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VwGH 30.03.2016, Ra 2016/13/0008

VwGH 30.03.2016, Ra 2016/13/0008

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssatz


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Norm
DBAbk UdSSR 1982 Art11 Z1;
RS 1
Die 183-Tage-Frist in Art 11 Z 1 DBAbk UdSSR 1982 ist nicht auf das Kalenderjahr bezogen, sondern stellt auf die Zeitperiode der (einheitlichen) Entsendung, sonach unabhängig vom Kalenderjahr, ab (Hinweis Loukota, Das Doppelbesteuerungsabkommen mit der UdSSR und das OECD-Musterabkommen, in: Finanzjournal 1982, 143). Aufenthalte außerhalb der Sowjetunion während der (einheitlichen) Entsendedauer (so im Zuge der sogenannten "Opinon-Leader-Programme") hemmen nur die Fristenberechnung (vgl auch ..."insgesamt" .. im Art 11 Z 1 DBAbk UdSSR 1982), unterbrechen diese aber nicht (mit der Folge des jeweiligen Beginns eines neuen Fristenlaufs).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 95/13/0137 E VwSlg 7255 F/1998 RS 1 (hier nur der erste Satz)

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fries, über die Revision der G in W, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Nikolaus, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1130 Wien, St. Veit-Gasse 8, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/7100491/2011, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2002 und 2003, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird insoweit, als sie sich gegen die Entscheidung über die Einkommensteuer für das Jahr 2003 richtet, zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Streitpunkt des vorliegenden Falles ist die Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen mit der Sowjetunion, BGBl. Nr. 411/1982, und mit der russischen Föderation, BGBl. III Nr. 10/2003, auf die Einkünfte der in Österreich ansässigen Revisionswerberin als wesentlich beteiligte Geschäftsführerin einer österreichischen GmbH in den Jahren 2002 (altes Abkommen) und 2003 (neues Abkommen). Das Bundesfinanzgericht wies die Beschwerde der Revisionswerberin gegen Bescheide des Finanzamtes, die diese Einkünfte zur Gänze der Besteuerung in Österreich unterzogen, als unbegründet ab und sprach aus, die ordentliche Revision dagegen sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

5 Dem hält die Revision in Bezug auf das Streitjahr 2003 entgegen, die Annahme des Fehlens einer der Revisionswerberin in Russland gewöhnlich zur Verfügung stehenden "festen Einrichtung" im Sinne des Art. 14 Abs. 1 des neuen Abkommens sei vom Bundesfinanzgericht nicht schlüssig begründet worden, mit dieser Annahme habe das Bundesfinanzgericht auch gegen das Überraschungsverbot verstoßen und die Revisionswerberin habe im Verwaltungsverfahren vorgebracht, für die von ihr in Russland zu entfaltenden Tätigkeiten habe "natürlich auch auf die Infrastruktur" eines russischen Partnerunternehmens "(räumlich, teilweise auch organisatorisch) zurückgegriffen werden" können, weshalb sie aufzufordern gewesen wäre, dies auf geeignete Weise unter Beweis zu stellen.

6 Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision keine für die Entscheidung betreffend das Streitjahr 2003 maßgebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, weil schon das Finanzamt davon ausging, dass die Revisionswerberin in Österreich ansässig sei, das Erfordernis einer "festen Einrichtung" in Russland die Revisionswerberin daher nicht überraschen konnte, das Vorbringen über den "natürlich" möglichen "Rückgriff" auf die "Infrastruktur" eines anderen Unternehmens als Replik auf den Vorhalt, dieses andere Unternehmen sei für die "Tätigkeiten in Russland" bezahlt worden, keine Behauptung einer "festen Einrichtung" bedeutete und die Annahme der belangten Behörde, eine solche Einrichtung sei der Revisionswerberin nicht gewöhnlich zur Verfügung gestanden, angesichts des Fehlens zielführender Behauptungen darüber nicht den Denkgesetzen oder dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprach.

7 Die Revision war daher insoweit, als sie die Entscheidung über die Einkommensteuer für das Jahr 2003 (den zeitlichen Anwendungsbereich des neuen Abkommens) betrifft, zurückzuweisen.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision der G in W, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Nikolaus, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1130 Wien, St. Veit-Gasse 8, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/7100491/2011, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2002 und 2003, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als es die Einkommensteuer für das Jahr 2002 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist eine russische Staatsangehörige, deren Ansässigkeit in Österreich im Revisionsverfahren nicht strittig ist. Nach Zurückweisung der Revision, soweit sie das Jahr 2003 betraf, mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2016/13/0008-4, ist Streitpunkt des Verfahrens in Bezug auf das verbleibende Jahr 2002, ob das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Bezüge der Revisionswerberin als Geschäftsführerin einer österreichischen GmbH, an der sie zu 26% beteiligt war, gemäß Artikel 11 des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, BGBl. Nr. 411/1982 (DBA-UdSSR), zur Gänze Österreich zusteht.

2 Das Finanzamt nahm dies auf der Grundlage eines Berichtes vom über das Ergebnis einer Außenprüfung an und erließ einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid. In der Berufung dagegen machte die Revisionswerberin - soweit hier wesentlich - vor allem geltend, sie sei überwiegend in Russland tätig gewesen. In Österreich halte sie sich "regelmäßig für wesentlich geringere Zeiträume auf als in der Russischen Föderation". Nach dem für das Jahr 2002 noch maßgeblichen DBA-UdSSR stehe das Besteuerungsrecht Russland zu, sofern sich die Person dort länger als insgesamt 183 Tage aufgehalten habe. Die Revisionswerberin habe ihre Einkünfte in Russland deklariert und versteuert. Zu den Beilagen der Berufung zählte ein "Bericht", mit dem zehn Zeugen in Moskau und Umgebung zum Beweis dafür namhaft gemacht wurden, dass sich die Revisionswerberin "ab dem Jahr 2001 bis zur Mitte Juli 2003" nur "ungefähr 1 Mal jeden zweiten Monat und immer wieder ein paar Tage" in Österreich aufgehalten habe.

3 Im Februar 2011 legte das Finanzamt die Berufung mit einer Stellungnahme des Prüfers dem unabhängigen Finanzsenat vor.

4 Mit Schreiben vom hielt das inzwischen zuständig gewordene Bundesfinanzgericht der Revisionswerberin vor, "grundsätzlich" würden "nach der Judikatur die Einkünfte eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH am Sitz der GmbH erzielt". In diesem Schreiben wurde die Revisionswerberin u. a. auch aufgefordert, zum Nachweis der "Aufenthaltsdauer in den jeweiligen Staaten im Jahr 2002" "geeignete Unterlagen (zB Kopien des Reisepasses)" vorzulegen.

5 Die Revisionswerberin antwortete mit Schreiben vom , ihr damaliger Reisepass sei eingezogen und durch einen neuen ersetzt worden. Sie habe sich im Jahr 2002 aber überwiegend in Russland aufgehalten, wofür als Indiz auch zu erwähnen sei, dass sie für dieses Jahr den schon vorgelegten Unterlagen zufolge auch eine Steuererklärung auf der Grundlage unbeschränkter Steuerpflicht in Russland eingereicht habe. Die Geschäfte hätten aus näher dargestellten Gründen ihre Anwesenheit in Russland erfordert.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die von ihm als Beschwerde zu behandelnde Berufung als unbegründet ab. Es stellte als "Sachverhalt" u. a. fest, die Revisionswerberin übe ihre "Tätigkeit als Geschäftsführerin im Inland aus", und begründete dies in der "Beweiswürdigung" vor allem damit, dass die Tätigkeit eines Geschäftsführers im Wesentlichen in der Erteilung von Weisungen bestehe, die "Ausübung" der Tätigkeit "erst mit dem Zugang der Weisung an die GmbH vollendet" sei und sich "der Zugang der Weisung am Ort des Sitzes der Gesellschaft" vollziehe. Die Revisionswerberin habe ihre Tätigkeit daher "am Ort des Sitzes der Gesellschaft und somit im Inland persönlich ausgeübt", woran auch ihre "unbestreitbaren häufigen Aufenthalte" in Russland nichts änderten.

7 In seinen Rechtsausführungen untermauerte das Bundesfinanzgericht diese Sichtweise mit Ausführungen über das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2669/78, dem das Bundesfinanzgericht folge. Eine Revision gegen seine Entscheidung erklärte das Bundesfinanzgericht für gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision, zu der das Finanzamt nach Einleitung des Vorverfahrens in Bezug auf das Streitjahr 2002 keine Revisionsbeantwortung erstattet hat, insoweit erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10 Der für die Einkünfte der Revisionswerberin im Jahr 2002 unstrittig maßgebliche Art. 11 DBA-UdSSR lautet, soweit hier wesentlich:

"Arbeitslohn und einige andere Einkünfte natürlicher Personen

1. Arbeitslöhne und andere Einkünfte, die eine in einem der Vertragsstaaten ansässige natürliche Person für eine im anderen Vertragsstaat ausgeübte Tätigkeit bezieht, dürfen in diesem anderen Staat nur dann besteuert werden, wenn sich die Person dort länger als insgesamt 183 Tage aufgehalten hat. (...)"

11 Die Besonderheit dieser Vertragsbestimmung bestand darin, dass die 183-Tage-Frist nicht auf das Kalenderjahr oder einen anderen bestimmten Zeitrahmen, sondern auf die Zeitperiode einer "(einheitlichen) Entsendung" bezogen war (vgl. dazu näher das Erkenntnis vom , 95/13/0137, VwSlg 7255/F, mit Hinweis u.a. auf Loukota, Finanzjournal 1982, 143).

12 Das Bundesfinanzgericht ist nicht davon ausgegangen, dass sich die Revisionswerberin nicht lang genug in Russland aufgehalten habe. Es hat ein Besteuerungsrecht Russlands vielmehr verneint, weil die Revisionswerberin ihre Einkünfte nicht für eine dort "ausgeübte Tätigkeit" bezogen habe, und sich dafür auf das erwähnte Erkenntnis vom berufen.

13 Dieses zum EStG 1972 ergangene Erkenntnis folgte einer Entscheidung des BFH vom , GrS 1/71, BStBl. II 1972, 68, von der der BFH schon im Urteil vom , I R 37/83, BStBl. II 1986, 739, für Geschäftsreisen und im Urteil vom , I R 67/93, BStBl. II 1995, 95, endgültig abging (vgl. in der Folge etwa Achatz, SWI 1999, 446 (447), zum nunmehr maßgeblichen Prinzip des Abstellens auf die physische Arbeitsausübung, mit Hinweis auf eine "fragwürdig" gewesene "Fiktion"). Auch die österreichische Finanzverwaltung vertritt die vom BFH "entwickelte" und wieder "verworfene" Auffassung nicht mehr (vgl. dazu die vom Bundesfinanzgericht fälschlich zum Beweis des Gegenteils ins Treffen geführte, mit dem Inhalt einer viel älteren Auskunft zitierte Stellungnahme EAS 2046 vom ).

14 Zum EStG 1988 ging der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 2000/15/0039, VwSlg 7653/F, beim in London lebenden Vorstand einer österreichischen AG nicht davon aus, er habe seine Tätigkeit schon wegen des in Österreich gelegenen Sitzes der Gesellschaft auch in den Zeiten seines Aufenthaltes in London in Österreich "ausgeübt". Auf diese Entscheidung, der insoweit auch für den hier zu beurteilenden Fall der Geschäftsführerin einer GmbH zu folgen ist, hat das Bundesfinanzgericht nicht Bedacht genommen (vgl. zur Judikaturänderung etwa auch Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht, Z 00 Rz 228, Z 14 Rz 92 und Z 15 Rz 154; Doralt/Ludwig, EStG15, § 98 Tz 64/1; Kofler in Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger, Internationales Steuerrecht, 184 Fn. 835; Bendlinger, a. a.O., 721 f).

15 Bei der Prüfung der nach der zitierten Abkommensbestimmung u. a. wesentlichen Frage, ob die Revisionswerberin Einkünfte für eine in Russland "ausgeübte Tätigkeit" bezog, hat das Bundesfinanzgericht daher einen falschen Maßstab angelegt.

16 Das angefochtene Erkenntnis war aus diesem Grund betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2002 gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
BAO §167 Abs2;
B-VG Art133 Abs4;
DBAbk Rußland 2002 Art14 Abs1;
DBAbk UdSSR 1982;
VwGG §34 Abs1;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016130008.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
TAAAE-70347