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VwGH vom 03.09.2015, Ro 2015/21/0032

VwGH vom 03.09.2015, Ro 2015/21/0032

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des K A, zuletzt in W, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W154 2107653- 1/4E, betreffend Schubhaft und Zurückweisung eines Verfahrenshilfeantrages (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Revisionswerber wurde am im Zusammenhang mit einem versuchten Einbruchsdiebstahl festgenommen. Er gab an, französischer Staatsangehöriger zu sein, wurde in Untersuchungshaft genommen und schließlich mit Urteil vom zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe (unbedingter Strafteil sieben Monate) verurteilt.

Mit Bescheid vom sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) nicht erteilt werde; zugleich wurden gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und ein achtjähriges Einreiseverbot erlassen.

Mit weiterem Bescheid vom verhängte das BFA gegen den noch in Strafhaft befindlichen Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie zur Sicherung der Abschiebung. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen und außerdem wurde ausgesprochen, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach der Entlassung aus der Gerichtshaft eintreten. Das BFA ging ua. davon aus, dass der Revisionswerber, der sich ursprünglich mit einer gefälschten "I-Card-Frankreich" ausgewiesen habe, Staatsangehöriger eines nordafrikanischen Landes sei; er habe am den Wunsch nach Asyl geäußert, diesen jedoch unter Verweis auf seine "französische Staatsbürgerschaft" wieder zurückgezogen. Wie das BFA dann näher begründete, sei die Verhängung der Schubhaft zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot sowie zur Sicherung der Abschiebung "zwingend nötig".

Der auf Grund dieses Bescheides nach Entlassung aus der Strafhaft am in Schubhaft überstellte Revisionswerber erhob gegen den Schubhaftbescheid sowie gegen die Anordnung der Schubhaft und die fortdauernde Anhaltung in Schubhaft - nunmehr mit der Behauptung, er sei Staatsangehöriger von Algerien - mit Schriftsatz vom Beschwerde. In dieser wurde ua. geltend gemacht, dass der Revisionswerber im Hinblick auf sein Schutzersuchen vom nicht nach § 76 Abs. 1 FPG in Schubhaft hätte genommen werden dürfen. Wie es dazu gekommen sei, dass das BFA davon ausgehe, der Antrag sei zurückgezogen worden - was gemäß § 25 Abs. 2 AsylG 2005 gar nicht möglich gewesen sei -, könne er sich nicht erklären.

Der Revisionswerber beantragte insbesondere die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die unentgeltliche Beigabe eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer.

Mit dem nunmehr bekämpften Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers gemäß § 76 Abs. 1 FPG iVm § 7 Abs. 1 Z 1 und 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) als unbegründet ab (Spruchpunkt A. I.). Weiter stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 1 FPG fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A. II.). Den Kostenersatzantrag des Revisionswerbers wies es gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG als unbegründet ab (Spruchpunkt A. III.), und den Antrag auf unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers wies es als unzulässig zurück (Spruchpunkt A. IV.). Schließlich sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei (Spruchpunkt B.).

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision, zu der keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen:

1. In seinen Ausführungen zur Zulässigkeit der gegenständlichen Revision macht der Revisionswerber ua. der Sache nach geltend, das BVwG habe die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum in Betracht kommenden Schubhafttatbestand bei Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz nicht beachtet. Das ist zutreffend.

Dass es, wie die Revision weiter geltend macht, der Klärung der Frage bedarf, ob - allenfalls unter welchen Voraussetzungen - im "Schubhaftverfahren" vor dem BVwG ein Verfahrenshelfer beizustellen ist, hat schon das BVwG im Rahmen der Begründung seines Ausspruchs nach § 25a Abs. 1 VwGG selbst zum Ausdruck gebracht.

Die Revision ist daher zur Gänze zulässig.

2.1. Das BVwG ist auf das in der Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft erstattete Vorbringen, Schubhaft nach § 76 Abs. 1 FPG wäre im gegenständlichen Fall im Hinblick auf das Schutzersuchen des Revisionswerbers vom April 2015 von vornherein nicht in Betracht gekommen, nur unzureichend eingegangen. Es begnügte sich mit der Feststellung, der Revisionswerber habe am beabsichtigt, aus dem Stande der Strafhaft einen "Asylantrag" zu stellen, habe diesen in der Folge jedoch nicht eingebracht. In der rechtlichen Beurteilung hielt es fest, es habe sich beim Revisionswerber um einen Fremden, nicht jedoch um einen Asylwerber, gehandelt, zumal der am seitens des Revisionswerbers formulierte Antrag auf internationalen Schutz nicht eingebracht worden sei; das BFA habe den Schubhaftbescheid daher (zu Recht) auf § 76 Abs. 1 FPG gestützt, welche Bestimmung - so das BVwG im Ergebnis - auch Grundlage des Fortsetzungsausspruches unter Spruchpunkt A. II. sei.

Diese Ausführungen lassen erkennen, dass das BVwG im gegebenen Zusammenhang nur darauf abstellte, dass der Revisionswerber bei Anordnung der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz noch nicht eingebracht habe, weshalb er gemäß § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 noch nicht Asylwerber geworden sei.

Das AsylG 2005 kennt indes (wie schon vorangegangene Asylgesetze) nicht nur die Asylwerbereigenschaft begründende Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz (§ 17 Abs. 2 AsylG 2005), sondern - dem gegebenenfalls vorangehend - auch die Stellung eines solchen (§ 17 Abs. 1 AsylG 2005; siehe auch den fünften Absatz der genannten Bestimmung). Die bloße Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz vermittelt zwar noch nicht die Rechtsposition eines Asylwerbers im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005, sie zieht jedoch bereits Rechtsfolgen nach sich, und zwar - unter dem Blickwinkel des vorliegenden Falles - insbesondere jene, dass gegen den Fremden Schubhaft nur nach Maßgabe des § 76 Abs. 2 oder 2a FPG in Betracht kommt, während umgekehrt die Anwendbarkeit des § 76 Abs. 1 FPG ausgeschlossen ist (so schon grundlegend das insoweit auch für die Rechtslage nach dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz relevante hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0668, Punkte 1.3. und 1.4. der Entscheidungsgründe; siehe aus jüngerer Zeit auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/21/0121, mwN).

Dem hat das BVwG nicht Rechnung getragen. Nach dem Vorbringen des Revisionswerbers in seiner Beschwerde an das BVwG ist nämlich nicht auszuschließen, dass er bei Verhängung der gegenständlichen Schubhaft - wie in der Revision nunmehr ausdrücklich behauptet - als Fremder zu beurteilen gewesen wäre, der im Sinn des § 17 Abs. 1 AsylG 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, sodass Schubhaft nach dem eben Gesagten nicht nach § 76 Abs. 1 FPG hätte verhängt werden dürfen. Jedenfalls für den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG vom ist das naheliegend, weil in den Verwaltungsakten ein Aktenvermerk des BFA vom erliegt, wonach der Revisionswerber an diesem Tag bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe.

Indem das BVwG über all das - erkennbar in Verkennung der Rechtslage - hinwegging, hat es die Spruchpunkte A. I. bis A. III. seines Erkenntnisses mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

2.2. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere zu diesen Spruchpunkten erstattete Revisionsvorbringen. Der Vollständigkeit halber ist allerdings anzumerken, dass es entgegen dem Standpunkt des Revisionswerbers nicht zutrifft, dass nach der Aufhebung des § 22a Abs. 1 und 2 BFA-VG idF des FNG-Anpassungsgesetzes, BGBl. I Nr. 68/2013, durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G 151/2014 ua., "sämtliche Festnahmen, Anordnungen der Schubhaft sowie Anhaltungen in Schubhaft" mangels ausreichenden verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzes unzulässig seien. Soweit diese Annahme darauf beruht, die aktuelle Rechtslage sei "aus Sicht der Rechtsschutzsuchenden noch unklarer ..., als dies bereits zuvor der Fall war", ist zu betonen, dass der Revisionswerber letztlich selbst erkennt, dass - wie vom Verfassungsgerichtshof im zum Anlassfall des vorgenannten Erkenntnisses ergangenen Erkenntnis vom , E 4/2014, unter Rz 18 ausgeführt - nunmehr (gegen die bescheidmäßige Verhängung der Schubhaft) die Bescheidbeschwerde nach § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG sowie (gegen die Anhaltung in Schubhaft) die Maßnahmenbeschwerde nach § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG zur Verfügung stehen. (Die im Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom unter Rz 32 ff. geäußerten Bedenken, auf die der Revisionswerber der Sache nach rekurriert, haben sich demgegenüber auf die im damaligen § 22a Abs. 1 BFA-VG vorgezeichnete einheitliche Beschwerdeerhebung mit unterschiedlichen Verfahrensregeln in Abhängigkeit vom jeweiligen Beschwerdegegenstand bezogen.) Richtig ist zwar, dass die genannte Maßnahmenbeschwerde nicht zulässig ist, wenn die Anhaltung in Schubhaft durch den Schubhaftbescheid gedeckt ist. Eine maßgebliche Rechtsschutzlücke kann, anders als der Revisionswerber meint, hierin allerdings deshalb nicht erblickt werden, weil im Fall eines rechtswidrigen Schubhaftbescheides von vornherein feststeht, dass auch die darauf gegründete Anhaltung rechtswidrig ist, ohne dass es eines entsprechenden behördlichen Ausspruches bedarf. Liegt hingegen ein nicht zu beanstandender Schubhaftbescheid vor, so haben relevante Sachverhaltsänderungen nach Erlassung dieses Schubhaftbescheides ohnehin zur Folge, dass eine derartige Deckung nicht mehr vorliegt. Was aber den Einwand anlangt, es sei nunmehr nicht gesichert, ob das BVwG "seiner Verpflichtung, bei fortdauernder Anhaltung (des Fremden) binnen einer Woche über die Fortsetzung der Schubhaft zu entscheiden, tatsächlich nachkommen kann", so ist auf die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes im schon genannten Erkenntnis E 4/2014 unter Rz 21 ff. zu verweisen, die im Ausspruch münden, der dortige Beschwerdeführer sei durch den Fortsetzungsausspruch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden, weil die Feststellung, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, nicht binnen einer Woche erging. Dem liegt zwingend zu Grunde, dass eine fristgerechte Entscheidung - ungeachtet der vom Verfassungsgerichtshof (ohne diesbezügliche nähere Begründung) vorgenommenen Aufhebung des die Wochenfrist auf einfachgesetzlicher Ebene anordnenden § 22a Abs. 2 BFA-VG - geboten gewesen wäre.

Schließlich ist zusammenfassend aber noch in Erinnerung zu rufen, dass der Verfassungsgerichtshof im nunmehr schon mehrfach angesprochenen Erkenntnis E 4/2014 unter Rz 30 festhielt, sowohl für die Anordnung als auch für die Aufrechterhaltung der Schubhaft liege - wenngleich bezogen auf den dortigen Beschwerdefall - eine unbedenkliche gesetzliche Grundlage vor. Es ist nicht zu sehen, weshalb das hier anders sein sollte, sodass der Anregung des Revisionswerbers, es möge ein Gesetzesprüfungsantrag an den VfGH (wohl bezogen auf § 76 FPG) gestellt werden, nicht näherzutreten war.

Aus den oben zu Punkt 2.1. dargestellten Gründen war das angefochtene Erkenntnis in seinen Spruchpunkten A. I. bis A. III. aber unabhängig davon gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

3.1. Im Rahmen seiner Überlegungen zur Zurückweisung des Antrags des Revisionswerbers auf unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers unter Spruchpunkt A. IV. seines Erkenntnisses nahm das BVwG auf das vom Verfassungsgerichtshof von Amts wegen eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren zu § 40 VwGVG, welche Bestimmung die Beigebung eines Verfahrenshelfers ausschließlich in Verwaltungsstrafsachen vorsieht, Bezug. "Unbeschadet der Bedenken des Verfassungsgerichtshofes" - so das BVwG - werde durch die Beistellung eines Rechtsberaters nach § 52 BFA-VG gerade in Schubhaftverfahren den Anforderungen von Art. 6 EMRK Genüge getan.

3.2. Dazu ist einleitend klarzustellen, dass das § 40 VwGVG betreffende Gesetzesprüfungsverfahren mittlerweile abgeschlossen ist. Mit Erkenntnis vom , G 7/2015, hob der Verfassungsgerichtshof diese Vorschrift - zur Gänze - im Hinblick darauf, dass der völlige Ausschluss der Gewährung von Verfahrenshilfe im Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen Art. 6 EMRK widerstreite, als verfassungswidrig auf und ordnete an, dass diese Aufhebung mit Ablauf des in Kraft trete. Daraus folgt zunächst, dass die vom Revisionswerber angeregte Befassung des Verfassungsgerichtshofes in Hinsicht des § 40 VwGVG "bezogen auf das vorliegende Revisionsverfahren" nicht in Betracht kommt. Weiter bedeutet das aber auch, dass der Anwendung des Verfahrenshilfe exklusiv für das Verwaltungsstrafverfahren vorsehenden § 40 VwGVG aus rein verfassungsrechtlichem Blickwinkel (insbesondere) im vorliegenden Revisionsfall nichts (mehr) entgegensteht.

Mit Recht verweist der Revisionswerber aber auf Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), gemäß dessen Abs. 3 Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt wird, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.

Jedenfalls angesichts dessen, dass der Schubhaftbescheid vom - wenn auch möglicherweise verfehlt - auf § 76 Abs. 1 FPG gestützt war und der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie der Sicherung der Abschiebung des Revisionswerbers dienen sollte, ist die gegenständliche Schubhaft als Maßnahme im Sinn der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungs-RL; konkret Art. 15 dieser Richtlinie) zu verstehen. Damit ist die über die Rechtmäßigkeit dieser Schubhaft absprechende Entscheidung des BVwG in "Durchführung des Rechts der Union" im Sinn des Art. 51 Abs. 1 der GRC ergangen, weshalb der Anwendungsbereich der GRC - und damit insbesondere des angeführten Art. 47 Abs. 3 - eröffnet ist.

In Anbetracht des dem Unionsrecht zukommenden Vorrangs ist die verfassungsrechtliche Immunisierung des § 40 VwGVG vor dem Hintergrund des Art. 47 Abs. 3 GRC irrelevant (zu einer ähnlichen Konstellation im Zusammenhang mit der Aufhebung von Art. 15 Z 3 des Budgetbegleitgesetzes 2009 unter Fristsetzung durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G 26/10 ua., Slg.Nr. 19522, siehe den "GREP GmbH", Randnr. 22). Im Übrigen ist aber ohnehin davon auszugehen, dass ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenshilfe gegebenenfalls, wenn keine geeignete innerstaatliche Anspruchsgrundlage existiert, direkt auf Basis von Art. 47 Abs. 3 GRC zu gewähren ist ( Storr , in Fischer/Pabel/Raschauer (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsbarkeit (2014) Rz 27; zustimmend N. Raschauer/Sander/Schlögl in Holoubek/Lienbacher , GRC-Kommentar (2014) Art. 47 Rz 59).

Für die Auslegung und Anwendung der GRC ist die Rechtsprechung des EuGH maßgebend. Der EuGH berücksichtigt wiederum die Rechtsprechung des EGMR (vgl. dazu etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , U 466/11 ua., Slg.Nr. 19632, Punkt II. 5.7). Auch die Erläuterungen zu Art. 47 Abs. 3 GRC (ABl. 2007 C 303, 30) verweisen ausdrücklich auf ein Judikat des letztgenannten Gerichtshofes. Konkret heißt es in diesen Erläuterungen:

"In Bezug auf Absatz 3 sei darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Prozesskostenhilfe zu gewähren ist, wenn mangels einer solchen Hilfe die Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs nicht gewährleistet wäre (EGMR, Urteil vom , Airey, Serie A, Band 32, S. 11). Es gibt auch ein Prozesskostenhilfesystem für die beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Rechtssachen."

Für das Verständnis von Art. 47 Abs. 3 GRC sind damit die in dem besagten Urteil des EGMR, mit dem eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK konstatiert wurde, weil mangels Beigabe eines Rechtsanwalts kein wirksames Recht auf Zugang zum zuständigen Gericht gegeben war, angestellten Überlegungen maßgeblich. Dabei ist bedeutsam, dass die Beschwerdeführerin des vom EGMR entschiedenen Falles ihr Recht vor dem zuständigen Gericht auch persönlich geltend machen konnte. Das genügte jedoch nach Ansicht des EGMR ihrem Anspruch auf Zugang zum Gericht nicht; in Anbetracht der in materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht gegebenen Schwierigkeiten des Verfahrens vor dem zuständigen Gericht und der besonders in Ehestreitigkeiten - diese lagen dem zu beurteilenden Fall zugrunde - möglichen emotionalen Spannungen sei die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen, ohne anwaltlichen Beistand ihre Rechte wirksam wahrzunehmen; allerdings folge aus der Verpflichtung, Zugang zum Gericht zu gewährleisten, nicht zwangsläufig die generelle Verpflichtung der Vertragsstaaten, in Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen Verfahrenshilfe zu gewähren; es stehe jedem Staat frei, in welcher Weise er seine Verpflichtung erfülle, dem Einzelnen wirksamen Zugang zu den Zivilgerichten zu verschaffen; die Gewährung von Prozesskostenhilfe sei nur eine von denkbaren Möglichkeiten; eine Vereinfachung des Verfahrens stelle eine weitere Möglichkeit dar, denn nicht in allen Fällen sei es dem Einzelnen unzumutbar, seinen Fall persönlich, ohne Hilfe eines Anwalts, dem Gericht vorzutragen.

Daran anknüpfend hat der EuGH in seinem Urteil vom in der Rs C-279/09 "DEB Deutsche Energiehandels -

und Beratungsgesellschaft mbH" festgehalten, dass die Frage der unionsrechtlich gebotenen Gewährung von Prozesskostenhilfe, die auch Gebühren für den Beistand eines Rechtsanwalts umfassen könne, einzelfallbezogen nach Maßgabe insbesondere folgender Kriterien zu erfolgen habe (Randnr. 61): Begründete Erfolgsaussichten des Klägers, die Bedeutung des Rechtsstreits für diesen, die Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeit des Klägers, sein Anliegen wirksam (selbst) zu verteidigen. Das hat der EuGH im schon genannten Beschluss vom "GREP GmbH", Randnr. 46, bestätigt.

3.3. Im vorliegenden Schubhaftfall spricht vor dem Hintergrund der vom EuGH aufgestellten Kriterien alles für die Gewährung von Prozesskostenhilfe: Zunächst sind ausreichende Erfolgsaussichten des Revisionswerbers in Anbetracht des zu Punkt 2. erzielten Ergebnisses evident; die Bedeutung des "Rechtsstreits" ergibt sich aus dem mit Haft verbundenen massiven Grundrechtseingriff, die Komplexität des Falles schon daraus, dass seitens des BVwG - zu Recht - die ordentliche Revision ua. auch in Bezug auf die Frage der "Rechtsnatur" der Schubhaftbeschwerde zugelassen wurde; dass die Fähigkeiten des Revisionswerbers Unterstützung erfordern, kann schon angesichts der Sprachbarrieren nicht zweifelhaft sein.

Fraglich ist indes, ob es im Hinblick auf all das der unentgeltlichen Beigabe eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe bedurfte oder ob - im Sinn des angeführten Urteils des EGMR vom - im innerstaatlichen Recht ausreichende Komplementärmechanismen existierten, die das entbehrlich machten (allgemein idS Götzl in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler , Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte (2015), § 40 VwGVG Rz 13). Das ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht der Fall. Zwar sieht der schon vom BVwG angesprochene § 52 Abs. 1 BFA-VG vor, dass einem Fremden (insbesondere) bei Anordnung der Schubhaft von Amts wegen ein Rechtsberater "zur Seite gestellt" wird. Im zweiten Absatz der genannten Bestimmung - in der hier noch maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2015 - wird dessen Aufgabenbereich allerdings wie folgt umschrieben:

"(2) Rechtsberater unterstützen und beraten Fremde oder Asylwerber beim Einbringen einer Beschwerde und im Beschwerdeverfahren gemäß Abs. 1 vor dem Bundesverwaltungsgericht, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers. Rechtsberater haben Fremde in einem Beschwerdeverfahren gegen eine Rückkehrentscheidung auf deren Ersuchen auch zu vertreten. Rechtsberater haben den Beratenen jedenfalls die Erfolgsaussicht ihrer Beschwerde darzulegen."

Eine Vertretung des Fremden in einem Beschwerdeverfahren vor dem BVwG ist (war) somit nach dieser Rechtslage nur gesichert, wenn eine Rückkehrentscheidung Beschwerdegegenstand ist. Geht es wie hier um Schubhaft, ist dagegen nicht gewährleistet, dass der Fremde effektive Unterstützung (insbesondere) in einer Beschwerdeverhandlung erhält, was aber jedenfalls notwendig erscheint, um in einem Fall wie dem vorliegenden einen wirksamen Zugang zum BVwG im Sinn des Art. 47 Abs. 3 GRC zu verschaffen. Die Zurückweisung des Verfahrenshilfeantrages des Revisionswerbers erweist sich damit zusammenfassend als verfehlt.

3.4. Das eben erzielte Ergebnis wird durch folgende Überlegung bestätigt:

Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung), normiert in ihrem Art. 9 Garantien für in Haft befindliche Antragsteller auf internationalen Schutz. In den Absätzen 6 und 7 dieses Artikels heißt es:

"(6) Im Falle einer gerichtlichen Überprüfung der Haftanordnung nach Absatz 3 sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass der Antragsteller unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung in Anspruch nehmen kann. Die Rechtsberatung und -vertretung umfasst zumindest die Vorbereitung der erforderlichen Verfahrensdokumente und die Teilnahme an der Verhandlung im Namen des Antragstellers vor den Justizbehörden.

Die unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung erfolgt durch nach einzelstaatlichem Recht zugelassene oder befugte Personen, die über eine angemessene Qualifikation verfügen und deren Interessen denen der Antragsteller nicht zuwiderlaufen oder nicht zuwiderlaufen könnten.

(7) Die Mitgliedstaaten können darüber hinaus vorsehen, dass unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung nur gewährt wird

a) für diejenigen, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen; und/oder

b) durch Rechtsbeistand oder sonstige Berater, die nach nationalem Recht zur Unterstützung und Vertretung von Antragstellern bestimmt wurden."

Demnach bedarf es zwar nicht der Beigabe eines Rechtsanwalts. Es ist aber vorzusehen, dass der Antragsteller unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung in Anspruch nehmen kann, und zwar dergestalt, dass zumindest die Vorbereitung der erforderlichen Verfahrensdokumente und die Teilnahme an der Verhandlung im Namen des Antragstellers vor den Justizbehörden zu erfolgen hat.

Die genannte RL bezieht sich zwar nur auf solche Personen, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, über den noch nicht endgültig entschieden wurde (Art. 2 lit. b der RL); sie war überdies erst bis umzusetzen. Das steht allerdings nicht der Überlegung entgegen, dass die im Rahmen ihres Art. 9 zu gewährleistenden und hier in Frage stehenden Garantien nach aktueller Sichtweise typischerweise dem entsprechen, was einem Schubhäftling zur Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes im Sinn der hier fraglichen Chartabestimmung anzugedeihen lassen ist. Dem entspricht § 52 Abs. 2 BFA-VG - jedenfalls in der hier zu beurteilenden Fassung - nicht, weil eine Vertretung des Fremden in der Verhandlung vor dem BVwG in Schubhaftsachen nicht zum Aufgabenkreis eines Rechtsberaters zählt. Dass der Verfassungsgerichtshof die seinerzeitigen Regelungen über die Rechtsberatung im Asylverfahren (§§ 64 und 66 AsylG 2005 in der Stammfassung; siehe dazu sein Erkenntnis vom , U 561/09, Slg. Nr. 18809) als (aus verfassungsrechtlicher Sicht) für ausreichend erachtete, sodass es nicht der Vertretung durch einen Rechtsanwalt bedürfe, steht dazu nicht im Widerspruch; am Boden der vom Verfassungsgerichtshof beurteilten Rechtslage hatten nämlich Flüchtlingsberater Fremde auf Verlangen im Verfahren nach dem AsylG 2005 oder - soweit es sich um Asylwerber handelt - nach dem FPG zu vertreten, soweit nicht die Zuziehung eines Rechtsanwaltes gesetzlich vorgeschrieben war (§ 66 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 in der Stammfassung).

Nach dem Gesagten ist auch die Entscheidung zu Spruchpunkt A. IV. inhaltlich rechtswidrig und war daher ebenfalls gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren (ERV-Zuschlag) war abzuweisen, weil es durch den Pauschalbetrag der genannten Verordnung bereits gedeckt ist. Wien, am