VwGH vom 17.02.2004, 2002/06/0151
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde der H P in W, vertreten durch Dr. Ulrich O. Daghofer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Albrechtgasse 3, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA13A-12.10 W 32-02/33, betreffend Antrag auf Beseitigung einer baulichen Anlage (mitbeteiligte Parteien: 1. E M und 2. Marktgemeinde W, vertreten durch Mag. Martin Divitschek, Mag. Wolfgang Sieder und Dr. Andrea Peter, Rechtsanwälte in 8530 Deutschlandsberg, Glashüttenstraße 4), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Erlassung eines Bescheides gemäß § 41 Abs. 6 Stmk. BauG mit der Begründung, ihr Nachbar und "Mitbewerber" M. sei der ihn treffenden Verpflichtung zur Errichtung einer dem Gesetz entsprechenden Feuermauer zwischen den benachbarten Objekten bisher nicht nachgekommen, was für sie und die Besucher ihres Betriebes ("M") mit Gefahr für Leib und Leben verbunden sei und Gefahr im Verzug bedeute. Sie habe Anspruch auf die Herstellung des rechtmäßigen Bauzustandes beim Nachbarn. Es werde gefordert, dass der Nachbar im vorderen und im hinteren Bereich die gesetzlich zwingend vorgesehenen Feuermauern errichtet.
Mit Bescheid des im Devolutionsweg gemäß § 73 AVG zuständig gewordenen Gemeinderates der Marktgemeinde W vom wurde dieser Antrag abgewiesen, weil bereits mit Bescheiden vom rechtskräftig über die Frage der Feuermauer zwischen den Objekten der Beschwerdeführerin und ihres Nachbarn M. abgesprochen worden sei. Im Rahmen der aufsichtsbehördlichen Prüfung am sei festgestellt worden, dass der Nachbar eine technisch funktionierende Brandschutzwand errichtet habe, die zwar nicht zur Gänze den gesetzlichen Bestimmungen der Stmk. BauO 1968 entspräche, andererseits sei aber auch bei Einhaltung der baurechtlichen Bestimmungen in technischer Hinsicht keine Verbesserung möglich. Gemäß § 15 Abs. 3 Stmk. BauO 1968 sei ein Bau so auszurichten gewesen, dass er unabhängig von anderen Bauten standfest sei. Eine vergleichbare Bestimmung fehle im nunmehr geltenden Stmk. BauG 1995, so dass die hergestellte Feuermauer als dem Gesetz entsprechend angesehen werden könne.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung an die belangte Behörde.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde diese Vorstellung als unbegründet abgewiesen. Nach Darstellung des bisherigen Verfahrensverlaufs und der Rechtslage führte die belangte Behörde als Begründung aus, § 41 Abs. 6 Stmk. BauG normiere ein Recht des Nachbarn auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages unter der Voraussetzung, dass Bauarbeiten, bauliche Anlagen oder sonstige Maßnahmen im Sinne der Abs. 1, 3 und 4 seine Rechte (§ 26 Abs. 1) verletzten. Demgemäß komme es darauf an, ob tatsächlich eine Verletzung nachbarlicher Rechte vorliege. § 41 Abs. 3 Stmk. BauG normiere, dass die Behörde hinsichtlich vorschriftswidriger baulicher Anlagen einen Beseitigungsauftrag zu erlassen habe. Im vorliegenden Fall mache die Beschwerdeführerin eine Verletzung in ihrem subjektivöffentlichen Recht nach § 26 Abs. 1 Z 4 Stmk. BauG betreffend die Ausgestaltung der Brandwände geltend. Nach § 51 Abs. 1 Stmk. BauG müssten die Außenwände an der Grundgrenze oder die an das andere Gebäude anschließenden Außenwände, sofern ein Gebäude unmittelbar an eine Nachbargrenze oder an ein anderes Gebäude angebaut werde, als Brandwände ausgestaltet werden. Dies gelte nicht für Grundgrenzen zu Verkehrsflächen und Gewässern. Jedes Gebäude müsse eine eigene Brandwand haben. Nur zum Zweck der gemeinsamen Benützung benachbarter Gebäude könnten Brandwände durchbrochen werden, wenn der Brandschutz dadurch nicht beeinträchtigt werde. Eine vergleichbare Bestimmung sei auch in der Stmk. BauO 1968 enthalten gewesen. Anlässlich der aufsichtsbehördlichen Prüfung sei am vom Amtssachverständigen festgestellt worden, dass der Nachbar der Beschwerdeführerin zwar eine technisch funktionierende Brandschutzwand errichtet habe, dabei aber der Forderung nicht entsprochen worden sei, dass das Bauwerk unabhängig von anderen Gebäuden standfest zu sein habe, da die Aufdoppelung der Feuermauer im 1. Obergeschoß auf der Decke des Nachbargebäudes (der Beschwerdeführerin) aufsitze. Aus brandschutztechnischer Sicht bestehe dadurch keine Einschränkung. Es ergebe sich sohin, dass die in der Natur gebebene Situation zwar nicht der Forderung des § 21 Abs. 1 der Stmk. BauO 1968 widerspreche, wonach jedes Gebäude für sich eigene Feuermauern haben müsse, also insgesamt zwei Feuermauern vorhanden sein müssten, wohl aber der Bestimmung des § 15 Abs. 3 dieses Gesetzes, wonach jeder Bau so zu errichten sei, dass er unabhängig von anderen Bauten standfest sei. Diese für den Brandschutz an sich unwesentliche Forderung habe nach der Rechtslage der Stmk. BauO 1968 auch nicht durch eine Vereinbarung unter Nachbarn umgangen werden können. Da diese Bestimmung im Stmk. BauG 1995 allerdings nicht mehr dezidiert aufscheine, könne die gegenständliche Ausführung der Feuermauer als möglicherweise der neuen Rechtslage entsprechend angesehen werden. Fest stehe auch auf Grund der gutachterlichen Stellungnahme des Amtssachverständigen, dass es auf Grund dieser anderen Ausführung der Feuermauer keine erhöhten Gefährdungsmomente in Bezug auf den Brandschutz gebe. Die Bestimmung des § 26 Abs. 1 Z. 4 BauG habe als Schutzzweck die Hintanhaltung der Feuergefahr für das Nachbarobjekt zum Inhalt. Die eigene Standfestigkeit der Feuermauern werde jedoch nicht gesondert als subjektivöffentliches Nachbarrecht genannt. Demzufolge sei im Lichte des Schutzzweckes dieser Norm jedenfalls die Beschwerdeführerin durch die errichtete Brandschutzwand, auch wenn diese nicht selbständig stehe, geschützt. Daher sei der Gemeindebehörde im Ergebnis Recht zu geben, wenn sie ausführe, dass durch die gegenständliche Feuermauer eine Rechtsverletzung gegenüber der Beschwerdeführerin nicht gegeben sei. Die Gemeindebehörde habe die Ansicht vertreten, dass auf Grund der nunmehr geltenden gesetzlichen Bestimmungen nach dem Steiermärkischen Baugesetz die Ausführung der Feuermauer als dem Gesetz entsprechend angesehen werden könne. Diese Beurteilung könne nur im Rahmen eines Baubewilligungsverfahrens durchgeführt werden, wobei die gegenständliche Mauer erst dann als konsensgemäß angesehen werden könne, wenn tatsächlich eine rechtskräftige Baubewilligung dafür vorliege. Dieser Umstand vermöge aber daran nichts zu ändern, dass die bereits in der Natur vorhandene Brandmauer, die zwar nicht der ursprünglichen Baubewilligung entspreche, jedoch aus dem Gesichtspunkt des Brandschutzes den gleichen Schutz wie eine entsprechend der Baubewilligung ausgestaltete Brandwand erfülle. Demzufolge werde die Beschwerdeführerin in keinem subjektiv-öffentlichen Nachbarrecht verletzt, weshalb auch der Antrag auf Beseitigung dieser an sich nicht der Baubewilligung entsprechenden Brandwand nicht rechtens gefordert werden könne.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat Verwaltungsakten vorgelegt und, ebenso wie die mitbeteiligte Marktgemeinde, in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 41 Abs. 6 des Steiermärkischen Baugesetzes 1995, LGBl. Nr. 59 (Stmk. BauG), steht den Nachbarn das Recht auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages zu, wenn die Bauarbeiten, die baulichen Anlagen oder sonstigen Maßnahmen im Sinne der Abs. 1, 3 und 4 ihre Rechte (§ 26 Abs. 1) verletzen (Hervorhebung durch den Verwaltungsgerichtshof).
Im Beschwerdefall ist lediglich die Bestimmung des § 41 Abs. 3 leg. cit. angesprochen, wonach die Behörde hinsichtlich vorschriftswidriger baulicher Anlagen einen Beseitigungsauftrag zu erlassen hat. Wie bereits die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, ist Voraussetzung für den über Antrag eines Nachbarn im Sinne des § 41 Abs. 6 Stmk. BauG zu erlassenden Beseitigungsauftrag, dass dieser in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/06/0069). Dabei kann sich der Nachbar, der baupolizeiliche Maßnahmen gemäß dem geltenden § 41 Abs. 6 Stmk. BauG in Bezug auf bauliche Maßnahmen beantragt, die vor Inkrafttreten des Stmk. BauG gesetzt wurden, auf die Verletzung von Nachbarrechten nur nach dem geltenden Recht berufen (vgl. in diesem Sinn das hg Erkenntnis vom , Zl. 2001/06/0167).
Gemäß § 26 Abs. 1 Z. 3 und 4 Stmk. BauG kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv öffentlich-rechtliche Einwendungen). Das sind u. a. die Bestimmungen über den Schallschutz (§ 43 Abs. 2 Z. 5) und die Brandwände an der Grundgrenze (§ 51 Abs. 1).
Gemäß § 51 Abs. 1 Stmk. BauG müssen die Außenwände an der Grundgrenze oder die an das andere Gebäude anschließenden Außenwände dann, wenn ein Gebäude unmittelbar an eine Nachbargrenze oder an ein anderes Gebäude angebaut wird, als Brandwände ausgestaltet werden. Dies gilt nicht für Grundgrenzen zu Verkehrsflächen und Gewässern. Jedes Gebäude muss eigene Brandwände haben. Nur zum Zwecke der gemeinsamen Benützung benachbarter Gebäude können Brandwände durchbrochen werden, wenn der Brandschutz dadurch nicht beeinträchtigt wird.
Die Beschwerdeführerin macht in der Beschwerde im Wesentlichen sowohl unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit als auch unter jenem einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, sie sei durch die konsens- und bauordnungswidrig errichtete Brandmauer in ihrem Recht auf Schall- und Brandschutz verletzt, zumal die vorhandene Brandmauer auf ihrer Terrasse errichtet worden sei. Sie habe dazu ein Privatgutachten vorgelegt, auf welches der Amtssachverständige zwar Bezug genommen, sich aber nicht ausreichend auseinandergesetzt habe.
Diesen Beschwerdeausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu:
Vorweg ist anzumerken, dass die Baubehörden den wiedergegebenen Antrag der Beschwerdeführerin als Antrag gemäß § 41 Abs. 6 BauG gewertet haben, gerichtet auf Beseitigung des von ihr behaupteten rechtswidrigen Zustandes der derzeit bestehenden Mauer. Dieser Interpretation hat die Beschwerdeführerin in ihren Eingaben auch nicht widersprochen.
Um feststellen zu können, ob die Behauptung der Beschwerdeführerin, die von der Erstmitbeteiligten an der gemeinsamen Grundgrenze errichtete Außenmauer entspreche den Kriterien einer Brandschutzwand im Sinne des § 51 Abs. 1 Stmk. BauG in keiner Weise, zutrifft, bedarf es einer Befundaufnahme und Gutachtenserstattung durch - zumindest - einen Sachverständigen. Zwar haben sich die Verwaltungsbehörden auf ein "Gutachten" des Amtssachverständigen DI B bezogen, doch liegt ein solches im Gesamtwortlaut nicht in dem dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akt. Es ist der (gesamte ?) Wortlaut dieser gutachterlichen Stellungnahme lediglich aus dem Übersendungsschreiben der Fachabteilung 1a an die Rechtsabteilung 3 jeweils der belangten Behörde zu entnehmen. Diese gutachterliche Stellungnahme wurde weiters in einem anderen als dem gegenständlichen Verfahren und noch vor (nämlich am ) der gegenständlichen Antragstellung () abgegeben. Insoweit der Amtssachverständige sich auf andere sachverständige Stellungnahmen bezieht, liegen diese ebenfalls nicht vor und werden auch nicht so ausführlich referiert, dass erkennbar wäre, von welchen Prämissen sie ausgehen bzw. warum bzw. zu welchen Ergebnissen sie gelangten. Gerade bei widersprechenden Gutachten hat der Sachverständige aber seine Gedankengänge darzulegen, die dafür maßgebend waren, dass er der Fachmeinung seines Kollegen nicht folgte.
Darüber hinaus entspricht diese im Übersendungsschreiben der Fachabteilung 1a der belangten Behörde vom wiedergegebene gutachterliche Stellungnahme nicht den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an ein schlüssiges und nachvollziehbares Gutachten. Ein solches muss nämlich im Sinne der hg. Rechtsprechung sowohl einen Befund als auch das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden sodann das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrundelegt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (vgl. als Beispiel für viele die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 95/20/0490, und vom , Zl. 94/08/0015). Dazu wäre es angezeigt, die - im Beschwerdefall komplizierte - örtliche Situation etwa durch eine Fotodokumentation oder bezeichnete Skizzen des derzeitigen Bestandes darzustellen, um auch nicht ortskundigen Dritten den zu beurteilenden Sachverhalt deutlich vor Augen zu führen. Sollten diese Unterlagen (Pläne) und Gutachten den Behörden bekannt gewesen sein, so wäre es Sache der Behörden gewesen, sie zu Aktenbestandteilen zu machen und den vorgelegten Akten anzuschließen. In diesem Zusammenhang wird auf § 38 Abs. 2 VwGG verwiesen, wonach der Verwaltungsgerichtshof auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers erkennen kann, wenn die Behörde die Akten nicht vorgelegt hat und auf diese Säumnisfolge vorher ausdrücklich hingewiesen wurde. Die belangte Behörde wurde auf diese Säumnisfolge (in der hg. Verfügung vom ) ausdrücklich hingewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof kann den vorliegenden Beschwerdefall daher auf der Grundlage der vorgelegten Aktenbestandteile und der Sachverhaltsangaben der Beschwerde entscheiden; dabei ist vom Grundsatz auszugehen, dass eine Unvollständigkeit der Akten bzw. Zweifel über deren Inhalt sich nicht zum Nachteil der Beschwerdeführerin auswirken dürfen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2002/05/1002, und vom , Zl. 95/10/0048).
Da die belangte Behörde diese oben aufgezeigten, bereits der Gemeindebehörde unterlaufenen Feststellungs- und Begründungsmängel nicht aufgegriffen hat, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am