VwGH vom 29.01.2015, 2012/15/0121
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer-Jenkins, über die Beschwerde des Finanzamtes Feldkirch in 6800 Feldkirch, Reichsstraße 154, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Feldkirch, vom , Zl. RV/0429- F/10, betreffend Einkommensteuer 2002 (mitbeteiligte Partei: E G in S), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Einkommensteuer des Mitbeteiligten für das Jahr 2002 mit - 2.393,08 EUR fest.
Diesen Bescheid änderte das Finanzamt am gemäß § 295 Abs. 1 BAO auf -1.197,16 EUR ab. Grund für die Änderung war ein gemäß § 200 BAO vorläufig ergangener Feststellungsbescheid, laut dem von den nach § 188 BAO festgestellten Einkünften einer aus dem Mitbeteiligten und seiner Ehefrau bestehenden Vermietungsgemeinschaft für das Jahr 2002 bloß -2.689,87 EUR (zuvor: - 5.541,25 EUR) auf den Mitbeteiligten entfielen.
Am erging eine neuerliche Mitteilung über die gesonderte Feststellung für das Jahr 2002, laut der die anteiligen Einkünfte des Mitbeteiligten aus Vermietung und Verpachtung nunmehr 1.307,57 EUR betrugen.
Aufgrund dieser Mitteilung erließ das Finanzamt am einen gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Einkommensteuerbescheid 2002 mit dem es die Einkommensteuer des Mitbeteiligten mit 415,52 EUR festsetzte.
Der Mitbeteiligte berief gegen den Einkommensteuerbescheid vom und brachte in der Berufung vor, das Recht auf Festsetzung der Einkommensteuer 2002 sei gemäß § 207 Abs. 2 BAO bei Berücksichtigung eines Verlängerungsjahres im Sinne des § 209 Abs. 1 BAO verjährt.
Mit Berufungsvorentscheidung wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. Gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO beginne die Verjährung in den Fällen des § 200 BAO (vorläufige Abgabenfestsetzung) mit Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt worden sei. Die absolute Verjährungsfrist (§ 209 Abs. 3 BAO) betrage 10 Jahre. Sie werde ohne Rücksicht auf eingetretene Verlängerungen oder Hemmungen wirksam und beginne mit Entstehung des Abgabenanspruches (§ 4 BAO). Nach § 208 Abs. 1 lit. d BAO seien endgültige Abgabenfestsetzungen auch dann zulässig, wenn die gemäß § 208 Abs. 1 lit. a BAO mit Ablauf des Jahres der Entstehung des Abgabenanspruches beginnende, im Allgemeinen fünf Jahre betragende Bemessungsverjährungsfrist bereits abgelaufen sei. Dies gelte jedoch nur dann, wenn die absolute Verjährung nach § 209 Abs. 3 BAO (10 Jahre ab Entstehen des Abgabenanspruches) noch nicht eingetreten sei.
Der Mitbeteiligte beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz und führte im Vorlageantrag aus, es liege kein Anwendungsfall des § 208 Abs. 1 lit. d BAO vor, weil die Einkommensteuer 2002 nie vorläufig veranlagt worden sei. Sowohl der Bescheid vom als auch der gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderte Bescheid vom seien endgültig ergangen. Die Änderung gemäß § 295 Abs. 1 BAO sei zu Unrecht erfolgt.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung statt und führte begründend aus, die Einkommensteuer 2002 sei zum ersten Mal mit Bescheid vom festgesetzt worden. Dieser Bescheid sei am durch einen neuen Einkommensteuerbescheid ersetzt worden. Die Verjährungsfrist für die Erlassung eines weiteren neuen Einkommensteuerbescheides auf der Grundlage des § 295 Abs. 1 BAO habe somit mit Ablauf des Kalenderjahres 2003 zu laufen begonnen. Verlängerungshandlungen im Sinne der § 209 BAO lägen nicht vor. Die Verjährungsfrist sei daher Ende 2008 abgelaufen. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2002 vom sei sieben Jahre nach dem ersten Einkommensteuerbescheid und damit außerhalb der Verjährungsfrist ergangen.
Die Begründung des Finanzamtes in der Berufungsvorentscheidung sei verfehlt, weil im Streitfall keine vorläufigen Bescheide im Sinne des § 200 BAO vorlägen. Der Bescheid vom und der hier maßgebliche, durch den bekämpften Bescheid ersetzte Bescheid vom seien endgültig erlassen worden. Die vom Finanzamt angeführte Verjährungsbestimmung des § 208 Abs. 1 lit. d BAO könne daher keine Anwendung finden. Auch wenn die Voraussetzungen für die Anwendung der Verjährungsvorschriften für gemäß § 200 BAO erlassene Bescheide im Falle des Feststellungsbescheides über die Einkünfte 2002 vorgelegen seien (tatsächlich sei der erste Feststellungsbescheid vom vorläufig ergangen und am durch einen endgültigen Feststellungsbescheid ersetzt worden), "so haben diese zwar zur Erlassung eines neuen Feststellungsbescheides, nicht aber auch eines neuen abgeleiteten Bescheides berechtigt."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Finanzamt erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die Verwaltungsakten vorgelegt. Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 207 BAO lautet auszugsweise:
"(1) Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.
(2) Die Verjährungsfrist beträgt ... bei allen übrigen
Abgaben fünf Jahre. ..."
Nach § 209 Abs. 1 BAO idF des AbgÄG 2004, BGBl. I Nr. 180/2004, verlängert sich die Verjährungsfrist um ein Jahr, wenn von der Abgabenbehörde innerhalb der Verjährungsfrist (§ 207) nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77) unternommen werden. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist.
Die Abgabenbehörde kann die Abgabe gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig festsetzen, wenn nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens die Abgabepflicht zwar noch ungewiss, aber wahrscheinlich oder wenn der Umfang der Abgabepflicht noch ungewiss ist. Diese Verfahrensbestimmung bezweckt ihrem Wortlaut und ihrer erkennbaren Zielsetzung, aber auch zufolge ihrer historischen Entwicklung nach nichts anderes, als einen dem Grunde nach wahrscheinlich entstandenen Abgabenanspruch in jenen Fällen realisieren zu können, in denen der eindeutigen und zweifelsfreien Klärung der Abgabepflicht oder der Höhe der Abgabenschuld nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens vorübergehende Hindernisse entgegenstehen (vgl. Stoll , BAO-Kommentar, 2099).
In den Fällen des § 200 BAO beginnt die Verjährung gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde.
Auf Feststellungen gemäß §§ 185 bis 189 BAO finden nach § 190 Abs. 1 BAO die für die Festsetzung der Abgaben geltenden Vorschriften sinngemäß Anwendung. Die sinngemäße Anwendung der für die Abgabenfestsetzung geltenden Vorschriften ermöglicht es, Feststellungsbescheide sowie Bescheide, mit denen ausgesprochen wird, dass die Feststellung zu unterbleiben hat, nach § 200 Abs. 1 BAO vorläufig zu erlassen (vgl. Ritz , BAO5, § 190 Tz 1, mwN).
Die materiellen Voraussetzungen für die Durchführung einer Feststellung nach § 188 BAO ergeben sich aus einkommensteuerlichen Vorschriften: Es müssen Einkünfte iSd § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 oder 6 (§§ 21 bis 24 oder 28) EStG 1988 vorliegen, diese müssen nach einkommensteuerlichen Vorschriften einer Mehrheit von Personen zuzurechnen sein. Der Bescheid nach § 188 BAO stellt insbesondere Art und Höhe des einheitlichen Gewinnes bzw. Überschusses fest, der für die Personenvereinigung nach einkommensteuerlichen Vorschriften zu ermitteln ist. Er stellt sodann auch fest, welcher Anteil am Gewinn bzw. Überschuss den einzelnen Beteiligten zuzurechnen ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , 2009/15/0153, mwN).
Das Verfahren zur Feststellung nach § 188 BAO zielt auf die Geltendmachung des Einkommensteueranspruches gegenüber den Beteiligten ab. Der Zweck der Feststellung nach § 188 BAO liegt darin, die Grundlagen für die Einkommensbesteuerung in einer Weise zu ermitteln, die ein gleichartiges Ergebnis für alle beteiligten Steuersubjekte gewährleistet, und die Durchführung von Parallelverfahren für die einzelnen Beteiligten über die nach § 188 BAO festzustellenden Besteuerungsgrundlagen zu vermeiden (vgl. Stoll , BAO-Kommentar, 1980). Durch die Regelungen des § 188 BAO wird somit ein Ausschnitt der Einkommensteuer-Verfahren der Beteiligten, der im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer für die Beteiligten durchzuführen wäre, in ein einheitliches Sonderverfahren zusammengefasst (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , 2009/15/0153).
Somit stellt sich das Verfahren nach § 188 BAO als Bündelung eines Ausschnittes der Einkommensteuerverfahren aller Beteiligten dar. Vorläufige Bescheide werden erlassen, um einen dem Grunde nach wahrscheinlich entstandenen Abgabenanspruch in jenen Fällen realisieren zu können, in denen der eindeutigen und zweifelsfreien Klärung der Abgabepflicht oder der Höhe der Abgabenschuld nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens vorübergehende Hindernisse entgegenstehen. Soweit im Rahmen eines Feststellungsverfahrens gemäß § 188 BAO - wie im Streitfall - die Höhe des einheitlichen Gewinnes bzw. Überschusses aufgrund vorübergehender Hindernisse nicht ermittelt werden kann, steht der Anteil am Gewinn bzw. Überschuss der einzelnen Beteiligten nicht fest. Diese Ungewissheit kommt durch die Erlassung eines vorläufigen Feststellungsbescheides zum Ausdruck und erfasst insoweit auch den abgeleiteten Einkommensteuerbescheid. Folglich liegt hinsichtlich dieser Ungewissheit auch dann ein Anwendungsfall des § 208 Abs. 1 lit. d BAO vor, wenn ein Feststellungsbescheid gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig ergangen ist und der davon abgeleitete Bescheid - im Hinblick auf § 295 BAO - endgültig erlassen wurde (vgl. idS Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz , BAO3, § 208 Anm. 4).
Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid davon aus, dass § 208 Abs. 1 lit. d BAO im Streitfall nicht anwendbar sei, weil der - von einem nach § 200 BAO vorläufigen Feststellungsbescheid abgeleitete - Einkommensteuerbescheid 2002 des Mitbeteiligten endgültig erlassen wurde. Damit hat sie die Rechtslage verkannt.
Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am