VwGH vom 03.08.2000, 98/15/0202
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
99/15/0252 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde der SM in H, vertreten durch Dr. Meinrad Küenburg, Rechtsanwalt in 5026 Salzburg, Aignerstrasse 21 (und Lic. jur. Harry Gstöhl, Rechtsanwalt in FL - 9490 Vaduz), gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg (Berufungssenat) vom , RV/528-6/97, betreffend Einkommenssteuer 1995, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsangehörige und in Österreich ansässig. Sie war im Jahr 1995 bis 31. März in Wien und ab 10. April bei einem Unternehmen in Liechtenstein angestellt, von dem sie bis Ende des Jahres Einkünfte in Höhe von umgerechnet S 624.907,-- bezog. Sie pendelte als Grenzgängerin zwischen ihrem Wohnort im österreichischen Grenzgebiet und ihrem Arbeitsort in Liechtenstein.
Im Einkommenssteuerbescheid 1995 erfasste das Finanzamt Feldkirch in Anwendung der Grenzgängerregelung des Art. 15 Abs 4 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom , BGBl 24/1971 (im Folgenden: DBA), die gesamten Einkünfte der Beschwerdeführerin und rechnete auf die österreichische Einkommenssteuer die von Liechtenstein erhobene Quellensteuer gemäß Art. 23 Abs 2 DBA an. Dies führte zu einem durchschnittlichen Steuersatz von 27,85 % hinsichtlich der in Liechtenstein bezogenen Einkünfte.
Gegen den Einkommenssteuerbescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung mit dem Antrag, den Bescheid dahingehend abzuändern, dass bloß die inländischen Einkünfte der Beschwerdeführerin der österreichischen Einkommenssteuer unterworfen werden. Sie begründete dies damit, dass sie hinsichtlich der in Liechtenstein bezogenen Einkünfte durch die höhere Steuerlast im Vergleich zu liechtensteinischen Arbeitnehmern diskriminiert sei, was gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) vom , BGBl 909/1993, verstoße. Bei Besteuerung der Einkünfte nach liechtensteinischem Recht würde ein Steuersatz von rund 4 % Anwendung finden.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass ein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit bei Zuweisung der Besteuerungsrechte für die Einkünfte von Grenzgängern zum Wohnsitzstaat gemäß Art. 15 Abs 4 DBA nicht vorliege.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde. Die Beschwerdeführerin behauptet eine Verletzung des Rechts auf Freizügigkeit gemäß Art. 28 ff des EWR-Abkommens und der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Art. 28 des EWR-Abkommens lautet:
"(1) Zwischen den EG-Mitgliedstaaten und den EFTA-Staaten wird die Freizügigkeit der Arbeitnehmer hergestellt.
(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der EG-Mitgliedstaaten und der EFTA-Staaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.
(3) Sie gibt - vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Bestimmungen - den Arbeitnehmern das Recht,
...
c) sich im Hoheitsgebiet eines EG-Mitgliedstaates oder eines EFTA-Staates aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;
...
(5) Die besonderen Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sind in Anhang V enthalten."
Art. 7 und 119 des EWR-Abkommens lauten:
"Artikel 7
Rechtsakte, auf die in den Anhängen zu diesem Abkommen oder in den Entscheidungen des gemeinsamen EWR-Ausschusses Bezug genommen wird oder die darin enthalten sind, sind für die Vertragsparteien verbindlich und Teil des innerstaatlichen Rechts oder in innerstaatliches Recht umzusetzen und zwar wie folgt:
a) Ein Rechtsakt, der einer EWG-Verordnung entspricht, wird als solcher in das innerstaatliche Recht der Vertragsparteien übernommen.
..."
Artikel 119
"Die Anhänge und die für die Zwecke dieses Abkommens angepassten Rechtsakte, auf die darin Bezug genommen wird, sowie die Protokolle sind Bestandteil dieses Abkommens."
Im Anhang V ist u.a. die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft angeführt.
Art. 1 und 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 lauten:
"Art. 1
(1) Jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaates ist ungeachtet seines Wohnorts berechtigt, eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften aufzunehmen und auszuüben.
..."
Art. 7
"(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.
(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.
..."
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl hiezu das hg. Erkenntnis vom , 95/06/0246) ist das EWR-Abkommen ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag traditioneller Art, der in die österreichische Rechtsordnung übernommen worden ist. Das EWR-Abkommen ist grundsätzlich unmittelbar anwendbar, genießt aber keinen Anwendungsvorrang gegenüber allenfalls später erlassenem innerstaatlichen Recht.
Soweit sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid darauf stützt, dass das EWR-Abkommen die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Festlegung der Besteuerungskriterien nicht berühre, ist ihr entgegenzuhalten, dass das EWR-Abkommen die (direkten) Steuern zwar nicht unmittelbar betrifft, die Vertragsstaaten des EWR aber auch auf dem Gebiet der Steuern ihre Befugnisse unter Wahrung der Grundfreiheiten ausüben und deshalb jede Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit unterlassen müssen (vgl sinngemäß , Schumacker, Slg. 1995, I-225, Rn 21, 26; vom , Rs C-80/94, Wielockx, Slg. 1995, I-2493, Rn 16;
vom , Rs C-107/94, Asscher, Slg. 1996, I-3089, Rn 36;
vom , Rs C-311/97, Royal Bank of Scotland plc, Slg. 1999, I-2651, Rn 19). Von der Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit werden auch nationale Vorschriften über die direkten Steuern betroffen, da der Grundsatz der Gleichbehandlung auf dem Gebiet der Entlohnung seiner Wirkung beraubt wäre, wenn er durch diskriminierende nationale Vorschriften über die Einkommenssteuer beeinträchtigt werden könnte (vgl , Biehl, Slg. 1990, I-1779, Rn 12).
Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Zuweisung des Besteuerungsrechtes an den Wohnsitzstaat in Art. 15 Abs 4 DBA begründe eine versteckte Diskriminierung. Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Zunächst sei darauf verwiesen, dass durch die Außerachtlassung des Art. 15 Abs 4 DBA für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen wäre, weil Art. 23 Abs 2 DBA für Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit das Anrechnungsverfahren vorsieht, sodass die Besteuerung keinesfalls niedriger sein kann, als dies dem österreichischen Einkommenssteuertarif entspricht.
Des Weiteren sind folgende Überlegungen anzustellen: Die Vorschriften sowohl des EWR-Abkommens wie auch des Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 über die Inländergleichbehandlung verbieten nicht nur offensichtliche Diskriminierungen auf Grund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale, wie zB des Wohnsitzes, tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (vgl Urteile des EuGH, Biehl, Rn 13; Schumacker, Rn 26; vom , Rs C-87/99, Zurstrassen, Rn 18). Art. 15 Abs 4 und Art. 23 Abs 2 DBA begründen jedoch keine der Arbeitnehmerfreizügigkeit widersprechende Diskriminierung. Eine derartige Diskriminierung kann nur darin bestehen, dass unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewendet werden oder dass dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewendet wird (vgl etwa Urteile Schumacker, Rn 30, und Wielockx, Rn 17). Entscheidend ist nun, dass aus der Sicht der durch Österreich vorgenommenen Besteuerung davon auszugehen ist, dass sich in Österreich ansässige Personen unabhängig davon in einer vergleichbaren Situation befinden, ob sie ihre Einkünfte durch eine Berufstätigkeit in Österreich oder als Tagespendler durch eine Berufstätigkeit im benachbarten Ausland erzielen.
Zu dem in der Beschwerde dargestellten Umstand, dass die unterschiedliche Besteuerung von Dienstnehmern nicht in den nationalen Steuervorschriften eines Mitgliedstaates angelegt ist, sondern sich aus der Zuweisung von Besteuerungsrechten im Doppelbesteuerungsabkommen ergibt, ist - entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerin, dass es sich dort um einen anderen Verfahrensgegenstand handelt - auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Gilly (Urteil vom , Rs C-336/96, Slg. 1998, I-2793) zu verweisen. Demnach ist den Mitgliedstaaten in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierungsmaßnahmen die Befugnis verblieben, die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit untereinander festzulegen, um Doppelbesteuerungen zu beseitigen. Vor- oder Nachteile in der steuerlichen Behandlung der Steuerpflichtigen mit steuerlichen Anknüpfungspunkten in verschiedenen Staaten sind nicht primär eine Folge der Wahl des Anknüpfungsfaktors, sondern lediglich des unterschiedlichen Steuerniveaus in beiden Staaten (vgl EuGH, Urteil Gilly, Rn 34).
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass sich die unterschiedliche steuerliche Stellung der Beschwerdeführerin im Vergleich zu Arbeitnehmern, deren Einkünfte in Liechtenstein besteuert werden, aus der Tatsache ergibt, dass der zur Anwendung gelangende Steuertarif in Österreich höhere Prozentsätze erreicht als in Liechtenstein. Die unterschiedliche Besteuerung ist damit nicht auf das DBA zurückzuführen, sondern notwendige Folge des Fehlens einheitlicher Steuersätze im EWR. Eine derartige Ungleichbehandlung steht aber außerhalb des Schutzbereiches der Grundfreiheiten (vgl auch Schuch/Toifl, Grenzgängerregelungen und EWR-Abkommen, SWI 1999, 300).
Vor diesem Hintergrund ist auch der Zweck eines Doppelbesteuerungsabkommens zu berücksichtigen. Ein solches Abkommen soll lediglich verhindern, dass ein und dieselben Einkünfte in beiden Staaten zur Gänze besteuert bleiben, dagegen soll es nicht Gewähr leisten, dass die Steuern, die von dem Steuerpflichtigen in dem einen Staat erhoben werden, nicht höher sind als diejenigen, die von ihm in dem anderen Staat erhoben werden (vgl EuGH, Urteil Gilly, Rn 46). Der Zweck ist also die Verhinderung der Doppelbesteuerung, nicht die Gewährleistung gleich hoher Steuersätze. Dieser Zweck wird hinsichtlich der in Liechtenstein erzielten Einkünfte der Beschwerdeführerin erreicht.
Die Beschwerdeführerin beruft sich in Anlehnung an das Urteil des EuGH in der Rechtssache Schumacker des Weiteren darauf, dass es einem Mitgliedstaat nicht erlaubt sei, einen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates, der in Ausübung seines Rechtes auf Freizügigkeit im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates eine nichtselbstständige Tätigkeit ausübt, bei der Erhebung der direkten Steuern schlechter zu behandeln als einen eigenen Staatsangehörigen, der sich in der gleichen Lage befindet. Aus diesem Vorbringen ist für die Beschwerdeführerin nichts zu gewinnen. Eine allfällige Diskriminierung durch Liechtenstein als Tätigkeitsstaat wird von der Beschwerdeführerin nicht behauptet und ist jedenfalls nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides.
Die Beschwerdeführerin stützt sich auch auf eine Literaturmeinung, nach der die steuerliche Gleichbehandlung beeinträchtigt sei, wenn der Tätigkeitsstaat durch Doppelbesteuerungsabkommen dafür sorgt, dass "Arbeitskollegen" von unterschiedlichen Vertragsstaaten des EWR besteuert werden (Dautzenberg, Die Problematik der Grenzgängerregelungen nach dem Schumacker-Urteil des Europäischen Gerichtshofes, BB 1995, 2397 (2399)). Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass nach den obigen Ausführungen in Ermangelung steuerlicher Harmonisierungsmaßnahmen bzw entsprechender Regelungen im EWR-Vertrag den Vertragsstaaten die Befugnis verblieben ist, die Kriterien für die Aufteilung ihrer Besteuerungsrechte durch Doppelbesteuerungsabkommen festzulegen. Der Grundsatz der steuerlichen Gleichbehandlung verlangt nicht, dass für die Besteuerung von Grenzgängereinkünften statt an den Wohnsitz des Arbeitnehmers an den Ort der Tätigkeit angeknüpft wird, weil sich eine im Einzelfall mögliche höhere Steuerlast nicht primär aus der Wahl des Anknüpfungspunktes, sondern aus dem unterschiedlichen Steuerniveau in den Vertragsstaaten ergibt.
Da sohin eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht vorliegt, braucht auf das Vorbringen der belangten Behörde in der Gegenschrift betreffend Liechtenstein eingeräumten Übergangsregelungen für die Freizügigkeit nicht eingegangen zu werden.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 416/1994.
Wien, am