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VwGH vom 25.02.2019, Ra 2017/19/0361

VwGH vom 25.02.2019, Ra 2017/19/0361

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des A U T N in F, geboren am , vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , I403 2158476-1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Am stellte die kamerunische Staatsangehörige S T für sich und zwei unmündige minderjährige Personen derselben Staatsangehörigkeit - eine davon der am geborene Revisionswerber - bei der Österreichischen Botschaft in Abuja, Nigeria (ÖB), Anträge auf internationalen Schutz im Familienverfahren gemäß § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Note vom teilte die ÖB dem Bundesasylamt (BAA) mit, die Anträge seien mit einer Verwandtschaft zum kamerunischen Staatsangehörigen P T begründet worden, dem in Österreich der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei. S T habe jedoch zum Nachweis des Familienverhältnisses keine Heiratsurkunde vorlegen können. Laut den vorgelegten Personenstandsdokumenten und den Angaben im Antragsformular seien der Revisionswerber und die andere minderjährige Person die Söhne von S T, jedoch nicht von P T.

3 In weiterer Folge ersuchte das BAA am das Bundesministerium für Inneres (BMI) im Wege der Amtshilfe um Mitteilung, ob die Einreise der Antragsteller den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK widerspreche. Dem Schreiben legte das BAA folgenden Sachverhalt zu Grunde (im Original): "(S T) (...) beantragte im Wege der Österreichischen Botschaft Abuja, die Gewährung von internationalem Schutz. Sie ist die Ehefrau von Herren (P T), dem mit Bescheid vom Asyl gewährt wurde. Die beiden Söhne stammen aus einer früheren Beziehung von Frau (S T) und sind nicht die leiblichen Kinder von

(P T).".

4 Mit Schreiben vom informierte das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) das BAA darüber, dass keine für das gegenständliche Verfahren verwertbaren nachteiligen Erkenntnisse zu den betreffenden Personen vorlägen.

5 Bezugnehmend auf die Note vom teilte das BAA der ÖB mit Schreiben vom mit, dass nach Prüfung der Sachlage die Gewährung des Status einer Asylberechtigten an S T wahrscheinlich sei. Daraufhin stellte die ÖB am allen drei Antragstellern ein "Visum D" aus, mit dem sie am im Luftweg legal in Österreich einreisten.

6 In der am durchgeführten Erstbefragung durch das BAA gab S T an, sie habe keine eigenen Fluchtgründe und stelle die Anträge auf internationalen Schutz nur, weil ihr Ehemann P T in Österreich den Status eines Asylberechtigten erlangt habe und sie und ihre "mitgereisten Kinder" daher denselben Schutz beantragen würden. Das Verfahren des Revisionswerbers wurde in weiterer Folge durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 zugelassen.

7 Mit Bescheid vom gab das BAA dem Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vom (Datum des Einlangens des Antrages beim BAA) statt und erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten zu.

Das BAA stellte fest, dass der Revisionswerber der Sohn von S T sei, der mit Bescheid vom selben Tag ebenfalls der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden sei, und dass er keinen Kontakt zu seinem leiblichen Vater habe. Beweiswürdigend hielt das BAA fest, die Eigenschaft des Revisionswerbers als Familienangehöriger eines Asylberechtigten habe als glaubwürdig gewertet werden können. In rechtlicher Hinsicht führte das BAA aus, dem Revisionswerber sei der Status eines Asylberechtigten zu gewähren gewesen, weil auch seinem "Vater mit Bescheid vom der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde".

Dieser Bescheid wurde an S T (durch Hinterlegung) zugestellt, die das BAA in der Zustellverfügung als gesetzliche Vertreterin des minderjährigen Revisionswerbers bezeichnete.

8 Am teilte das Jugendamt Graz-Nordwest dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit, dass auf Grund einer vom Revisionswerber erstatteten Anzeige gegen P T wegen "Misshandlung" mit der Familie T Kontakt aufgenommen worden sei. Dabei habe sich herausgestellt, dass der Revisionswerber nicht der Sohn dieser Familie sei und seine wahre Familie in Kamerun lebe. Dem Land Steiermark sei daher als Kinder- und Jugendhilfeträger, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie der Stadt Graz, auf dessen Antrag vom zuständigen Bezirksgericht die Obsorge über den Revisionswerber übertragen worden, weil es sich bei ihm nunmehr um einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling handle.

9 Daraufhin lud das BFA den Revisionswerber zu einer niederschriftlichen Einvernahme am , in der er zunächst die Namen seiner leiblichen Eltern nannte. Er habe zuletzt in der Stadt Douala bei seiner Mutter gelebt, mit der er ungefähr zwei Mal im Monat Kontakt halte. Sein Vater lebe ebenso in Douala. Der letzte Kontakt zu seinem Vater sei jedoch circa eineinhalb Jahre her. Die Reise nach Österreich hätten seine Tante, sein Onkel und seine Mutter geplant, er selbst habe davon zunächst nichts gewusst. Im Flugzeug habe ihm seine Tante S T gesagt, er solle angeben, dass sie seine Mutter sei. Der Grund für die Reise nach Österreich sei der Wunsch der leiblichen Mutter nach einer guten Schulbildung für den Revisionswerber gewesen.

10 In einer Stellungnahme vom gab der Revisionswerber zudem bekannt, seine Lebensgefährtin und er würden ein Kind erwarten. Er sei seit bei der Familie seiner Lebensgefährtin gemeldet und habe dort mit ihr den gemeinsamen Wohnsitz.

11 Mit Bescheid vom wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Kamerun zulässig sei (Spruchpunkt III.). Das BFA legte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.) und sprach aus, dass der Revisionswerber sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem verloren habe (Spruchpunkt V.).

In der Begründung hielt das BFA fest, das Asylverfahren des Revisionswerbers werde fortgesetzt, weil die Zustellung des Bescheides vom nicht an den tatsächlichen gesetzlichen Vertreter erfolgt und somit nicht rechtswirksam sei. Die Einreise des Revisionswerbers und der in weiterer Folge zuerkannte Status eines Asylberechtigten seien auf Grund der falschen Angaben von S T, die sich als Mutter des Revisionswerbers ausgegeben habe, erfolgt.

In inhaltlicher Hinsicht führte das BFA zu Spruchpunkt I. aus, "Asyl" könne nicht gewährt werden, weil den der Ausreise zu Grunde liegenden Umständen das "asylrechtlich relevante Motiv" fehle. Hinsichtlich Spruchpunkt II. ergebe sich aus dem Ermittlungsverfahren kein "reales Risiko" einer Verletzung der durch die EMRK geschützten Rechte im Fall der Rückkehr des Revisionswerbers nach Kamerun. Dem Revisionswerber sei daher der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen. Zu Spruchpunkt III. hielt das BFA fest, es bestehe weder ein Familienleben mit seiner Lebensgefährtin noch mit seiner Tante und seinem Onkel. In Bezug auf ein allfälliges schützenswertes Privatleben würdigte das BFA den zum Entscheidungszeitpunkt mehr als siebenjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers. Der lange unrechtmäßige Aufenthalt könne ihm wegen seiner zum Zeitpunkt der Einreise und Asylgewährung vorliegenden unmündigen Minderjährigkeit zwar nicht angelastet werden. Jedoch werde die für die Integration wesentliche soziale Komponente durch die von ihm begangenen - im Bescheid festgestellten - Straftaten erheblich beeinträchtigt. Zudem habe er die in Österreich verbrachte Zeit nicht sinnvoll zu Gunsten einer Integration genutzt. Auf Grund der Straffälligkeit gelangte das BFA in Spruchpunkt V. auch zum ex lege Verlust des Aufenthaltsrechts.

12 In der dagegen erhobenen Beschwerde wendete sich der Revisionswerber gegen das Ermittlungsverfahren des BFA, die im Bescheid enthaltenen Feststellungen sowie die Beweiswürdigung. Der Revisionswerber führte aus, seiner Tante und seinem Onkel habe der Bescheid vom auf Grund der fehlenden Vertretereigenschaft nicht rechtswirksam zugestellt werden können. Am sei der Revisionswerber jedoch volljährig geworden und sei ihm der Bescheid vom tatsächlich zugekommen bzw. habe er Kenntnis über dessen Existenz erlangt. Das Asylverfahren des Revisionswerbers sei daher zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom bereits abgeschlossen gewesen. Diesem stehe die materielle Rechtskraft des Bescheides vom entgegen.

13 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht zur Rechtskraft des Bescheids vom aus, in der Beschwerde werde nicht behauptet, dass durch die Zustellung an "Onkel und Tante" eine rechtswirksame Zustellung erfolgt sei. Es stehe fest, dass es sich dabei nicht um die gesetzlichen Vertreter des Revisionswerbers handle. Jedoch werde die an einen Prozessunfähigen erfolgte unwirksame Zustellung nicht durch späteres Erreichen der Volljährigkeit geheilt. Der einen "Asylantrag abweisende" Bescheid sei dem gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Asylwerbers zuzustellen. Die an ihn persönlich veranlasste Zustellung habe keine Rechtswirkung entfaltet. Auch eine Heilung des Zustellmangels komme nicht in Betracht, weil selbst wenn der Bescheid dem gesetzlichen Vertreter "bekannt geworden" sein sollte, habe dies keinesfalls eine derartige Heilung zu bewirken vermocht. Es sei daher im gegenständlichen Fall der Rechtsansicht des BFA zu folgen und festzustellen, dass der Bescheid des BAA vom nie zugestellt worden sei und daher auch keine Rechtskraft erlangt habe. Da das ursprüngliche Asylverfahren noch anhängig gewesen sei, habe das BFA das Verfahren zu Recht fortgesetzt.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten sowie nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

15 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe sich in Zusammenhang mit der Frage der Wirksamkeit der Zustellung des Bescheides des BAA vom nicht damit auseinandergesetzt, ob für den Revisionswerber überhaupt wirksam ein Antrag gemäß § 35 AsylG 2005 gestellt worden sei. Der Revisionswerber sei zum Zeitpunkt der beabsichtigten Antragstellung nämlich unmündiger Minderjähriger gewesen. Da er in Kamerun bei seinen leiblichen Eltern gelebt habe, sei der in § 16 Abs. 3 erster Satz AsylG 2005 in der damals geltenden Fassung geregelte Fall eines unmündigen Minderjährigen, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden könnten, nicht vorgelegen. Dem Revisionswerber sei demnach auch keine beschränkte Handlungsfähigkeit hinsichtlich der Stellung und Einbringung eines Antrages auf internationalen Schutz nach der genannten Bestimmung zugekommen. Seine Tante S T sei weder gesetzlich noch in sonstiger Weise vertretungsbefugt gewesen. Demnach sei bereits die Antragsstellung infolge der fehlenden Prozessfähigkeit des Revisionswerbers bzw. mangels Vertretungsbefugnis seiner Tante unwirksam.

16 Zudem käme eine allfällige Heilung der (mangelhaften) Zustellung des Bescheides vom nur in Betracht, wenn das behördliche Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen wäre. Dabei handle es sich beim Empfänger um jene Person, an die die Behörde ein Schreiben gerichtet habe und die in der Zustellverfügung als Empfänger angegeben worden sei. Die fehlerhafte Bezeichnung einer Person in der Zustellverfügung könne nicht heilen. Ein solcher Fall scheine hier vorzuliegen, weil als Empfänger die vermeintlichen Eltern des Revisionswerbers als gesetzliche Vertreter genannt gewesen seien. Nachdem diesen die Vertretungsbefugnis jedoch nicht zugekommen sei, seien sie fälschlicherweise als Empfänger der behördlichen Erledigung genannt worden. Ein solcher Fehler sei somit einer Heilung nicht zugänglich gewesen.

17 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 18 Gemäß § 9 AVG hat die Behörde die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten im Verfahren, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.

19 Der durch BGBl. I Nr. 87/2012 aufgehobene § 16 AsylG 2005 bestimmte in Abs. 1, dass für den Eintritt der Handlungsfähigkeit nach dem AsylG 2005 ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich ist. Nach § 16 Abs. 3 war ein mündiger Minderjähriger, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, berechtigt, Anträge zu stellen und einzubringen (vgl. die entsprechenden Nachfolgebestimmungen in § 10 Abs. 1 und 3 BFA-VG).

20 Gemäß § 35 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, hat der Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, einen Antrag gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Berufsvertretungsbehörde im Ausland (Berufsvertretungsbehörde) zu stellen. Zum Zeitpunkt der im vorliegenden Fall erfolgten Antragstellung () galt dieser Antrag außerdem als Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels (§ 35 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005).

21 § 12 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) in der Fassung BGBl. I Nr. 100 hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"Sonderbestimmungen für Minderjährige

§ 12. (1) Minderjährige Fremde, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, sind in Verfahren nach den Hauptstücken 2 bis 10 handlungsfähig. Sie können zu einer mündlichen Verhandlung einen gesetzlichen Vertreter und eine an der Sache nicht beteiligte Person ihres Vertrauens beiziehen.

(2) (...)

(3) Minderjährige Fremde, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und deren Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, können im eigenen Namen nur Verfahrenshandlungen zu ihrem Vorteil setzen. Gesetzlicher Vertreter wird mit Einleitung eines solchen Verfahrens der Jugendwohlfahrtsträger der Hauptstadt des Bundeslandes, in dem sich der Minderjährige aufhält. Wäre dieselbe Behörde für das fremdenpolizeiliche Verfahren und die Vertretung zuständig, so wird der örtlich nächstgelegene Jugendwohlfahrtsträger gesetzlicher Vertreter.

(...)"

22 § 7 Zustellgesetz (ZustG), BGBl. Nr. 200/1982, in der Fassung BGBl. I Nr. 5/2008, lautet:

"Heilung von Zustellmängeln

§ 7. Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist."

23 Das Revisionsvorbringen, wonach im vorliegenden Fall ein wirksamer Antrag gemäß § 35 AsylG 2005 gar nicht vorliege, setzt voraus, dass das Verfahren des Revisionswerbers nicht durch den Bescheid des BAA vom beendet worden ist. Ein rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens stünde zudem der Erlassung des Bescheides vom durch das BFA entgegen. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Bescheid des BAA vom nie wirksam zugestellt worden sei und daher keine Rechtskraft erlangt habe. Vom BFA sei daher zu Recht über den offenen Antrag abgesprochen und der Bescheid vom erlassen worden.

24 Diese Auffassung erweist sich aus folgenden Erwägungen als zutreffend:

25 Nach § 9 AVG sind Fragen der persönlichen Rechts- und Handlungsfähigkeit von am Verwaltungsverfahren Beteiligten nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist. Gemäß dem zum Zeitpunkt der beabsichtigten Zustellung des Bescheides geltenden § 16 Abs. 1 erster Satz AsylG 2005 (aF) war für den Eintritt der Handlungsfähigkeit nach dem AsylG 2005 (aF) ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich (dies sieht - mit für den gegenständlichen Fall nicht relevanten Abweichungen - im Übrigen auch der nunmehr geltende § 10 Abs. 1 BFA-VG vor).

Die Geschäftsfähigkeit eines Menschen bestimmt sich demnach primär nach seinem Alter. Mit der Volljährigkeit (=Vollendung des 18. Lebensjahres) erreicht der geistig gesunde österreichische Staatsbürger die volle Geschäftsfähigkeit und ist daher jedenfalls auch prozessfähig. Hingegen stehen Minderjährige, also Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 21 Abs. 2 ABGB), unter dem besonderen Schutz der Gesetze (§ 21 Abs. 1 ABGB) und können daher an sich ohne ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung des gesetzlichen Vertreters rechtsgeschäftlich weder verfügen noch sich verpflichten. Sie sind also grundsätzlich geschäftsunfähig und damit auch prozessunfähig (vgl. bis 0353, mwN).

26 Einen Mangel der Prozessfähigkeit hat die Behörde in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Mangelt es einem Adressaten einer Verfahrenshandlung (insbesondere auch eines Bescheides) in Bezug auf den Verfahrensgegenstand an der Prozessfähigkeit, so geht die Verfahrenshandlung insofern ins Leere, als sie diesem Adressaten gegenüber keinerlei Rechtswirkungen entfaltet (vgl. zB Hengstschläger/Leeb, AVG I (2014) § 9 Rz. 5 mwN). Die Behörde kann diesfalls Verfahrenshandlungen rechtswirksam nur gegenüber dem gesetzlichen Vertreter setzen (vgl. , mwN).

27 Nach dem unstrittigen Sachverhalt handelte es sich beim Revisionswerber zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom um einen unmündigen Minderjährigen, dem gemäß § 16 Abs. 1 erster Satz AsylG 2005 (aF) generell keine Prozessfähigkeit zukam. Das BAA sah sich daher - im Glauben, es handle sich um die Mutter des Revisionswerbers - veranlasst, S T als formelle Empfängerin in der Zustellverfügung zu bezeichnen. Da sie jedoch zu keinem Zeitpunkt seine gesetzliche Vertreterin war, war die an sie erfolgte Zustellung insofern mangelhaft, als dass sie gegenüber dem Revisionswerber keine Rechtswirkungen entfalten konnte.

28 Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung in dem Zeitpunkt dennoch als bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist (vgl. § 7 ZustG). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt als "Empfänger" im Sinn dieser Bestimmung jedoch nicht die Person, für die das Dokument inhaltlich bestimmt ist, sondern die Person, die in der Zustellverfügung als Empfänger angegeben worden ist ("formeller Empfängerbegriff"). Die fehlerhafte Bezeichnung einer Person als Empfänger in der Zustellverfügung kann demnach nicht heilen (vgl. ; , 2009/01/0049, jeweils mwN).

29 Im vorliegenden Fall hätte die Heilung der mangelhaften Zustellung daher nur eintreten können, wenn das BAA in seiner Zustellverfügung den tatsächlichen gesetzlichen Vertreter des Revisionswerbers angegeben hätte und der Bescheid in weiterer Folge dem gesetzlichen Vertreter auch zugekommen wäre. Das faktische Zukommen des Bescheides an den Revisionswerber selbst bewirkte hingegen keine Heilung der Zustellung, weil dieser in formeller Hinsicht nicht "Empfänger" im Sinne des § 7 ZustG war. Daran ändert auch die später eingetretene Volljährigkeit des Revisionswerbers nichts (vgl. VwGH 2009/01/0049). Der Bescheid vom wurde ihm gegenüber somit zu keinem Zeitpunkt rechtswirksam erlassen.

30 Es ist daher zu prüfen, ob das BFA über den - seiner Ansicht nach weiterhin anhängigen - Antrag auf internationalen Schutz absprechen durfte.

31 Entgegen dem Revisionsvorbringen, das sich hier auf § 16 Abs. 3 AsylG 2005 (aF) stützt, kommen nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts für Verfahren auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG 2005 die vom AVG abweichenden Bestimmungen über das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden nach dem FPG zur Anwendung (vgl. ; , 2007/21/0423; sowie ; zur grundsätzlichen Geltung des AVG in Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden seit siehe ).

32 Der hier relevante § 12 Abs. 1 FPG (aF) normierte Sonderbestimmungen für die Handlungsfähigkeit Minderjähriger in Verfahren nach dem zweiten bis zehnten Hauptstück des FPG, somit auch für das im zweiten Hauptstück geregelte besondere Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden. Nach dessen Abs. 3 konnten minderjährige Fremde, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und deren Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden konnten, im eigenen Namen Verfahrenshandlungen zu ihrem Vorteil setzen. Daraus folgt, dass Minderjährige, die zwar das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, deren Interessen jedoch von ihrem gesetzlichen Vertreter wahrgenommen werden konnten, in Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden nicht handlungsfähig waren.

33 Das Bundesverwaltungsgericht durfte im vorliegenden Fall keine meritorische Erledigung des Antrages vornehmen, ohne sich mit der Frage der nachweislichen Zurechenbarkeit desselben an den Revisionswerber auseinanderzusetzen. Indem es dies in Verkennung der oben dargestellten Rechtslage verabsäumte, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

34 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017190361.L00

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