlt würden, bestehe diese Möglichkeit generell nicht; solche über das Ausland erzielten Einkünfte unterlägen daher stets der progressiven Einkommensbesteuerung. Dies führe zu einer Diskriminierung der im Ausland abgewickelten, nicht verbrieften Derivate ohne auszahlende Stelle in Österreich. Dafür gebe es keine Rechtfertigungsgründe. Vielmehr liege ein nicht gerechtfertigter Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit und gegen die Kapitalverkehrsfreiheit vor. Die diskriminierende Besteuerung von im Ausland ausbezahlten Einkünften aus Derivaten iSd § 27 Abs. 4 EStG 1988 halte inländische Steuerpflichtige davon ab, Geschäfte mit nicht verbrieften Derivaten bei Banken im Ausland abzuwickeln, weil die Möglichkeit des freiwilligen KESt-Abzugs mit Endbesteuerungswirkung und damit der Anwendung des besonderen Steuersatzes des § 27a Abs. 1 EStG 1988 nicht bestehe. Umgekehrt sei es auch ausländischen Banken erschwert, Kunden im Inland zu akquirieren, weil im Ausland ausbezahlte Erträge aus nicht verbrieften Derivaten jedenfalls dem progressiven Steuersatz unterworfen würden. Zwar könnten die Grundfreiheiten beschränkende Maßnahmen gerechtfertigt sein, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt werde, wenn sie geeignet seien, die Erreichung des Ziels zu gewährleisten und wenn sie nicht über das hinausgingen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels nötig sei. Diese engen Voraussetzungen lägen jedoch hier nicht vor. Dem Argument, dass die gegenständliche Besteuerungsregelung zur Sicherstellung der wirksamen steuerlichen Kontrolle und der wirksamen Steuereinhebung erforderlich sei, sei entgegenzuhalten, dass das KESt-Abzugsverfahren für die gegenständlichen Derivate auch im Inland nur freiwillig sei, eine Nichtbesteuerung von Derivaten also auch bei inländischen auszahlenden Stellen nicht ausgeschlossen sei. Weiters weise der Revisionswerber darauf hin, dass die aktuelle Fassung des § 27a Abs. 2 Z 7 EStG 1988 nicht die Steuerhinterziehung bekämpfen wolle, sondern auf das Steuerabkommen zwischen Österreich und der Schweiz zurückzuführen sei.
4Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für zulässig erklärt wurde, wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde ab.
5Gemäß § 27a Abs. 2 Z 7 EStG 1988 seien die besonderen Steuersätze nach § 27a Abs. 1 EStG 1988 zwar im Allgemeinen nicht auf Einkünfte aus nicht verbrieften Derivaten im Sinne des § 27 Abs. 4 EStG 1988 anwendbar. Diese Einschränkung gelte aber nicht, wenn eine der in § 95 Abs. 2 Z 2 lit. b EStG 1988 genannten Einrichtungen eine der Kapitalertragsteuer entsprechende Steuer freiwillig einbehalte und abführe. Dabei stehe das Wahlrecht auf freiwilligen KESt-Abzug nur der Bank zu, nicht dem Steuerpflichtigen.
6Nach § 95 Abs. 2 Z 2 lit. b EStG 1988 sei Abzugsverpflichteter bei Einkünften aus Derivaten die inländische auszahlende Stelle; im letzten Satz dieser Bestimmung werde definiert, welche Institute als inländische depotführende oder auszahlende Stellen in Betracht kämen.
7Im gegenständlichen Fall sei zu klären, ob eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Besteuerung von Erträgen nicht verbriefter Derivate bestehe, die über ein Bankkonto in Österreich abgewickelt würden, und der Besteuerung von Erträgen nicht verbriefter Derivate, deren Abwicklung über ein Bankkonto in Dänemark erfolge. Das Bundesfinanzgericht gelange zum Ergebnis, dass in beiden Fällen der progressive Steuersatz zur Anwendung komme. Es sei insoweit eine Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nicht gegeben.
8Es sei Sache der auszahlenden Stelle zu entscheiden, ob sie eine der Kapitalertragsteuer entsprechende Steuer freiwillig einbehalte. Tue sie es nicht, komme auf die Erträge in der Folge der progressive Einkommensteuertarif des jeweiligen Kontoinhabers zur Anwendung. Entscheidungskriterien seien für die auszahlenden Stellen in Österreich nicht festgelegt. Das Argument, wonach dabei Erträge aus nicht verbrieften ausländischen Derivaten schlechter gestellt seien als Erträge aus nicht verbrieften inländischen Derivaten, sei nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts nicht zutreffend, weil es gesetzlich nicht vorgegeben sei, dass die auszahlende Stelle in Österreich eine der Kapitalertragsteuer entsprechende Steuer bei Erlösen aus nicht verbrieften inländischen Derivaten einbehalte, während sie dies bei Erlösen aus nicht verbrieften ausländischen Derivaten unterlasse.
9Die unterschiedliche steuerliche Behandlung bestehe bei Erträgen aus nicht verbrieften Derivaten, die über eine österreichische Stelle ausbezahlt würden, in Abhängigkeit von der Entscheidung der jeweiligen auszahlenden Stelle. Mangels gesetzlicher Determinierung hinsichtlich Erlösen aus nicht verbrieften Derivaten, die im Ausland bzw. im Inland erzielt würden, liege eine Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit im gegenständlichen Fall nicht vor.
10Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.
11Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, auf welche der Revisionswerber repliziert hat.
12Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13§ 27 Abs. 1 und 4 EStG 1988 lauten:
„(1) Einkünfte aus Kapitalvermögen sind Einkünfte aus der Überlassung von Kapital (Abs. 2), aus realisierten Wertsteigerungen von Kapitalvermögen (Abs. 3) und aus Derivaten (Abs. 4), soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 bis 4 gehören. Bei Tauschvorgängen ist § 6 Z 14 sinngemäß anzuwenden.
[...]
(4) Zu den Einkünften aus Derivaten gehören
1.der Differenzausgleich,
2.die Stillhalterprämie,
3.Einkünfte aus der Veräußerung und
4.Einkünfte aus der sonstigen Abwicklung
bei Termingeschäften (beispielsweise Optionen, Futures und Swaps) sowie bei sonstigen derivativen Finanzinstrumenten (beispielsweise Indexzertifikaten).“
14§ 27a EStG 1988 lautet auszugsweise:
„27a. (1) Einkünfte aus Kapitalvermögen unterliegen
1.im Fall von Geldeinlagen und nicht verbrieften sonstigen Forderungen bei Kreditinstituten, ausgenommen Ausgleichzahlungen und Leihgebühren gemäß § 27 Abs. 5 Z 4, einem besonderen Steuersatz von 25 %,
2.in allen anderen Fällen einem besonderen Steuersatz von 27,5 %
und sind bei der Berechnung der Einkommensteuer des Steuerpflichtigen weder beim Gesamtbetrag der Einkünfte noch beim Einkommen (§ 2 Abs. 2) zu berücksichtigen, sofern nicht die Regelbesteuerung (Abs. 5) anzuwenden ist.
[...]
(2) Abs. 1 gilt nicht für
[...]
7.Einkünfte aus nicht verbrieften Derivaten im Sinne des § 27 Abs. 4. Dies gilt nicht, wenn eine der in § 95 Abs. 2 Z 2 lit. b genannten Einrichtungen eine der Kapitalertragsteuer entsprechende Steuer freiwillig einbehält und abführt; diesfalls sind § 95 Abs. 1 und § 97 sinngemäß anzuwenden.
[...]“
15Bis zu der mit dem Abgabenänderungsgesetz 2012 (AbgÄG 2012), BGBl. I Nr. 112/2012, vorgenommenen Änderung lautete § 27a Abs. 2 EStG 1988 auszugsweise wie folgt:
„(2) Abs. 1 gilt nicht für
[...]
7Einkünfte aus nicht verbrieften Derivaten im Sinne des § 27 Abs. 4.
[...]“
16In den Erläuterungen zum AbgÄG 2012 wird hierzu ausgeführt (vgl. 1960 der Beilagen 24. GP 28):
„Nach § 27a Abs. 2 Z 7 kommen für Einkünfte aus nicht verbrieften Derivaten die Bestimmungen des § 27a Abs. 1 nicht zur Anwendung. Damit unterliegen diese Einkünfte nicht dem besonderen Steuersatz von 25 % und dem Kapitalertragsteuerabzug. Zukünftig sollen diese Einkünfte allerdings abweichend davon einem besonderen Steuersatz von 25 % unterliegen, wenn eine der in § 95 Abs. 2 Z 2 lit. b genannten Einrichtungen freiwillig eine der Kapitalertragsteuer entsprechende Steuer einhebt. Die freiwillige Einhebung dieser - der Kapitalertragsteuer nachgebildeten - Steuer soll dieselben Wirkungen entfalten wie der Kapitalertragsteuerabzug. Einrichtungen, die freiwillig den Steuerabzug vornehmen, sollen entsprechend den Bestimmungen des § 95 Abs. 1 für die Abfuhr der Steuer haften. Die Möglichkeit des freiwilligen Abzugs soll erstmals ab dem bestehen.
Die Möglichkeit des freiwilligen Steuerabzugs bei Einkünften aus nicht verbrieften Derivaten soll insbesondere im Hinblick auf das Quellensteuerabkommen mit der Schweiz geschaffen werden. Der durch schweizerische Banken vorzunehmende anonyme Steuerabzug bei diesen Einkünften hätte damit - ebenso wie bei Steuerabzug im Inland - Abgeltungswirkung.“
17§ 95 Abs. 2 EStG 1988 lautet auszugsweise:
„(2) Abzugsverpflichteter ist:
[...]
2.Bei Einkünften aus realisierten Wertsteigerungen von Kapitalvermögen und bei Einkünften aus Derivaten:
a)Die inländische depotführende Stelle.
b)Die inländische auszahlende Stelle, wenn keine inländische depotführende Stelle vorliegt, es sich bei der depotführenden Stelle um eine Betriebsstätte der auszahlenden Stelle oder ein konzernzugehöriges Unternehmen handelt und die auszahlende Stelle in Zusammenarbeit mit der depotführenden Stelle die Realisierung abwickelt und die Erlöse aus realisierten Wertsteigerungen von Kapitalvermögen, aus dem Differenzausgleich, aus der Veräußerung von Derivaten oder die Stillhalterprämie gutschreibt.
Als inländische depotführende oder auszahlende Stellen kommen in Betracht:
-Kreditinstitute im Sinne des Bankwesengesetzes (§ 1 BWG),
-Zweigstellen eines Kreditinstituts aus Mitgliedstaaten (§ 9 BWG),
-Zweigstellen eines Dienstleisters mit Sitz in einem Mitgliedstaat, der auf Grund der Richtlinie 2013/36/EU, ABl. Nr. L 176 vom S. 338, oder auf Grund der Richtlinie 2004/39/EG, ABl. Nr. L 145 vom S. 1, in der Fassung der Richtlinie 2010/78/EU, ABl. Nr. L 331 vom S. 120, zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Nebendienstleistungen im Inland berechtigt ist.“
18In der Revision wird vorgebracht, die derzeit geltende Regelung, wonach bei nicht verbrieften Derivaten der besondere Steuersatz des § 27a Abs. 1 EStG 1988 dann zur Anwendung kommt, wenn die inländische auszahlende Stelle einen freiwilligen KESt-Abzug vornimmt, gehe auf das AbgÄG 2012 zurück; mit dieser Novellierung der Z 7 des § 27a Abs. 2 EStG 1988 sollte im Hinblick auf Regelungen im Steuer-Abkommen mit der Schweiz, BGBl III Nr. 192/2012 (ausgelaufen mit ), erreicht werden, dass der durch Schweizer Banken vorzunehmende Abzug der Abgeltungssteuer auf nicht verbriefte Derivate in Österreich die Endbesteuerungswirkung erhalten. Denn nach Art. 17 Abs. 3 DBA-Schweiz gelte die österreichische Einkommensteuer mit dem anonymen Abzug der Quellensteuer durch die Schweizer Bank nur dann als abgegolten, wenn das österreichische EStG 1988 für diese Erträge eine abgeltende Wirkung vorsehe.
19§ 27a Abs. 2 Z 7 EStG 1988 erlaube den freiwilligen KESt-Abzug nur den in § 95 Abs. 2 Z 2 lit. b EStG 1988 genannten Einrichtungen. Aufgrund dieses Verweises auf § 95 Abs. 2 Z 2 lit. b EStG 1988 könnten nur inländische auszahlende Stellen, im Wesentlichen also inländische Kreditinstitute sowie inländische Zweigstellen ausländischer Kreditinstitute, den freiwilligen KESt-Abzug vornehmen und damit dem Kapitalanleger den (niedrigeren) besonderen Steuersatz vermitteln.
20Der besondere Steuersatz für Einkünfte aus nicht verbrieften Derivaten hänge also bei durch inländische Zahlstellen verwalteten bzw. abgewickelten Derivaten von der Ausübung der KESt-Option durch die inländische auszahlende Stelle (idR eine inländische Bank) ab. Bei gleichartigen Einkünften aus nicht verbrieften Derivaten, die über eine ausländische auszahlende Stelle abgewickelt würden, bestehe diese Möglichkeit nicht, was eine steuerliche Ungleichbehandlung bedeute.
21Die steuerliche Ungleichbehandlung ergebe sich nicht aus der Art der Einkünfte als solche, sondern aus der Abwicklung/Einschaltung einer inländischen oder einer ausländischen auszahlenden Stelle. Die Diskriminierung wurzle in der Einschränkung der Möglichkeit des freiwilligen KESt-Abzuges auf Einrichtungen iSd § 95 Abs. 2 Z 2 lit. b EStG 1988, also auf inländische auszahlende Stellen. Inländischen Banken sei die Möglichkeit gegeben, durch den freiwilligen KESt-Abzug die begünstigte Besteuerung zu vermitteln, ausländischen Banken stehe diese Möglichkeit nicht offen. Daher liege eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV und eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV vor. Der Rechtfertigungsgrund der Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle durch den KESt-Abzug greife im Falle eines optionalen KESt-Abzuges nicht. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die höhere Besteuerung der im Ausland ausbezahlten Kapitaleinkünfte zu einer wirksameren Besteuerung im Verhältnis zu im Inland abgewickelten Erträgen aus Derivaten führen sollte.
22Das Finanzamt führt in der Revisionsbeantwortung aus, den inländischen auszahlenden Stellen sei das Wahlrecht eingeräumt, den freiwilligen KESt-Abzug vorzunehmen und damit ihren Kunden die Besteuerung zum besonderen Steuersatz des § 27a Abs. 1 Z 2 EStG 1988 zu vermitteln, während ausländischen auszahlenden Stellen diese Möglichkeit nicht eingeräumt sei. Das Finanzamt bringt weiters vor, dass die in Rede stehende Regelung nicht danach differenziere, ob die Veranlagung in inländische oder ausländische Produkte, also in inländische oder ausländische Derivate erfolge. Die Regelung differenziere nur danach, ob die Kapitalveranlagung über eine inländische auszahlende Stelle oder eine ausländische auszahlende Stelle erfolge (also im Ergebnis über eine inländische oder eine nicht inländische Bank).
23Somit ist festzustellen, dass für Einkünfte aus nicht verbrieften Derivaten, die über eine inländische Bank (als auszahlende Stelle iSd § 95 Abs. 2 Z 2 lit. b EStG 1988) abgewickelt und bezogen werden, die inländische Bank durch einen freiwilligen KESt-Abzug die Besteuerung zum besonderen Steuersatz des § 27a Abs. 1 Z 2 EStG 1988 von 27,5 % vermitteln kann, der zudem auch die Endbesteuerungswirkung iSd § 97 EStG 1988 herbeiführt. Werden hingegen gleichartige Kapitaleinkünfte über eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Bank abgewickelt und bezogen, besteht diese Möglichkeit nicht.
24Wie das Finanzamt in der Revisionsbeantwortung deutlich aufzeigt, unterscheidet die in Rede stehende Regelung danach, ob der Erbringer der Dienstleistung (Abwicklung der Produkte) die Inlandseigenschaft erfüllt oder nicht.
25Diese steuerliche Regelung ist damit dazu geeignet, österreichische Anleger davon abzuhalten, Dienstleistungen von Banken aus anderen Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen und von diesen Banken die Abwicklung der nicht verbrieften Derivate vornehmen zu lassen, weil in diesem Fall nicht die Möglichkeit besteht, durch einen freiwilligen KESt-Abzug die Besteuerung zum besonderen Steuersatz des § 27a Abs. 1 EStG 1988 zu erreichen. Zudem ist diese Regelung auch geeignet, Personen, die eine Veranlagung in nicht verbriefte Derivate bei einer in Österreich ansässigen Bank vorgenommen haben, davon abzuhalten, ihre Veranlagungsprodukte auf eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Bank zu übertragen.
26Bankleistungen stellen Dienstleistungen im Sinne von Art. 57 AEUV dar. Art. 56 AEUV steht jeder nationalen Regelung entgegen, die geeignet ist, die Tätigkeiten eines Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern (vgl. idS Maria Eugenia Van der Weegen, C-580/15, Rn 27; Kommission/Königreich Belgien, C-383/10, Rn 43).
27Die in Rede stehende steuerliche Regelung stellt grundsätzlich eine nach Art. 56 Abs. 1 AEUV verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, indem sie den Zugang von Dienstleistungserbringern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten zum österreichischen Markt mit Wettbewerbsnachteilen verknüpft.
28Es ist allerdings noch zu prüfen, ob eine solche Beschränkung gerechtfertigt sein kann. Nationale Maßnahmen, die geeignet sind, die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, können zulässig sein, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, wenn sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist (vgl. Maria Eugenia Van der Weegen, C-580/15, Rn 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29In der Revisionsbeantwortung hält das Finanzamt die Differenzierung zwischen inländischen Kreditinstituten und ausländischen Kreditinstituten für gerechtfertigt, weil inländische Banken durch die Einbindung in das KESt-System gleichzeitig eine Haftung für die Kapitalertragsteuer übernehmen. Damit ist aber nicht dargetan, warum die Möglichkeit des freiwilligen Steuerabzugs nicht auch Banken in anderen Mitgliedstaaten eingeräumt ist.
30Daher ist nicht erkennbar, dass für die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs, zu der die Anwendung der in Rede stehenden Regelung des § 27a Abs. 2 Z 7 EStG 1988 wegen der mit dem AbgÄG 2012 vorgenommenen Ergänzung führt, Rechtfertigungsgründe greifen. Es liegt daher ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit vor (vgl. Stangl, RdW 2013, 568; kritisch auch Kirchmayr in Doralt et al, EStG16, § 27a Tz 67).
31Damit erübrigt sich die Prüfung, ob die Regelung auch in Konflikt mit der Kapitalverkehrsfreiheit steht (vgl. hiezu Maria Eugenia Van der Weegen, C-580/15, Rn 25).
32Zur einkommensteuerlichen Erfassung von Dividendenerträgen aus anderen Mitgliedstaaten, auf die nach der seinerzeitigen innerstaatlichen Rechtslage der besondere Steuersatz (und auch der halbe Durchschnittssteuersatz) nicht anwendbar war, was einen Verstoß gegen die unionsrechtlichen Grundfreiheiten bedeutete, hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass der besondere Steuersatz (bzw. der halbe Durchschnittssteuersatz) in Anwendung des Unionsrechts zur Anwendung zu bringen ist, falls dieser für einen Steuerpflichtigen tatsächlich günstiger sein sollte (vgl. ; , 2002/13/0187; , 2004/14/0078; , 2003/13/0080; und , 2002/14/0076).
33Belastendes nationales Recht, das in einer konkreten Konstellation im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, wird für diese Konstellation verdrängt. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale gesetzliche Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Die Verdrängung erreicht dabei bloß jenes Ausmaß, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen (vgl. ; und , 2008/15/0064).
34Im gegenständlichen Fall ist die Besteuerung der Einkünfte nach § 27 Abs. 4 EStG 1988 nach den allgemeinen Regeln (Ermittlung der Einkünfte unter Berücksichtigung der Werbungskosten, Besteuerung nach dem Einkommensteuertarif) der Besteuerung mit dem besonderen Steuersatz des § 27a Abs. 1 Z 2 EStG 1988 nach den hierfür geltenden Regeln, also ohne Abzug von Werbungskosten (vgl. § 20 Abs. 2 EStG 1988) gegenüberzustellen. Die unionsrechtlichen Grundfreiheiten stellen sicher, dass der Steuerpflichtige nicht der höheren Besteuerung unterworfen werden darf.
35Kommt der besondere Steuersatz nach § 27a Abs. 1 Z 2 EStG 1988 zur Anwendung, ist - gleich wie bei Steuerpflichtigen mit zum KESt-Abzug optierenden inländischen Zahlstellen - im Hinblick auf § 20 Abs. 2 EStG 1988 der Abzug von Werbungskosten ausgeschlossen (vgl. hierzu nochmals ).
36Dass eine andere Bestimmung des § 27a Abs. 2 EStG 1988 der Anwendbarkeit des Steuersatzes nach § 27a Abs. 1 Z 2 EStG 1988 entgegen stünde (vgl. dazu Kirchmayr in Doralt et al, EStG16, § 27a Tz 68), wurde im Revisionsfall nicht festgestellt. Sind die streitgegenständlichen Kapitalveranlagungen aber solche, bei denen der Steuersatz nach § 27a Abs. 1 Z 2 EStG 1988 zur Anwendung käme, wenn die Abwicklung über eine zum KESt-Abzug optierende inländische auszahlende Stelle vorgenommen worden wäre, kann nach dem Gesagten in Anwendung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten dieser besondere Steuersatz dem Revisionswerber bei der Veranlagung zur Einkommensteuer nicht versagt werden.
37Da das Bundesfinanzgericht die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
38Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RO2019150184.J00 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.