VwGH vom 23.03.2017, Ro 2016/11/0016
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des Verwaltungsausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich, vertreten durch die Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stadiongasse 2, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-687/001-2015, betreffend Gewährung der Invaliditätsversorgung (mitbeteiligte Partei: Dr. W Z in K, vertreten durch DDr. Hans Rene Laurer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Salesianergasse 1b/III/Top 11), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Ein Aufwandersatz findet nicht statt.
Begründung
1 Mit Bescheid des Verwaltungsausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich (belangte Behörde; im Folgenden auch: Revisionswerber) vom wurde der Antrag der mitbeteiligten Partei vom auf Gewährung der Invaliditätsversorgung per gemäß § 100 Ärztegesetz 1998 iVm § 30 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich (kurz: Satzung) abgewiesen.
2 In der Begründung wurde festgestellt, der Mitbeteiligte habe sich von bis mindestens u. a. wegen einer Serienrippenfraktur im Krankenstand befunden und am seine beiden Ordinationen für Allgemeinmedizin geschlossen. Die vom Mitbeteiligten übermittelten ärztlichen Bestätigungen über Krankenstände aufgrund von "Diabetes mellitus Typ II B, metabol. Syndrom, chron. myofasciales Syndrom der ges. WS, Insulin pfl DM und Burn out" hätten nicht in die Beweiswürdigung einbezogen werden können, weil sich der Mitbeteiligte zwei vom ärztlichen Sachverständigen vorgegebenen Untersuchungsterminen im Februar und April 2015 "explizit und bewusst" entzogen habe. Aus diesem Grund habe auch die Berufsunfähigkeit und Invalidität des Mitbeteiligten nicht festgestellt werden können.
3 Weiters wurde in der Begründung des genannten Bescheides festgestellt, der Mitbeteiligte habe vor dem Landesgericht Krems als Arbeits- und Sozialgericht am mit der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) einen gerichtlichen Vergleich über die Leistung einer Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab abgeschlossen. Der Mitbeteiligte habe aber keinen seine Invalidität feststellenden Bescheid eines Sozialversicherungsträgers vorgelegt.
4 Vor diesem Hintergrund vertrat der Revisionswerber die Rechtsansicht, dass beim Mitbeteiligten das Vorliegen der Invalidität als gemäß § 30 der Satzung zentrale Voraussetzung der Invaliditätsversorgung nicht habe festgestellt werden können, sodass der entsprechende Antrag abzuweisen gewesen sei.
5 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem angefochtenen Beschluss insofern Folge, als es den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufhob und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde zurückverwies.
6 Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof (Art. 133 Abs. 4 B-VG) zulässig sei.
7 In der Begründung führte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe des Verfahrensganges und nach Bezugnahme auf den erwähnten Vergleich vom aus, der Mitbeteiligte habe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Bescheid der SVA vom , vorgelegt, dessen Spruch wie folgt laute:
"Die Erwerbsunfähigkeitspension wurde ab bereits bescheidmäßig zuerkannt.
Rechtsgrundlage:
Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz (GSVG)§ 55, 133b und 139
Allgemeines Pensionsgesetz (APG)§§ 6 und 15
Die Pension beträgt ab monatlich EUR 792,70 ..."
8 In der rechtlichen Beurteilung ging das Verwaltungsgericht von § 100 ÄrzteG 1998 und im Einzelnen wiedergegebenen Bestimmungen der Satzung, darunter insbesondere § 30 leg. cit., aus. Der Revisionswerber habe die Abweisung des Antrages auf Gewährung der Invaliditätspension damit begründet, dass kein die Invalidität feststellender Bescheid eines Sozialversicherungsträgers vorgelegt worden sei und sich der Mitbeteiligte der Einladung des Vertrauensarztes zur Befundaufnahme explizit und bewusst entzogen und die Feststellung der Invalidität damit unmöglich gemacht habe. Mit dieser Rechtsauffassung übersehe der Revisionswerber in seiner Entscheidung, dass gegenständlich § 30 Abs. 1 lit. a der Satzung zur Anwendung komme. Die Bestimmung sehe vor, dass die Invaliditätsversorgung zu gewähren sei, wenn "ein die Invalidität feststellender Bescheid eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers vorliegt".
9 Während in allen Fragen des Sozialversicherungsverhältnisses und in sonstigen Verwaltungssachen gegen die Entscheidungen der Sozialversicherungsträger ein administrativer Instanzenzug zur Verfügung stehe, der bis zum Verwaltungsgerichtshof führe, gehe in Leistungssachen die Zuständigkeit auf die (Arbeits- und Sozial-)Gerichte über, wenn der Leistungswerber den Leistungsbescheid bekämpfe. Durch die Einbringung einer Klage trete der Leistungsbescheid im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft; das Gericht erlasse eine neue, mit Rechtsmittel bekämpfbare Entscheidung in der Sache. Das Verfahren ende mit Urteil oder in verfahrensrechtlichen Angelegenheiten mit Beschluss des Gerichtes. Das Verfahren könne allerdings jederzeit durch einen gerichtlichen Vergleich beigelegt werden.
10 Im vorliegenden Fall sei der Bescheid der SVA (gemeint ist offenbar der aktenkundige Bescheid vom , mit dem der Antrag des Mitbeteiligten auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension nach näher genannten Bestimmungen des GSVG abgewiesen wurde) durch Einbringung einer Klage außer Kraft getreten. Der daraufhin zwischen dem Mitbeteiligten und der SVA am vor dem Arbeits- und Sozialgericht geschlossene Vergleich trete an die Stelle eines die Invalidität feststellenden Bescheides.
11 Vor diesem Hintergrund könne nach Ansicht des Verwaltungsgerichts § 30 Abs. 1 lit. a der Satzung nur so verstanden werden, dass Anspruchsvoraussetzung ein die Invalidität feststellender Bescheid eines Sozialversicherungsträgers oder ein im Rechtsmittelweg ergangenes gerichtliches Urteil oder - wie im vorliegenden Fall - ein gerichtlicher Vergleich sei. Es sei nämlich nicht einzusehen, warum ein die Invaliditätsversorgung begehrender Antragsteller, bei dem die Invalidität im Rechtsmittelweg durch gerichtliches Urteil oder gerichtlichen Vergleich festgestellt worden sei, schlechter gestellt sein sollte als ein Antragsteller, bei dem die Invalidität bereits im erstinstanzlichen Verfahren bescheidmäßig festgestellt worden sei. Zudem handle es sich bei § 30 Abs. 1 lit. a der Satzung um eine zwingende Bestimmung, sodass eine Ermessensübung unzulässig sei.
12 Da sowohl im genannten gerichtlichen Vergleich vom als auch im erwähnten Bescheid der SVA vom eine nicht bloß vorübergehende Erwerbsunfähigkeit zugrunde gelegt und die Erwerbsunfähigkeitspension unbefristet für die weitere Dauer der Erwerbsunfähigkeit zuerkannt worden sei, bestehe keine Veranlassung für die (in § 30 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 4 der Satzung vorgesehene) Anordnung einer Untersuchung durch den Vertrauensarzt bzw. die Abweisung des Antrags auf Gewährung der Invaliditätsversorgung wegen der Nichtfolgeleistung zur Befundaufnahme durch den Vertrauensarzt.
13 Ausgehend von der gegenteiligen Rechtsansicht habe der Revisionswerber im verwaltungsbehördlichen Verfahren keinerlei Ermittlungen zur Höhe der zustehenden Invaliditätsversorgung (so insbesondere Ermittlungen zur Grundrente und zur Zusatzleistung) getätigt. Diesbezüglich lägen somit "besonders gravierende Ermittlungslücken" vor, sodass sich nahezu das gesamte Ermittlungsverfahren auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht verlagern würde. Daher seien die Voraussetzungen für die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG gegeben.
14 Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht bloß mit den verba legalia.
15 Gegen diesen Beschluss richtet sich die ordentliche Revision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde. Das Verwaltungsgericht legte die Revision unter Anschluss der Verfahrensakten vor. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
17 Das Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 169/1998 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 9/2016 (ÄrzteG 1998), lautet auszugsweise:
"§ 100. (1) Invaliditätsversorgung ist zu gewähren, wenn der Kammerangehörige infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen zur Ausübung des ärztlichen oder zahnärztlichen Berufes dauernd oder vorübergehend unfähig ist. Die Satzung kann festlegen, ab welchem Zeitraum der Berufsunfähigkeit eine vorübergehende Invaliditätsversorgung zu gewähren ist. Der Verwaltungsausschuß ist berechtigt, zur Feststellung der Voraussetzungen eine vertrauensärztliche Untersuchung anzuordnen.
(2) Vorübergehende Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn diese nach begründeter medizinischer Voraussicht in absehbarer Zeit zu beheben ist. Der Leistungsfall der vorübergehenden Berufsunfähigkeit liegt jedenfalls nicht vor, wenn diese weniger als drei Monate andauert.
(3) Der Leistungsfall der vorübergehenden Berufsunfähigkeit liegt jedenfalls nicht vor, wenn diese weniger als drei Monate andauert. Die näheren Voraussetzungen für den Bezug der Invaliditätsversorgung sind in der Satzung zu regeln."
18 § 30 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich (kurz: Satzung) lautet in der bei Erlassung des angefochtenem Beschlusses maßgebenden Fassung auszugsweise (die gegenständlichen relevanten lit. a und b des Abs. 1 standen unverändert bereits zum , dem beantragten Beginn der Invaliditätsversorgung, in Geltung):
"§ 30
Invaliditätsversorgung
(1) Ist ein WFF - Mitglied infolge körperlicher oder
geistiger Gebrechen zur Ausübung des ärztlichen und/oder
zahnärztlichen Berufs dauernd oder vorübergehend unfähig, so
a) ist die Invaliditätsversorgung zu gewähren, wenn ein die
Invalidität feststellender Bescheid eines gesetzlichen
Sozialversicherungsträgers vorliegt,
b) kann die Invaliditätsversorgung gewährt werden, sofern
ein durch einen gemäß Abs. 4 bestellten Vertrauensarzt erstelltes Gutachten die Berufsunfähigkeit bestätigt.
(1a) Die Anspruchsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 lit. b, c und d kommen sinngemäß zur Anwendung.
(2) Im Fall des § 30 Abs. 1 lit. a hat der Verwaltungsausschuss die Invaliditätsversorgung höchstens für jenen Zeitraum zu gewähren, für den der gesetzliche Sozialversicherungsträger die Invalidität festgestellt hat.
(3) Vorübergehende Berufsunfähigkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 liegt vor, wenn diese nach begründeter medizinischer Voraussicht in absehbarer Zeit zu beheben ist, jedoch die Dauer der in § 43 Abs. 1 festgelegten maximalen Bezugsdauer der Krankenunterstützung übersteigt. Die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen der vorübergehenden Berufsunfähigkeit obliegt dem Verwaltungsausschuss.
(4) Der Verwaltungsausschuss ist berechtigt, zur Feststellung der Voraussetzung nach § 30 Abs. 1 und Abs. 3 eine Untersuchung durch einen Vertrauensarzt anzuordnen. Gleichzeitig hat der Verwaltungsausschuss im Anlassfall einen geeigneten Arzt als Vertrauensarzt zu bestellen, wobei dieser der Bestellung zuzustimmen hat und ihm unter der Voraussetzung seiner Zustimmung alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind. Die Kosten einer solchen Untersuchung trägt der Wohlfahrtsfonds.
..."
19 Das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 560/1978 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 162/2015, lautet auszugsweise:
"Begriff der Erwerbsunfähigkeit
§ 133. (1) Als erwerbsunfähig gilt der (die) Versicherte, der (die) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen.
...
(3) Als erwerbsunfähig gilt auch der (die) Versicherte, der (die) das 60. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei ist die Möglichkeit einer zumutbaren Änderung der sachlichen und personellen Ausstattung seines (ihres) Betriebes zu berücksichtigen.
...
Feststellung der Erwerbsunfähigkeit
§ 133a. Der Versicherte ist berechtigt, vor Stellung eines Antrages auf die Pension einen Antrag auf Feststellung der Erwerbsunfähigkeit zu stellen, über den der Versicherungsträger in einem gesonderten Verfahren (§ 194 Abs. 1 Z 3) zu entscheiden hat.
Verfahren
§ 194. Hinsichtlich des Verfahrens zur Durchführung dieses Bundesgesetzes gelten die Bestimmungen des Siebenten Teiles des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes mit der Maßgabe, daß
...
3. als Leistungssache im Sinne des § 354 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (Sozialrechtssache im Sinne des § 65 Z 4 des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes) auch die Feststellung von Versicherungs- und Schwerarbeitszeiten (§ 117a) und die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit (§ 133a) außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens auf Antrag des Versicherten gilt.
..."
20 Das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 86/2013 (ASGG), lautet auszugsweise:
"Gegenstand der Sozialrechtssachen
§ 65. (1) Sozialrechtssachen sind Rechtsstreitigkeiten über
1. den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs
auf Versicherungs- oder Pflegegeldleistungen, soweit (...) (§ 354 Z 1 ASVG,§ 194 GSVG, (...));
...
Verfahrensvoraussetzungen
§ 67. (1) In einer Leistungssache nach § 65 Abs. 1 Z 1 (...) darf - vorbehaltlich des § 68 - vom Versicherten eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger
1. darüber bereits mit Bescheid entschieden hat oder
...
Wirkungen der Klage
§ 71. (1) Wird in einer Leistungssache nach § 65 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 bis 8 die Klage rechtzeitig erhoben, so tritt der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft; Bescheide, die durch den außer Kraft getretenen Bescheid abgeändert worden sind, werden insoweit aber nicht wieder wirksam.
...
Weitere Verfahrensbesonderheiten
§ 75. ...
(3) Rechtsstreitigkeiten können durch gerichtlichen Vergleich ganz oder teilweise beigelegt werden.
...
§ 82. (1) Die Klage hat ein unter Bedachtnahme auf die Art des erhobenen Anspruchs hinreichend bestimmtes Begehren zu enthalten.
(2) Das von einem Versicherten erhobene Klagebegehren ist auch dann hinreichend bestimmt (Abs. 1), wenn es
1. auf Leistungen beziehungsweise (...) ‚im gesetzlichen Ausmaß' gerichtet ist und ...
(4) Ein Begehren ‚im gesetzlichen Ausmaß' ist so zu verstehen, daß es auf das für den Versicherten Günstigste gerichtet ist.
...
Beweisverfahren
§ 87. (1) Vorbehaltlich der Abs. 2 bis 4 hat das Gericht sämtliche notwendig erscheinenden Beweise von Amts wegen aufzunehmen; der § 183 Abs. 2 ZPO gilt nicht.
..."
21 Die vorliegende Revision ist zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, dass Judikatur zur Frage, ob der in § 30 Abs. 1 lit. a der Satzung für die Invaliditätsversorgung vorausgesetzte, die Invalidität feststellende Bescheid eines Sozialversicherungsträgers durch einen gerichtlichen Vergleich ersetzt werden kann, fehlt.
22 In den Revisionsgründen wird zusammengefasst vorgebracht, gemäß § 30 Abs. 1 lit. a der Satzung sei die Invaliditätsversorgung zu gewähren, wenn ein die Invalidität feststellender Bescheid eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers vorliege. Der Mitbeteiligte habe lediglich einen Vergleich mit der SVA und einen Bescheid der SVA über die Höhe der zuerkannten Pension vorgelegt. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, ein gerichtlicher Vergleich sei einem gerichtlichen Urteil gleichzusetzen, sei unzutreffend, weil dieser keine Entscheidung darstelle und daher auch keine Bindungswirkung entfalten könne (Verweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/11/0322). Aus dem rechtlichen Charakter eines Vergleiches und seiner Streitbeilegungsfunktion lasse sich nicht ableiten, ob der geltend gemachte Anspruch zu Recht bestanden habe. Ein gerichtliches Urteil hingegen entscheide darüber, ob ein Anspruch zu Recht bestehe oder nicht. Gleiches müsse für den Bescheid einer Verwaltungsbehörde im Rahmen ihrer gesetzlichen Kompetenzen gelten.
23 Ein Vergleich sei einem Bescheid nicht gleichzusetzen. Auch der Inhalt eines Vergleiches sei keinesfalls ausreichend, um den Vergleich in einen Bescheid umzudeuten. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom , 2008/08/0146, erkannt habe, seien Versicherungsträger und Verwaltungsbehörden gemäß § 49 Abs. 6 ASVG an rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte gebunden. Diese Bindung trete aber nicht ein, wenn der gerichtlichen Entscheidung kein streitiges Verfahren vorangegangen oder ein gerichtlicher Vergleich geschlossen worden sei. Das gelte auch für den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich, der als "Versicherungsträger" für die Ärzteschaft fungiere.
24 Sinn des § 30 Abs. 1 der Satzung sei es, dass in jenen Fällen, in welchen ein Bescheid eines Sozialversicherungsträgers vorliege, mit dem die Invaliditätspension zuerkannt werde, davon ausgegangen werden könne, dass diesem Bescheid ein Gutachten über die Berufsunfähigkeit zugrunde liege; weil der Sozialversicherungsträger andernfalls seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht nachgekommen wäre. In einem solchen Fall spreche viel dafür, dass die Ärztekammer kein weiteres Gutachten - verbunden mit einem finanziellen und zeitlichen Aufwand - einholen müsse. Bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen könne in einem solchen Fall ohne weitere Prüfung die Invaliditätsversorgung gewährt werden.
25 Ein unbedenklicher Fall dieser Art liege gegenständlich jedoch nicht vor, da die SVA offenkundig den Antrag des Mitbeteiligten zunächst abgewiesen und sich erst im Rahmen des gerichtlichen Vergleiches zur Auszahlung der Invaliditätspension bereit erklärt habe. Der gerichtliche Vergleich sei zwar für die beiden Parteien bindend, könne aber nicht wie ein Bescheid oder ein Urteil in Rechtskraft erwachsen und sei daher nicht gleichwertig im Sinne des § 30 Abs. 1 lit. a der Satzung.
26 Auch der vom Mitbeteiligten im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgelegte Bescheid der Sozialversicherungsanstalt vom genüge nicht den Anforderungen des § 30 Abs. 1 lit. a der Satzung, da mit diesem zwar über die Höhe der Erwerbsunfähigkeitspension, nicht aber über das Vorliegen der Invalidität abgesprochen werde.
27 Die Revision ist begründet.
28 Gemäß § 100 Abs. 1 ÄrzteG 1998 ist Invaliditätsversorgung zu gewähren, wenn der Kammerangehörige infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen zur Ausübung des ärztlichen oder zahnärztlichen Berufes dauernd oder vorübergehend unfähig ist, wobei die näheren Voraussetzungen gemäß Abs. 3 leg. cit. in der Satzung zu regeln sind.
29 Die Satzung normiert in § 30 Abs. 1 lit. a und b zwei (alternative) Voraussetzungen für die Gewährung der Invaliditätsversorgung, nämlich das Vorliegen eines die Invalidität feststellenden Bescheides eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers (lit. a) bzw. die Bestätigung der Berufsunfähigkeit durch ein von einem gemäß Abs. 4 bestellten Vertrauensarzt erstelltes Gutachten (lit. b).
30 Unstrittig ist die Voraussetzung der lit. b gegenständlich nicht erfüllt. Strittig ist vielmehr, ob, wie das Verwaltungsgericht meint, die lit. a deshalb erfüllt ist, weil der Mitbeteiligte mit der SVA (nachdem diese die Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension gegenüber dem Mitbeteiligten mit Bescheid vom versagt hat und jener dagegen Klage iSd § 67 ASGG erhoben hat) einen gerichtlichen Vergleich über die Leistung einer Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem abgeschlossen hat.
31 Der Wortlaut des § 30 Abs. 1 der Satzung allein bietet jedenfalls keine Grundlage für die Annahme, dass durch einen gerichtlichen Vergleich über die Leistung einer Erwerbsunfähigkeitspension die Voraussetzung der lit. a dieser Bestimmung substituiert werden kann.
32 Mit dem Argument, es sei nicht einzusehen, weshalb ein Antragsteller, dem ein Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitspension aufgrund eines gerichtlichen Vergleiches zukommt, gegenüber einem solchen, der diesen Anspruch aus dem Bescheid der Behörde ableitet, schlechter gestellt sein solle, entfernt sich das Verwaltungsgericht offensichtlich aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen vom genannten Wortlaut der Satzung.
33 Dafür besteht im vorliegenden Fall, in dem die Rechtswirkungen eines gerichtlichen Vergleichs (und nicht jene eines gerichtlichen Urteils) zu beurteilen sind, allerdings keine Veranlassung:
Da durch § 30 Abs. 1 lit. a und b der Satzung die "näheren Voraussetzungen" (§ 100 Abs. 3 zweiter Satz ÄrzteG 1998) für die Invaliditätsversorgung normiert werden, die gemäß § 100 Abs. 1 ÄrzteG 1998 im Falle der (dauernden oder vorübergehenden) Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes zu gewähren ist, können die beiden literae des § 30 Abs. 1 der Satzung bei gesetzeskonformer Auslegung nur als Konkretisierung jener Fälle verstanden werden, in denen eine Berufsunfähigkeit des Arztes angenommen werden muss.
34 Dass eine Berufsunfähigkeit des Arztes bei entsprechenden Sachverständigengutachten angenommen werden muss (§ 30 Abs. 1 lit. b der Satzung), ergibt sich auch aus der hg. Judikatur. Nach dieser setzt die Beurteilung, ob Berufsunfähigkeit vorliegt, in der Regel (wenn nicht Offenkundigkeit vorliegt) auf ärztlichen Sachverständigengutachten beruhende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde über die körperlichen und geistigen Gebrechen des Kammerangehörigen und die davon ausgehenden Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes voraus, wobei die Sachverständigengutachten im Einzelnen darüber Aufschluss zu geben haben, ob der Betreffende zu einer ärztlichen Tätigkeit noch in der Lage ist bzw. welche Arbeiten er nicht mehr verrichten kann (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/11/0021, und vom , Zl. 2009/11/0233, mwN).
35 Aus dem Umstand, dass § 30 Abs. 1 lit. a der Satzung an einen "die Invalidität feststellenden Bescheid eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers" (anstelle der in lit. b vorgesehenen Begutachtung durch einen vom Wohlfahrtsfonds bestellten Sachverständigen) anknüpft, wird deutlich, dass die Satzung im Falle der lit. a davon ausgeht, dass die Frage des Vorliegens der Invalidität (bzw. der Erwerbsunfähigkeit im Falle von Selbständigen; vgl. zu den Begriffen Invalidität, Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit aus der Rechtsprechung des OGH den Beschluss vom , 10 ObS 47/96, und zu ihren Anforderungen auch den Beschluss vom , 10 ObS 43/16w) bereits von der Behörde (Sozialversicherungsträger) - auf der Basis der von ihr amtswegig eingeholten Sachverständigengutachten - beurteilt und entschieden wurde.
36 Letzteres gilt nicht im Falle eines gerichtlichen Vergleiches, der hier vorliegt. Die gegenständliche Sozialrechtssache (§ 65 Abs. 1 Z 1 ASGG iVm § 194 GSVG) wurde durch den gerichtlichen Vergleich nämlich beigelegt (§ 75 Abs. 3 ASGG), sodass das Arbeits- und Sozialgericht von seiner Aufgabe, die notwendigen Beweise (Sachverständigengutachten) zur Klärung der Sache von Amts wegen aufzunehmen (§ 87 Abs. 1 ASGG), entbunden war.
37 Da dem gerichtlichen Vergleich regelmäßig ein materiellrechtliches Geschäft innewohnt, führt er stets eine materielle Rechtsgestaltung herbei, weil er in § 1380 ABGB als Neuerungsvertrag angesehen wird und damit konstitutiv einen neuen Rechtsgrund schafft (vgl. Klicka in Fasching/Konecny, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzes, 2. Band/3. Teilband, 3. Auflage (2015), §§ 204-206 ZPO, Rn 13). Durch den Vergleich (§ 1380 ABGB) werden Strittigkeit bzw. Zweifelhaftigkeit eines Rechtes dadurch beseitigt, dass die Parteien einvernehmlich feststellen, in welchem Umfang das Recht als bestehend angesehen werden soll. Es handelt sich um einen Neuerungsbzw. Feststellungsvertrag; die bisherige Unsicherheit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtes soll dabei endgültig beseitigt werden. Auch wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass das verglichene Rechte niemals bestanden hat, bleibt es beim Vergleich. Dieser schafft einen eigenen Rechtsgrund und wirkt, soweit die Feststellung von der bisherigen wahren Rechtslage abweicht, konstitutiv (vgl. Ertl in Rummel, Kommentar zum ABGB, 3. Auflage, Rz 5 zu § 1380).
38 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass bei der Beurteilung, ob § 30 Abs. 1 lit a der Satzung erfüllt ist, der gerichtliche Vergleich betreffend die Leistung einer Erwerbsunfähigkeitspension, der nicht im Einklang mit den entsprechenden materiellrechtlichen Bestimmungen stehen muss, einem die Invalidität (bzw. bei Selbständigen die Erwerbsunfähigkeit) feststellenden Bescheid im Sinne der zuletzt genannten Bestimmung nicht gleichgesetzt werden kann.
39 Entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts wird auch durch den oben (Rn 7) wiedergegeben Bescheid vom , mit dem die monatliche Pensionshöhe festgesetzt wurde, die Tatbestandsvoraussetzung des § 30 Abs. 1 lit a der Satzung nicht erfüllt. Dabei handelt es sich nicht um einen Feststellungsbescheid betreffend die Invalidität (hier: Erwerbsunfähigkeit) des (freiberuflich tätigen) Mitbeteiligten, vielmehr resultiert dieser Rechtsgestaltungsbescheid aus dem bereits genannten gerichtlichen Vergleich über die - dem Grunde nach vereinbarte - Verpflichtung zur Leistung der Erwerbsunfähigkeitspension.
40 Da der angefochtene Beschluss somit auf einer unzutreffenden Auslegung des § 30 Abs. 1 lit. a der Satzung beruht, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
41 Ein Kostenersatz findet gemäß § 47 Abs. 4 VwGG nicht statt.
Wien, am
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Schlagworte: | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 |
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