VwGH vom 25.06.2008, 2006/15/0085
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des W G in B, vertreten durch die Österreichische Revisions-und Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in 1010 Wien, Seilerstätte 22, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/1699-W/05, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1996 und 1998, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Einkommensteuer 1998 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde zum einen die am beim Finanzamt eingelangte (mit "" datierte) Berufung des Beschwerdeführers gegen den Einkommensteuerbescheid 1996 vom als verspätet und unzulässig zurückgewiesen. Zum anderen wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den gemäß § 295a BAO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1998 als unbegründet abgewiesen.
Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidungen folgendermaßen:
1) Einkommensteuer 1996:
Der Beschwerdeführer, ein Wirtschaftstreuhänder, sei mit Vorhalt der belangten Behörde vom davon in Kenntnis gesetzt worden, dass seine am beim Finanzamt (durch Einwurf in den Postkasten) eingebrachte Berufung gegen den gemäß § 295 BAO geänderten Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes vom (zugestellt am ) verspätet sei. Der (offenbar strittige) vom Finanzamt festgestellte Veräußerungsgewinn (aus dem Fehlen einer Auffüllungsverpflichtung des negativen Kapitalkontos bei Beendigung einer atypischen stillen Beteiligung) sei zudem auch in die mittlerweile ergangene Berufungsentscheidung vom betreffend u.a. Einkommensteuer 1996 "integriert" worden. Da die Berufung erst nach der am erfolgten Zustellung dieser Berufungsentscheidung beim Finanzamt eingereicht worden sei, sei sie zudem auch als gemäß § 291 BAO unzulässig zu werten.
2) Einkommensteuer 1998:
Das Finanzamt habe mit dem gemäß § 295a BAO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1998 Verlustabzüge "eliminiert", die auf dem ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1996 basiert hätten, weil durch den am erlassenen (gemäß § 295 Abs. 1 BAO abgeänderten) Einkommensteuerbescheid bzw. durch die (oben erwähnte) Berufungsentscheidung für das Jahr 1996 die Voraussetzungen hiefür weggefallen seien.
Der Beschwerdeführer habe dagegen vorgebracht, dass der Bescheid betreffend die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für das Jahr 1996 nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Weiters habe er den Eintritt der Festsetzungsverjährung eingewendet. Zum Verjährungseinwand sei dem Beschwerdeführer im Vorhalt der belangten Behörde vom zur Kenntnis gebracht worden, aus welchen Gründen vom Vorliegen einer vorsätzlichen Abgabenverkürzung und damit der Anwendbarkeit der verlängerten siebenjährigen Verjährungsfrist auszugehen sei.
Der Beschwerdeführer habe es unterlassen, zum Vorhalt der belangten Behörde Stellung zu nehmen.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass beide Einwendungen des Beschwerdeführers unzutreffend seien. Weder liege der hinsichtlich des Bescheides betreffend die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für das Jahr 1996 behauptete Zustellungsmangel vor, noch komme dem Verjährungseinwand Berechtigung zu. "Nicht nur, dass durch die Abänderung des Einkommensteuerbescheides 1998 gemäß § 295a BAO der Verjährungsbeginn gemäß § 208 Abs. 1 lit. e BAO erst mit Ablauf des Jahres, in dem das Ereignis (bescheidmäßig erfasster Wegfall der Verlustabzugsberechtigung infolge Nacherfassung des Veräußerungsgewinnes durch den gemäß § 295 Abs. 1 BAO abgeänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1996) eingetreten ist, somit erst mit Ablauf des Jahres 2004, wirksam wurde, lag nach ho. unwidersprochener Auffassung vorsätzliche Abgabenverkürzung vor, womit die Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 2, 2. Satz BAO nicht fünf, sondern sieben Jahre beträgt, daher auch unter diesem Aspekt durch die Bescheiderlassung im Jahre 2005 Verjährung ebenfalls nicht eintrat".
Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1) Einkommensteuer 1996:
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 1996 sei fristgerecht erstellt und zur Post gegeben worden, jedoch beim Finanzamt nicht eingelangt. Ein diesbezüglich eingebrachter Wiedereinsetzungsantrag vom sei bisher unerledigt geblieben. (Lediglich) Eine Kopie der (vermeintlich rechtzeitig eingebrachten) Berufung sei als Beilage zur Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 1998 im August 2005 an das Finanzamt gelangt. Die belangte Behörde habe sich ausschließlich mit dem verspäteten Einlangen der Kopie dieser Berufung auseinander gesetzt, ohne die eigentlichen Berufungsgründe, insbesondere den Einwand der Verjährung zu behandeln. Auch der mittlerweile eingebrachte Wiedereinsetzungsantrag sei unerwähnt geblieben.
Diesem Vorbringen ist zunächst entgegen zu halten, dass der Beschwerdeführer den Vorhalt der belangten Behörde, es liege ihr eine am , somit verspätet eingebrachte Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 1996 vor, unbeantwortet ließ. Dass sich eine erst am eingebrachte Berufung gegen den am ergangenen Einkommensteuerbescheid 1996 als verspätet erweist, räumt der Beschwerdeführer mit seinem Hinweis auf eine früher zur Post gegebene, jedoch beim Finanzamt nicht eingelangte Berufung selbst ein.
Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich weiters, dass der Beschwerdeführer gegen den nachträglich gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Einkommensteuerbescheid 1996 eine Berufung vom eingebracht hatte, über die bei Erlassung des geänderten Bescheides am noch nicht entschieden war. Gemäß § 274 BAO in der Fassung BGBl. I Nr. 97/2002 galt die Berufung vom damit auch gegen den gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Bescheid gerichtet. Einer neuerlichen Berufung bedurfte es damit von vornherein nicht. Bringt die Partei dessen ungeachtet gegen den nachträglich geänderten Bescheid eine Berufung ein, so liegt insofern lediglich ein ergänzender Schriftsatz zur ursprünglichen (gemäß § 274 BAO als auch gegen den neuen Bescheid gerichtet geltenden) Berufung vor (vgl. die hg. Beschlüsse vom , 92/14/0121, und vom , 95/13/0264, VwSlg.Nr. 7.085 F/1996).
Daraus folgt für den Beschwerdefall, dass allenfalls vom Beschwerdeführer erstattetes zusätzliches Vorbringen in der am ergangenen Berufungsentscheidung zu behandeln gewesen wäre. Ist dies unterblieben, weil die belangte Behörde etwa in Unkenntnis eines weiteren Berufungsvorbringens war, hätte dies unter der Voraussetzung der Erweislichkeit der Erstattung eines ergänzenden Vorbringens mit Aussicht auf Erfolg nur in einem außerordentlichen Rechtsmittel gegen die das Einkommensteuerverfahren 1996 abschließende Berufungsentscheidung vom geltend gemacht werden können.
Wenn die belangte Behörde bei dieser Sach- und Rechtslage die vom Beschwerdeführer im August 2005 vorgelegte Kopie eines allenfalls bereits früher eingebrachten Schriftsatzes als neuerliche Berufung gewertet und als unzulässig zurückgewiesen hat, ist dies somit nicht als rechtswidrig zu erkennen.
2) Einkommensteuer 1998:
Auch diesbezüglich verweist der Beschwerdeführer auf seinen unerledigten Wiedereinsetzungsantrag vom , um daraus zu folgern, dass die Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 1996 noch keineswegs als endgültig betrachtet werden könne und damit das Fehlen eines Verlustvortrages für das Jahr 1998 noch nicht feststehe. Auch der Vorwurf einer vorsätzlichen Abgabenhinterziehung sei ungerechtfertigt. Es sei daher bereits Verjährung eingetreten, sodass der gemäß § 295a BAO ergangene Einkommensteuerbescheid vom nicht hätte ergehen dürfen.
Die durch das Abgabenänderungsgesetz 2003, BGBl. I Nr. 124/2003, in die BAO eingefügte Bestimmung des § 295a BAO lautet:
"Ein Bescheid kann auf Antrag der Partei (§ 78) oder von Amts wegen insoweit abgeändert werden, als ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches hat."
Gemäß § 208 Abs. 1 lit. e BAO beginnt die Verjährung in den Fällen des § 295a BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem das Ereignis eingetreten ist.
Das Finanzamt hat die Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom betreffend Einkommensteuer 1996 als rückwirkendes Ereignis im Sinn des § 295a BAO qualifiziert, weil darin ein positives Ergebnis ausgewiesen werde und damit der im Einkommensteuerbescheid 1998 vom berücksichtigte Verlustabzug von Amts wegen zu versagen sei.
Ereignisse im Sinne des § 295a BAO sind sachverhaltsändernde tatsächliche oder rechtliche Vorgänge, von denen sich - aus den die steuerlich relevanten Tatbestände regelnden Abgabenvorschriften - eine abgabenrechtliche Wirkung für bereits entstandene Abgabenansprüche ergibt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/15/0219); gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Entscheidungen sind in der Regel keine Ereignisse im vorgenannten Sinn, es sei denn, dass eine Entscheidung Tatbestandselement ist, die die Abänderung oder Aufhebung einer solchen Entscheidung zum Gegenstand hat oder gegebenenfalls ein (anderes) Tatbestandselement ändert (vgl. Ellinger u.a., BAO Kommentar, Anmerkung 13 zu § 295a).
§ 295a BAO erfasst somit abgabenrelevante Sachverhalte, die nach Entstehung der Steuerschuld eintreten, jedoch Bestand und Umfang der Abgabenschuld an der Wurzel ihrer Entstehung berühren. Der abgabenrelevante Sachverhalt muss sich in die Vergangenheit in der Weise auswirken, dass anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhaltes nunmehr ein veränderter Sachverhalt der Besteuerung zu Grunde zu legen ist (vgl. Beiser in Tanzer, Die BAO im
21. Jahrhundert, 151, mit einem Hinweis auf die Rechtsprechung des BFH zur vergleichbaren Bestimmung des § 175 Abs. 1 Z. 2 AO). Dabei müssen materielle Abgabenvorschriften normieren, dass einem Ereignis rückwirkend Bedeutung zukommt (vgl. nochmals das zitierte Erkenntnis 2006/15/0219).
Der für die Einkommensteuerfestsetzung des Jahres 1998 u. a. maßgebliche Umstand, ob der Beschwerdeführer im Jahr 1996 insgesamt einen (abziehbaren) Verlust erzielt hatte, hat durch die Berufungsentscheidung vom keine Änderung erfahren. Vielmehr wurden in diesem Bescheid der Einkommensteuerfestsetzung 1996 lediglich (offenbar) erstmalig Einkünfte in jener Höhe zu Grunde gelegt, wie sie der Beschwerdeführer - der behördlichen Sachverhaltsannahme nach - tatsächlich in diesem Jahr erzielt hatte.
Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Höhe des Verlustes nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit rechtskraftfähiger Wirkung im Einkommensteuerbescheid des Verlustjahres festgesetzt wird und der diesbezügliche Ausspruch auf ein späteres Verlustabzugsverfahren derart einwirkt, dass der Verlustausspruch für den nachfolgenden Verlustvortrag betragsmäßig verbindlich wird (vgl. mit weiteren Hinweisen in jüngster Zeit das hg. Erkenntnis vom , 2006/15/0026), bietet die Bundesabgabenordnung ein geeignetes Instrumentarium in der Bestimmung des § 295 Abs. 3. Danach sind Abgabenbescheide ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, zu ändern, wenn der Spruch dieser Bescheide anders hätte lauten müssen, wäre bei seiner Erlassung ein anderer Bescheid bereits abgeändert, aufgehoben oder erlassen gewesen (vgl. dazu auch Reiter, § 295a BAO, 120ff, wonach die §§ 295 und 295a BAO zueinander in keinem Konkurrenzverhältnis stehen, weil Grundlagenbescheide und grundlagenähnliche Bescheide den der Abgabenfestsetzung zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht ändern).
Die belangte Behörde hat daher, indem sie die Erlassung der Berufungsentscheidung vom als rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO qualifiziert hat, die Rechtslage verkannt.
Der angefochtene Bescheid ist daher in seinem Abspruch betreffend Einkommensteuer 1998 mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde hingegen - wie unter Punkt 1 ausgeführt - als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am