VwGH vom 20.04.2006, 2002/15/0128
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2002/15/0129
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Twardosz, LL.M., über die Beschwerden der U HandelsGmbH in V, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch, Dr. Klaus Kollmann, Dr. Günter Folk, Dr. Werner Stegmüller und Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Reitschulgasse 1, gegen die Bescheide
1. der Finanzlandesdirektion für Steiermark (Berufungssenat II), vom , GZ. RV 335/1-10/00, betreffend Umsatzsteuer 1996 bis 1999, (hg. Zl. 2002/15/0128) und
2. der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom , GZ. RV 448/1-10/02, betreffend Umsatzsteuer April bis Dezember 1999 und Februar 2000, (hg. Zl. 2002/15/0129)
zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 2.342,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Gesellschaft mbH, welche ihren Gewinn zum 31. März ermittelte und das abweichende Wirtschaftsjahr als Veranlagungszeitraum für die Umsatzsteuer gewählt hatte (§ 20 Abs. 1 UStG 1994), bezeichnete die Art ihres Unternehmens einerseits als Handelsgesellschaft (zB in der Umsatzsteuererklärung 1996), andererseits als "Umwelttechnik und Dienstleistungen im Umweltbereich" (zB in den Umsatzsteuererklärungen 1997 und 1998).
Mit den angefochtenen Bescheiden wurden im Instanzenzug die Umsatzsteuer für 1996 bis 1999 und die Umsatzsteuer für April bis Dezember 1999 und Februar 2000 festgesetzt. Nach den wortgleichen Begründungen der angefochtenen Bescheide besitze die Beschwerdeführerin je einen Gewerbeschein für den Betrieb einer Kompostierungsanlage, für das Anbieten von persönlichen Diensten und für das Handelsgewerbe. Die Beschwerdeführerin erbringe zwei Gruppen von Leistungen. Die erste Gruppe stelle die mit der Müllbeseitigung als einheitlich zu beurteilende Tätigkeit des Sammelns, Sortierens, Lagerns, Shredderns und Deponierens von Müll dar und sei "mit dem Steuersatz von 10 % Umsatzsteuer zu behandeln". Diese Tätigkeiten seien von der Beschwerdeführerin richtigerweise "mit 10 % der Umsatzsteuer unterzogen" worden.
Die zweite Gruppe stelle Leistungen der Beschwerdeführerin dar, die als Vor- bzw. Nebenleistungen zur eigentlichen Müllbeseitigung anzusehen seien. Nach dem Bericht über eine bei der Beschwerdeführerin durchgeführte Buch- und Betriebsprüfung führe die Beschwerdeführerin auch für Dritte Leistungen auf dem Gebiet der Müllzerkleinerung durch. Hiebei werde der Müll bzw. Abfall (Grünschnitt, Äste, Sträucher udgl.) an betriebsfremden Orten (vorwiegend auf Deponien) geshreddert (zerkleinert). Der Müll werde dabei lediglich einer Zerkleinerung unterzogen und dieses Shreddergut werde durch die Beschwerdeführerin weder abgeführt, beseitigt, gelagert noch deponiert. Auf diese Shredder- und Absiebeerlöse sei der ermäßigte Steuersatz des § 10 Abs. 2 Z 13 UStG 1994 nicht anzuwenden. Gleiches gelte beim Absieben und beim Umsetzen bzw. Aufsetzen von Müll, Abfall und Kompost. Die Beschwerdeführerin führe auch Absiebetätigkeiten durch. Sie fahre mit einer Absiebemaschine auf betriebsfremde Plätze und siebe dort bereits vorhandenes Shreddergut bzw. Kompostmaterial ab, wobei sämtliche Materialien vor Ort zurück blieben.
In den Fällen der zweiten Gruppe von Leistungen sei nicht die Beschwerdeführerin als Müllbeseitigungsunternehmen aufgetreten, sondern deren Auftraggeber, für den sie die Einzelleistung erbringe und der dann seinerseits aber als Entsorger anzusehen sei. Diese, im Beschwerdefall strittigen Leistungen seien als Nebenleistung zur eigentlichen Müllbeseitigung bzw. -entsorgung anzusehen. Sie würden aber deshalb das Schicksal der Hauptleistung, nämlich den "Bezug auf den 10 %-igen Steuersatz", nicht teilen, weil Haupt- und Nebenleistungen von zwei verschiedenen Unternehmen ausgeführt würden und in der Form nicht als einheitliche Tätigkeiten zu werten seien. Die von der Beschwerdeführerin erbrachten Nebenleistungen würden in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht das Schicksal der von den "Marktführern" erbrachten Hauptleistungen teilen, denn eine Nebenleistung der Beschwerdeführerin erfülle für den Auftraggeber der Müllbeseitigung keinen eigenen Zweck, sondern stelle das Mittel dar, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.
Die Hauptleistung der Müllbeseitigung setze sich aus mehreren Komponenten zusammen. Diese reichten vom Sammeln, Absieben, Sortieren, Shreddern, Häckseln und Transportieren bis zum Deponieren der Abfälle. Die von der Beschwerdeführerin erbrachten Nebenleistungen seien eben nicht unter den Begriff "Müllbeseitigung" zu subsumieren. So würde zB mit einer Absiebemaschine direkt auf einer Deponie gearbeitet.
Jene Leistungen, die in ihrer Gesamtheit eine Entsorgung darstellten, seien als solche anerkannt worden, weil die Beschwerdeführerin in diesen Fällen die Hauptleistung erbracht habe. Lediglich die beschriebenen Einzelleistungen seien dem Normalsteuersatz zu unterziehen.
Schließlich sei der Verkauf von Kompost und der Abtransport von Klärschlamm von der Beschwerdeführerin dem ermäßigten Steuersatz unterworfen worden, was insoferne unrichtig sei, weil es sich dabei um neu verwertbare Produkte handle, welche aus dem Müll und aus den Abwässern erzeugt würden. Der Kompost werde als hochwertige Erde verkauft werden, der Klärschlamm finde in der Landwirtschaft als Dünger Verwendung.
Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der vor ihm gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden mit Beschlüssen vom , B 686/02-4 und B 688/02-4, ab und trat die Beschwerden dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges der beiden Beschwerden deren Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung beschlossen und über die Beschwerden erwogen:
Nach Art. 12 Abs. 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (im Folgenden: Sechste Mehrwertsteuer-Richtlinie) wird von jedem Mitgliedstaat ein Normalsatz der Mehrwertsteuer festgelegt, der nicht niedriger als 15 % sein darf. Die Mitgliedstaaten können außerdem einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Diese ermäßigten Sätze dürfen nicht niedriger als 5 % der Besteuerungsgrundlage sein und sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar.
Anhang H (Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewandt werden können) Kategorie 17 der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie lautet:
"17 Leistungen im Zusammenhang mit der Straßenreinigung, Abfuhr von Haushaltsmüll und Abfallbeseitigung mit Ausnahme jener, die von Einrichtungen im Sinn des Artikels 4 Absatz 5 erbracht werden."
Dass die in Rede stehenden Umsätze für das Zerkleinern (Shreddern) und für das Absieben von kompostierfähigem Material (Küchen- und Gartenabfälle, "Biomüll" bzw. "Grünschnitt") zum Zwecke der (leichteren) Kompostierung aus Leistungen im Zusammenhang mit der Abfallbeseitigung im Sinne des Anhanges H Kategorie 17 der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie erzielt worden sind, steht für den Verwaltungsgerichtshof außer Zweifel.
Das Gemeinschaftsrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten jedoch nicht dazu, auf alle jene Tätigkeiten, die (noch) unter die in Kategorie 17 des Anhanges H der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie genannten gemeinschaftsrechtlichen Begriffe subsumiert werden könnten, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz vorzusehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2001/13/0248 und 0249, betreffend den in Kategorie 5 des Anhanges H der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie genannten Begriff der "Beförderung von Personen").
In diesem Sinne hat Österreich von der gemeinschaftsrechtlichen Möglichkeit, einen ermäßigten Steuersatz vorzusehen, insoweit Gebrauch gemacht, als sich nach § 10 Abs. 2 Z 13 UStG 1994 die Steuer auf 10 % ermäßigt für
"die mit dem Betrieb von Unternehmen zur Müllbeseitigung und zur Abfuhr von Spülwasser und Abfällen regelmäßig verbundenen Umsätze;"
Im Beschwerdefall ist entscheidend, ob es sich um Umsätze im Sinne des § 10 Abs. 2 Z 13 UStG 1994 handelt.
Dass die von der Beschwerdeführerin durch "Shreddern" zerkleinerten oder die durch Absieben getrennten kompostierbaren Abfälle unter den Begriff des "Mülls" in § 10 Abs. 2 Z 13 UStG 1994 fallen, ist unstrittig.
Der Begriff der "Beseitigung" von Müll ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes weit auszulegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2001/14/0164); obwohl bei strengem Verständnis die Beseitigung etwas anderes ist als die Verwertung, Behandlung oder Entsorgung, ist darunter nicht nur der eigentliche Abtransport, sondern auch die Bereitstellung von Behältern, Säcken, Containern, die Lagerung, die Entsorgung und Deponierung zu verstehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2001/14/0164, und Ruppe, Umsatzsteuergesetz3, Tz 164 zu § 10).
Mit den angefochtenen Bescheiden wurde die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes deshalb versagt, weil die in Rede stehenden Umsätze (lediglich) im Shreddern (Zerkleinern) bestehen und nicht unter den Begriff der "eigentlichen" Müllbeseitigung bzw. -entsorgung einzureihen seien. Bei den von der Beschwerdeführerin ausgeübten Tätigkeiten handle es sich um eine Nebenleistung zur Müllbeseitigung, welche nicht unter den Begriff der Müllbeseitigung falle, wenn sie von einem anderen Unternehmer ausgeführt werde, als dem, der die Müllbeseitigung als Hauptleistung erbringe. Die Hauptleistung der Müllbeseitigung setze sich aus mehreren Komponenten zusammen. Shreddern sei zwar eine dieser Komponenten. Werde diese jedoch allein als Leistung erbracht, sei sie nicht unter den Begriff "Müllbeseitigung" zu subsumieren. Gleiches vertritt die belangte Behörde hinsichtlich des Aussortierens bestimmter Müllbestandteile mit einer Absiebemaschine direkt auf einer Deponie.
Im Erkenntnis vom , 2416/77, vertrat der Verwaltungsgerichtshof zu § 10 Abs. 2 Z 22 UStG 1972, der insoweit inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung zu § 10 Abs. 2 Z 13 UStG 1994, die Auffassung, dass es sich bei der Beförderung von Müll zu den dafür vorgesehenen Deponien nicht um eine Beförderungsleistung handle, die nicht als Müllbeseitigung gelten könne, sondern dass Müll den Gegenstand der Beförderungsleistung bilde und daher die Verbringung von Müll zu der dafür vorgesehenen Deponie eben eine Methode zur Müllbeseitigung darstellt. Daraus ist ersichtlich, dass der Gerichtshof auch das Erbringen einer Leistung, welche lediglich eine Komponente der Müllbeseitigung darstellte, nämlich die Beförderung des Mülls zur dafür vorgesehenen Deponie, als Methode der Müllbeseitigung und damit dem ermäßigten Steuersatz unterliegend gesehen hat, obwohl diese Leistung nicht in einer Müllbeseitigung im umfassenden Sinn bestand, welche sich aus Sammeln, Befördern zur Deponie und Deponierung zusammensetzt.
In den vorliegenden Beschwerdefällen wird auch in den angefochtenen Bescheiden eingeräumt, dass die in Rede stehende Tätigkeit des Shredderns eine Teilleistung der Müllbeseitigung darstellt und, würde sie vom selben Unternehmer als einheitliche Leistung zusammen mit dem vorgeschalteten Sammeln und Verbringen zur Deponie und dem nachgeschalteten Deponieren des zerkleinerten Müllgutes erbracht werden, als eine dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Müllbeseitigung angesehen würde.
Wie der Gerichtshof bereits im erwähnten Erkenntnis vom auch eine Teilleistung, welche Müll als Gegenstand der Leistung erfasst hat, als dem ermäßigten Steuersatz unterliegend angesehen hat, bildet auch in den vorliegenden Beschwerdefällen Müll den Gegenstand der Leistung des Zerkleinerns. Somit stellt sich auch in den vorliegenden Beschwerdefällen das Zerkleinern des Mülls als Methode der Müllbeseitigung dar.
Dass die Tätigkeit des Zerkleinerns des Mülls etwa auf einer Deponie eine typische Tätigkeit im Zuge der Beseitigung kompostierbarer Abfälle darstellt, wird auch in den angefochtenen Bescheiden nicht bestritten. Zu Recht hebt die Beschwerdeführerin hervor, dass es für die Anwendung der Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z 13 UStG 1994 nicht ausschlaggebend ist, ob der mit der Müllbeseitigung befasste Unternehmer dem Leistungsempfänger gegenüber sämtliche im Zusammenhang mit der Müllbeseitigung anfallende Tätigkeiten erbringt. Einzelne typische in der Müllbeseitigung bestehende Umsätze, wie etwa das bloße Einsammeln und Befördern zu einer Deponie oder das bloße Deponieren oder - wie im Beschwerdefall - das bloße Zerkleinern kompostierbaren Mülls auf einer Deponie, stellen nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes einen mit dem Betrieb von Unternehmen zur Müllbeseitigung regelmäßig verbundenen Umsatz dar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Auftraggeber (Leistungsempfänger) seinerseits ein Müllbeseitigungsunternehmen ist oder etwa ein "Endverbraucher", der im Rahmen der Beseitigung seines "eigenen" Mülls die Müllzerkleinerung durch die Beschwerdeführerin in Anspruch nimmt.
Gleiches gilt auch für das "Absieben" von Müll auf einer Deponie.
Daher waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am