VwGH vom 16.12.1999, 96/15/0104
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des H S in B, vertreten durch Dr. Arnold Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft in 1010 Wien, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 7 - 1025/6/96, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, als er die Haftung für Umsatzsteuer Dezember 1987 (214.247 S und 100.350 S) sowie für Umsatzsteuer März 1989 (69.446 S) betrifft. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 12.920 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug gemäß § 9 Abs. 1 iVm § 80 BAO zur Haftung für diverse Abgabenschulden der F-GmbH (Umsatzsteuer, Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag, Vermögensteuer und Säumniszuschläge) im Ausmaß von insgesamt 2,602.424,96 S herangezogen. Im September 1990 sei über das Vermögen der GmbH der Konkurs eröffnet worden. Aus einem Beschluss des Konkursgerichtes ergebe sich, dass nicht einmal die Masseforderungen voll befriedigt werden könnten. Die Abgaben seien daher bei der GmbH uneinbringlich. Der Beschwerdeführer sei von bis Geschäftsführer der GmbH gewesen. Er habe vorgebracht, nur für die Überwachung der Baustellen zuständig gewesen zu sein, während die eigentliche Geschäftsführung der Prokurist S ausgeübt habe. Er habe den Prokuristen darauf hingewiesen, dass die Hilfsarbeiter bei der Gebietskrankenkasse angemeldet werden müssten und eine normale Gehaltsabrechnung vorzunehmen sei. Der Prokurist habe aber gemeint, man solle es darauf ankommen lassen, ob der Mangel bei einer abgabenbehördlichen Prüfung bemerkt würde. Der Beschwerdeführer sei in der Folge sehr spät vom Prokuristen über eine abgabenbehördliche Prüfung informiert worden. Aus diesem Vorbringen leite die belangte Behörde ab, dass der Beschwerdeführer mit einer Beschränkung seiner Befugnisse einverstanden gewesen sei bzw. eine solche Beschränkung in Kauf genommen habe. Er sei offenbar von der tatsächlichen Geschäftsführung ausgeschlossen gewesen und habe in diese nicht eingreifen und die Missstände beseitigen können. Wenn aber ein Geschäftsführer die Beschränkung seiner Befugnisse in Kauf nehme, sodass die abgabenrechtlichen Pflichten der GmbH nicht erfüllt würden, liege ein für die Haftung relevantes Verschulden des Geschäftsführers vor. Der Beschwerdeführer habe auch seine Überwachungspflicht verletzt, weil er sich auf die Zusicherung des Prokuristen verlassen habe, es bestehe bestes Einvernehmen mit der Finanzverwaltung.
Der angefochtene Bescheid listet sodann auf ca eineinhalb Seiten die einzelnen Abgaben (mit den entsprechenden Beträgen) auf, für welche die Haftung ausgesprochen wird und die in Summe den im Bescheidspruch angeführten Betrag ausmachen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, eine Geschäftsverteilung könne den Geschäftsführer exkulpieren, wenn er sich auf den intern zuständigen Vertreter habe verlassen dürfen. Im gegenständlichen Fall sei eine solche Situation gegeben, weil der Prokurist S die steuerlichen Agenden besorgt habe und im besten Einvernehmen mit dem Finanzamt gestanden sei. Der Beschwerdeführer habe sich auf eine ordnungsgemäße Abwicklung verlassen können. Als er dann (im September 1989) begonnen habe, an der Ordnungsmäßigkeit der "Geschäftsführung" durch den Prokuristen S zu zweifeln und entsprechende Maßnahmen zu setzen, hätten ihn die Gesellschafter
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- | über Veranlassung des Prokuristen S - als Geschäftsführer abberufen. Wenn ein Geschäftsführer unverzüglich nach Erkennen der Fehlhandlung des Prokuristen seine Funktion niederlegen bzw. Konkurs anmelden wolle und ihm die Generalversammlung durch seine Enthebung zuvorkomme, müsse ihm (jedenfalls für die Fälligkeiten ab ) Haftungsfreiheit zugebilligt werden. |
Wenn der Geschäftsführer einer GmbH einen Prokuristen mit den steuerlichen Agenden betraut, hat er ihn zumindest in solchen Abständen zu überwachen, die es ausschließen, dass ihm Steuerrückstände verborgen bleiben (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 98/13/0057). Eine solche Betrauung führt daher
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- | anders als die Geschäftsverteilung zwischen mehreren Geschäftsführern - nicht zu einer relevanten Einschränkung der (abgabenrechtlichen) Pflichten des Geschäftsführers. Im Beschwerdefall ist dessen Pflichtverletzung besonders deutlich erkennbar, weil er erst ca. zwei Jahre nach seiner Bestellung mit der gezielten Kontrolle des Prokuristen begonnen hat. |
Entscheidend ist im gegenständlichen Fall die Pflichtverletzung des Beschwerdeführers. Es ist eine ihm anzulastende Pflichtverletzung, dass er nicht für die vollständige Entrichtung der Abgaben (dazu gehören auch jene nicht getilgten Abgaben, die vor seiner Bestellung zum Geschäftsführer fällig geworden sind, vgl. Ritz, BAO-Kommentar, § 9 Tz 26) Sorge getragen hat. Ob der Prokurist S, wäre er an Stelle des Beschwerdeführers zum Geschäftsführer bestellt worden, eine vergleichbare Pflichtverletzung begangen hätte - dies wird in der Beschwerde behauptet -, ist dabei unwesentlich.
Im gegebenen Zusammenhang kommt es auf die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten an und nicht auf ein gutes Einvernehmen mit dem Finanzamt. Abgabenrechtliche Pflichten wurden nicht erfüllt, weil Abgaben, die zu entrichten gewesen wären, nicht entrichtet worden sind.
Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, das Finanzamt habe in der Berufungsvorentscheidung zum Ausdruck gebracht, dass hinsichtlich Umsatzsteuer die Haftung in jedem Fall gegeben sei. Nachdem der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , 91/13/0137 (richtig: vom , 91/13/0037, 0038), die Ansicht vertreten habe, die Haftung für Umsatzsteuer sei nicht anders als jene für andere Abgaben zu sehen, habe die belangte Behörde diese Ansicht auch dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt. Dies hätte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer aber vorher mittels eines Vorhaltes mitteilen müssen. Er hätte dann einwenden können, dass die Mittel nicht zur Begleichung aller Abgaben gereicht hätten. Der Beschwerdeführer hafte jedenfalls nur für den "Quotenschaden". Im Übrigen sei der Beschwerdeführer im gerichtlichen Krida-Strafverfahren freigesprochen worden.
Der Beschwerdeführer hat in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, mit welchem er zur Haftung für diverse Abgabenschulden (nicht nur Umsatz- und Lohnsteuer) herangezogen worden ist und der sich auch nicht auf eine Sonderstellung der Haftung für Umsatzsteuer stützt, in keiner Weise dargetan, dass bei einer quotenmäßigen Befriedigung (zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten der Verbindlichkeiten) die Abgaben nicht zur Gänze entrichtet worden wären. Auch in der Beschwerde wird nicht konkret dargetan, in welchem Ausmaß die Abgaben bei einer laufenden quotenmäßigen Befriedigung getilgt worden wären. Die Relevanz eines allfälligen Verfahrensfehlers ist somit nicht dargetan worden. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers hat nicht die Behörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung Herangezogene das Fehlen ausreichender Mittel (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 98/13/0203) und erfährt der Haftende nur dann eine Einschränkung der Haftung, wenn er den Nachweis erbringt, welcher Abgabenbetrag auch bei einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger uneinbringlich geworden wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 96/15/0049).
Ein freisprechendes Urteil im wegen des Verdachts der fahrlässigen Krida eingeleiteten gerichtlichen Strafverfahren steht einer Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO nicht entgegen.
Dem Vorbringen, die in die Haftung einbezogene Umsatzsteuer 12/1987 sei nach einer abgabenbehördlichen Prüfung festgesetzt worden, betreffe aber einen bereits im Jahr 1986 verwirklichten Abgabentatbestand, ist entgegenzuhalten, dass Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit einer dem Primärschuldner bescheidmäßig vorgeschriebenen Abgabe nicht im Haftungsverfahren, sondern durch eine - dem Haftenden durch § 248 BAO ermöglichte - Berufung gegen den Abgabenbescheid geltend zu machen sind (vgl das hg Erkenntnis vom , 94/14/0148). Gleiches gilt für das Beschwerdevorbringen betreffend die Vorschreibung von Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für 1988 und die Vorschreibung eines Säumniszuschlages hinsichtlich Umsatzsteuer für März 1989.
Das Beschwerdevorbringen, Umsatzsteuer 9/88 sowie Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 10/88 seien bereits am entrichtet worden, und zwar mit einer entsprechenden Verrechnungsweisung nach § 214 Abs. 4 BAO, weshalb für diese Abgaben keine Haftung ausgesprochen werden könne, stellt eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung dar.
Das Vorbringen, ein Säumniszuschlag 1989 mit der Fälligkeit scheine auf keinem Kontoausdruck des Finanzamtes auf, steht im Widerspruch zur Aktenlage. Der genannte - im angefochtenen Bescheid angeführte - Säumniszuschlag ist im EDV-Ausdruck über den offenen Rückstand enthalten, den das Finanzamt dem Beschwerdeführer mit Vorhalt vom übermittelt hat, und scheint auch in jenem EDV-Ausdruck auf, der dem Beschwerdeführer als Teil des erstinstanzlichen Haftungsbescheides vom zugestellt worden ist. Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit eines bescheidmäßig vorgeschriebenen Säumniszuschlages können im Haftungsverfahren nicht mit Erfolg vorgebracht werden.
Dass die F-GmbH am eine Zahlung in Höhe der Vermögensteuerschuld für das erste Quartal 1989 (250 S) geleistet hat, trifft zu. Diese Zahlung mußte aber gemäß § 214 Abs. 1 BAO auf dem Fälligkeitstag nach ältere Abgabenschulden verrechnet werden.
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, aus dem Kontoausdruck ergebe sich, dass die F-GmbH am eine Zahlung in Höhe der Umsatzsteuer für Mai 1989 sowie der Lohnabgaben für Juni 1989 (insgesamt 409.708 S) geleistet habe, zeigt er nicht auf, dass eine Verrechnungsweisung iSd § 214 Abs. 4 BAO erteilt worden wäre und die Verrechnung daher nicht nach § 214 Abs. 1 BAO erfolgt sei.
Mit dem erstinstanzlichen Haftungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer auch zur Haftung für Vermögensteuer "04-06/89" in Höhe von 250 S herangezogen. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde diese Haftung bestätigt, in der Auflistung der Abgaben, für welche die Haftung geltend gemacht werden, die Abgabe aber mit Vermögensteuer "4-6/90" in Höhe von 250 S und mit Fälligkeitstag angegeben. Der belangten Behörde ist damit in ihrer Bescheidbegründung ein offenkundiger - und auch für den Beschwerdeführer erkennbarer - Schreibfehler unterlaufen. Der Beschwerdeführer wird dadurch nicht in seinen Rechten verletzt.
Wie sich aus der Sachverhaltsdarstellung der Beschwerde ergibt, betrug der Abgabenrückstand der F-GmbH im Zeitpunkt des Ausscheidens des Beschwerdeführers aus der Geschäftsführerfunktion ca. 4,5 Mio. S. Mit dem Beschwerdevorbringen, nach diesem Zeitpunkt habe die F-GmbH noch Ratenzahlungen von 600.000 S geleistet, wird daher - der angefochtene Bescheid umfasst nur Haftungen im Ausmaß von ca. 2,6 Mio. S - eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufgezeigt.
Da es der Beschwerdeführer unterlassen hat, den Prokuristen S entsprechend zu kontrollieren oder seiner Funktion zu entheben, und dieses Verhalten zur Benachteiligung des Abgabengläubigers geführt hat, ist auch nicht zu erkennen, dass die Ermessensübung der belangten Behörde nicht dem Gesetz entsprochen hätte.
Hinsichtlich der Haftung für Umsatzsteuer Dezember 1987 und März 1989 zeigt die Beschwerde allerdings eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf: Für Umsatzsteuer Dezember 1987 ist der Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid einerseits für einem Betrag von 214.447 S und andererseits (zusätzlich) für einen Betrag von 110.350 S zur Haftung herangezogen worden. Nach dem Beschwerdevorbringen ergebe sich aus dem Kontoausdruck 11/89, dass mit der Vorschreibung eine Gutschrift in gleicher Höhe erfolgt sei. Der Betrag sei bereits (von der Primärschuldnerin) getilgt worden; es dürfe deshalb für diesen Betrag keine Haftung geltend gemacht werden. Für Umsatzsteuer März 1987 ergebe sich aus dem "aktenkundigen Kontoausdruck 4/89" nicht ein Rückstand von 69.446 S - für einen solchen sei mit dem angefochtenen Bescheid die Haftung geltend gemacht worden -, sondern eine Gutschrift von 69.446 S.
Diesen Einwendungen der Beschwerde tritt die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift nur mit dem Hinweis auf das Neuerungsverbot entgegen. Im Hinweis auf Aktenteile ist aber keine für das verwaltungsgerichtliche Verfahren unbeachtliche Neuerung zu erblicken. Da der im Verwaltungsakt befindliche Kontoausdruck 4/89 tatsächlich eine Gutschrift von Umsatzsteuer für März 1987 in Höhe von 69.449 S aufweist, und die belangte Behörde nicht erläutert hat, dass dieser Buchung auf dem Abgabenkonto eine andere Bedeutung zukomme, gelangt der Verwaltungsgerichtshof zu dem Schluss, dass der Geltendmachung der Haftung für die in Rede stehende Umsatzsteuer eine aktenwidrige Sachverhaltsannahme der belangten Behörde zugrundeliegt. Den in der Beschwerde erwähnten Kontoausdruck 11/89 hat die belangte Behörde dem Verwaltungsgerichtshof nicht mit dem Verwaltungsakt vorgelegt. Aufgrund der Bestimmung des § 38 Abs. 2 VwGG ist daher von der Richtigkeit des entsprechenden Sachverhaltsvorbringens der Beschwerde auszugehen. Hat aber die belangte Behörde trotz der sich aus der Aktenlage ergebenden Tilgung der Umsatzsteuerschuld für Dezember 1987 eine unberichtigte Abgabenschuld angenommen (und daher die Haftung geltend gemacht), so liegt auch in dieser Hinsicht dem Haftungsbescheid eine aktenwidrige Sachverhaltsannahme zugrunde.
Der angefochtene Bescheid erweist sich somit, soweit er Umsatzsteuer Dezember 1987 und Umsatzsteuer März 1989 betrifft, mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG aufzuheben war. Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. 416/1994.
Wien, am