VwGH vom 21.05.1992, 91/17/0044
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Wetzel, Dr. Puck und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde des AM in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom , Zl. MDR-V 19/90, betreffend Haftung für Abgabenschuldigkeiten, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer "auf Grund der §§ 7 Abs. 1 und 54 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 2 und 5 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien Nr. 21/1962, in der derzeit geltenden Fassung" als Obmann des Vereins ED für die bei diesem in der Zeit von April 1984 bis Oktober 1987 entstandenen Abgabenschuldigkeiten - Getränkesteuer und Nebenansprüche - im Gesamtbetrag von S 98.226,-- haftbar gemacht und aufgefordert, den rückständigen Betrag innerhalb eines Monates zu entrichten. Dies nach Darlegung der gesetzmäßigen Haftungsvoraussetzungen sinngemäß im wesentlichen mit der Begründung, der Beschwerdeführer sei in der Zeit vom bis Obmann des die Abgaben primär schuldenden Vereins gewesen. Er gehöre somit zu dem im § 54 Abs. 1 WAO angeführten Personenkreis. Weiters stehe auf Grund der Aktenlage fest, daß die Abgabenforderung beim Verein uneinbringlich sei. Die Pflichtverletzung des Beschwerdeführers ergebe sich einerseits aus der Mißachtung des § 7 Abs. 1 des Getränkesteuergesetzes, wonach der Steuerpflichtige bis zum zehnten Tag eines jeden Monats die Steuer für die im Vormonat abgegebenen Getränke zu entrichten habe. Andererseits bleibe der Verein verpflichtet, rückständige Abgabenschuldigkeiten zu entrichten; zur Erfüllung dieser Verpflichtung sei gemäß § 80 Abs. 1 WAO der Vereinsobmann verhalten. Dieser müsse sich bei Übernahme seiner Funktion darüber unterrichten, ob und in welchem Ausmaß der von ihm vertretene Verein bisher seinen steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen sei. Im vorliegenden Fall sei dem Beschwerdeführer auch der den Verein betreffende Abgabenbescheid vom eigenhändig zugestellt worden, weswegen er auch aus diesem Grund über dessen steuerliche Verpflichtungen Kenntnis gehabt haben müsse. Außerdem könne nicht angenommen werden, daß der Beschwerdeführer "über die Praxis des Vereines, keine Getränkesteuer abzuführen", nicht Kenntnis gehabt habe, "da er diese Praxis als Obmann fortgesetzt" habe. Den erforderlichen Nachweis, daß ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten für den Verein unmöglich gewesen sei, habe der Beschwerdeführer nicht erbracht, "zumal der Verein im Hinblick auf die nachweislichen Getränkeverkäufe über Mittel verfügen mußte."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Seinem gesamten Vorbringen zufolge erachtet sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht verletzt, für die Abgabenschuldigkeiten des genannten Vereines nicht bzw. nicht in der bescheidmäßig geltend gemachten Höhe als Haftungspflichtiger in Anspruch genommen zu werden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der VwGH hat erwogen:
Gemäß § 54 Abs. 1 WAO haben u.a. die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Die in den §§ 54 ff bezeichneten Vertreter haften gemäß § 7 Abs. 1 WAO neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die betreffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt eine auf die zitierten und auf verwandte Rechtsvorschriften gestützte Haftungsinanspruchnahme voraus, daß die rückständigen Abgaben uneinbringlich wurden und dies auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters zurückzuführen ist. Neben dem Eintritt eines objektiven Schadens - Ausfall der gegen den Vertretenen gerichteten Abgabenforderung - und dem Verschulden des Vertreters ist ein Rechtswidrigkeitszusammenhang - die Verletzung von Vertreterpflichten führt zur Uneinbringlichkeit - erforderlich. Das tatbestandsmäßige Verschulden kann in einem vorsätzlichen oder in einem fahrlässigen Handeln oder Unterlassen bestehen. Fahrlässig die Verpflichtung für die Abgabenentrichtung Sorge zu tragen, vernachlässigt zu haben, wird angenommen, wenn der Vertreter keine Gründe darlegen kann, wonach ihm die Erfüllung unmöglich war. Das Tatbestandsmerkmal "... infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können" ist etwa dann als erfüllt anzusehen, wenn der Vertreter bei oder nach Fälligkeit der Verbindlichkeiten Mittel für die Bezahlung - gegebenenfalls nach gleichmäßiger Aufteilung der Zahlungsmittel auf alle Verbindlichkeiten - zur Verfügung hatte und nicht - wenn auch nur anteilig - für die Abgabentilgung Sorge getragen hat. Insoweit - der Vertreter darf Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als die übrigen aus dem von ihm verwalteten Vermögen zu begleichenden Schulden, wenn auch nicht verlangt wird, daß der Abgabengläubiger vor allen übrigen Gläubigern befriedigt wird - ist auch das Ausmaß der Haftung bestimmt.
Zur qualifizierten Mitwirkungspflicht des Haftungspflichtigen im besonderen gilt, daß nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen hat, sondern der zur Haftung herangezogene Vertreter das Fehlen ausreichender Mittel. Außerdem hat er darzutun, daß er die Abgabenforderungen bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt hat. Die den Vertreter betreffende Behauptungs- bzw. Nachweispflicht kann allerdings nicht so aufgefaßt werden, daß die Abgabenbehörde jedweder Ermittlungspflicht entbunden wäre. Die grundsätzliche qualifizierte Mitwirkungspflicht des Vertreters betreffend das Fehlen der erforderlichen Mittel zur Abgabenentrichtung entbindet die belangte Behörde nämlich dann nicht von ihrer Ermittlungs- und Feststellungspflicht, wenn sich aus dem Akteninhalt deutliche Anhaltspunkte für das Fehlen dieser Mittel ergeben (vgl. zu allen wiedergegebenen Rechtsätzen beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/17/0244, und die dort zitierten Vorentscheidungen).
Wenn der Beschwerdeführer zunächst vorbringt, er sei "zwar formal bis März 1988 Obmann gewesen", habe aber "diese Funktion jedoch nur bis Spätherbst 1987 tatsächlich ausgeübt", so ergibt sich daraus noch nicht, daß er nicht im gesamten haftungsgegenständlichen Zeitraum zu dem im § 54 Abs. 1 WAO angeführten Personenkreis gezählt hat; maßgebend ist nämlich nicht, ob der Beschwerdeführer seine Funktion als Vertreter tatsächlich ausgeübt hat, sondern ob er als Obmann zum Vertreter des Vereines bestellt war und ihm daher diese Funktion auszufüllen oblegen hätte. Auch behauptet er nicht, daß er an der Wahrnehmung der ihm als Vertreter des Vereins obliegenden Pflichten gehindert worden sei bzw. gegebenenfalls etwas gegen diese Behinderung unternommen hätte. Als Vertreter des Vereins oblag es dem Beschwerdeführer, auch die vor seiner Bestellung in diese Funktion fällig gewordenen, aber noch nicht abgestatteten Abgabenschuldigkeiten des Vereins aus dessen allenfalls vorhandenen Mitteln zu entrichten (vgl. hiezu bspw. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 89/15/0021, und vom , Zl. 89/14/0043).
Der Beschwerdeführer rügt weiters, ein Ausfall sei deswegen nicht gegeben, weil die vor ihm als Obmann des Vereines tätig gewesenen Personen nicht herangezogen worden seien.
Rechtsvoraussetzung für die Heranziehung des Beschwerdeführers als Haftungspflichtiger ist nicht, daß die Abgabenschuldigkeiten des Vereines nicht nur bei diesem, sondern auch bei den früheren Obmännern nicht einbringlich sind, sondern allein, daß Abgabenschuldigkeiten beim Verein als Primärschuldner nicht eingebracht werden können. Kommen aber mehrere (hier: nacheinander bestellt gewesene) Vertreter des Primärschuldners als Haftungspflichtige in Betracht, so ist die Ermessensentscheidung, wer von ihnen in Anspruch genommen wird, entsprechend zu begründen. Eine ausreichende Begründung enthält der angefochtene Bescheid in dieser Hinsicht aber schon deswegen nicht, weil darin schon die für die Abwägung erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen nicht getroffen sind. Allein darin ist schon ein wesentlicher Verfahrensmangel zu erblicken.
Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde schließlich noch vor, bei Übernahme seiner Funktion sei ihm von seinen Vorgängern versichert worden, es bestünden keine steuerlichen Verpflichtungen. Bücher seien nicht geführt worden. Er sei auch "mangels irgendwelcher Vereinseinnahmen damals nicht in der Lage" gewesen, entsprechende Zahlungen zu leisten.
Der belangten Behörde ist darin beizupflichten, daß sich der Beschwerdeführer bei Übernahme seiner Funktion über seine abgabenrechtlichen Verpflichtungen hätte unterrichten müssen; ob dies geschehen ist, insbesondere, ob die diesbezüglichen Behauptungen des Beschwerdeführers in seiner Berufung zutreffen, wurde allerdings im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt, was ebenfalls einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt. Aus der Aktenlage ergibt sich dagegen, daß der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem gegen den Primärschuldner geführten Abgabenverfahren noch vor Ablauf des Jahres 1987 über Abgabenrückstände des Vereines Kenntnis erlangt hat. Auch trifft es, wie aus dem im Verwaltungsakt erliegenden Erhebungsbericht vom hervorgeht, offenkundig nicht zu, daß der Verein während des Haftungszeitraumes keinerlei Einnahmen erzielt hat, doch hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren wiederholt sinngemäß behauptet, daß die Einnahmen des Vereines nur sehr gering gewesen seien und damit die ihm zur Verfügung gestandenen Vereinsmittel nicht ausgereicht hätten, um die haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten zu entrichten. Unter diesen Umständen wäre es jedenfalls Pflicht der Verwaltungsinstanzen gewesen, die vom Beschwerdeführer auch zu diesem Thema angebotenen Zeugen zu vernehmen; dies wurde jedoch unterlassen.
Aus diesen Erwägungen mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit.b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des gestellten Antrages - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Stempelgebührenersatz war nur für die zur Beschwerdeführung notwendigen Urkunden zuzuerkennen.