VwGH vom 11.03.1992, 91/13/0129
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat V) vom , Zl 6/3-3418/89-08, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beantragte am , die Frist zur Einbringung einer Berufung gegen die nach einer abgabenbehördlichen Prüfung ergangenen Abgabenbescheide für die Jahre 1983 bis 1986 zu verlängern. Das Finanzamt gab dem Ansuchen bescheidmäßig statt und verlängerte die Rechtsmittelfrist bis . Ein mit datiertes, am zur Post gegebenes Ansuchen um weitere Verlängerung der Rechtsmittelfrist bis wies das Finanzamt mit Bescheid vom , nachweislich zugestellt am , als verspätet ab.
Am Tag der Zustellung dieses Bescheides beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Fristverlängerungsansuchen wäre am in Kenntnis des Umstandes, daß die Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels an diesem Tag ablaufe, von einem Mitarbeiter der Steuerberatungsgesellschaft diktiert, und die seit etwa 10 Jahren mit dem "Postablauf" beauftragte Angestellte, Frau C., auf die Dringlichkeit der Fristeneinhaltung hingewiesen worden. Die Eintragung in das Postbuch sei erfolgt. Im Hinblick auf den von der abgabenbehördlichen Prüfung festgestellten Fehlbetrag von rund S 395,000.000,-- wäre an diesem Tag sowohl vom Geschäftsführer als auch vom Sachbearbeiter mehrfach angefragt worden, ob das Schriftstück bereits abgefertigt sei oder sich bei der Postaufgabe befinde. An diesem Tag wäre eine Angestellte, Frau M., ausdrücklich beauftragt gewesen, die Postaufgabe durchzuführen. Sie wäre ausdrücklich belehrt worden, daß das Gesuch vom zur Wahrung der Frist unbedingt an diesem Tag bei der Post aufgegeben werden müsse. Diese Angestellte hätte die Kanzlei gegen 16,30 Uhr mit dem Auftrag verlassen, die Postaufgabe durchzuführen. Trotz der ausdrücklichen Weisung zur fristgerechten Postaufgabe und trotz Kenntnis der Wichtigkeit des Auftrages habe die Angestellte es aus Gründen einer an diesem Tag bestehenden psychisch angegriffenen Verfassung unterlassen, das Poststück noch am zur Post zu geben. Dies sei erst am beim Postamt des Wohnsitzes der Angestellten geschehen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen die Abweisung dieses Antrages eingebrachte Berufung ab. Ausgehend davon, daß Fehlleistungen eines Bediensteten des Vertreters der Partei eine Wiedereinsetzung nur dann rechtfertigen, wenn der Vertreter den ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflichten gegenüber dem Kanzleipersonal nachgekommen ist und er entsprechende organisatorische Vorsorgen zur Verhinderung solcher Fehlleistungen nicht verabsäumt hat, vertrat die belangte Behörde die Auffassung, daß im gegenständlichen Fall ein Organisationsversagen des Kanzleibetriebes und somit ein dem steuerlichen Vertreter zuzurechnendes Verschulden vorliege. Dies deshalb, weil im Hinblick auf den großen bei der abgabenbehördlichen Prüfung festgestellten Fehlbetrag (rund S 395,000.000,--) ein Fristverlängerungsansuchen vorsichtshalber zu einem früheren Zeitpunkt als dem letzten Tag der Frist eingebracht werden hätte müssen. Für den Fall einer beabsichtigten Einbringung des Ansuchens am letzten Tag der Frist hätte Vorsorge getroffen werden müssen, die tatsächlich erfolgte Postaufgabe kontrollieren zu können, wie etwa früheres als gegen Dienstschluß zur Post-Schicken der Angestellten. Der steuerliche Vertreter hätte mit der Postaufgabe auch seine langjährige mit dem Postablauf beauftragte Angestellte betrauen können oder dies allenfalls auch selbst tun können. Ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis liege daher nicht vor.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Bundesminister für Finanzen legte die Akten des Verwaltungsverfahrens und die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift vor, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 308 Abs 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist der Sachverhalt, der zur Fristversäumnis führte, unbestritten. Streit besteht ausschließlich darüber, ob hinsichtlich der Einbringung eines Fristverlängerungsansuchens zur Wahrung der Frist einer eventuellen Berufung gegen Abgabenbescheide, denen ein Mehrergebnis einer abgabenbehördlichen Prüfung von rund S 395,000.000,-- zugrunde liegt, eine höhere Überwachungspflicht des Vertreter gegenüber seinem Kanzleipersonal besteht.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf sich ein Vertreter mit einem ordnungsmäßigen Kanzleibetrieb im allgemeinen, solange er nicht durch Fälle von Unzuverlässigkeit zu persönlicher Aufsicht und zu Kontrollmaßnahmen genötigt wird, darauf verlassen, daß sein Kanzleipersonal eine ihm aufgetragene Weisung auch befolgt (vgl etwa das hg Erkenntnis vom , 85/16/0032, sowie den darin zitierten Beschluß vom , 2670/77).
Von der belangten Behörde wurde gegenständlich weder bezweifelt, daß die Steuerberatungsgesellschaft des Beschwerdeführers über einen grundsätzlich ordnungsmäßigen Kanzleibetrieb verfügt, noch daß der Angestellten M die ausdrückliche Weisung gegeben wurde, das Fristverlängerungsansuchen noch am zur Post zu geben. Von der belangten Behörde wurde auch nicht angenommen, daß der Vertreter des Beschwerdeführers durch vorangegangene Fälle von Unzuverlässigkeit zu persönlicher Aufsicht und zu besonderen Kontrollmaßnahmen genötigt gewesen wäre.
Auch kann der Beurteilung der belangten Behörde nicht gefolgt werden, daß ein Organisationsversagen allein wegen der Außergewöhnlichkeit des Falles vorliegt:
Es ist dem Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft weder zumutbar, selbst jene Wege und Hilfsdienste zu erbringen, für deren Besorgung er sich der Mithilfe von Kanzleikräften bedient, oder eine ausdrücklich angeordnete Postaufgabe auf ihr tatsächliches Stattfinden zu kontrollieren, noch kann der Umstand, daß ein Fristverlängerungsansuchen am letzten Tag einer Frist eingereicht werden soll, ausschlaggebend für ein Organisationsversagen sein. Es ist sachlich auch nicht zu rechtfertigen, wenn ein und dasselbe Ereignis (gegenständlich das Fehlverhalten einer Angestellten des Vertreters) je nach verschiedenen klientenbezogenen Merkmalen (wie etwa Umsatz, Einkommen oder auch Mehrergebnis einer abgabenbehördlichen Prüfung) einmal als unvorhergesehen oder unabwendbar, das andere Mal als vorhersehbar oder abwendbar mit dem Ergebnis eines tauglichen oder nicht tauglichen Wiedereinsetzungsgrundes angesehen wird.
Ebensowenig findet im Gesetz eine nach der Bedeutung des Einzelfalles differenzierende Betrachtungsweise bei Beurteilung der Frage Deckung, ob es sich bei einem Verschulden an der Fristversäumnis nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl Nr. 104/1991. Der Schriftsatzaufwand und der Aufwand an Stempelgebühren war nach Maßgabe der angesprochenen Kosten zuzusprechen.