VwGH vom 07.03.1991, 90/16/0002
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Närr, Mag. Meinl, Dr. Kramer und Dr. Karger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde der X Flughafenbetriebsgesellschaft m.b.H. gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom , Zl. 60.985-6/89, betreffend Grunderwerbsteuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist die Beantwortung der Frage streitentscheidend, ob ein auf das Luftfahrtgesetz gestützter, vor dem rechtskräftig gewordener Enteignungsbescheid, auf Grund dessen die Beschwerdeführerin das Eigentum an mehreren inländischen Grundstücken jedenfalls nicht vor dem erworben hatte, (im Sinn der belangten Behörde) noch einen nach dem GrEStG 1955 verwirklichten steuerpflichtigen
(Steuersatz 8 v./H.) Erwerbsvorgang oder (wie die Beschwerdeführerin vermeint) bereits einen solchen nach dem GrEStG 1987 (Steuersatz 3,5, v./H.) darstellt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 Abs. 1 GrEStG 1955 und 1987 unterliegen der Grunderwerbsteuer die folgenden Rechtsvorgänge, soweit sie sich auf inländische Grundstücke beziehen:
1. Ein (GrEStG 1987: ein) Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung begründet,
2. die Erwerbung (GrEStG 1987: der Erwerb) des Eigentumes (GrEStG 1987: Eigentums), wenn kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen ist.
U.a. zählt § 3 Z. 6 GrEStG 1955 - diese Abgabenbefreiung sieht § 3 GrEStG 1987 nicht vor - zu den allgemeinen Ausnahmen von der Besteuerung den Erwerb von Ersatzgrundstücken für enteignete Grundstücke, soweit gleichwertige Grundstücke (§ 12) erworben werden. Dies gilt auch für den Erwerb von Ersatzgrundstücken für Grundstücke, über deren Veräußerung im Zuge eines laufenden oder von der zuständigen Behörde nachweislich angedrohten Enteignungsverfahrens eine gütliche Übereinkunft abgeschlossen und beurkundet wird. Die Ausnahme von der Besteuerung tritt jedoch nur dann ein, wenn der Erwerb der Ersatzgrundstücke innerhalb von drei Jahren, gerechnet vom Zeitpunkt der Enteignung bzw. der Beurkundung der gütlichen Übereinkunft, erfolgt.
Nach § 16 Abs. 1 GrEStG 1955 und § 8 Abs. 1 GrEStG 1987 entsteht die Steuerschuld, sobald ein nach diesem Bundesgesetz steuerpflichtiger Erwerbsvorgang verwirklicht ist.
Auf Grund des § 12 Abs. 1 erster Satz GrEStG 1987 sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auf alle Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem verwirklicht werden.
Gemäß § 12 Abs. 2 erster Satz GrEStG 1987 sind auf vor dem verwirklichte Erwerbsvorgänge die bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes in Geltung stehenden gesetzlichen Vorschriften anzuwenden.
Ganz abgesehen davon, daß der klare Wortlaut des § 1 Abs. 1 Z. 1 und 2 GrEStG 1955 und 1987 die Verwirklichung des Erwerbsvorganges nach Z. 1 auf das Verpflichtungsgeschäft (titulus) und nicht erst auf das Verfügungsgeschäft (modus), nach Z. 2 aber ausdrücklich nur auf die Erwerbung des Eigentumes bzw. den Erwerb des Eigentums abstellt, kann auch bei der Auslegung dieser Gesetzesstellen nicht etwa der wahre wirtschaftliche Gehalt des Sachverhaltes maßgebend sein.
§ 21 BAO ist nämlich keine Regel zur Auslegung von Steuergesetzen, sondern eine Richtlinie zur Beurteilung abgabenrechtlich relevanter Sachverhalte. Die Tatbestände des GrEStG 1955 und 1987 knüpfen aber in der Hauptsache - und auch in den Fällen des § 1 Abs. 1 Z. 1 und 2 - an die äußere formalrechtliche Gestaltung an und gestatten daher nur in diesem durch das Gesetz gegebenen Rahmen eine Beurteilung gemäß § 21 Abs. 1 BAO zur Lösung von Tatfragen (siehe z.B. das in gleicher Weise wie die in der Folge zitierten Erkenntnisse gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG angeführte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 88/16/0049, ÖStZB 14/1989, S. 228, mit weiterem Hinweis).
In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Frage der Zurechnung "enteigneten" Grundbesitzes etwa als wirtschaftliches Eigentum gemäß § 24 Abs. 1 lit. d BAO mit seinem Erkenntnis vom , Zl. 2363/78, ÖStZB 5/6/1981, S. 58, dargetan, daß sich aus den Bestimmungen des Bundesstraßengesetzes 1971 klar ergibt, daß der dingliche Eigentumserwerb für den Enteigner nicht schon durch den rechtskräftigen Enteignungsbescheid erfolgt, sondern erst durch die nach Zahlung oder gerichtlichen Erlag der Entschädigungssumme vorgesehene verwaltungsbehördliche Einweisung in die Liegenschaft bzw. dadurch, daß sich der Enteigner im Sinne des § 35 Abs. 1 EisenbEntG mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des Enteigneten in den Besitz des enteigneten Gegenstandes setzt.
Das Eigentum wird also erst durch den tatsächlichen Vollzug der Enteignung, also mit freiwilliger Besitzübertragung oder zwangsweiser Besitzeinweisung nach Leistung (Sicherstellung) der Entschädigung erworben. Bei Liegenschaften ist die Verbücherung nicht erforderlich; sie erfolgt nach Vollzug der Enteignung nur zur Berichtigung des Grundbuches (siehe z.B. das eine Enteignung nach dem Luftfahrtgesetz bzw. eine Erbschaftssteuersache betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 89/16/0225, mit weiterem Hinweis).
Der Vollständigkeit halber ist an dieser Stelle zu bemerken, daß der Verwaltungsgerichtshof in seinen zu § 3 Z. 6 GrEStG 1955 ergangenen Erkenntnissen - ohne auf die hier wesentliche Frage ausdrücklich einzugehen - folgende Formulierungen verwendet hat:
"Der Verwaltungsgerichtshof hat... die Voraussetzung für die Steuerfreiheit nicht nur dann als erfüllt angesehen, wenn die Enteignung WIRKLICH VOLLZOGEN WORDEN ist, sondern auch schon dann, ..." (siehe z.B. das Erkenntnis vom , Zlen. 1801, 1802/71, ÖStZB 15/16/1972 S. 206) oder
"... sei es durch die DURCHGEFÜHRTE Enteignung..." (siehe z. B. die Erkenntnisse vom , Zl.511/76, ÖStZB 2/1978, S. 23, und vom , Zl. 3371/80, ÖStZB 19/1982, S. 276).
Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die den Zuschlag gemäß § 237 Abs. 1 EO als Erwerbsvorgang gemäß § 1 Abs. 1 Z. 2 GrEStG 1955 gewertet hat (siehe z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 81/16/0097,
ÖStZB 7/1983, S. 155, mit weiterem Hinweis) lehnt gleichfalls eine Berufung auf § 21 Abs. 1 BAO ab und spricht vom Erwerb des formalen (hier zweifellos im Sinn von nicht verbücherten) Eigentums, weil es gemäß § 237 Abs. 1 EO ("Die bücherliche Einverleibung seines MIT DEM ZUSCHLAGE ERWORBENEN Eigentumsrechtes an der versteigerten Liegenschaft ...") für den Erwerb des Eigentums nicht auf die Verbücherung ankommt.
Die in der Begründung des angefochtenen Bescheides bzw. in der Gegenschrift zitierten Autoren (Czurda, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz 1987, Wien 1988 - Stand nach der
4. Lieferung Juni 1989, Tz 6 f zu § 8, Fellner, Stempel- und Rechtsgebühren, Grunderwerbsteuer, Erbschafts- und Schenkungsteuer, Band II, 3. Teil8, Enns 1987,
Tz 217 und 224, und Glega - Bauer, Grunderwerbsteuergesetz 1987, Wien, ohne Angabe des Erscheinungsjahres, S. 57; ebenso auch Dorazil, Grunderwerbsteuergesetz 19873, Wien 1988, S. 337) übersehen vor allem die in dem oben angeführten - ausführliche begründeten - Erkenntnis vom dargelegte Rechtslage hinsichtlich des Eigentumserwerbes einer Liegenschaft erst durch den tatsächlichen Vollzug der Enteignung. Das von Fellner, a. zuletzt a.O., zitierte - in der ÖStZB 10/1970, S. 87, veröffentlichte - zu § 3 Z. 6 GrEStG 1955 ergangene Erkenntnis vom , Zl. 1002/69, verwendet überdies auch die Formulierung "...wenn die Enteignung bereits vollzogen ist, ..."
Aus allen dargelegten Erwägungen ist der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 104/1991. Das Kostenmehrbegehren ist abzuweisen, weil die vorgelegte - am erteilte - Vollmacht bereits im Jahre 1979 in einer Zivilrechtsache verwendet worden und die Vorlage einer Ausfertigung des angefochtenen Bescheides auch für die belangte Behörde zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich war.