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VwGH vom 21.11.2002, 2002/20/0315

VwGH vom 21.11.2002, 2002/20/0315

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 219.321/8-IX/25/02, betreffend Behebung eines Bescheides und Zurückverweisung einer Asylangelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Cemal K. (im Folgenden auch: Asylwerber), ein irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste erstmals am nach Österreich ein. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom wurde nach dem damals geltenden AsylG 1968 festgestellt, dass er Flüchtling im Sinne dieses Gesetzes sei, wobei zur Begründung - das Vorbringen des Asylwerbers zusammenfassend - ausgeführt wurde, er habe seine Heimat verlassen, weil er als Angehöriger der kurdischen Minderheit im Irak nicht mehr habe leben können und deshalb immer wieder mit der Polizei Schwierigkeiten gehabt habe.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom wurde gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 AsylG 1991 festgestellt, dass in Bezug auf Cemal K. der in Art. 1 Abschn. C Z 1 der FlKonv genannte Beendigungsgrund eingetreten sei. Dieser Bescheid gründete sich auf die Angaben des Cemal K., wonach er im September 1993 freiwillig in den Irak (nach Kurdistan) zurückgekehrt sei.

Am stellte Cemal K. einen Antrag auf Wiederaufnahme dieses Asylaberkennungsverfahrens und brachte vor, entgegen seinen ursprünglichen Behauptungen sei er 1993 nicht in den Irak zurückgekehrt, sondern habe sich in die Niederlande begeben, wo er - auf entsprechendes Anraten - unter einem falschen Namen Asyl beantragt habe, das ihm auch gewährt worden sei. Wie in der Folge bekannt wurde, entsprach es den Tatsachen, dass er im September 1994 von den niederländischen Asylbehörden als Flüchtling anerkannt und ihm ein Konventionsdokument ausgestellt worden war. Der Wiederaufnahmeantrag wurde - nach Hinweis darauf, dass dieser verfristet sei - am zurückgezogen.

Bereits davor hatte Cemal K. um die amtswegige Behebung des Berufungsbescheides im Asylaberkennungsverfahren gemäß § 68 Abs. 3 AVG "aus humanitären Gründen" und um die "Wiederherstellung der Rechtswirkungen des Asyl-Anerkennungsbescheides" ersucht. Dazu erging am ein Bescheid des Bundesministers für Inneres, mit dem gemäß § 68 Abs. 1 AVG "das Anbringen wegen entschiedener Sache zurückgewiesen" wurde. Zur Begründung wurde auf die Anerkennung als Flüchtling in den Niederlanden verwiesen und dazu ausgeführt, es seien zwar "die Sachverhaltsannahmen der Behörden im Rahmen des 1995 durchgeführten Asylaberkennungsverfahrens verfehlt gewesen". Nach dem damals geltenden Asylgesetz 1991 wäre jedoch jedenfalls eine Asylaberkennung nach § 5 Abs. 1 Z 1, wonach ein Flüchtling das Asyl verliere, wenn festgestellt werde, dass ihm in einem anderen Staat Asyl gewährt worden sei, gerechtfertigt gewesen. Es bestehe daher kein Anlass, auf Grund der mittlerweile bekannt gewordenen Umstände "die beantragte Verfügung zu treffen".

Am stellte Cemal K. mit Anwaltsschriftsatz beim Bundesasylamt einen neuerlichen Asylantrag. Welche asylerheblichen Verfolgungs- und Bedrohungssituationen im Einzelnen vorlägen, werde er anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme im Detail ausführen.

Cemal K. wurde sodann "zur Einvernahme in Ihrem Asylverfahren" vom Bundesasylamt für den Termin geladen, zu dem er mit seinem Rechtsvertreter erschien. Der diesbezüglichen Niederschrift ist zu entnehmen, dass zunächst das bisherige Verwaltungsgeschehen "chronologisch durchbesprochen wurde". Im Anschluss daran wurde vom Leiter der Amtshandlung seine näher begründete Rechtsansicht dahin geäußert, dass der Asylantrag a limine zurückzuweisen sei, weil das Bundesasylamt von einer entschiedenen Sache ausgehe. Ergänzend sei dazu anzuführen, dass der Asylwerber "ja ohnehin den Status eines anerkannten Flüchtlings in den Niederlanden" habe und "eine gleichzeitige Anerkennung als Flüchtling in mehreren Staaten nicht vorgesehen" sei. Dem Ersuchen des Rechtsvertreters "um Stellungnahme" wurde mit der Begründung "nicht stattgegeben", dass es sich "dabei offensichtlich um eine Verzögerungsabsicht handelt." Abschließend erklärte der Leiter der Amtshandlung, dass für das Bundesasylamt der Sachverhalt ausreichend ermittelt sei und daher keine weiteren Ermittlungen hinsichtlich des Asylantrages gepflogen würden.

Mit Anwaltsschriftsatz, der dem Bundesasylamt noch am selben Tag () per Telefax übermittelt wurde, erstattete der Asylwerber ein umfangreiches ergänzendes Tatsachenvorbringen zu seinem Asylantrag und nahm (unter anderem) auch zur Frage "entschiedene Sache" Stellung. Unter anderem wurde auch ein Vorbringen zu den von ihm bei einer Rückkehr in den Irak befürchteten Folgen wegen "illegaler Auslandsflucht", wegen der Unterstellung von Kontakten zu exilpolitischen Organisationen und zu im Ausland lebenden irakischen Kurden, wegen seiner den irakischen Sicherheitsbehörden bekannten Asylantragstellung, seiner Betätigung als Künstler (Maler), in deren Rahmen er das vom irakischen Staat am kurdischen Volk in der Vergangenheit begangene Unrecht angeprangert habe, und schließlich wegen der Begehung des Delikts der "Wehrdienstflucht" erstattet, wobei vor allem ein Zusammenhang zur aktuellen Lage im Irak, insbesondere zur Situation der Kurden, hergestellt wurde. Neben der neuerlich begehrten Parteieneinvernahme wurden umfangreiche weitere Beweisanträge gestellt.

Nachdem das Vorhaben einer Erledigung des Asylantrages nach § 5 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) infolge der die Anwendbarkeit des Dubliner Übereinkommens auf den vorliegenden Fall ablehnenden Haltung der Niederlande wieder aufgegeben worden war, wurde der Asylantrag vom mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Salzburg, vom gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Nach ausführlicher Wiedergabe des - oben zusammengefasst dargestellten -

bisherigen Verwaltungsgeschehens, das teilweise im Rahmen der Feststellungen wiederholt wurde, verwies das Bundesasylamt auf den erwähnten Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , mit dem der "Antrag" auf amtswegige Behebung des Berufungsbescheides über die Asylaberkennung gemäß § 68 Abs. 1 AVG "als entschiedene Sache" zurückgewiesen worden war. Danach schloss das Bundesasylamt wörtlich an:

"Es liegt daher in Österreich eine entschiedene Sache gemäß § 68 AVG vor. Schließlich ist abschließend festzustellen, dass Sie als status quo die Flüchtlingseigenschaft durch die Gewährung von Asyl in den Niederlanden, als physische Person innehaben."

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Bundesasylamt (rechtlich) weiter aus:

"Das Bundesasylamt sieht keinerlei Veranlassung ein zweites meritorisches Asylverfahren zu führen, zumal ein ausreichend ausjudizierter Sachverhalt vorliegt. Darüber hinaus ist unmissverständlich festzuhalten, dass Ihnen bereits die zuerkannte Flüchtlingseigenschaft anhaftet. (...) Eine zweite Gewährung von Asyl in einem anderen Land ist sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als völkerrechtlichem Vertrag wie auch dem Asylgesetz als nationalem Recht fremd. Unter anderem schon aus diesen Gründen war auf Ihre Beweisanträge nicht mehr einzugehen, zumal die Auswertung dieser Beweisanträge diese Entscheidung nicht zu beeinflussen geeignet war. Dies deshalb, da weder in der gegenständlichen Entscheidung, noch im Vergleichsbescheid zu dieser Entscheidung über Refoulementgründe abgesprochen wurde und Sie in diesen Beweisanträgen im Wesentlichen nur Refoulementgründe monieren."

Im Rahmen der auf § 68 Abs. 1 AVG bezogenen Rechtsausführungen führte das Bundesasylamt aus, "Vergleichsbescheid" sei jener Bescheid, mit welchem "letztmalig materiell oder formell über den Asylantrag abgesprochen" worden sei. Der Asylaberkennungsbescheid sei rechtskräftig geworden und dürfe von der Behörde weder aufgehoben noch abgeändert werden. "Die Ausnahme der §§ 68, 69 und 71 AVG" läge nicht vor. Abschließend hielt das Bundesasylamt fest, dem neuerlichen Asylantrag stehe "daher nach Gesamtwürdigung des Sachverhaltes" das Prozesshindernis der entschiedenen Sache entgegen.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid machte der Asylwerber geltend, das Bundesasylamt habe zu Unrecht entschiedene Sache angenommen. Die vorgetragene Gefährdungs- und Rückkehrsituation sei "eine völlig andere als jene, wie sie im Zeitpunkt des ersten Asylantrages sowie des Asylaberkennungsverfahrens bestanden" habe. Im Einzelnen verwies die Berufung dazu auf Vorbringensteile, wie sie auszugsweise dem Thema nach auch schon oben wiedergegeben wurden.

Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, der Bescheid des Bundesasylamtes vom werde "gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen." Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, Sache des Berufungsverfahrens sei ausschließlich die Frage, ob der neuerliche Asylantrag zu Recht gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen worden sei. "Ein Fremder, der unter die Bestimmung betreffend den Verlust des Asyls fällt und/oder dem Asyl aberkannt wurde, kann wieder zum Asyl-Anspruchsberechtigten werden, sollte sich der Sachverhalt entsprechend ändern". Der gegenständliche Asylantrag sei nach der Aberkennung des Asyls mit rechtskräftigem Bescheid "mit ex nunc Wirkung" auf eine entsprechende Sachverhaltsänderung ab diesem Zeitpunkt zu überprüfen, wobei dies gemäß § 27 Abs. 1 AsylG durch die persönliche Einvernahme durch den zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes zu geschehen habe. Zur Zulässigkeit der "Rückverweisung gemäß § 66 Abs. 2 AVG" meinte die belangte Behörde unter Bezugnahme auf Ausführungen in dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 98/20/0175, die Anwendung dieser Bestimmung sei für die Berufungsbehörde nicht zur Gänze ausgeschlossen. "Auf Grund des Fehlens der Einvernahme des nunmehrigen Berufungswerbers, obwohl dieser in der Lage gewesen wäre, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen", sehe sich die belangte Behörde zur "Rückverweisung zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides" an das Bundesasylamt berechtigt. Die Behörde erster Instanz werde durch Einvernahme des Antragstellers ausgehend vom Zeitpunkt der Asylaberkennung zu prüfen haben, ob sich der Sachverhalt entsprechend geändert habe.

Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1.1. Nach § 68 Abs. 1 AVG, auf den der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides gestützt wurde, sind Anbringen von Beteiligten, die (außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG) die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, - von hier nicht zu erörternden weiteren Ausnahmen abgesehen - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Nach der Rechtsprechung zu dieser Bestimmung liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen nach § 28 AsylG - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0418, mwN; siehe dazu auch die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 73 ff zu § 68 AVG wiedergegebene Rechtsprechung).

1.2. Schon im Hinblick auf den dargestellten Prüfungsumfang, aber vor allem in Anbetracht der in § 27 Abs. 1 AsylG normierten grundsätzlichen Pflicht für das Bundesasylamt, den Asylwerber zu seinem Antrag persönlich zu vernehmen (vgl. in diesem Zusammenhang auch § 4 Abs. 3a Z 2 AsylG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 82/2001), hätte schon die - der Sachentscheidung vorgeschaltete - Beurteilung bei wiederholten Asylanträgen, ob entschiedene Sache vorliegt, bereits in erster Instanz die Vernehmung der Partei und voraussichtlich auch noch weitere Ermittlungen erfordert. Da das Bundesasylamt dies unterlassen hat, kann der belangten Behörde auch nicht entgegen getreten werden, wenn sie davon ausging, dass es vor einer meritorischen Entscheidung in der "Sache" des Berufungsverfahrens der Nachholung der Einvernahme bedurft hätte. Die Beschwerde hält dieser Ansicht nichts entgegen. Sie behauptet auch nicht, dass im Hinblick auf den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , mit dem ein im Sinne des § 68 Abs. 3 AVG gestelltes Ersuchen um Aufhebung des Asylaberkennungsbescheides einer Erledigung unterzogen wurde, in Bezug auf den späteren Zweitantrag ein - wie die Erstbehörde meint - "ausreichend ausjudizierter Sachverhalt" vorgelegen wäre.

1.3. Auf die Asylgewährung in den Niederlanden wird in der Amtsbeschwerde nicht - wie im erstinstanzlichen Bescheid - unter dem Gesichtspunkt einer (vermeintlichen) Sperrwirkung für ein Asylverfahren in Österreich, sondern nur im Zusammenhang mit einer möglichen Erledigung des Asylantrages nach § 4 AsylG Bezug genommen. Der dazu vertretenen Meinung des beschwerdeführenden Bundesministers, die belangte Behörde wäre im Rahmen dieses Berufungsverfahrens verpflichtet gewesen, den erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid "durch eine Zurückweisung gemäß § 4 AsylG 1997 zu ersetzen", ist aber einerseits entgegen zu halten, dass dies die eingeschränkte "Sache" des gegenständlichen Berufungsverfahrens (vgl. dazu Walter/Thienel, aaO, E 105 zu § 68 AVG) überschritten hätte (vgl. zum normativen Gehalt der Zurückweisung eines Asylantrages gemäß § 4 AsylG das Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0162). Andererseits hätte von einer Einvernahme auch für eine Erledigung nach § 4 AsylG nicht abgesehen werden dürfen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die in der Amtsbeschwerde relevierte Frage, ob die belangte Behörde zu einer kassatorischen Entscheidung berechtigt war:

2.1. Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. dazu unter dem besonderen Gesichtspunkt der Auslegung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A, die mehrfach vergleichend auf § 66 Abs. 2 AVG Bezug nehmen; zu diesem Erkenntnis siehe auch Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f).

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Thienel (Das Verfahren der Verwaltungssenate2 (1992) 127 f), dessen Ausführungen sich insoweit allerdings nicht auf § 66 Abs. 3 AVG, sondern auf die "im § 39 AVG normierten Ermessensdeterminanten" beziehen, vertritt dazu die Ansicht, die Zurückverweisung durch einen unabhängigen Verwaltungssenat werde "regelmäßig jedenfalls den Geboten der Raschheit und Kostenersparnis zuwiderlaufen" und "unnötigen Verwaltungsaufwand" verursachen. Ob andersartige Konstellationen denkbar seien, wird von Thienel aber "nicht weiter verfolgt".

2.2. Demgegenüber geht der Bundesminister für Inneres in seiner Amtsbeschwerde von einer - hier nicht weiter begründeten - "generellen" Unzulässigkeit eines Vorgehens der belangten Behörde gemäß § 66 Abs. 2 AVG aus und verweist überdies - für den vorliegenden Fall eines Berufungsverfahrens über die Zurückweisung eines Asylantrages - auf die "Parallelität des hier als rechtsrichtig vertretenen Ergebnisses mit der gefestigten Judikatur zur (gemeint: nicht im Sinne einer kassatorischen Erledigung gegebenen) Zurückverweisungsbefugnis der belangten Behörde in Fällen von Bescheiden gemäß §§ 4 und 6 AsylG".

2.3.1. Damit bezieht sich der Beschwerdeführer auf die Ausführungen in dem bereits erwähnten Erkenntnis vom , Zl. 98/20/0175. Diesbezüglich ist ihm entgegen zu halten, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Auslegung von Sondervorschriften über ein abgekürztes, der besonders raschen Verfahrensbeendigung dienendes Berufungsverfahren geht, sondern um die Interpretation des § 66 AVG außerhalb eines solchen Verfahrens (vgl. zur Unanwendbarkeit des § 32 AsylG im Berufungsverfahren betreffend einen gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesenen Asylantrag das Erkenntnis vom , Zlen. 2000/01/0531, 0532). Zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG außerhalb des abgekürzten Berufungsverfahrens wurde in dem eingangs erwähnten Erkenntnis (Punkt 2.1.) ausgeführt, der Spielraum dafür sei - im Vergleich zu sonstigen Berufungsverfahren nach dem AVG - bei einem unabhängigen Verwaltungssenat eher geringer und jedenfalls nicht größer. Eine generelle Unzulässigkeit der Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG - wie sie der Meinung des beschwerdeführenden Bundesministers entspräche - wurde damit nicht zum Ausdruck gebracht, worauf schon die belangte Behörde durchaus zutreffend hingewiesen hat.

2.3.2. In diese Richtung gehen auch die Gesetzesmaterialen zu § 38 AsylG (RV 686 BlgNR 20. GP 30), weil diese ausdrücklich die Geltung des AVG für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat betonen und daran anschließend hervorheben, dass die Möglichkeit der "Zurückverweisung" durch § 32 AsylG "erweitert" worden sei, was in Bezug auf Berufungsverfahren vor der belangten Behörde, in denen § 32 AsylG nicht anzuwenden ist, eine positive Anknüpfung an die in § 66 Abs. 2 AVG vorgesehene Zurückverweisungsmöglichkeit bedeutet.

2.3.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , Zl. 86/09/0012, Slg. Nr. 12.917/A, aus einer in Verwaltungsvorschriften angeordneten zwingenden und ohne Ausnahme bestehenden Verpflichtung zur Durchführung einer Berufungsverhandlung trotz Fehlens einer ausdrücklichen Ausnahme hinsichtlich der Geltung des § 66 Abs. 2 AVG die Unanwendbarkeit dieser Bestimmung in einem solchen Berufungsverfahren gefolgert. Das steht aber zu der hier - für das Verfahren vor der belangten Behörde - zugrunde gelegten gegenteiligen Auffassung schon deshalb nicht im Widerspruch, weil eine derartige uneingeschränkte Verhandlungspflicht für den unabhängigen Bundesasylsenat nicht besteht. Auf das erwähnte Erkenntnis versucht die Amtsbeschwerde den in ihr vertretenen Standpunkt auch nicht zu stützen.

3.1. Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

3.2. Ausgehend von diesem Verständnis des § 66 Abs. 2 AVG ist die erste Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung im vorliegenden Fall schon deshalb erfüllt, weil es zur Prüfung des gegenständlichen Asylantrages - wie oben in Punkt 1.2. erwähnt - jedenfalls einer Vernehmung der Partei bedurft hätte, die - wäre keine Kassation vorgenommen worden - von der Berufungsbehörde vorzunehmen gewesen wäre.

4. Zu der verbleibenden Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessensübung durch die belangte Behörde im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG ist Folgendes festzuhalten:

4.1. Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

4.2. Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern (hier: in Salzburg) erfolgt, während der unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

4.3. Bei Bedachtnahme auf das schon Gesagte vermag der (in der Amtsbeschwerde nicht relevierte) Umstand, dass durch die mit der Kassation verbundene Eröffnung eines zweiten Instanzenzuges das Verfahren insgesamt verlängert werden kann, eine Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG in einem Fall wie dem vorliegenden jedenfalls nicht auszuschließen.Dem steht auch nicht entgegen, dass der Verwaltungsgerichtshof in dem schon mehrfach angeführten Erkenntnis Zl. 98/20/0175 diesem Gesichtspunkt der Verlängerung der Gesamtverfahrensdauer erhebliche Bedeutung beigemessen hat, weil sich diese Ausführungen - wie erwähnt - insoweit nur auf das abgekürzte Berufungsverfahren bezogen. (Vgl. im Übrigen die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 381 f zu § 66 AVG, wiedergegebene Rechtsprechung, wonach es gemäß § 66 Abs. 3 AVG nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten in Bezug auf die konkrete Amtshandlung ankommt, und die diesbezüglichen Ausführungen in dem bereits zitierten Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084.) Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch anzumerken, dass dem in Mehrparteienverfahren wesentlichen Gesichtspunkt, durch die Wiederholung der mündlichen Verhandlung in erster Instanz würde einer gemäß § 42 AVG präkludierten Partei wieder die Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen eröffnet (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 92/06/0120), im Asylverfahren keine Bedeutung zukommt.

4.4. Ausgehend von diesen Überlegungen kann der belangten Behörde darin, dass sie im vorliegenden Fall das ihr eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung geübt hat, nicht entgegen getreten werden, weil die Erstbehörde die - oben unter Punkt 1.2. erwähnten - erforderlichen Ermittlungen, insbesondere die Vernehmung der Partei zu entscheidungswesentlichen Fragen (hier: zur Gänze) unterlassen hat. Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Asylwerbers gegen eine Kassation des erstinstanzlichen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar und werden auch in der Beschwerde nicht aufgezeigt. Entgegen der Meinung des beschwerdeführenden Bundesministers war die belangte Behörde somit nicht verpflichtet, (erstmals) "selbst zu ermitteln (...), inwieweit zwischenzeitige nova producta die Identität der Verwaltungssache beeinträchtigt haben oder nicht".

5. Die Amtsbeschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am