VwGH vom 24.09.2010, 2009/02/0014
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des F F in G, vertreten durch Dr. Siegfried Leitner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 17/1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom , Zl. UVS 303.15-1/2008-14, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer als handelsrechtlichen Geschäftsführer der Volkshilfe Steiermark gemeinnützige Betriebs-GmbH (in der Folge: Volkshilfe GmbH) schuldig erkannt, er habe es zu verantworten, dass am die Volkshilfe GmbH als Arbeitgeber in einer näher genannten Arbeitsstätte (Seniorenheim) nicht dafür Sorge getragen habe, dass ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument vorliege, das den Mindesterfordernissen der Verordnung über die Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente (DOK-VO) entspreche. Gemäß § 130 Abs. 1 Z 5 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von EUR 3.000,-- verhängt.
In der Begründung stellte die belangte Behörde fest, dass die vom Beschwerdeführer geführte Volkshilfe GmbH Tätigkeiten in den Sparten Kinderbetreuungseinrichtungen, Pflegeheime und mobile Pflege- und Betreuungsdienste entfalte. Die Prokuristin R der Volkshilfe GmbH sei in der Landesgeschäftsstelle für den Fachbereich Seniorenzentren zuständig. Die Meldung von R zur verantwortlichen Beauftragten gemäß § 23 Abs. 1 Arbeitsinspektionsgesetz (ArbIG) (nach der Aktenlage vom ) sei erst am beim Arbeitsinspektorat Graz eingelangt. Seit dem Jahr 2002 sei durch die Arbeitsinspektorin K bei Besichtigungen von insgesamt elf von der Volkshilfe GmbH betriebenen Seniorenheimen unter anderem festgestellt worden, dass noch keine Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente im Sinne von § 5 ASchG erstellt worden seien oder die vorgelegten Unterlagen nicht den Erfordernissen der §§ 4 und 5 ASchG iVm der DOK-VO entsprochen hätten. Es seien jeweils schriftliche Aufforderungen gemäß § 9 Abs. 1 ArbIG ergangen, welche an die Zentrale derVolkshilfe GmbH adressiert worden seien. Anlässlich der Überprüfungen habe die Arbeitsinspektorin mit der jeweiligen Heimleitung detailliert sowohl die festgestellten Mängel als auch Verbesserungsvorschläge besprochen. Am habe in der Zentrale der Volkshilfe GmbH ein weiteres Informationsgespräch stattgefunden, an welchem auch der Beschwerdeführer teilgenommen habe. Bei diesem Gespräch sei nochmals ausführlich erörtert worden, wie die Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente zu gestalten seien; anonymisierte Muster anderer Pflegeheime seien übermittelt worden. Am habe die Arbeitsinspektorin K das seit dem Jahr 2004 von der Volkshilfe GmbH betriebene Pflegeheim in D besichtigt. Auf die Frage der Arbeitsinspektorin nach Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumenten im Sinne von § 5 ASchG sei vom Heimleiter lediglich eine 17-seitige "Check-Liste" mit der Bezeichnung "Arbeitsplatzevaluierung gemäß § 4 ASchG" vorgelegt worden. Diese "Check-Liste" sei in Gestalt eines Fragebogens konzipiert, mit welchem z.B. das Vorhandensein bestimmter Arbeitsmittel bzw. Arbeitsstoffe abgefragt werde, in dem der jeweilige Heimleiter die einzelnen Punkte mit Ja oder Nein ankreuze und durch allfällige schriftliche Anmerkungen ergänze. Am unteren Rand der einzelnen Blätter seien die Rubriken "Einrichtung", "Durchführender", "Datum der Evaluierung", "Unterschrift Leiter/in der Einrichtung" und "Stand" händisch ausgefüllt worden.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass ein mit Prokura ausgestatteter Mitarbeiter nicht zum Kreis der gemäß § 9 Abs. 1 VStG verantwortlichen Personen zähle. Die Bestellung der Prokuristin R zur verantwortlichen Beauftragten sei erst am beim Arbeitsinspektorat eingelangt, weshalb für den Zeitraum davor der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der Volkshilfe GmbH gemäß § 9 Abs. 1 VStG Verantwortlicher gewesen sei. Die DOK-VO sei im Beschwerdefall anwendbar, weil sie keine Einschränkung auf Betriebe und Tätigkeiten, die der Gewerbeordnung 1994 unterliegen, enthalte. Die zum Kontrollzeitpunkt im Pflegeheim verwendete "Check-Liste" entspreche nicht im Mindesten den inhaltlichen Erfordernissen des § 2 DOK-VO, insbesondere fehlten eine arbeitsplatzbezogene Ermittlung der festgestellten Gefahren sowie die dazu vorgesehenen Maßnahmen zur Gefahrenverhütung. Die "Check-Liste" bzw. Teile daraus könnten nur als stichwortartige Auflistung jener Punkte angesehen werden, die in einem erst zu erstellenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument umgesetzt werden müssten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bestreitet in seiner Beschwerde weder, dass im Tatzeitpunkt die erforderlichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente nicht vorhanden waren noch den Umstand, dass er zur Tatzeit handelsrechtlicher Geschäftsführer der Volkshilfe GmbH gewesen ist. Er sieht jedoch die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit gemäß § 9 VStG bei der Prokuristin R, weil auch die Prokura zur Vertretung nach außen berechtige. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 96/02/0274, in dem für eine Verantwortlichkeit gemäß § 9 Abs. 1 VStG auf die Organstellung abgestellt werde, sei "inhaltlich überprüfenswert".
§ 9 Abs. 1 und 2 VStG lauten:
"§ 9. (1) Für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften ist, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs. 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.
(2) Die zur Vertretung nach außen Berufenen sind berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden."
Dem vom Beschwerdeführer zitierten Erkenntnis vom zufolge gehört ein Prokurist nicht zu den zur Vertretung nach außen berufenen Personen im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG. Diese Rechtsansicht vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 2005/02/0191, und vom , Zl. 2002/05/0209). Im zuletzt zitierten Erkenntnis vom hat sich der Verwaltungsgerichtshof auch mit dem vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Argument der einem Prokuristen gemäß den §§ 48 ff HGB (nunmehr UGB) zustehenden Vertretungsrechte mit dem oben genannten Ergebnis auseinander gesetzt. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Begründung dieses Erkenntnisses verwiesen. Vor diesem Hintergrund sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlasst, von der angeführten Rechtsprechung abzugehen. Eine den Beschwerdeführer allenfalls entlastende wirksame Bestellung der Prokuristin R als verantwortliche Beauftragte gemäß § 9 Abs. 2 VStG im Tatzeitpunkt wird in der Beschwerde nicht behauptet.
Die weiteren Beschwerdeargumente gehen dahin, dass sich die DOK-VO nach ihrem Wortlaut nur an Betriebe und Tätigkeiten, die der Gewerbeordnung 1994 unterliegen, richte und § 5 ASchG alleine lediglich eine sanktionslose Verpflichtung für Arbeitgeber normiere. Die in Rede stehenden Pflegeheime unterlägen nicht der Gewerbeordnung.
Gemäß § 5 ASchG sind Arbeitgeber verpflichtet, in einer der Anzahl der Beschäftigten und den Gefahren entsprechenden Weise die Ergebnisse der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren sowie die durchzuführenden Maßnahmen zur Gefahrenverhütung schriftlich festzuhalten (Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente). Soweit dies aus Gründen der Gefahrenverhütung erforderlich ist, ist diese Dokumentation arbeitsplatzbezogen vorzunehmen.
§ 18 Z 1 AschG lautet:
"Der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat in Durchführung des 1. Abschnittes durch Verordnung näher zu regeln:
1. die Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente, wobei die Art der Tätigkeiten und die Größe des Unternehmens bzw. der Arbeitsstätte, Baustelle oder auswärtigen Arbeitsstelle zu berücksichtigen sind."
§ 132 ASchG in der im Zeitpunkt des Inkrafttretens der DOK-VO am geltenden Fassung lautet auszugsweise:
"§ 132. (1) Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat in Durchführung dieses Bundesgesetzes durch Verordnung besondere Regelungen für Tätigkeiten zu erlassen, auf die das Berggesetz 1975 anzuwenden ist, soweit Abweichungen von den nach diesem Bundesgesetz erlassenen Verordnungen des Bundesministers für Arbeit und Soziales oder spezifische Regelungen erforderlich sind.
(2) Der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr hat in Durchführung dieses Bundesgesetzes durch Verordnung besondere Regelungen für Betriebe und Tätigkeiten zu erlassen, die dem Bundesgesetz über die Verkehrs-Arbeitsinspektion unterliegen, soweit Abweichungen von den nach diesem Bundesgesetz erlassenen Verordnungen des Bundesministers für Arbeit und Soziales oder spezifische Regelungen erforderlich sind.
(3) Im übrigen ist mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes betraut:
1. soweit es sich um Tätigkeiten handelt, auf die das Berggesetz 1975 anzuwenden ist, ausgenommen Tätigkeiten gemäß § 200a des Berggesetzes 1975, der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten,
2. soweit es sich um Betriebe oder Tätigkeiten handelt, die dem Bundesgesetz über die Verkehrs-Arbeitsinspektion unterliegen, der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr,
3. zur Vollziehung des § 124 Abs. 1 Z 3, Abs. 2 Z 2 sowie des § 124 Abs. 4 und 6, soweit gewerberechtliche Vorschriften geregelt werden, der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten,
4. zur Vollziehung des § 123 Abs. 4 der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie,
5. zur Vollziehung des § 63 Abs. 3, soweit er sich auf Bescheinigung über die Verläßlichkeit bezieht, und des § 63 Abs. 5 der Bundesminister für Inneres,
6. soweit es sich um Betriebe oder Tätigkeiten handelt, die der Gewerbeordnung 1994 unterliegen, hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales Verordnungen nach den §§ 18, 32 Abs. 1, 39 Abs. 1 und 2, 48, 59 und 72 Abs. 1 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten zu erlassen,
7. im übrigen der Bundesminister für Arbeit und Soziales."
Der DOK-VO ist folgende Präambel/Promulgationsklausel vorangestellt:
"Auf Grund der §§ 5 und 18 Z 1 des Bundesgesetzes über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG), BGBl. Nr. 450/1994, wird vom Bundesminister für Arbeit und Soziales sowie auf Grund des § 132 Abs. 3 Z 6 in Verbindung mit § 18 Z 1 ASchG wird für Betriebe und Tätigkeiten, die der Gewerbeordnung 1994, BGBl. Nr. 194, unterliegen, vom Bundesminister für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten verordnet:"
Anders als der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde behauptet, lässt sich weder aus der Verordnungsermächtigung des § 18 ASchG noch aus der Vollzugsklausel des § 132 Abs. 3 Z. 6 ASchG in der im Zeitpunkt des Inkrafttretens der DOK-VO geltenden Fassung das vom Beschwerdeführer gewünschte Ergebnis, die DOK-VO richte sich nur an Betriebe und Tätigkeiten, die der Gewerbeordnung 1994 unterliegen, ableiten. § 132 Abs. 3 Z. 6 ASchG enthält lediglich eine Einvernehmensregelung hinsichtlich gewerblicher Betriebe und Tätigkeiten, ohne dass dadurch irgendwelche Einschränkungen auf solche bei der Anwendung des ASchG zu sehen sind, zumal § 132 Abs. 3 Z 7 ASchG ("im übrigen") alle nicht zuvor genannten Betriebe und Tätigkeiten, somit auch die im Beschwerdefall in Rede stehenden, umfasst.
Nimmt der Beschwerdeführer zur Unterstützung seiner Rechtsansicht auf die Präambel der DOK-VO Bezug, ist er darauf hinzuweisen, dass der Promulgationsklausel einer Verordnung keine eigenständige normative Bedeutung zukommt (vgl. VfSlg. 16.904). Im Übrigen ist dem Wortlaut der Präambel keinerlei Einschränkung der Anwendbarkeit der DOK-VO auf Betriebe und Tätigkeiten, die der Gewerbeordnung 1994 unterliegen, zu entnehmen, sondern es wird in dieser unter anderem auf die Einvernehmensregelung des § 132 Abs. 3 Z 6 ASchG hinsichtlich gewerblicher Betriebe und Tätigkeiten hingewiesen.
Schließlich sind auch die in der Beschwerde geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz nicht zu sehen, zumal sich der Verweis in Art. 10 Z 11 B-VG ("Arbeitsrecht, soweit es nicht unter Art. 12 fällt") nicht auf arbeitsrechtliche Regelungen im Zusammenhang mit "Heil- und Pflegeanstalten" (Art. 12 Z 1 B-VG) bezieht, sondern auf "Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt" (Art. 12 Z 1 B-VG; vgl. VfSlg. 15.099). Der persönliche und technische Arbeitsschutz fällt ohne Einschränkung unter den Kompetenztatbestand des Art. 10 Z 11 B-VG (vgl. VfSlg. 1.936) und ist demnach in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache.
Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am