VwGH vom 28.06.2006, 2004/08/0085
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des T in L, vertreten durch Dr. Christian Gassauer-Fleissner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wallnerstraße 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 15-II-K 3/2003, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei:
Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Einspruch des am geborenen Beschwerdeführers gegen den Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom als unbegründet abgewiesen eine Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG abgelehnt.
Die vom Beschwerdeführer beantragte Begünstigung im Sinne des § 502 Abs. 6 ASVG komme lediglich dann in Betracht, wenn sein Wohnsitz am in der Republik Österreich gelegen gewesen wäre. Für den Begriff des "Wohnsitzes" sei § 66 JN heranzuziehen. Der Beschwerdeführer sei am noch minderjährig gewesen und habe somit zu diesem Zeitpunkt den Wohnsitz seines Vaters geteilt. Dieser habe seinen Wohnsitz aus beruflichen Gründen von Österreich in die (damalige) Tschechoslowakei verlegt und sei lediglich vom bis zum in Wien (als Student) gemeldet gewesen. Mit der Abmeldung in Wien sei die Meldung des Vaters des Beschwerdeführers in Brünn einhergegangen. Anhaltspunkte dafür, dass der Vater des Beschwerdeführers einen Wohnsitz in Wien aufrecht erhalten hätte, fänden sich keine.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab und beantragte Kostenersatz für den Fall der Abweisung der Beschwerde. Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 500 ASVG werden Personen, die in der Zeit vom bis aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506 ASVG, und Personen, die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506 ASVG begünstigt.
Gemäß § 502 Abs. 4 ASVG können Personen, die in der in § 500 ASVG angeführten Zeit aus einem der dort angeführten Gründe ausgewandert sind und die vorher in der Zeit seit dem Beitragszeiten gemäß § 226 ASVG oder Ersatzzeiten gemäß § 228 oder § 229 ASVG oder Zeiten nach dem Auslandsrenten-Übernahmegesetz zurückgelegt haben, für die Zeiten der Auswanderung, längstens aber für die Zeit bis , Beiträge nachentrichten.
Gemäß § 502 Abs. 6 ASVG gelten die Abs. 1 und 4 leg. cit. auch für Personen, die vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit, Ausbürgerung oder Auswanderung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluss hatte, keine Beitragszeiten gemäß § 226 ASVG oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 und 229 ASVG zurückgelegt haben, sofern der (die) Betreffende am seinen (ihren) Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte und, in den Fällen des Abs. 4, spätestens am geboren wurde. Eine solche Nachentrichtung, soweit sie für Zeiten der Auswanderung erfolgt, ist unbeschadet des § 502 Abs. 1 letzter Satz ASVG frühestens für Zeiten nach der Vollendung des 15. Lebensjahres der in Betracht kommenden Person zulässig.
Strittig ist, ob der am in Brünn geborene Beschwerdeführer seinen Wohnsitz am im Gebiet der Republik Österreich hatte (und er daher gemäß § 502 Abs. 6 iVm § 502 Abs. 4 ASVG zur Nachentrichtung von Beiträgen berechtigt ist). Unter dem "Gebiet der Republik Österreich" ist Österreich in seinen heutigen Grenzen zu verstehen. Der Begriff "Wohnsitz" ist im Sinne des § 66 Abs. 1 JN zu interpretieren. Demnach ist der ordentliche Wohnsitz einer Person an dem Ort begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Zu den Merkmalen eines solchen bleibenden Aufenthaltes zählt unter anderem der Umstand, dass der gewählte Aufenthaltsort zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt des Lebens gemacht wird, mag auch von vornherein klar sein, dass sich dieser Aufenthalt über eine bestimmte oder unbestimmte Dauer hinaus nicht erstrecken wird. Lehre und Rechtsprechung zu § 66 Abs. 1 JN legen Wert auf die äußerliche Erkennbarkeit einer solchen Niederlassungsabsicht, auf den Mittelpunkt des Lebensinteresses an einem bestimmten Ort nach der persönlichen Seite, nach dem Familiensitz und der Haushaltsführung. Der Aufenthaltsort muss bewusst zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt gemacht werden; es darf sich bei dieser Wahl um keine Provisorialmaßnahme handeln. Als einzelne Merkmale für einen dauernden Aufenthalt im Sinne des Mittelpunktes der Lebensinteressen können herangezogen werden z.B. die Dauer eines Mietvertrages, der Umfang getätigter wirtschaftlicher Investitionen, das Vorhandensein einer Dauererwerbsmöglichkeit, ein länger dauernder Dienstvertrag, das Eingehen einer Lebensgemeinschaft mit einer Person, von der die Aufgabe ihres bisherigen Wohnsitzes allgemein nicht erwartet werden kann, die Übernahme der Pflege dauernd pflegebedürftiger Angehöriger. Dabei kommt den Meldedaten wenig Beweiswert zu, weil durch sie die vorhandene oder fehlende Absicht, einen bleibenden Aufenthalt zu nehmen, weder erwiesen noch widerlegt werden kann. (Vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/08/0133). Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer am Stichtag ein Kind im Alter von dreieinhalb Jahren war. Nach den für den Wohnsitzbegriff maßgebenden Bestimmungen der JN können - unter anderem - minderjährige Kinder nicht selbständig einen Wohnsitz begründen, da ihnen die rechtliche Verfügungsfähigkeit darüber mangelt, welchen Ort sie zum Mittelpunkt ihres Lebens wählen. Sie teilen vielmehr gemäß § 71 JN idF BGBl. Nr. 403/1977 den allgemeinen Gerichtsstand (Wohnsitz) ihres gesetzlichen Vertreters (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/08/0122). Waren beide Eltern gesetzliche Vertreter, so teilt das Kind nach der zitierten Gesetzesbestimmung deren gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand (Wohnsitz), haben sie keinen solchen, den allgemeinen Gerichtsstand (Wohnsitz) des Elternteils, dessen Haushalt es zugehört.
Im Verwaltungsverfahren führte der Beschwerdeführer (in seinem Einspruch vom ) u.a. aus, es sei jedenfalls möglich, dass er im entscheidenden Zeitraum in Österreich war. Seine Eltern hätten über seinen Wohnsitz bestimmt. Er habe oftmals
seine in Wien wohnhaften Großeltern sowie andere Verwandte in Wien besucht. Er habe sich für längere Zeitabschnitte, die auch den umfasst haben könnten, bei diesen aufgehalten. Obwohl seine Eltern einen Wohnsitz in Brünn gehabt hätten, seien beide österreichische Staatsbürger gewesen. In seinem Schreiben vom führte der Beschwerdeführer u.a. aus, sein Vater sei (im Dezember 1928) nach Brünn übersiedelt, weil sein Großvater dort eine Geschäftsstelle eröffnet habe. Der Großvater sei von seinen beiden Söhnen (dem Vater des Beschwerdeführers und seinem Onkel) abhängig gewesen, um den Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten zu können. Beide hätten sich daher in der Tschechoslowakei aufgehalten. Sein Vater sei oft auf Geschäftsreisen und von der Familie weg gewesen. Seine Mutter sei "in diesem Zusammenhang" öfters mit dem Beschwerdeführer nach Wien gefahren, um Verwandte zu besuchen. Er habe "einen Großteil meiner Zeit in Wien verbracht".
Diesem Vorbringen über - auch längere - Besuche in Wien im Zusammenhang mit geschäftsbedingten Abwesenheiten seines Vaters in Brünn ist nicht zu entnehmen, dass die Mutter des Beschwerdeführers keinen gemeinsamen Wohnsitz mit dem Vater gehabt hätte und dass darüber hinaus Wien von seiner Mutter vor dem zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt ihres Lebens gemacht worden wäre. Es liegen - abgesehen von den ebenfalls fehlenden Meldedaten - außer den behaupteten Besuchen, die als vorübergehende Aufenthalte gegen den Standpunkt des Beschwerdeführers sprechen, auch keinerlei nach außen in Erscheinung getretene Hinweise für eine solche Wohnsitznahme vor. Dem Umstand, dass sich in dem am vom Deutschen Reich ausgestellten Pass der Mutter des Beschwerdeführers (in dem als Wohnort "Brünn" angeführt wird) ein Vermerk des Polizeidirektion Brünn vom finden, wonach diese in Brünn gemeldet sei, kommt im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung zu, weil daraus - anders als die Beschwerde vorbringt - nicht geschlossen werden könnte, die Mutter des Beschwerdeführers habe vor diesem Zeitpunkt den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen in Wien gehabt. Da der Beschwerdeführer den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen nie auf dem Gebiet der Republik Österreich gehabt hat, geht auch sein Vorbringen über eine Auswanderung in Form der verhinderten Rückkehr (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 97/08/0054, und vom , Zl. 2004/08/0229) ins Leere.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am