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VwGH vom 26.07.2002, 98/02/0061

VwGH vom 26.07.2002, 98/02/0061

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll sowie Senatspräsident Dr. Kremla und Hofrat Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde der Bundesministerin für Arbeit und Soziales (nunmehr Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-280336/36/KON/FB, betreffend Übertretung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (mitbeteiligte Partei: JG in Ungarn), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom wurde der Mitbeteiligte für schuldig befunden, er habe es als gemäß § 9 VStG verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlicher der V. und F.N. GmbH zu vertreten, dass diese nicht dafür gesorgt habe, dass der Arbeitsmediziner Dr. K. in der Arbeitsstätte der angeführten GmbH in der Zeit von Februar 1996 bis seine gesetzlichen Aufgaben erfüllte. Der Arbeitsmediziner sei 1) seiner Verpflichtung, Aufzeichnungen über die geleistete Einsatzzeit und die nach dem "Arbeitnehmerschutzgesetz" durchgeführten Tätigkeiten, insbesondere auch über durchgeführte Besichtigungen und Untersuchungen sowie deren Ergebnisse, zu führen, dadurch, dass er keinerlei Aufzeichnungen über die geleistete Einsatzzeit und die nach dem "Arbeitnehmerschutzgesetz" durchgeführten Tätigkeiten geführt habe, sowie 2) seiner Verpflichtung, die Arbeitnehmer und Belegschaftsorgane auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes, der auf die Arbeitsbedingungen bezogenen Gesundheitsförderung und der menschengerechten Arbeitsgestaltung zu beraten, nicht nachgekommen; weiters habe er keine Besichtigung der Arbeitsplätze im Betrieb durchgeführt. Der Mitbeteiligte habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach § 130 Abs. 1 Z 27 in Verbindung mit ad 1) § 84 Abs. 1 und ad 2) § 81 Abs. 1 Arbeitnehmerschutzgesetz (richtig: ArbeitnehmerInnenschutzgesetz), BGBl. Nr. 450/1994 (AschG), begangen. Über den Mitbeteiligten wurden zu 1) und

2) Geldstrafen in der Höhe von je S 15.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je 50 Stunden, gesamt 100 Stunden) verhängt.

Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom Folge, behob das angeführte Straferkenntnis und stellte das Strafverfahren ein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ging davon aus, dass Dr. K. als externer Arbeitsmediziner gemäß § 79 Abs. 1 Z 2 ASchG für die V. und F.N. GmbH bestellt worden sei. Seine Tätigkeit habe er nicht in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit ausgeübt. Der Arbeitnehmerbegriff des § 2 Abs. 1 ASchG treffe auf den Betriebsarzt nicht zu. Die mitbeteiligte Partei sei auch nicht der Arbeitgeber des Arztes gewesen. Den Mitbeteiligten treffe kein Verschulden daran, dass der Arbeitsmediziner Dr. K. seinen per Werkvertrag vom übertragen Aufgaben entsprechend dem ASchG nicht nachgekommen sei. Eine Ausdehnung des Straftatbestandes gemäß § 130 Abs. 1 Z 27 letzter Halbsatz ASchG auf Fälle, denen eine Arbeitsmedizinerbestellung gemäß § 79 Abs. 1 Z 2 oder Z 3 zugrundeliege, widerspreche dem aus dem Gleichheitssatz des Art. 7 Abs. 1 B-VG resultierenden Gebot der sachlichen Differenzierung zwischen Arbeitgebern von betriebseigenen und solchen von betriebsexternen Arbeitsmedizinern.

Weiters sei der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses im Sinne des § 44a Z 1 VStG nicht ausreichend konkretisiert. Es reiche nicht aus, den bloßen Gesetzeswortlaut unter Anführung der Tatzeit und des Tatortes wiederzugeben, sondern sei die Tat zu individualisieren. Es wäre daher auch darzulegen gewesen, worin die mangelnde Obsorge des Arztes bestanden habe.

§ 79 ASchG samt Überschrift lautet:

" Bestellung von Arbeitsmedizinern

§ 79. (1) Arbeitgeber haben Arbeitsmediziner zu bestellen. Diese Verpflichtung kann erfüllt werden:

1. durch Beschäftigung von geeigneten Ärzten im Rahmen eines

Arbeitsverhältnisses (betriebseigene Arbeitsmediziner) oder

2. durch Inanspruchnahme externer Arbeitsmediziner oder

3. durch Inanspruchnahme eines bewilligten arbeitsmedizinischen

Zentrums. . . . . . . . . ."

§ 81 ASchG samt Überschrift lautet:

"Aufgaben, Information und Beiziehung der Arbeitsmediziner

§ 81. (1) Arbeitsmediziner haben die Aufgabe, die

Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, die Sicherheitsvertrauenspersonen

und die Belegschaftsorgane auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes,

der auf die Arbeitsbedingungen bezogenen Gesundheitsförderung und

der menschengerechten Arbeitsgestaltung zu beraten und die

Arbeitgeber bei der Erfüllung ihrer Pflichten auf diesen Gebieten

zu unterstützen. . . . . . . . . . ."

§ 83 ASchG samt Überschrift lautet:

"Gemeinsame Bestimmungen

§ 83. (1) Die nachstehenden Bestimmungen gelten für Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner gleichermaßen. Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner werden im Folgenden als Präventivfachkräfte bezeichnet.

...

(9) Die Bestellung von Präventivfachkräften enthebt die Arbeitgeber nicht von ihrer Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften. Den Präventivfachkräften kann die Verantwortlichkeit für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht rechtswirksam übertragen werden. §§ 15 und 130 Abs. 4 gelten auch für betriebseigene Präventivfachkräfte."

§ 84 ASchG samt Überschrift lautet:

"Aufzeichnungen und Berichte

§ 84. (1) Präventivfachkräfte haben Aufzeichnungen über die

geleistete Einsatzzeit und die nach diesem Bundesgesetz

durchgeführten Tätigkeiten zu führen, insbesondere auch über die

von ihnen durchgeführten Besichtigungen und Untersuchungen sowie

deren Ergebnisse. Den Organen der Arbeitsinspektion ist auf

Verlangen Einsicht in diese Unterlagen zu gewähren. . . . . . . ."

§ 130 ASchG samt Überschrift lautet:

" Strafbestimmungen

§ 130. (1) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe

von 2 000 S bis 100 000 S, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von

4 000 S bis 200 000 S zu bestrafen ist, begeht, wer als

Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz oder den dazu erlassenen

Verordnungen . . . . . . .

27. die Verpflichtung zur Bestellung oder zur Beiziehung von

Sicherheitsfachkräften oder von Arbeitsmedizinern verletzt, sie

nicht im erforderlichen Ausmaß beschäftigt, ihnen die

erforderlichen Informationen und Unterlagen nicht zur Verfügung

stellt, oder nicht dafür sorgt, daß sie ihre gesetzlichen Aufgaben

erfüllen . . . . . . ."

Das Gesetz stellt somit nach § 79 Abs. 1 ASchG dem Arbeitgeber drei Möglichkeiten zur Erfüllung seiner Verpflichtung, Arbeitsmediziner zu bestellen, zur Verfügung. Entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsauffassung der belangten Behörde kann die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Erfüllung der dem Arbeitsmediziner obliegenden Pflichten nicht davon abhängen, welche der drei Möglichkeiten bei der Bestellung des Arbeitsmediziners gewählt wurde. Vielmehr enthebt gemäß § 83 Abs. 9 AschG die Bestellung von Präventivfachkräften die Arbeitgeber nicht von ihrer Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften und kann den Präventivfachkräften die Verantwortlichkeit für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht rechtswirksam übertragen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/02/0205). Der Arbeitgeber hat somit, je nach dem von welcher Möglichkeit der Bestellung eines Arbeitsmediziners Gebrauch gemacht wurde, in geeigneter Weise dafür zu sorgen, dass die arbeitsmedizinischen Aufgaben erfüllt werden. Die vertragliche Verpflichtung eines externen Arbeitsmediziners kann den Arbeitgeber nicht davon entbinden, Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung der von ihm erteilten Anordnungen betreffend die Beachtung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zu gewährleisten. Insbesondere ist es hiebei Aufgabe des Arbeitgebers, darzulegen und glaubhaft zu machen, welche Kontrollen er eingerichtet und wie er sich vom Funktonieren des Kontrollsystems informiert hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/02/0301).

Im Beschwerdefall ist es dem Mitbeteiligten nicht gelungen, ein solches Kontrollsystem betreffend die Überwachung der Einhaltung der dem Arbeitsmediziner obliegenden Pflichten nachzuweisen. Der von der Behörde erster Instanz auf Grund der Anzeige des Arbeitsinspektorats festgestellte Sachverhalt ist im wesentlichen unbestritten geblieben, sodass das Versagen bzw. Unterbleiben derartiger Kontrollen als erwiesen anzusehen ist.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kommt es für die Strafbarkeit wegen Verletzung der Aufsichtspflicht nicht darauf an, ob der bestellte Arbeitsmediziner in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zum jeweiligen Unternehmen steht; aus dem im angefochtenen Bescheid in diesem Zusammenhang zitierten hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/09/0322, ist somit für den Beschwerdefall nichts zu gewinnen. Auch vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 130 Z 27 AschG der Bestrafung eines Arbeitgebers, der von der ihm gesetzlich eröffneten Möglichkeit der Bestellung eines externen Arbeitsmediziners Gebrauch gemacht, seine Überwachungspflicht aber verletzt hat, entgegenstünde. In einem solchen Fall ist es Aufgabe des Arbeitgebers, bereits bei Abschluss des Vertrages, mit dem der Arbeitsmediziner bestellt wird, die Möglichkeit, eine solche Überwachung durchzuführen und hiebei festgestellte Verstöße gegen die vom Arbeitsmediziner übernommenen Pflichten abzustellen und zu pönalisieren, vertraglich zu verankern. Auch liegt, wie die beschwerdeführende Partei zutreffend ausführt, das Ziel des ASchG darin, allen Arbeitnehmer den gleichen Gesundheitsschutz zu gewährleisten, unabhängig davon, ob die medizinische Betreuung extern oder intern erfolgt. Diesem Ziel würde es aber widersprechen, wenn Arbeitgeber ihre Verpflichtung zur Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften dadurch reduzieren könnten, dass sie externe Arbeitsmediziner beschäftigen.

Soweit die belangte Behörde die Rechtsansicht vertreten hat, das erstinstanzliche Straferkenntnis enthalte im Hinblick auf § 44a Z 1 VStG keine hinreichende Tatumschreibung, ist festzuhalten, dass, der Vorschrift dieser Gesetzesstelle bereits dann entsprochen ist, wenn im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen wird, dass er in der Lage ist, auf den konkreten Tatvorwurf bezogen Beweise anzubieten, um diesen zu widerlegen, und der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (vgl. die bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2, S 755f zitierte Judikatur). Ausgehend von dieser Judikatur führt der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses alle Sachverhaltselemente, von denen die Zuordnung des Tatverhaltens zu den Merkmalen des Straftatbestandes abhängt, an.

Es erweist sich somit, dass die von der belangten Behörde ins Treffen geführten Umstände nicht geeignet waren, die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gegen den Mitbeteiligten zu rechtfertigen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am