VwGH vom 31.07.1996, 95/13/0220
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
94/13/0158 E
94/13/0159 E
94/13/0162 E
94/13/0164 E
94/13/0166 E
94/13/0198 E
94/13/0218 E
94/13/0222 E
94/13/0223 E
94/13/0224 E
94/13/0225 E
95/13/0168 E
95/13/0177 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat VI, vom , GZ 6/3-3176/93-04, betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für 1990 und 1991, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war in den Streitjahren als Zeitungskolporteur für die M. KG tätig.
In den von der belangten Behörde vorgelegten Akten befindet sich ein die Veranlagungsjahre 1987 bis 1989 betreffender Wiederaufnahmeantrag vom . Darin wurde insbesondere auf arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Entscheidungen verwiesen, wonach Kolporteure als Dienstnehmer behandelt worden seien. Die Kolporteure der M. KG stünden "unter einer absolutistischen Leitung" des Arbeitgebers und seien im geschäftlichen Organismus zur striktesten Befolgung von Weisungen verpflichtet. Der Kolportageleiter sei befugt gewesen, die Einstellung der Auslieferung an den Kolporteur auszusprechen. Die Tätigkeit sei an einem vom Dienstgeber festgesetzten Ort auszuüben gewesen. Das Tragen der Dienstkleidung sei ihm vorgeschrieben gewesen. Es sei ihm verboten worden, Konkurrenzprodukte zu verkaufen. Es sei eine Mindestabsatzmenge vorgeschrieben gewesen, ansonsten sei der Kolporteur gezwungen gewesen, die Differenz an nicht verkauften Zeitungen selbst zu bezahlen. Er habe während einer Mindestverkaufszeit an seinem Standplatz anwesend sein müssen. Diese Anwesenheit sei von Kontrolloren überprüft worden. Die Dienstgeberin hätte bestimmte Beträge unter der Bezeichnung "Stützungsgelder" bezahlt. Dies seien Beträge gewesen, die unabhängig vom Zeitungsverkauf gewesen seien. Diese Beträge seien zur Disziplinierung gestrichen worden, wenn von den Kontrolloren Mängel beim Feilbieten der Zeitungen festgestellt wurden. Als weitere Disziplinierungsmaßnahme seien Entgeltskürzungen oder die Beendigung des Kolportagevertrages angedroht worden. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers trage wesentliche Merkmale einer unselbständigen Beschäftigung. Es müsse Dienstkleidung getragen werden, die Arbeitszeit und die Arbeit seien an einem zugewiesenen Ort zu erbringen. Dem Dienstgeber sei eine Disziplinargewalt zugestanden. Die an die Kolporteure gezahlten Stützungsgelder hätten den Charakter eines Fixums gehabt. Von den Entgelten seien Versicherungsprämien für Kranken- und Unfallversicherung im Abzugsweg eingehoben worden. Der Dienstgeber habe Gutschriften i. S.d. UStG ausgestellt, ohne jemals die im § 11 UStG vorgesehene Einverständniserklärung des Dienstnehmers einzuholen.
Das Finanzamt schrieb dem Beschwerdeführer in der Folge mit Bescheiden vom für die Jahre 1990 und 1991 Umsatz- und Einkommensteuer vor.
In der gegen diese Bescheide eingebrachten Berufung vom wurde eingewendet, der Beschwerdeführer habe Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen, die nicht der Umsatzsteuer unterlägen.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Im Sachverhaltsteil des angefochtenen Bescheides wird im wesentlichen ausgeführt:
"Sachverhaltsbezogen wird auf folgendes Aktenmaterial hingewiesen:
Steuererklärungen samt Beilagen
Bescheide einschließlich gesonderter Begründung
Berufung
Berufungsvorentscheidung
Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz
Vorhalt vom
Vorhaltsbeantwortung vom samt Beilagen Vorhalt vom samt Beilagen Vorhaltsbeantwortungen vom 26. Februar und samt Beilagen."
Im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides setzte sich die belangte Behörde weitgehend mit einer "Vorhaltsbeantwortung vom " auseinander. Gleichzeitig wurde auch auf eine "Niederschrift vom " verwiesen. Der Verkauf der Zeitungen sei zwar nicht auf einer reinen Provisionsbasis erfolgt, infolge der geringen Höhe des (fixen) "Werbekostenbeitrages" habe der Beschwerdeführer durch seinen Einsatz entscheidend das Ausmaß seines Verdienstes beeinflußt. Die belangte Behörde gelangte zu der Auffassung, daß der Beschwerdeführer ein Unternehmerrisiko getragen habe.
In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Begründung eines Bescheides muß erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die belangte Behörde zur Ansicht gelangt ist, daß gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , 92/13/0051 und 92/13/0140, jeweils mit weiteren Hinweisen). Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Bescheid nicht. Die belangte Behörde beschränkte sich darauf, anstelle einer zusammenhängenden Sachverhaltsdarstellung auf "Aktenmaterial" hinzuweisen. Zu Recht wird dabei in der Beschwerde darauf verwiesen, daß sich dieses "Aktenmaterial" gar nicht in dem den Beschwerdeführer betreffenden Verwaltungsakten befindet. Zutreffend ist dabei auch die Vermutung des Beschwerdeführers, daß die angeführten Aktenstücke (diverse Erledigungen und Ermittlungsergebnisse) mit dem Beschwerdefall nicht unmittelbar zu tun haben. Auch der Erwägungsteil enthält lediglich einzelne Zitate aus - den Beschwerdeführer nicht unmittelbar betreffenden und in den den Beschwerdeführer betreffenden Akten nicht enthaltenen - Erhebungsergebnissen; welcher Sachverhalt den Beschwerdeführer selbst betreffend von der belangten Behörde als erwiesen angenommen wurde, geht auch aus dem Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides nicht hervor. Durch diese Begründungslücke kann aber der angefochtene Bescheid auf seine Gesetzmäßigkeit nicht überprüft werden.
Soweit sich die belangte Behörde auf das - zu § 47 Abs. 3 EStG 1972 ergangene - Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 81/13/0190, 82/13/0053, beruft, ist aus verfahrensökonomischen Gründen auf folgendes hinzuweisen:
Unternehmer ist gemäß § 2 Abs. 1 UStG 1972, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Nach Abs. 2 Z. 1 dieser Gesetzesstelle wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen derart eingegliedert sind, daß sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind.
Nach § 47 Abs. 2 EStG 1988 liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist.
Diese Legaldefinition des § 47 Abs. 2 EStG 1988 enthält somit zwei Kriterien, die für das Vorliegen eines Dienstverhältnisses sprechen, nämlich die Weisungsgebundenheit gegenüber dem Arbeitgeber und die Eingliederung in den geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers. Es gibt jedoch Fälle, in denen beide Kriterien noch keine klare Abgrenzung zwischen einer selbständig und einer nichtselbständig ausgeübten Tätigkeit ermöglichen. Dabei spricht zwar das Merkmal eines Unternehmerrisikos, wonach sich Erfolg und Mißerfolg einer Tätigkeit unmittelbar auf die Höhe der Tätigkeitseinkünfte auswirken, für eine selbständig ausgeübte Tätigkeit. Dieses Merkmal ist aber für sich allein noch nicht entscheidend und kann auch auf Dienstverhältnisse zutreffen, etwa wenn der Arbeitnehmer in Form von Provisionen oder Umsatzbeteiligungen am wirtschaftlichen Erfolg seines Arbeitgebers beteiligt ist (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom , 88/14/0115, und vom , 90/14/0184).
Nach der im Verwaltungsverfahren (im Wiederaufnahmeantrag vom ) abgegebenen allerdings nicht die Streitjahre, sondern die unmittelbar vorhergehenden Jahre betreffenden Sachverhaltsdarstellung ist ein Kolporteur der M. KG an eine Mindestverkaufszeit und einen bestimmten Standpunkt gebunden. Dem Kolporteur sei das Tragen einer Dienstkleidung vorgeschrieben. Es sei ihm verboten, Konkurrenzprodukte zu verkaufen. Werde die vorgeschriebene Mindestmenge an verkauften Zeitungen nicht erreicht, so habe der Kolporteur selbst die Differenz zu bezahlen. Als Disziplinarmaßnahmen kämen eine Kürzung oder Streichung der den Kolporteuren bezahlten fixen Beträge (als "Stützungsgelder" oder als "Werbekostenbeiträge" bezeichnet), Kürzungen des Entgelts oder Beendigung des Kolportagevertrages in Betracht. Bei einer solchen Fallgestaltung ist der einzelne Kolporteur der M. KG dem Willen des Auftraggebers weitgehend untergeordnet. Eine Bestimmungsfreiheit des Kolporteurs bei Ausführung seiner Tätigkeit ist offenkundig weitreichend ausgeschaltet. Bei der Beurteilung des Gesamtbildes der Tätigkeit eines Kolporteurs, wie sie in dem die Vorjahre betreffenden Wiederaufnahmeantrag dargestellt wurde, ergäbe sich also, daß ein solcher sich in einer persönlichen Abhängigkeit zu seinem Auftraggeber befindet und zur Befolgung der seine Tätigkeit betreffenden Weisungen verpflichtet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 92/08/0213, zu § 4 Abs. 2 ASVG). Dabei kommt auch dem Umstand, daß der an einen solchen Kolporteur gezahlte Fixbetrag in absoluten Zahlen wie auch im Verhältnis zur regelmäßig erzielten "Verkaufsprovision" gering war, keine entscheidende Bedeutung zu. Die Art der Entlohnung eines Dienstverhältnisses läßt nämlich noch keine hinreichende Aussage über die Unterordnung unter den geschäftlichen Willen des Arbeitgebers bzw. über die Eingliederung in den geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers als wesentliche Kriterien für die in Rede stehende Abgrenzung zu.
Der im Wiederaufnahmeantrag vom hinsichtlich der Jahre 1987 bis 1989 geschilderte Sachverhalt weist somit durchaus gewichtige Unterschiede zu dem dem Erkenntnis vom , 81/13/0190, 82/13/0053, zugrunde gelegten Sachverhalt auf, der in den Jahren 1975 bis 1979 verwirklicht worden war: So standen etwa im Falle dieses Erkenntnisses dem damals als Auftraggeber auftretenden Zeitungsverlag keine dienstrechtlichen Zwangsmittel, sondern lediglich die Möglichkeit zu, den Kolporteur nicht mehr zu beauftragen. Überdies erhielt der Kolporteur im damals entschiedenen Fall allein eine Provision und kein Fixum (vgl. auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 89/13/0204). Schließlich war der Beschwerdeführer im Falle des Erkenntnisses vom nicht sozialversichert gewesen.
Aus den oben angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, weil Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.