VwGH vom 05.09.2012, 2012/15/0062
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2012/15/0052 E
2012/15/0051 E
2012/15/0063 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Kirchdorf Perg Steyr in 4320 Perg, Herrenstraße 20, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom , Zlen. RV/0735-L/09, RV/0737- L/09, betreffend Zurückweisung einer Berufung hinsichtlich Einkommensteuer 2006 und Anspruchszinsen 2006 (mitbeteiligte Partei: MG in N), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die mitbeteiligte Partei bezieht gemeinsam mit ihrem Ehegatten Einkünfte, die gemäß § 188 BAO einheitlich und gesondert festgestellt werden. Im Ergebnis einer abgabenbehördlichen Prüfung wurde der bisherige Feststellungsbescheid für das Jahr 2006 gemäß § 299 Abs. 1 BAO aufgehoben und ein geänderter Feststellungsbescheid für das Jahr 2006 (Bescheide vom ) erlassen. Mit Bescheid vom setzte das beschwerdeführende Finanzamt die Einkommensteuer der Mitbeteiligten für das Jahr 2006 gemäß § 295 Abs. 1 BAO neu fest. Die sich daraus ergebende Nachforderung führte weiters zur Vorschreibung von Anspruchszinsen.
Alle genannten Bescheide wurden von der mitbeteiligten Partei mit Berufung bekämpft.
Die belangte Behörde gab der Berufung betreffend Aufhebung des Feststellungsbescheides hinsichtlich der Einkünfte des Jahres 2006 statt und hob den angefochtenen Bescheid des Finanzamtes auf. Die Berufung betreffend Einkommensteuer und Anspruchszinsen für das Jahr 2006 wies die belangte Behörde als unzulässig (geworden) zurück. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides nicht nur der Feststellungsbescheid 2006 ex tunc beseitigt worden sei, sondern auch der vom Feststellungsbescheid abgeleitete Einkommensteuerbescheid und der Bescheid über die Festsetzung von Anspruchszinsen aus dem Rechtsbestand ausgeschieden seien.
Dagegen wendet sich die vom Finanzamt gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde vertritt in ihrer (u.a. zur gegenständlichen Beschwerde erstatteten) Gegenschrift die Ansicht, dass bei Rechtsakten, die eine Grundlagenwirkung im Sinne des § 252 BAO haben, effektiver Rechtsschutz nur gewährt werden könne, wenn deren Aufhebung zur gänzlichen Beseitigung der Rechtsfolgen und damit auch der abgeleiteten Bescheide führe. § 289 Abs. 1 dritter Satz BAO ordne ausdrücklich eine ex-tunc-Wirkung einer Aufhebung und Zurückverweisung an. Im Hinblick auf eine verfassungskonforme Interpretation könne dies nur bedeuten, dass es keines weiteren Verfahrensschrittes bedürfe, um von einem Grundlagenbescheid abgeleitete Rechtsakte aus dem Rechtsbestand zu beseitigen; andernfalls dem dritten Satz des § 289 Abs. 1 BAO kein normativer Gehalt beizumessen wäre, was nicht der Absicht des Gesetzgebers entsprechen könne.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung aufhebender Entscheidungen (beispielsweise jene des Verwaltungsgerichtshofes auf Grund der Bestimmung des § 42 Abs. 3 VwGG) nicht nur den angefochtenen Bescheid selbst beseitigt, sondern allen Rechtsakten, die während der Geltung des sodann aufgehobenen Bescheides auf dessen Basis gesetzt wurden, im Nachhinein die Rechtsgrundlage mit der Folge entzieht, dass sie mit dem aufgehobenen Bescheid als beseitigt gelten.
Im Erkenntnis vom , 2003/14/0032, ist der Verwaltungsgerichtshof von der Beseitigung eines Bescheides, mit dem das Finanzamt die Berufung gegen einen Abgabenbescheid mit der Begründung zurückgewiesen hatte, dass der bekämpfte Abgabenbescheid bereits durch den Aufhebungsbescheid der (seinerzeitigen) Finanzlandesdirektion aufgehoben worden sei, für den Fall ausgegangen, dass der Aufhebungsbescheid der Finanzlandesdirektion in der Folge durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes aufgehoben wird. Der Verwaltungsgerichtshof kam für diese Sachverhaltskonstellation zum Ergebnis, dass ausreichender Rechtsschutz nur dann gewährleistet ist, wenn die Rückkehr des Abgabenbescheides in den Rechtsbestand mit dem Ausscheiden des (der materiellen Erledigung einer gegen den Abgabenbescheid bereits eingebrachten Berufung im Wege stehenden) die Berufung zurückweisenden Bescheides verbunden ist. Für den Bescheidadressaten eines derartigen Zurückweisungsbescheides hat kein Anlass zur Erhebung einer Berufung bestanden, weil er im Zeitpunkt seiner Erlassung mit der Rechtslage im Einklang gestanden ist. In einer solchen Sachverhaltskonstellation liegt ein unlösbarer Zusammenhang zwischen dem den Abgabenbescheid aufhebenden Bescheid (§ 299 BAO) und dem eine Berufung gegen den Abgabenbescheid zurückweisenden Bescheid vor.
Ähnliches ergibt sich auch für den Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens: Durch die Aufhebung eines die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden Bescheides tritt gemäß § 307 Abs. 3 BAO das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat. Mit dem Wiederaufnahmebescheid ist gemäß § 307 Abs. 1 leg. cit. prinzipiell der neue Sachbescheid zu verbinden. Durch die Beseitigung des Wiederaufnahmebescheides wird wegen des unlösbaren rechtlichen Zusammenhanges auch der im wiederaufgenommenen Verfahren erlassene Sachbescheid seiner Wirksamkeit beraubt. Denn ohne Wiederaufnahme darf ein solcher nicht ergehen. Wird jener aufgehoben, ist auch der mit ihm verbunden ergangene Sachbescheid aus dem Rechtsbestand beseitigt (vgl. Stoll , BAO-Kommentar, 2965, und die dort zitierte hg. Rechtsprechung).
Im Erkenntnis vom , 2000/13/0017, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass aus § 42 Abs. 3 VwGG abgeleitete Folgewirkungen (selbst bei Übertragung der verfahrensrechtlichen Überlegungen auf aufhebende Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes) für eine Fallkonstellation nicht gelten können, für welche die das Verwaltungsverfahren regelnden Normen, wie etwa die Bestimmung des § 295 BAO, spezielle Anordnungen getroffen haben. Sieht § 295 Abs. 1 BAO gerade auch für den Fall der Aufhebung des Grundlagenbescheides ohnehin die Erforderlichkeit der (bescheidmäßig zu verfügenden) Abänderung des von ihm abgeleiteten Abgabenbescheides vor, dann kann Grundlagenbescheide aufhebenden Erkenntnissen rechtlich nicht schon eine unmittelbare Beseitigungswirkung für abgeleitete Bescheide unterstellt werden.
Zwischen Grundlagenbescheid und abgeleiteten Bescheiden besteht kein unmittelbarer Zusammenhang, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass abgeleitete Bescheide schon vor Ergehen des Grundlagenbescheides ergehen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 96/15/0083).
Entgegen der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsmeinung bewirkt die Beseitigung von Grundlagenbescheiden durch Entscheidungen der Abgabenbehörde zweiter Instanz, gleich ob deren Aufhebung gemäß § 289 Abs. 2 BAO ersatzlos erfolgt oder gemäß § 289 Abs. 1 leg. cit. in Form der Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz, nicht schon den Wegfall der davon abgeleiteten Bescheide.
Im Fall der Aufhebung eines Aufhebungsbescheides (betreffend die Feststellung von Einkünften) durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz wird der neue Feststellungsbescheid, der das vorherige Ergehen eines Aufhebungsbescheides (betreffend die Feststellung von Einkünften) zwingend zur Voraussetzung hatte, aus dem Rechtsbestand beseitigt, nicht jedoch auch die vom Feststellungsbescheid abgeleiteten Einkommensteuerbescheide, die dem Regime des § 295 BAO unterliegen.
Änderungen von Bescheiden nach § 295 BAO haben zwingend zu erfolgen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/14/0027), wobei mit der Änderung oder Aufhebung des abgeleiteten Bescheides gewartet werden kann, bis die Abänderung oder Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der nachträglich erlassene Feststellungsbescheid rechtskräftig geworden ist. Die Verpflichtung zur Anpassung abgeleiteter Bescheide wegen nachträglicher Änderung von Grundlagenbescheiden gemäß § 295 Abs. 1 BAO kann mittels Devolutionsantrag geltend gemacht werden (vgl. Ritz , BAO4, § 311 Tz 7). Damit ist - entgegen den Ausführungen der belangten Behörde - ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet.
Anspruchszinsenbescheide sind an die Stammabgabenbescheide gebunden. Wenn sich diese nachträglich als rechtswidrig erweisen und abgeändert oder aufgehoben werden, sind neue, an die geänderten Stammabgabenbescheide gebundene Anspruchszinsenbescheide zu erlassen. § 295 Abs. 3 BAO bietet dafür die verfahrensrechtliche Grundlage (vgl. das hg. Erkenntnis , 2006/15/0150).
Da die belangte Behörde somit zu Unrecht von einer Beseitigung des Einkommensteuer- und Anspruchszinsenbescheides durch die Entscheidung der belangten Behörde betreffend die Feststellung von Einkünften ausgegangen ist, war
der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am