VwGH vom 28.06.1995, 95/21/0109
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 102.692/3-III/11/94, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) die Berufung des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 2 dieses Gesetzes abgewiesen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück. Begründend wurde ausgeführt, daß Berufungen binnen zwei Wochen nach erfolgter Zustellung einzubringen seien. Der bekämpfte Bescheid sei am rechtswirksam zugestellt worden. Da die Berufung erst am eingebracht worden sei, sei sie verspätet.
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid, wie seinem Vorbringen entnehmbar ist, in seinem Recht darauf verletzt, daß seine Berufung nicht als verspätet zurückgewiesen werde. Er behauptet inhaltliche Rechtswidrigkeit und beantragt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Er macht hiezu geltend, daß die belangte Behörde keinerlei Beweisverfahren zu seiner Behauptung, er habe innerhalb offener Frist das Rechtsmittel ausgeführt, durchgeführt habe. Hätte die belangte Behörde ein Beweisverfahren durchgeführt, hätte sie feststellen können, daß er den Bescheid am vom Postamt abgeholt habe. Die verspätete Abholung sei deshalb erfolgt, weil er erst am die Möglichkeit gehabt habe, von der Hinterlegung Kenntnis zu erlangen. Die an der Adresse Wien XVI, K-Gasse 7-9/3/57 wohnhafte namentlich genannte Frau, sei bis zu diesem Zeitpunkt im Ausland gewesen. Erst nach ihrer Rückkehr habe er die Möglichkeit gehabt, den Briefkasten zu öffnen und habe er dort die Benachrichtigung von der Hinterlegung gefunden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach dem Inhalt des im Akt befindlichen Rückscheines (Formular 3 zu § 22 Zustellgesetz) hat der Zusteller an der Anschrift 1160 Wien, K-Gasse 7-9/57 nach einem erfolglosen Zustellversuch am die Ankündigung des zweiten Zustellversuches in das Hausbrieffach eingelegt. Am hat er einen zweiten Zustellversuch unternommen und - nachdem auch dieser erfolglos gewesen ist - die Verständigung über die Hinterlegung in das Hausbrieffach eingelegt. Die Sendung wurde beim Postamt 1160 hinterlegt. Beginn der Abholfrist war der .
Der vom Zusteller erstellte Zustellnachweis (Rückschein) ist eine öffentliche Urkunde, die den Beweis dafür erbringt, daß die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, doch ist der Gegenbeweis gemäß § 292 Abs. 2 ZPO zulässig. Behauptet jemand, es lägen Zustellmängel vor, so hat er diese Behauptung auch entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzubieten, die geeignet sind, die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen (siehe die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, unter E Nr. 1a und b zu § 22 Zustellgesetz zitierte
hg. Rechtsprechung). Verbindet die Partei des Verwaltungsverfahrens die Setzung einen nach der Aktenlage verspäteten Verfahrenshandlung mit der Wendung "in offener Frist", so trifft die Behörde die Verpflichtung zur amtswegigen Prüfung der Richtigkeit dieser Behauptung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/03/0138).
Die Hinterlegung vom hat - wenn auch aus anderen als den in der Beschwerde vorgetragenen Überlegungen - die Zustellung nicht bewirkt:
Die von der belangten Behörde als verwirklicht angesehene Zustellfiktion im Sinne des letzten Satzes des § 17 Abs. 3 Zustellgesetz hat nämlich auch zur Voraussetzung, daß ein Versuch der Zustellung an der Abgabestelle erfolgt ist. Von den in § 4 Zustellgesetz genannten Abgabestellen kam im vorliegenden Fall nur die Wohnung in Betracht. Darunter ist jene Räumlichkeit zu verstehen, die der Empfänger tatsächlich benützt, wo er also tatsächlich wohnt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 84/10/0176).
Der Beschwerdeführer gab seinen Wohnsitz im das Verfahren einleitenden schriftlichen Antrag mit 1160 Wien,
H-Straße 106/36 an. Als Beleg hiefür war die Fotokopie eines Meldezettels über die am erfolgte polizeiliche Anmeldung angeschlossen, wonach der Beschwerdeführer unter gleichzeitiger Aufgabe seines bisherigen ordentlichen Wohnsitzes in 1160 Wien, K-Gasse 7-9, den ordentlichen Wohnsitz in 1160 Wien, H-Straße 106, anführte. Im Sinne des Zustellrechtes befand sich daher die Wohnung des Beschwerdeführers in 1160 Wien, H-Straße 106. Der Rückschein über die Hinterlegung vom weist dagegen die Anschrift 1160 Wien, K-Gasse 7-9, auf. Dort hatte der Beschwerdeführer an den Tagen der Zustellversuche nach dem Akteninhalt keine Abgabestelle. Eine Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 1 Zustellgesetz konnte dort deshalb rechtens nicht stattfinden. Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich im Hinblick auf das fortzusetzende Verfahren zu folgenden Feststellungen veranlaßt. Nach der Aktenlage wurde der bekämpfte Bescheid des Landeshauptmannes von Wien dem Beschwerdeführer am durch Hinterlegung an der von ihm im Antrag genannten Adresse in 1160 Wien, H-Straße 106/36, durch Hinterlegung zustellt. Aus welchen Gründen die Behörde erster Instanz eine neuerliche Zustellung nunmehr zu eigenen Handen des Beschwerdeführers an einer nach dem Akteninhalt früheren Unterkunft vornahm, ergibt sich nicht aus dem Akt. Der Umstand, daß die am hinterlegte Sendung als nicht behoben zurückkam, reicht hiefür jedenfalls nicht aus. Im Hinblick auf § 6 Zustellgesetz wird daher zu prüfen sein, ob die erste Zustellung am rechtswirksam erfolgte.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG Abstand genommen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994. Demnach gebührt Stempelaufwand nur für die durch das Gesetz gebotene Anzahl von Ausfertigungen und Beilagen (zwei Beschwerdeausfertigungen, eine Abschrift des angefochtenen Bescheides). Das Aufwandersatzmehrbegehren war somit abzuweisen.