VwGH vom 19.04.2018, Ra 2018/08/0007

VwGH vom 19.04.2018, Ra 2018/08/0007

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und die Hofrätin Dr. Julcher sowie den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des B P in B, vertreten durch Dr. Thomas Wiesinger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Wickenburggasse 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-S-450/001-2017, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mödling), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom gemäß § 111 Abs. 1 Z 1 iVm § 33 Abs. 1 ASVG mit einer Geldstrafe von EUR 1000,-

- (Ersatzfreiheitsstrafe 154 Stunden) bestraft, weil er es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit zur Vertretung nach außen berufenes Organ der B. GmbH zu verantworten habe, dass der Dienstnehmer I.S. nicht vor Arbeitsantritt bei der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse zur Pflichtversicherung angemeldet worden sei.

2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht. Dieses beraumte für den eine Verhandlung an. Der Revisionswerber entschuldigte sich mit E-Mail vom , indem er erklärte, dass er an der Verhandlung wegen einer Darmgrippe nicht teilnehmen könne. Vom Gerichtssekretariat, das er telefonisch kontaktiert habe, sei ihm geraten worden, sich schriftlich zu entschuldigen. Er ersuche um Ladung zu einem anderen Termin.

3 Das Landesverwaltungsgericht führte die Verhandlung sodann in Abwesenheit des Revisionswerbers durch.

4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab es der Beschwerde nur insoweit statt, als die Ersatzfreiheitsstrafe auf 30 Stunden herabgesetzt wurde. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG wurde ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 In der Entscheidungsbegründung führte das Landesverwaltungsgericht - soweit für das vorliegende Verfahren wesentlich - aus, der Revisionswerber habe trotz ausgewiesener Ladung nicht an der Verhandlung teilgenommen, sodass sie gemäß § 45 Abs. 2 VwGVG in seiner Abwesenheit durchgeführt worden sei. Hinsichtlich der mit E-Mail vom behaupteten Erkrankung habe er keine ärztliche Bestätigung vorgelegt.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:

7 Der Revisionswerber bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung insbesondere vor, dass die Verhandlung zu Unrecht in seiner Abwesenheit durchgeführt worden sei.

8 Dies trifft zu, weshalb sich die Revision als zulässig und berechtigt erweist:

9 Gemäß § 44 VwGVG hat das Verwaltungsgericht in Verwaltungsstrafsachen grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im vorliegenden Fall war keiner der Gründe für ein Absehen von der Verhandlung verwirklicht.

10 Gemäß § 45 Abs. 2 VwGVG hindert dann, wenn eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, dies weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses. Nach dem gemäß § 38 VwGVG iVm § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 19 Abs. 3 AVG hat, wer nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten, und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Das Vorliegen eines der in § 19 Abs. 3 AVG genannten Gründe rechtfertigt das Nichterscheinen des Geladenen. Liegt ein solcher Rechtfertigungsgrund vor, kann nicht von einer "ordnungsgemäßen Ladung", die zur Durchführung der Verhandlung auch in Abwesenheit der Partei berechtigt, gesprochen werden (vgl. etwa , mwN).

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat eine Partei im Falle einer ordnungsgemäßen Ladung zwingende Gründe für das Nichterscheinen darzutun. Das bedeutet, dass nicht allein die Tatsache des Vorliegens einer Erkrankung behauptet und dargetan werden muss, sondern auch die Hinderung aus diesem Grunde, bei der Verhandlung zu erscheinen. Die Triftigkeit des Nichterscheinens zu einer Verhandlung muss überprüfbar sein (vgl. erneut , mwN).

12 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber angegeben, an einer Darmgrippe erkrankt zu sein. Diese Entschuldigung erachtete das Landesverwaltungsgericht nicht als ausreichend, weil keine ärztliche Bestätigung vorgelegt worden sei. Dies berechtigte das Landesverwaltungsgericht jedoch noch nicht dazu, vom Nichtvorliegen eines Rechtfertigungsgrundes auszugehen. Das Vorbringen, an einer Darmgrippe erkrankt zu sein, ist nämlich nicht von vornherein ungeeignet, ein begründetes Hindernis im Sinn des § 19 Abs. 3 AVG darzutun. Hat das Landesverwaltungsgericht die Entschuldigung aber wegen des Fehlens einer ärztlichen Bestätigung nicht für glaubwürdig gehalten, so hätte es den unvertretenen Revisionswerber zur Vorlage einer solchen Bestätigung auffordern müssen (vgl. idS ).

13 Die Relevanz des aufgezeigten Verfahrensmangels war nicht näher zu prüfen, weil eine grundsätzlich die Verpflichtung zur Verhandlung (unter Teilnahme des Beschuldigten) begründende "strafrechtliche Anklage" im Sinn des Art. 6 EMRK vorlag (vgl. , mwN; zum aus Art. 6 EMRK abzuleitenden Teilnahmeanspruch des Beschuldigten vgl. etwa Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 45 VwGVG Rz 3, sowie Köhler in Raschauer/Wessely (Hrsg), VStG2 § 45 VwGVG Rz 5).

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018080007.L00

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