VwGH vom 30.06.2005, 2003/18/0209

VwGH vom 30.06.2005, 2003/18/0209

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des H, geboren 1973, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 874/02, betreffend Zurückweisung einer Berufung gegen eine Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde die am eingebrachte Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom , mit dem der Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 1 FrG ausgewiesen worden war, als verspätet zurückgewiesen.

In seiner Stellungnahme im Ausweisungsverfahren vom habe der Beschwerdeführer seine Anschrift mit 1170 Wien, K.-gasse, angegeben. Der erstinstanzliche Ausweisungsbescheid sei nach zwei Zustellversuchen an diese Anschrift am 27. und schließlich beim Postamt 1170 Wien hinterlegt worden, wo er ab zur Abholung bereit gelegen sei. Die zweiwöchige Berufungsfrist habe am geendet. Außerdem habe die erstinstanzliche Behörde den Ausweisungsbescheid am nochmals durch Hinterlegung an eine Adresse des Beschwerdeführers in 1030 Wien, M.-gasse, zugestellt, weil (durch eine Anfrage beim zentralen Melderegister am ) hervorgekommen sei, dass er seinen Wohnsitz am dorthin verlegt gehabt habe. Dadurch werde jedoch die Rechtsgültigkeit der ersten Zustellung dieses Bescheides nicht berührt. Der Beschwerdeführer habe es unterlassen, der Behörde unverzüglich mitzuteilen, dass sich seine bisherige Abgabestelle geändert habe. In einem solchen Fall habe die Partei allenfalls entstehende Rechtsnachteile zu vertreten, wenn die Behörde an die bislang nicht geführte Anschrift (gemeint offenbar: an die bislang geführte Anschrift) zustelle. Die Unterlassung der Mitteilung der Aufgabe der Abgabestelle habe zur Folge, dass an diese Abgabestelle zugestellt werden könne, gleichgültig wo sich die Partei befinde und welche Abgabestelle zum Zeitpunkt der Zustellung für sie in Betracht gekommen wäre. Die Erstbehörde habe keine Kenntnis von der Aufgabe der Abgabestelle gehabt, weshalb an der Rechtswirksamkeit der Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides am kein Zweifel bestehe.

Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom sei dem Beschwerdeführer folgender Sachverhalt vorgehalten worden.

"Der Bescheid der Erstbehörde wurde nach zwei Zustellversuchen an der von Ihnen geführten Wohnanschrift 17., K.- gasse 20/5, am und am Postamt 1174 hinterlegt, wo er ab zur Abholung bereit lag. Wie sich später herausstellte, haben Sie während des Ihnen bekannten Verfahrens Ihre Abgabestelle geändert, ohne dies der Behörde mitzuteilen. Die genannte Zustellung durch Hinterlegung war sohin rechtswirksam und löste die Berufungsfrist aus. Ihre Berufung vom erweist sich sohin als verspätet."

In seiner Stellungnahme vom habe der Beschwerdeführer diesen Sachverhalt nicht bestritten. (Diese Stellungnahme lautet auszugsweise:

"Nachdem ich meine alte Adresse K.-gasse, 1170 Wien, geändert habe, habe ich sofort mein neues Meldzettel bei dem Magistrat in dem dritten Bezirk gemacht. In dieser Zeit (), die Sie in ihrem Brief (...) geschrieben haben, habe ich mich bereitet nach Ägypten in den Sommerferien zu fliegen und deshalb habe keine Verständigung in meiner alten Adresse (K.-gasse, 1170 Wien) erhalten.")

Die am eingebrachte Berufung erweise sich daher als verspätet.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach § 8 Abs. 1 Zustellgesetz (ZustG) hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann (§ 8 Abs. 2 ZustG).

Nach § 4 ZustG in der bis zum geltenden Stammfassung BGBl. Nr. 200/1982 ist eine Abgabestelle iSd ZustG der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers, im Fall einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort.

Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinn des § 13 Abs. 3 ZustG regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Fall der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen (§ 17 Abs. 1 ZustG).

§ 17 Abs. 3 ZustG lautet:

"(3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte."

2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde habe sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren nicht berücksichtigt, dass er zum Zeitpunkt des ersten Zustellversuches ortsabwesend (in Ägypten) gewesen sei. Am habe er den Mietvertrag bezüglich seiner neuen Wohnadresse (1030 Wien, M.-gasse) abgeschlossen. Am habe er sich von seiner bisherigen Wohnadresse (1170 Wien, K.-gasse) umgemeldet, "um den Bestimmungen des Meldegesetzes Genüge zu tun". Am sei er in seine Heimat geflogen, von wo er erst am wieder nach Wien zurückgekehrt sei. Am (Beginn der Abholungsfrist) sei er in Ägypten gewesen. Da er bereits am das Bundesgebiet für einen Zeitraum von mehr als acht Wochen verlassen habe, hätte selbst dann, wenn er der Zustellbehörde noch am eine Änderung seiner Abgabestelle bekannt gegeben hätte, eine ordnungsgemäße Zustellung während der Zeit seiner Abwesenheit nicht erfolgen können. Darauf habe er die belangte Behörde in der Stellungnahme vom hingewiesen.

2.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Die belangte Behörde hat - jedenfalls für die hier maßgebliche Rechtslage vor der Änderung der §§ 4 und 7 ZustG durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 10/2004 - zutreffend ausgeführt, dass die Unterlassung der Mitteilung einer Aufgabe (bzw. einer Änderung) der Abgabestelle durch die Partei zur Folge hat, dass an der der Behörde als Abgabestelle bekannt gegebenen Anschrift zugestellt werden kann, gleichgültig, wo sich die Partei befindet und welche Abgabestelle im Zeitpunkt der Zustellung für sie in Betracht gekommen wäre. Dass die Änderung der Abgabestelle auf Grund des postalischen Vermerkes für die Zustellbehörde nicht erkennbar war (und ein Vorgehen iSd § 8 Abs. 2 ZustG unterblieb), geht grundsätzlich zu Lasten der Partei (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 96/10/0112, und vom , Zl. 96/02/0253).

Die belangte Behörde stellte fest, dass die Erstbehörde "keine Kenntnis von der Aufgabe der Abgabestelle" gehabt habe. Dabei ist jedoch die für die Beurteilung des vorliegenden Zustellvorgangs bedeutsame, vorgelagerte Feststellung darüber unterblieben, ab welchem Zeitpunkt sich die Abgabestelle des Beschwerdeführers tatsächlich geändert hat. Als Abgabestelle im Sinn des § 4 ZustG kommt unter den vorliegenden Umständen die Wohnung des Beschwerdeführers in Betracht. Unter Wohnung ist jene Räumlichkeit zu verstehen, die der Empfänger tatsächlich benützt, wo er also tatsächlich wohnt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/21/0036). Ob und wie lange eine Abgabestelle im Sinn des § 4 ZustG vorhanden ist, hat die belangte Behörde von Amts wegen zu ermitteln. Der Beschwerdeführer hat in seiner Stellungnahme vom zum Ausdruck gebracht, dass er im fraglichen Zeitraum seiner Meldeverpflichtung nachgekommen sei. Er habe sich sodann nach Ägypten begeben. Aus dem vom Beschwerdeführer am abgeschlossenen Mietvertrag über seine neue Wohnung 1030 Wien, M.-gasse (OZl. 122 des Verwaltungsaktes) ergibt sich, dass das Mietverhältnis am beginnen sollte und auf die Dauer von drei Jahren befristet abgeschlossen wurde. Hätte die belangte Behörde ermittelt, wann der Beschwerdeführer tatsächlich aus seiner alten Wohnung ausgezogen und in seine neue Wohnung eingezogen ist und wann er seinen achtwöchigen Urlaub angetreten hat (dem Beschwerdevorbringen zufolge hat er Österreich bereits am verlassen, sodass der Zeitpunkt des Auszugs aus seiner alten Wohnung und des Einzugs in seine neue Wohnung wegen des Urlaubsantritts auseinanderfallen könnten), so könnte sich ergeben, dass die Abgabestelle des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der gegenständlichen Zustellversuche Ende Juni 2002 entweder die bisherige Wohnadresse in 1170 Wien, K.-gasse, oder (abweichend von den Bestimmungen des Mietvertrages) bereits die neue Wohnadresse in 1030 Wien, M.-gasse, gewesen ist, oder dass der Beschwerdeführer im genannten Zeitpunkt vorübergehend über zwei oder aber über gar keine Abgabestelle verfügt hat. Eine Abwesenheit des Beschwerdeführers sowohl von seiner alten als auch von seiner neuen Abgabestelle hätte aber unter den vorliegenden Umständen, dass ein Umzug mit einer langen Abwesenheit sowohl von der alten als auch von der neuen Abgabestelle einher geht, jedenfalls zur Folge, dass eine hinterlegte Sendung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG nicht als zugestellt gelten könnte, weil der Empfänger wegen Abwesenheit nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Auch dieser Umstand ist von der Behörde von Amts wegen zu prüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/09/0331). Seiner Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/04/0036) ist der Beschwerdeführer mit seiner Stellungnahme vom nachgekommen, in der er auf seine Abwesenheit hingewiesen hat.

Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, dass die gegenständliche Zustellung an die Adresse des Beschwerdeführers 1170 Wien, K.-gasse, wegen eines Zustellmangels nicht wirksam war, so wäre die Rechtzeitigkeit der Berufung an der Zustellung des Ausweisungsbescheides an die Adresse des Beschwerdeführers 1030 Wien, M.-gasse, am zu messen (§ 7 ZustG in der bis zum geltenden Stammfassung BGBl. Nr. 200/1982).

3. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Der Zuspruch von Aufwandersatz erfolgte auf Grund der §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am