VwGH vom 18.12.2013, 2010/13/0100
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie den Senatspräsidenten Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde der Stadt W, vertreten durch die schwartz und hubermedek rechtsanwälte og in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , GZ. RV/2883-W/07, betreffend Ersatz von ausbezahlter Familienbeihilfe für die Jahre 1999 bis 2005, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung, somit in seinem Abspruch über den Ersatz der Familienbeihilfe für die Jahre 2000 bis 2005, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Stadt Wien Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Bei der beschwerdeführenden Partei handelt es sich um eine Gebietskörperschaft (Stadtgemeinde). Im Gefolge einer abgabenbehördlichen Prüfung ergingen vom Finanzamt Wien 1/23 acht jeweils mit datierte Bescheide "über den Ersatz von ausbezahlter Familienbeihilfe" für die Zeiträume " - ", " - ", " - ", " - ", " - ", " - ", " - " und " - ".
In der jeweils gleichlautend abgefassten Begründung führte das Finanzamt aus, im Zuge einer "gemeinsamen Prüfung der lohnabhängigen Abgaben" sei festgestellt worden, dass an Bedienstete, die nicht in von der Beschwerdeführerin verwalteten Betrieben, Anstalten, Stiftungen oder Fonds beschäftigt seien und von deren Bezügen somit auch kein Dienstgeberbeitrag berechnet und an das Finanzamt der Betriebsstätte abgeführt worden sei, die Familienbeihilfe nicht von der Beschwerdeführerin, sondern von den Wohnsitzfinanzämtern ausbezahlt worden sei, obwohl die Beschwerdeführerin die Familienbeihilfe gemäß § 46 Abs. 2 FLAG 1967 aus eigenen Mitteln zu tragen gehabt hätte. Aus diesem Grund sei im Zuge der Prüfung die bescheidmäßige Nachforderung der entsprechenden Familienbeihilfen vorzunehmen gewesen. Dabei seien die Beträge durch "Abgleich umfangreicher Datenbestände der (Beschwerdeführerin) und der vom Bundesrechenzentrum zur Verfügung gestellten Daten über Auszahlungen durch die Finanzämter im Einvernehmen und Zusammenwirken mit dem Abgabepflichtigen ermittelt" worden. Dem Vorbringen, wonach die Jahre 1998 bis einschließlich 2000 verjährt seien, könne nicht gefolgt werden, zumal die Prüfung im Jahr 2001 begonnen habe und damit die Verjährungsfrist verlängert worden sei. Zur Finanzamtszuständigkeit werde auf "§ 43 FLAG" verwiesen. Diese Bestimmung besage, dass sich die sachliche Zuständigkeit zur Überprüfung der Abfuhr des Dienstgeberbeitrages "und somit auch das Vorliegen, ob ein solcher zu berechnen und abzuführen ist oder nicht, weil wie im gegenständlichen Fall die Familienbeihilfe von der Gebietskörperschaft gem. § 46 Abs. 2 EStG 1988 (gemeint wohl: FLAG 1967) zu tragen ist", nach dem für die Abfuhr der Lohnsteuer zuständigen Finanzamt richte. Die örtliche Zuständigkeit ergebe sich entsprechend der Bestimmung des § 57 Abs. 3 BAO mit dem Finanzamt Wien 1/23.
Mit der Begründung, dass seitens der Beschwerdeführerin "nach der Berichtigung von offensichtlichen Unrichtigkeiten neue Beträge ermittelt" und dem Finanzamt übermittelt worden seien, erließ das Finanzamt Wien 1/23 für die oben genannten Zeiträume jeweils mit datierte gemäß § 293 BAO berichtigte Bescheide.
Die Beschwerdeführerin erhob mit Schriftsatz vom Berufung. Darin kritisierte die Beschwerdeführerin, dass aus den erstinstanzlichen Bescheiden nicht zu entnehmen sei, auf welche Rechtsgrundlage der bescheidmäßig festgesetzte "Ersatz von ausbezahlter Familienbeihilfe" gestützt werde. Es werde auch mit keinem Wort erwähnt, für welche Dienstnehmer die Beschwerdeführerin gemäß § 46 Abs. 2 FLAG 1967 die Familienbeihilfe aus eigenen Mitteln zu tragen gehabt hätte.
Nicht gefolgt werden könne dem Finanzamt in den Ausführungen zur Finanzamtszuständigkeit nach § 43 FLAG 1967, weil diese Bestimmung ausschließlich die Entrichtung des Dienstgeberbeitrags nach den §§ 41 ff FLAG 1967 zum Gegenstand habe. Wenn der Selbstträger gemäß § 46 FLAG 1967 nicht zur Leistung des Dienstgeberbeitrags verpflichtet sei, sei es nicht verständlich, weshalb die für den Dienstgeberbeitrag geregelte Zuständigkeitsnorm heranzuziehen sei. Gemäß "Art II § 4 Abs 2 FLAG" entscheide das Wohnsitzfinanzamt über die Auszahlungsverpflichtung eines Selbstträgers. Das zuständige Wohnsitzfinanzamt anerkenne also entweder das Vorliegen eines Anspruchs auf Gewährung von Familienbeihilfe und zahle die Familienbeihilfe aus oder händige dem Antragsteller im Fall der Selbstträgerschaft gemäß § 46 FLAG 1967 - wie in "Art II § 4 Abs 1 FLAG" vorgesehen - eine "Bescheinigung zur Vorlage an den bezugs(pensions)auszahlenden Selbstträger" aus. Ein der Beschwerdeführerin zuzurechnender Bediensteter habe diese Bescheinigung sodann der zuständigen Magistratsabteilung vorzulegen, worauf die Familienbeihilfe gemäß "Art II § 4 Abs 1 FLAG" gemeinsam mit den Bezügen ausbezahlt werde. Ohne Vorlage einer solchen Bescheinigung dürfe von der Magistratsabteilung die Familienbeihilfe nicht ausbezahlt werden. Allein die Wohnsitzfinanzämter seien damit berufen, über die Gewährung der Familienbeihilfe bzw. über die Auszahlungsverpflichtung eines Selbstträgers gemäß § 46 FLAG 1967 zu entscheiden. Der Ersatz gegenüber dem Selbstträger sei nicht anders zu sehen als eine Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe. Schon aus diesem Grund wären allein die jeweiligen Wohnsitzfinanzämter zur Erlassung von Bescheiden über den Ersatz von - vermeintlich zu Unrecht - ausbezahlter Familienbeihilfe zuständig gewesen. Eine (sachliche oder örtliche) Zuständigkeit des Finanzamtes Wien 1/23 ("Betriebsfinanzamt") liege - abgesehen von jenen Bediensteten, für die das Finanzamt Wien 1/23 auch gleichzeitig das Wohnsitzfinanzamt sei - jedenfalls nicht vor.
Weiters seien nach Ansicht der Beschwerdeführerin zur Verjährung nicht die Bestimmungen der BAO heranzuziehen. "Art II § 4 Abs 4 FLAG", wonach das Recht auf Ersatz in fünf Jahren verjähre, gerechnet vom Ende des Kalenderjahres, in dem die Familienbeihilfe ausbezahlt worden sei, sei als lex specialis anzusehen. Damit habe der Gesetzgeber, wie sich den Gesetzesmaterialien entnehmen lasse, für den Selbstträger ein eigenes Auszahlungsverfahren schaffen wollen, bei dem das Wohnsitzfinanzamt über die Auszahlungsverpflichtung entscheide. Stelle sich nachträglich heraus, dass die Familienbeihilfe zu Unrecht von einer gesetzlich nicht auszahlungsverpflichteten Stelle geleistet worden sei, so könne diese "entreicherte" Stelle von der tatsächlich auszahlungsverpflichteten Stelle Ersatz fordern. Dem § 209 BAO vergleichbare Bestimmungen über die Unterbrechung der Verjährung habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Damit seien die Bescheide vom über die Zeiträume vom bis auf Grund eingetretener Verjährung jedenfalls rechtswidrig. Selbst wenn der Rückersatzanspruch auf § 207 Abs. 4 BAO gestützt werden könnte, wären die Ansprüche für diese Jahre verjährt, weil durch die Außenprüfung keine zur Unterbrechung bzw. Verlängerung der Verjährungsfrist taugliche Amtshandlung gesetzt worden sei. Auch habe weder der Prüfungs- und Nachschauauftrag aus dem Jahr 2001 noch dessen Erweiterung aus dem Jahr 2004 die Familienbeihilfe umfasst.
Nach herrschender Meinung seien "Ersatzansprüche aus dem Titel ausgezahlter Beihilfen … wie Selbstbemessungsabgaben (allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen) zu verstehen". Eine Festsetzung von Selbstbemessungsabgaben sei gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO nur in sinngemäßer Anwendung des § 303 Abs. 4 BAO zulässig, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen erfüllt seien. Im Beschwerdefall sei zu berücksichtigen, dass den Wohnsitzfinanzämtern alle zur Entscheidung maßgeblichen Umstände hinsichtlich der Gewährung von Familienbeihilfe "bekannt sein mussten und auch tatsächlich bekannt waren". Die Wohnsitzfinanzämter hätten allein ohne Mitwirkung des Selbstträgers über die Auszahlungsverpflichtung zu entscheiden (vgl. "Art II § 4 Abs. 2 FLAG"). Aus den erstinstanzlichen Bescheiden seien auch keine Wiederaufnahmegründe ersichtlich. Unzulässig sei weiters eine Schätzung der Familienbeihilfe, wie sie offenbar vom Finanzamt mit dem in den Bescheiden "vorgeschriebenen Ersatz von ausbezahlter Familienbeihilfe" vorgenommen worden sei. Während der Beschwerdeführerin die entsprechenden Daten gar nicht zur Verfügung stünden, müssten diese jederzeit bei den zuständigen Wohnsitzfinanzämtern im Weg der Amtshilfe ermittelt werden können. Auch die von der Erstbehörde übergebenen Datensätze auf einem Datenträger seien auf ihre Richtigkeit hin von der Beschwerdeführerin nicht überprüfbar. Beispielsweise sei für die Beschwerdeführerin nicht überprüfbar "für welche und für wie viele Kinder der Anspruchsberechtigten vom Wohnsitzfinanzamt Familienbeihilfe ausbezahlt wurde".
Mit Berufungsvorentscheidung vom gab das Finanzamt Wien 1/23 der Berufung insoweit teilweise statt, als hinsichtlich des Jahres 1998 Verjährung angenommen wurde und betreffend 1999 nur für jene Personen eine "Familienbeihilfennachforderung" vorzunehmen sei, für die auch im Jahr 2000 Familienbeihilfe zu Unrecht von den Wohnsitzfinanzämtern ausbezahlt worden sei. Der in der Berufung angeführte vermeintliche Mangel des Fehlens einer schriftlichen Aufstellung der einzelnen Nachforderungsbeträge werde dadurch saniert, dass der Berufungsvorentscheidung sämtliche Nachforderungsbeträge aufgegliedert nach Jahren und Dienstnehmern angeschlossen seien.
Gegen diese Berufungsvorentscheidung, "soweit darin unserer Berufung nicht Folge gegeben wird", brachte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom einen Vorlageantrag ein.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gegen den Bescheid betreffend Ersatz von ausbezahlter Familienbeihilfe für das Jahr 1999 Folge (der diesbezügliche Bescheid wurde ersatzlos aufgehoben), die Berufung für die Jahre 2000 bis 2005 wies sie hingegen als unbegründet ab.
Die belangte Behörde gehe bei ihrer Entscheidung sachverhaltsmäßig davon aus, dass die der Beilage zur Berufungsvorentscheidung für die Jahre 2000 bis 2005 unter Angabe von Sozialversicherungsnummer sowie Vor- und Zunamen jeweils angeführten Personen in den betreffenden Jahren Empfänger von Dienstbezügen sowie von Ruhe- und Versorgungsgenüssen der Beschwerdeführerin (und nicht den von ihr verwalteten Betrieben, Unternehmungen, Anstalten, Stiftungen und Fonds zuzurechnen) gewesen seien. Die Nachforderungsbeträge seien ebenfalls den der Berufungsvorentscheidung beigefügten Listen zu entnehmen.
"Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" sehe einen wechselseitigen Anspruch auf Ersatz für Familienbeihilfen vor, die vom Wohnsitzfinanzamt oder einem Selbstträger ohne Auszahlungsverpflichtung geleistet worden seien. Die "rechtliche Natur dieses Anspruches, wie er geltend zu machen ist und welche Behörde dafür zuständig ist, können der Bestimmung des Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967 selbst nicht unmittelbar entnommen werden". Diese Fragen seien daher durch Auslegung zu klären.
Zur "rechtlichen Natur der Ersatzansprüche für ohne Auszahlungsverpflichtung geleistete Familienbeihilfen" sei zu sagen, dass es sich bei diesen Ersatzansprüchen nicht um eine Rückforderung von Beihilfen handle. Diese Ersatzansprüche fänden daher im Wortlaut des § 2 Abs. 1 lit. a BAO keine Deckung. Nach § 3 Abs. 1 BAO seien Abgaben im Sinne der BAO allerdings auch die in Angelegenheiten, auf die dieses Bundesgesetz anzuwenden ist, anfallenden sonstigen Ansprüche auf Geldleistungen einschließlich der Nebenansprüche aller Art. Da gemäß § 2 Abs. 1 lit. a BAO die Bestimmungen der BAO auf Angelegenheiten der Familienbeihilfe sinngemäß anzuwenden seien, seien die Ansprüche auf Ersatz von ohne Auszahlungsverpflichtung geleisteten Familienbeihilfen als sonstige Ansprüche auf Geldleistungen Abgaben im Sinne der BAO.
Während in "Art. II § 4 Abs. 2 FLAG 1967" die Zuständigkeit des Wohnsitzfinanzamtes für die Entscheidung über das Vorliegen einer Auszahlungsverpflichtung der Selbstträger oder des Wohnsitzfinanzamtes bestimmt werde, sei darin nicht geregelt, "bei welcher Behörde die Ersatzansprüche für ohne Auszahlungsverpflichtung geleistete Familienbeihilfen geltend gemacht werden können bzw. welche Behörde den Ersatzanspruch gegenüber den Selbstträgern festsetzt". Bei einer Gesamtbetrachtung der Bestimmungen des FLAG in ihrem systematischen Zusammenhang könne nicht außer Acht gelassen werden, dass bei Ergehen der berufungsgegenständlichen Bescheide neben der Bestimmung des "Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" auch noch die Bestimmung des § 22 FLAG 1967 in Geltung gestanden sei, die für "vergleichbare Ersatzansprüche" der Dienstgeber eine Zuständigkeit des für die Abfuhr der Lohnsteuer zuständigen Finanzamtes vorgesehen habe (§ 22 Abs. 3 iVm § 43 Abs. 1 FLAG 1967). Der Ansicht der Beschwerdeführerin, dass sich für die strittigen Ersatzansprüche zwingend die ausschließliche Zuständigkeit des Wohnsitzfinanzamtes ergebe, könne daher nicht gefolgt werden. Da hinsichtlich der Zuständigkeit für Ersatzansprüche für ohne Auszahlungsverpflichtung geleistete Familienbeihilfen nach "Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" keine eigenständige Regelung getroffen worden sei, seien sinngemäß die Bestimmungen der BAO anzuwenden. Gemäß § 52 BAO iVm § 3 Abs. 1 AVOG obliege die Erhebung von Abgaben, soweit die Erhebung der Abgaben nicht anderen Behörden durch Abgabenvorschriften übertragen sei, den in der Anlage zum AVOG angeführten Finanzämtern mit allgemeinem Aufgabenkreis bzw. für Körperschaften gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AVOG den Finanzämtern mit erweitertem Aufgabenbereich. Da auch hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bezüglich der Ersatzansprüche für ohne Auszahlungsverpflichtung geleistete Familienbeihilfen nach "Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" im FLAG 1967 und in der BAO "nichts anderes bestimmt ist, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach § 70 Z 3 BAO, wonach in sonstigen Sachen sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Sitz des Abgabepflichtigen richtet". Da der Sitz der Beschwerdeführerin im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes Wien 1/23 gelegen sei, sei dieses sachlich und örtlich für die Festsetzung der Ersatzansprüche nach "Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" zuständig gewesen.
Da kein besonderes Verfahren zur Geltendmachung der Ersatzansprüche in "Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" vorgesehen sei, es sich bei den Ersatzansprüchen - wie dargelegt - jedoch um Abgaben handle, sei weiters zu prüfen, ob die Geltendmachung durch Selbstberechnung nach einem der Tatbestände des § 201 Abs. 1 BAO erfolgen könne. Nach § 201 Abs. 1 BAO sei die Selbstberechnung von Abgaben durch den Abgabepflichtigen vorgesehen, soweit dies die Abgabenvorschriften anordneten oder gestatteten. Im Hinblick auf den Begriff "gestatten" (der Selbstberechnung) sowie aus der aus "Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" deutlich hervorkommenden Absicht des Gesetzgebers, die Geltendmachung des Ersatzanspruches zu ermöglichen, sei davon auszugehen, dass eine Selbstberechnung vom Gesetzgeber gewollt sei und daher die Ersatzansprüche gemäß § 201 Abs. 1 BAO durch Selbstberechnung geltend gemacht werden könnten. Aus der Zulässigkeit der Selbstberechnung nach § 201 Abs. 1 BAO ergebe sich aber auch, dass eine Festsetzung der Ersatzansprüche durch das zuständige Finanzamt gemäß § 201 Abs. 2 und 3 BAO zu erfolgen habe. Eine Festsetzung durch das Finanzamt könne gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO erfolgen, wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 Abs. 4 BAO die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme von Amts wegen erfüllt seien. Die Festsetzung liege im Ermessen der Abgabenbehörde. Im Beschwerdefall habe das Finanzamt Wien 1/23 erst im Zuge der Prüfung von lohnabhängigen Abgaben, insbesondere auch des Dienstgeberbeitrages, Kenntnis davon erlangt, dass Bediensteten der Beschwerdeführerin entgegen der grundsätzlich gemäß § 46 Abs. 2 BAO bestehenden Auszahlungsverpflichtung die Familienbeihilfen nicht von ihr, sondern von den jeweiligen Wohnsitzfinanzämtern ausbezahlt worden seien. Da diese "berufungsgegenständlich Bediensteten" von der Beschwerdeführerin in dem dem Finanzamt übergebenen Datenmaterial selbst ausdrücklich dem "Selbstträgerbereich" und nicht den von der Beschwerdeführerin verwalteten Betrieben, Unternehmungen, Anstalten, Stiftungen und Fonds zugerechnet worden seien und überdies für diese Dienstnehmer unbestrittenermaßen keine Dienstgeberbeiträge entrichtet worden seien, handle es sich auch nicht um solche Fälle, "wo das Wohnsitzfinanzamt gemäß Art. II § 4 Abs. 2 FLAG 1967 einen Bescheid über die Auszahlungsverpflichtung zu erlassen hätte, da die Zuordnung der Dienstnehmer zum Selbstträgerbereich eindeutig feststeht". Im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin für die betreffenden Dienstnehmer weder die Familienbeihilfen noch die Dienstgeberbeiträge geleistet habe, erscheine die Festsetzung der Ersatzansprüche gemäß "Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" nicht unbillig, "auch wenn man berücksichtigt, dass gegebenenfalls im Einzelfall durch die jeweiligen Wohnsitzfinanzämter durch eine genauere Prüfung der dienstrechtlichen Stellung der Antragsteller deren Zugehörigkeit zum 'Selbstträgerbereich' der (Beschwerdeführerin) schon früher auffallen hätte können". Die Festsetzung liege auch unter dem Aspekt der Zweckmäßigkeit im öffentlichen Interesse, weil der Familienlastenausgleichsfonds infolge des Ausmaßes der berufungsgegenständlichen Ersatzansprüche bei einer Abstandnahme von der Vorschreibung in seiner Leistungsfähigkeit für andere Personen beeinträchtigt wäre. Der Umstand, dass aus Gründen der Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit eine weitere Aufgliederung der Ersatzansprüche nach "Anzahl, Alter und Beihilfensatz" unterblieben sei - es handle sich jährlich um 5000 bis 6000 Bedienstete -, sei für die Rechtmäßigkeit der Begründung des Bescheides nicht von Bedeutung.
Wie die Beschwerdeführerin selbst ausführe, sei der Selbstträger gemäß "Art. II § 4 Abs. 1 FLAG 1967" verpflichtet, die Auszahlung der Familienbeihilfe anhand der in der Bescheinigung gemäß "Art. II § 5 FLAG 1967" enthaltenen Daten durchzuführen. Wenn aber der Selbstträger schon im Regelfall der Auszahlung der Familienbeihilfe diese anhand der Daten der Bescheinigung des Wohnsitzfinanzamtes vorzunehmen habe, sei nicht erkennbar, "warum durch die jahresweise Zusammenfassung der Ersatzansprüche je Dienstnehmer, die (Beschwerdeführerin) in ihren Rechten beeinträchtigt sein sollte".
Da die Ersatzansprüche gemäß "Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" sonstige Ansprüche auf Geldleistungen im Sinne des § 3 BAO bildeten, würden sie, soweit keine besondere Bestimmung vorläge, unter den Tatbestand des § 207 Abs. 2 BAO fallen. Der letzte Satz des "Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" lege für die Ersatzansprüche einen davon abweichenden Zeitpunkt für den Beginn der Verjährung fest, nämlich fünf Jahre gerechnet vom Ende des Kalenderjahres, in dem die Familienbeihilfe (vom Wohnsitzfinanzamt oder Selbstträger) ausbezahlt worden sei. Insofern bestehe in "Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" eine abweichende Regelung zur BAO. Durch die Verwendung des Begriffs "verjährt" in "Art. II § 4 Abs. 4 FLAG 1967" habe der Gesetzgeber zweifellos auch eine Anspruchsbegrenzung unter Einbeziehung aller sonstigen Bestimmungen der BAO bezwecken wollen. Soweit im Zeitpunkt der Bescheiderlassung die fünfjährige Verjährungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei, sei somit eine Festsetzung bezüglich der davor liegenden Jahre nur bei Vorliegen von Unterbrechungshandlungen nach Maßgabe des § 209 BAO zulässig. Die Bescheide betreffend Festsetzung von Ersatzansprüchen für die Jahre 2001 bis 2005 seien jedenfalls innerhalb der fünfjährigen Verjährungsfrist ergangen. Für das Jahr 2000 stellten sowohl die Anforderung von Daten am als auch die in der Besprechung am von den Prüfern des Finanzamtes Wien 1/23 bekanntgegebene Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin eine nach außen erkennbare Amtshandlung zur Geltendmachung des Abgabenanspruches dar. Dadurch habe sich die Verjährungsfrist um ein Jahr verlängert und sei der Festsetzung der Ersatzansprüche für das Jahr 2000 damit die Verjährung nicht entgegengestanden. Da für das Jahr 1999 vom Finanzamt jedoch keine konkrete Unterbrechungshandlung dargetan worden sei, sei für dieses Jahr Verjährung eingetreten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen (soweit der angefochtene Bescheid die Ersatzforderung für Familienbeihilfe für die Jahre 2000 bis 2005 betrifft) erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Abschnitt III des FLAG 1967, der die §§ 39 bis 46 leg. cit. umfasst, enthält Bestimmungen über die "Aufbringung der Mittel".
§ 39 Abs. 1 FLAG 1967 (vor der Fassung durch das FAG 2008, BGBl. I Nr. 103/2007) ordnet an, dass der Aufwand für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehenen Beihilfen und sonstigen Maßnahmen, soweit nicht § 46 FLAG 1967 etwas anderes bestimmt, von dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu tragen ist. Dieser Fonds besitzt keine eigene Rechtspersönlichkeit; er besteht aus der Sektion A und aus der Sektion B. Die Mittel des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen, Sektion A, werden nach § 39 Abs. 4 FLAG 1967 durch Beiträge der Dienstgeber (Dienstgeberbeitrag) aufgebracht, die nach § 43 Abs. 1 FLAG 1967 an das für die Abfuhr der Lohnsteuer sachlich zuständige Finanzamt zu entrichten sind.
Nach der mit Wirkung ab dem durch Art. 7 Z 12 FAG 2008, BGBl. I Nr. 103/2007, aufgehobenen Bestimmung des § 42 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 waren der Bund, die Länder und die Gemeinden (wenn ihre Einwohnzahl 2.000 überstieg) mit Ausnahme der von diesen Gebietskörperschaften verwalteten Betriebe, Unternehmungen, Anstalten, Stiftungen und Fonds von der Leistung des Dienstgeberbeitrags befreit.
Korrespondierend bestimmte die ebenfalls mit Wirkung ab dem entfallene Bestimmung des § 46 Abs. 2 FLAG 1967, dass u. a. Gemeinden (wenn ihre Einwohnerzahl 2.000 überstieg), mit Ausnahme der von ihnen verwalteten Betriebe, Unternehmungen, Anstalten, Stiftungen und Fonds, u.a. den Aufwand an Familienbeihilfen für ihre Empfänger von Dienstbezügen sowie von Ruhe- und Versorgungsgenüssen aus eigenen Mitteln zu tragen haben (sog. "Selbstträgerschaft").
Das - im Zusammenhang mit der Auszahlung der Familienbeihilfe (nunmehr) im Regelfall durch das Wohnsitzfinanzamt und nicht mehr durch den Dienstgeber ergangene - Bundesgesetz BGBl. Nr. 246/1993, mit dem das FLAG 1967 geändert wurde (im Folgenden nur: BGBl. Nr. 246/1993) traf im Artikel II zum Auszahlungsverfahren u. a. folgende Anordnungen:
"§ 4. (1) Die in § 46 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 genannten Gebietskörperschaften und gemeinnützigen Krankenanstalten sind verpflichtet, die Familienbeihilfe, nach Maßgabe der Bescheinigung über die Auszahlungsverpflichtung, gemeinsam mit den Bezügen auszuzahlen.
(2) Das Wohnsitzfinanzamt entscheidet über die Auszahlungsverpflichtung nach Abs. 1. Besteht über die Auszahlungsverpflichtung kein Einvernehmen, ist hierüber ein Bescheid zu erlassen. Während des Verfahrens zur Feststellung der Auszahlungsverpflichtung wird die Familienbeihilfe durch das Wohnsitzfinanzamt ausgezahlt.
(3) In bezug auf die Verpflichtung zur Auszahlung der Familienbeihilfe für einen Kalendermonat sind die Verhältnisse zu Beginn dieses Kalendermonats maßgeblich.
(4) Für Familienbeihilfen, die vom Wohnsitzfinanzamt oder von einer in § 46 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 genannten Gebietskörperschaft oder gemeinnützigen Krankenanstalt ohne Auszahlungsverpflichtung geleistet wurden, besteht Anspruch auf Ersatz gegenüber der in § 46 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 genannten Gebietskörperschaft beziehungsweise gemeinnützigen Krankenanstalt oder dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen. Das Recht auf Ersatz verjährt in fünf Jahren, gerechnet vom Ende des Kalenderjahres, in dem die Familienbeihilfe ausgezahlt wurde.
§ 5. (1) Zur Erfüllung der Auszahlungsverpflichtung der in § 46 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 genannten Gebietskörperschaften und gemeinnützigen Krankenanstalten hat das Wohnsitzfinanzamt eine Bescheinigung auszustellen, die die Grundlage für die Auszahlung der Familienbeihilfe bildet. Die Bescheinigung ist nach Maßgabe des Einzelfalles befristet auszustellen.
(2) Die Bescheinigung ist der anspruchsberechtigten Person auszufolgen, die sie der zur Auszahlung verpflichteten Gebietskörperschaft oder gemeinnützigen Krankenanstalt zu übergeben hat.
(3) Die Bescheinigung hat insbesondere zu enthalten:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
a) | die Bezeichnung der ausstellenden Behörde, |
b) | den Vornamen und Familiennamen, die Versicherungsnummer und die Wohnanschrift der anspruchsberechtigten Person, |
c) | den Vornamen und Familiennamen, die Versicherungsnummer der Kinder, für die Familienbeihilfe gewährt wird, |
d) | den Zeitpunkt, ab dem die Familienbeihilfe auszuzahlen ist, |
e) | das Datum der Ausstellung. |
(4) Die Bescheinigung gilt bis zur Ergänzung, Berichtigung oder Widerruf durch das Wohnsitzfinanzamt.
(5) Der Bescheinigung kommt die Wirkung eines rechtskraftfähigen Bescheides nicht zu."
Aus der zitierten Bestimmung des Art. II § 4 Abs. 4 BGBl. Nr. 246/1993 ergibt sich in verständiger Würdigung im Zusammenhalt mit § 4 Abs. 1 leg. cit., dass ein Ersatzanspruch der dort genannten Art für vom Wohnsitzfinanzamt, das nach § 4 Abs. 2 leg. cit. auch über die Auszahlungsverpflichtung zu entscheiden hat, ausbezahlte Familienbeihilfe gegenüber der an sich gemäß § 46 FLAG 1967 zur Leistung verpflichteten Gebietskörperschaft in rechtlicher Hinsicht nur dann entsteht, wenn auch die Voraussetzung des Art. II § 4 Abs. 1 BGBl. Nr. 246/1993 zur Leistung der Familienbeihilfe durch den Selbstträger erfüllt ist. Eine Verpflichtung besteht nach Art. II § 4 Abs. 1 BGBl. Nr. 246/1993 allerdings nur "nach Maßgabe der Bescheinigung über die Auszahlungsverpflichtung", die nach § 5 Abs. 1 leg. cit. (mit dem näher bestimmten Inhalt nach § 5 Abs. 3) das Wohnsitzfinanzamt auszustellen hat und dort ausdrücklich wiederum als "Grundlage für die Auszahlung der Familienbeihilfe" genannt ist.
Die belangte Behörde hat nicht festgestellt, dass solche Bescheinigungen über die Auszahlungsverpflichtung im Beschwerdefall überhaupt ausgestellt (und der Beschwerdeführerin im Sinne des Art. II § 5 Abs. 2 BGBl. Nr. 246/1993 übergeben) worden wären (ihr Fehlen hat vielmehr die Beschwerdeführerin etwa in der Berufungsschrift und im Vorlageantrag auch angesprochen).
Schon deshalb erweisen sich die mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten Vorschreibungen der auf Art. II § 4 Abs. 4 BGBl. Nr. 246/1993 gestützten Ersatzleistungen als rechtsirrig, weshalb der angefochtene Bescheid im Umfang seiner Anfechtung, nämlich im Abspruch über den Ersatz der Familienbeihilfe für die Jahre 2000 bis 2005, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit nach § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 24 Abs. 3 Z 3 VwGG und der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am