VwGH vom 23.04.1996, 94/11/0006
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des Dipl.-Ing. Dr. G in B, vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei F in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom , Zl. UVS 30.11-75/93-10, betreffend Bestrafung wegen Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in Ansehung der Straf- und Kostenaussprüche wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe es als zur Vertretung nach außen berufener Geschäftsführer einer näher bezeichneten Gesellschaft m.b.H. zu verantworten, daß zu näher umschriebenen Zeiten im September 1990 von 39 Arbeitnehmern der Gesellschaft die höchstzulässige Tagesarbeitszeit von 10 Stunden und von 24 dieser Arbeitnehmer auch die höchstzulässige Wochenarbeitszeit von 50 Stunden überschritten worden seien. Über den Beschwerdeführer wurden deshalb wegen 39 Übertretungen des § 9 erster Halbsatz und wegen
24 Übertretungen des § 9 zweiter Halbsatz Arbeitszeitgesetz Geldstrafen im Gesamtausmaß von S 227.000,-- (sieben Geldstrafen a S 2.000,--, 11 Geldstrafen a S 3.000,-- und 45 Geldstrafen a S 4.000,--) verhängt.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde im wesentlichen - soweit dies für das vorliegende Beschwerdeverfahren noch von Bedeutung ist - aus, am sei bei der Gesellschaft, deren Geschäftsführer der Beschwerdeführer sei, ein Auftrag ihrer deutschen Schwesterfirma über 650 t Stabelektroden für die UdSSR eingegangen. Als Termin für die Fertigstellung sei der vorgesehen gewesen. Nach Bereitstellung des Vormaterials und Beginn der Fertigung mit sei am ein Telefax der deutschen Schwesterfirma eingegangen, wonach auf Grund eines befristeten Akkreditivs der letzte LKW am in D. (BRD) eintreffen müsse. Die Schweißelektroden hätten auf Grund ihrer Dimension nur auf einer der drei Fertigungsstraßen produziert werden können. In einer Schicht hätten etwa 20 t Schweißelektroden produziert werden können, sodaß man beim im Unternehmen eingerichteten Zweischichtbetrieb auf eine Produktion von ca. 40 t täglich komme. Eine Schicht dauere 8 Stunden. Die im Schweißdrahtbetrieb mit der Herstellung von Schweißelektroden beschäftigten 100 Lohnempfänger könnten von ihrer Qualifikation her auf allen drei Fertigungsstraßen eingesetzt werden. Nach Bekanntwerden des Liefertermines sei auf der für die Produktion geeigneten Fertigungsstraße rund um die Uhr produziert worden. Deshalb sei es zum Großteil der festgestellten Arbeitszeitüberschreitungen zwischen 12. und gekommen. In einigen Fällen lägen Überschreitungen auch außerhalb dieser Zeit. Wenn der Auftrag nicht fristgerecht erfüllt worden wäre, wären Vormaterialien im Wert von 2,5 Millionen Schilling übriggeblieben, die für weitere Aufträge nicht verwendbar gewesen wären. Weiters wären Kartonagen im Wert von S 250.000,-- übriggeblieben, die schon bedruckt gewesen seien und daher gleichfalls nicht weiterverwendbar gewesen wären. Als Deckungsbeitrag wäre dem Unternehmen ein Betrag von S 850.000,-- entgangen. Eine Anzeige an das zuständige Arbeitsinspektorat gemäß § 20 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz sei nicht erfolgt.
In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde die Auffassung, ein Ausnahmefall gemäß § 20 Abs. 1 lit. b Arbeitszeitgesetz liege nicht vor, weil die Möglichkeit bestanden habe, auch Arbeitnehmer der beiden anderen Fertigungsstraßen heranzuziehen. Damit hätte auf der für den gegenständlichen Auftrag geeigneten Fertigungsstraße rund um die Uhr produziert werden können, ohne die gesetzlichen Arbeitszeitvorschriften zu verletzten. Auf den beiden anderen Fertigungsstraßen bearbeitete Aufträge hätten etwas zurückgestellt werden können. Ein Notstand im Sinne des § 6 VStG sei gleichfalls nicht gegeben. Hinsichtlich der Arbeitszeitüberschreitungen vor dem 12. und nach dem habe der Beschwerdeführer nichts vorgebracht. Der Beschwerdeführer habe sämtliche Verwaltungsübertretungen zu verantworten.
Zur Strafbemessung führte die belangte Behörde aus, im Rahmen der Fertigstellung der für die UdSSR bestimmten Stabelektroden in der Zeit vom 12. bis seien
von 36 Arbeitnehmern die höchstzulässige Tagesarbeitszeit und
von 23 Abeitnehmern die höchstzulässige Wochenarbeitszeit überschritten worden. Diese zusätzlichen Arbeitsstunden seien "vom Unternehmen angeordnet" worden, um den Auftrag fristgerecht erfüllen zu können. Der Produktionsleiter des Schweißdrahtbetriebes habe die Arbeitszeitüberschreitungen an seinen Vorgesetzten weitergemeldet. Der Beschwerdeführer habe daher zu verantworten, daß die Arbeitszeitüberschreitungen "seitens des Unternehmens bewußt in Kauf genommen wurden, um den Auftrag fristgerecht erfüllen zu können". Als mildernd habe nichts gewertet werden können. Die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers trete in den Hintergrund, weil es bei der GesmbH in den letzten Jahren zu Übertretungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften gekommen und der damals verwaltungsstrafrechtlich Verantwortliche dafür belangt worden sei. Nur der Umstand, daß der Beschwerdeführer erst seit relativ kurzer Zeit verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich sei, habe "nicht als mildernd interpretiert werden" können. Als erschwerend sei zu werten, daß die gesetzlich nicht gedeckten Überstunden für den UdSSR-Auftrag wissentlich angeordnet worden seien. Auch sei es teilweise zu beträchtlichen Arbeitszeitüberschreitungen gekommen, wodurch der Schutzzweck des § 9 Arbeitszeitgesetz eklatant verletzt worden sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichthof. Dieser lehnte mit Beschluß vom , B 1485/93-4, ihre Behandlung ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In seinem ergänzenden Schriftsatz beantragt der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer hat in Ansehung des Schuldspruches, insbesondere gegen die Auffassung der belangten Behörde, es liege kein außergewöhnlicher Fall im Sinne des § 20 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz vor, kein konkretes Vorbringen erstattet. Da diesbezüglich auf Grund der Aktenlage für den Verwaltungsgerichtshof eine Rechtswidrigkeit nicht zu erkennen ist, war die Beschwerde, soweit sie den Schuldspruch hinsichtlich der 63 dem Beschwerdeführer angelasteten Übertretungen betrifft, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit Recht dagegen, daß die belangte Behörde bei der Strafbemessung davon ausgegangen ist, er habe die Übertretungen "wissentlich" begangen. Ein Täter handelt wissentlich, wenn er den Umstand oder Erfolg, für den das Gesetz Wissentlichkeit voraussetzt, nicht bloß für möglich hält, sondern sein Vorliegen oder Eintreten für gewiß hält (§ 5 Abs. 3 StGB). Die Wissentlichkeit unterscheidet sich von der Absicht dadurch, daß bei der Wissentlichkeit der Täter zwar nicht den tatbildmäßigen Erfolg bezweckt, jedoch weiß, daß der verpönte Erfolg sicher mit seiner Handlung verbunden ist (siehe Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, Anmerkung 5 zu § 5 VStG). Für die Auffassung der belangten Behörde, dies sei beim Beschwerdeführer der Fall gewesen, findet sich in den von ihr getroffenen Sachverhaltsfeststellungen keine Deckung. Die Ausführungen im Rahmen der Strafzumessung, "daß vor allem die gesetzlich nicht gedeckten Überstunden für den UdSSR-Auftrag wissentlich angeordnet wurden" (Seite 21 erster Absatz des angefochtenen Bescheides), lassen nicht erkennen, daß der Beschwerdeführer solche Anordnungen getroffen haben soll. Worauf sich eine Sachverhaltsfeststellung, der Beschwerdeführer habe diese Anordnung getroffen, stützen könnte, ist auf Grund der Aktenlage nicht ersichtlich. Aus der Sachverhaltsfeststellung (auf Seite 19 letzter Absatz), daß der Produktionsleiter des Schweißdrahtbetriebes die Arbeitszeitüberschreitungen an seinen Vorgesetzten weitergemeldet habe, ist im gegebenen Zusammenhang nichts zu gewinnen. Aus der Aussage des Zeugen Dipl.-Ing. M., des Produktionsleiters des Schweißdrahtbetriebes, im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am ergibt sich zudem, daß dessen unmittelbarer Vorgesetzter Dr. L. und nicht der Beschwerdeführer war. Für eine wissentliche Anordnung oder Duldung der Arbeitszeitüberschreitungen durch den Beschwerdeführer bietet der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt demnach keine Grundlage. Die aus der Meldung der Arbeitszeitüberschreitungen durch den Produktionsleiter des Schweißdrahtbetriebes an seinen Vorgesetzten gezogene Schlußfolgerung, "daß somit die Arbeitszeitüberschreitungen seitens des Unternehmens bewußt in Kauf genommen wurden, um den Auftrag fristgerecht erfüllen zu können", kann nicht nachvollzogen werden. Insbesondere ist nicht erkennbar, wann und auf welche Weise der Beschwerdeführer von den Arbeitszeitüberschreitungen Kenntnis erlangt haben soll und inwiefern das "Inkaufnehmen" mit der Wissentlichkeit im oben dargestellten Sinn vereinbar sein soll. Auf den in der Gegenschrift unternommenen Begründungsversuch, wonach dem Beschwerdeführer bedingter Vorsatz vorzuwerfen sei, ist nicht näher einzugehen, weil in der Gegenschrift eine versäumte Bescheidbegründung nicht nachgeholt werden kann (siehe die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, auf Seite 607 zitierte hg. Rechtsprechung). Im übrigen kann sich diese Begründung nicht auf ein den Grundsätzen des § 45 Abs. 3 AVG entsprechendes Ermittlungsverfahren, sondern nur auf eine mit den Parteien nicht erörterte Vermutung stützen, daß solche Entscheidungen an der Spitze der Unternehmenshierarchie getroffen werden.
In der Gegenschrift vertritt die belangte Behörde die Auffassung, sie habe die wissentliche Anordnung der Übertretungen als erschwerend gewertet, allerdings nicht dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe wissentlich gehandelt. Abgesehen davon, daß sich für dieses Verständnis in der Begründung des angefochtenen Bescheides kein ausreichender Anhaltspunkt findet, ist diese Auffassung auch insofern verfehlt, als sie wissentliches Verhalten, das nicht dem Täter zuzurechnen ist, bei der Strafbemessung als erschwerend wertet. Soweit die belangte Behörde ihre Auffassung mit der gemäß § 19 Abs. 2 zweiter Satz VStG gebotenen Bedachtnahme auf das Ausmaß des Verschuldens zu begründen versucht, ist ihr zu erwidern, daß nach dieser Gesetzesstelle auf das Ausmaß des Verschuldens des Täters und nicht auf das anderer Personen Bedacht genommen werden soll.
Der Beschwerdeführer wendet sich auch mit Recht dagegen, daß die belangte Behörde seine Unbescholtenheit nicht als mildernd gewertet hat. Der Umstand, daß andere Personen im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft m.b.H.
Übertretungen begangen haben, kann nicht ohne weiteres dazu führen, die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers nicht als Milderungsgrund zu berücksichtigen. Die Auffassung der belangten Behörde würde zu dem mit dem Schuldstrafrecht nicht in Einklang zu bringenen Ergebnis führen, daß dem Beschwerdeführer strafbare Handlungen, die von anderen Personen begangen wurden, zum Nachteil gereichen. Ähnliche Überlegungen lagen offenbar dem Strafantrag des Arbeitsinspektorates zugrunde, in dem die Höhe der beantragten Strafen (zwei Drittel der gesetzlichen Obergrenze der Geldstrafe) damit begründet wurde, daß "das Unternehmen" wiederholt die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes übertreten habe.
Die belangte Behörde hat somit in rechtlich verfehlter Weise die Wissentlichkeit der Begehung als erschwerend und die Unbescholtenheit nicht als mildernd gewertet. Bei Vermeidung dieses Rechtsirrtums hätte die belangte Behörde mit wesentlich geringeren Strafen als im angefochtenen Bescheid ausgesprochen das Auslangen finden können.
Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Ausspruch über die Strafen und den Ersatz der Verfahrenskosten gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.