VwGH vom 10.03.1998, 97/08/0110
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerde des Dr. GV in Wien, vertreten durch Mag. Wolfgang Friedl, Rechtsanwalt in Wien IX, Porzellangasse 4, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Arbeit und Soziales vom , Zl. 33.402/93-9/97, betreffend Verhängung einer Ordnungsstrafe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde über den Beschwerdeführer unter Berufung auf § 34 Abs. 3 AVG eine Ordnungsstrafe von S 500,-- verhängt, weil er in seinen Schriftsätzen vom 15. Juni, 6. September und die Leiterin des Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste als "Idiotin" bzw. "vertrottelte Idiotin" bezeichnet habe. Als Grund dafür habe der Beschwerdeführer angegeben, daß angeblich vom Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste als Behörde erster Instanz rechtswidrige Verfahren durchgeführt worden seien.
Eine beleidigende Schreibweise liege schon dann vor, wenn
in der Fomulierung Worte enthalten seien, die den
Mindestanforderungen des Anstandes nicht gerecht werden und
objektiv beleidigenden Charakter haben, wobei es auf die
Beleidigungsabsicht ebensowenig ankomme wie auf den Endzweck
der Eingabe (Hinweis auf das Erkenntnis des
Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 90/19/0299). Die
Bezeichnung einer Person als Idiotin (österreichisches
Wörterbuch: Idiotin = Schwachsinnige) und als vertrottelt
(österreichisches Wörterbuch: Trottel = Dummkopf) stelle eine
Beschimpfung dar, eine beleidigende Schreibweise liege somit vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, vom Verfahrenshelfer verfaßte Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften oder Rechtswidrigkeit infolge seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer meint, bei den inkriminierten Äußerungen handle es sich um eine gerechtfertigte Kritik, die durch das Verhalten der Behörde hervorgerufen worden sei. Weiters wird die Ansicht vertreten, daß dem Beschwerdeführer derartige Äußerungen im Sinne der Entscheidung des EGMR vom , Nr. 6/1990/1997/257, zustehen, weil diese Unmutsäußerungen nur im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Verhalten der Behörde zu sehen seien und das Verhalten der Behörde diese Äußerungen erst verursacht habe. Schließlich wird der Vorwurf erhoben, die verhängte Ordnungsstrafe sei im gegenständlichen Fall überhöht. Die Behörde hätte ohne weiteres erkennen können, daß der Beschwerdeführer Notstandshilfeempfänger sei und bei Verhängung einer Ordnungsstrafe sein notwendiger Unterhalt gefährdet sei.
Die Beschwerde ist nicht berechtigt.
Gemäß § 34 Abs. 3 AVG können von der Behörde die gleichen Ordnungsstrafen, wie sie im Abs. 2 dieser Gesetzesstelle vorgesehen sind, gegen Personen verhängt werden, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen. Beleidigende Schreibweise liegt vor, wenn eine Eingabe ein unsachliches Vorbringen enthält, das in einer Art gehalten ist, die ein ungeziemendes Verhalten gegenüber der Behörde darstellt. Dabei ist es ohne Belang, ob sich die beleidigende Schreibweise gegen die Behörde, gegen das Verwaltungsorgan oder gegen eine einzige Amtshandlung richtet. Eine in einer Eingabe an die Behörde gerichtete Kritik ist dann gerechtfertigt und schließt die Anwendung des § 34 Abs. 3 AVG aus, wenn sich die Kritik auf die Sache beschränkt, in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht wird und nicht Behauptungen enthält, die einer Beweiswürdigung nicht zugänglich sind. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, wird der Tatbestand des § 34 Abs. 3 AVG erfüllt. Eine Kritik ist nur dann "sachbeschränkt", wenn die Notwendigkeit dieses Vorbringens zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung angenommen werden kann (vgl. das bereits im angefochtenen Bescheid zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/19/0299, sowie etwa aus neuester Zeit die Erkenntnisse vom , Zl. 92/10/0469, und vom , Zl. 94/10/0099).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist ausschließlich zu beurteilen, ob die belangte Behörde die zitierten schriftlichen Äußerungen des Beschwerdeführers als "beleidigende Schreibweise" im Sinne des § 34 Abs. 3 AVG qualifizieren durfte und ob die verhängte Ordnungsstrafe gesetzmäßig bemessen wurde. Festzuhalten ist auch, daß die Setzung einer Ordnungswidrigkeit nicht damit entschuldigt werden kann, daß die Behörde die mit Ordnungsstrafe geahndete Äußerung veranlaßt oder gar provoziert hat (vgl. auch hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/19/0299).
Ausgehend von dieser Rechtsprechung ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde in den vom Beschwerdeführer gebrauchten - oben wörtlich wiedergegebenen - Bezeichnungen der Leiterin des Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste eine Beschimpfung und daher eine im Sinne des § 34 Abs. 3 AVG tatbildliche beleidigende Schreibweise erblickte.
Auch die Berufung des Beschwerdeführers auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom im Fall Oberschlick gegen Österreich geht fehl. Gegenstand dieser Entscheidung war die Grenze einer vertretbaren - unter Inanspruchnahme des Grundrechtes des Art. 10 Abs. 1 EMRK vorgetragenen - Kritik an einem Politiker, der in seiner öffentlichen Eigenschaft auftrat. Die Grenzen einer vertretbaren Kritik in bezug auf einen Politiker, der in seiner öffentlichen Eigenschaft auftritt, sind im allgemeinen weiter zu ziehen, als in bezug auf eine Privatperson oder ein Amtsorgan. Ein Vergleich mit dem hier zu lösenden Fall ist daher nicht zulässig. Der EGMR ging davon aus, daß der dortige Beschwerdeführer eine wahre Behauptung von Tatsachen veröffentlichte, an die sich ein Werturteil bezüglich dieser Tatsachen anschloß. Im vorliegenden Fall stellt - wie die belangte Behörde zutreffend ausführte - die gebrauchte Formulierung eine Beschimpfung dar. Eine solche vergiftet die Atmosphäre eines - hier geführten - Verwaltungsverfahrens, ohne auch nur ein diskutables Werturteil im Sinne des Art. 10 Abs. 1 MRK zum Ausdruck zu bringen oder mit einem solchen in erkennbarem Zusammenhang zu stehen. Abgesehen davon, entspricht im vorliegenden Fall die Bestrafung den Kriterien des Art. 10 Abs. 2 MRK. Es liegt nämlich im Interesse der öffentlichen Ordnung (Art. 10 Abs. 2 MRK), der Behinderung von behördlichen Verfahren durch Beschimpfungen entgegenzuwirken, wofür sich eine angemessene Ordnungsstrafe als geeignetes und verhältnismäßiges Mittel darstellt (vgl. auch das bereits zitierte Erkenntnis vom , Zl. 94/10/0099).
Was die Rüge hinsichtlich der Bemessung der Ordnungsstrafe betrifft, so hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 92/10/0469, ausgesprochen, daß bei der Anordnung einer Ordnungsstrafe auf die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Betreffenden nicht Bedacht zu nehmen ist. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Begründung dieses Erkenntnisses verwiesen. Auch mit dem Hinweis auf seine Einkommensverhältnisse zeigt der Beschwerdeführer somit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Die Begründung des angefochtenen Bescheides entspricht auch, soweit sie sich mit dem Ausmaß der Ordnungsstrafe auseinandersetzt, den Anforderungen an eine gesetzmäßige Bescheidbegründung, weil die belangte Behörde auf Art und Intensität der Verhaltensweise des Beschwerdeführers Bedacht nimmt.
Da sohin bereits der Inhalt der vorliegenden Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.