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VwGH vom 13.09.1991, 87/18/0113

VwGH vom 13.09.1991, 87/18/0113

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Degischer und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Leopold P in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W gegen die Bundespolizeidirektion Wien, wegen Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Vorführung zum Strafantritt und anschließendeN Freiheitsentzug im Zusammenhang mit Übertretungen der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die am gegen 14.00 Uhr durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien vorgenommene zwangsweise Vorführung des Beschwerdeführers zum Strafantritt und dessen anschließender Freiheitsentzug bis zum gegen 14.00 Uhr werden gemäß § 42 Abs. 4 VwGG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 330/1990) für rechtswidrig erklärt.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Brigittenau, vom wurde der Beschwerdeführer dreier Verwaltungsübertretungen nach der StVO 1960 für schuldig befunden und mit Geldstrafen in der Höhe von insgesamt S 1.200,- (Ersatzarreststrafen zusammen 72 Stunden) bestraft.

Der in den Akten erliegende Rückschein war in Übereinstimmung mit der Strafverfügung an den Beschwerdeführer persönlich adressiert, jedoch wurden der Name und die Adresse des Beschwerdeführers - offensichtlich wegen des gegen den Beschwerdeführer anhängigen Konkursverfahrens - handschriftlich auf den Namen und die Adresse eines Rechtsanwaltes (des im Konkursverfahren bestimmten Masseverwalters) geändert. Die Verwaltungsstrafbehörde nahm - wie aus dem weiteren Akteninhalt hervorgeht - irrtümlich an, dieser Bescheid sei wegen der in den Akten erliegenden "Übernahmsbestätigung eines Rechtsanwaltes" rechtswirksam zugestellt worden, obwohl aus den Akten kein Anhaltspunkt für eine Bevollmächtigung dieses Rechtsanwaltes in der vorliegenden Verwaltungsstrafsache gewonnen werden konnte. Mit der "Aufforderung zum Antritt der Arrest/Ersatzarreststrafe" vom wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, unverzüglich die Ersatzarreststrafe anzutreten. Auch dieses Schriftstück wurde trotz der Adressierung an den Beschwerdeführer dem Masseverwalter zugestellt. Am um 14.15 Uhr wurde der Beschwerdeführer sodann der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Favoriten, vorgeführt, um

15. 30 Uhr ins Polizeigefangenenhaus zur Verbüßung einer Verwaltungsstrafe von 72 Stunden eingeliefert und dort am um 14.15 Uhr entlassen. Bereits am hatte der Beschwerdeführer die Rechtswidrigkeit des Freiheitsentzuges mit der Begründung gerügt, daß er nie eine Strafverfügung erhalten habe. Er habe dies sowohl den ihn abholenden Beamten als auch im Bezirkspolizeikommissariat Favoriten und im Polizeigefangenenhaus gesagt.

Gegen diese zwangsweise Vorführung und den anschließenden Vollzug der Ersatzarreststrafe richtet sich die vorliegende, auf Art. 131a B-VG gestützte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Zufolge Art. 131a B-VG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 685/1988 (vgl. insbesondere deren Übergangsbestimmung im Art. IX Abs. 2) kann gegen die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person diese Beschwerde erheben, wenn sie durch die betreffende Maßnahme in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet.

Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, daß der Behauptung des Beschwerdeführers, weder eine Strafverfügung noch eine Aufforderung zum Antritt der Ersatzarreststrafe erhalten zu haben, weshalb die Ersatzarreststrafe schon mangels Vorliegens einer rechtskräftigen Strafverfügung rechtswidrig vollstreckt worden sei, auf die Verletzung einer einfachgesetzlichen Norm hinausläuft und daher iSd. hg. Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom , Slg. N.F. Nr. 12821/A, die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes (und nicht die des Verfassungsgerichtshofes) zur Entscheidung über die vorliegende Beschwerde gegeben ist.

Für die Frage der Rechtmäßigkeit der den Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildenden Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ist entscheidend, ob die schon erwähnte Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien vom dem Beschwerdeführer rechtswirksam zugestellt worden ist und daher in der Folge mangels Erhebung eines Einspruches als Titel für die Vollstreckung der Ersatzarreststrafen dienen konnte, wobei zu berücksichtigen war, daß sich der Beschwerdeführer zu dieser Zeit im Konkurs befunden hat.

Gemäß § 58 Z. 2 der Konkursordnung können Geldstrafen wegen strafbarer Handlungen jeder Art als Konkursforderung nicht geltend gemacht werden, woraus folgt, daß Verwaltungsstrafsachen nicht zu jenen Angelegenheiten gehören, die die Konkursmasse berühren. Da der Aushändigung eines Bescheides an den Masseverwalter gemäß § 78 Abs. 2 leg. cit. in solchen Fällen nicht die Wirkung der Zustellung an den Gemeinschuldner zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. N.F. Nr. 5814/A), ist im Beschwerdefall von entscheidender Bedeutung, ob und gegebenenfalls wann die Strafverfügung dem Beschwerdeführer von der Behörde zugestellt oder vom Masseverwalter an ihn weitergeleitet worden ist, womit der Zustellmangel im Sinne des § 7 des Zustellgesetzes saniert wäre.

Da der Beschwerdeführer, wie schon erwähnt, behauptet, diese Strafverfügung nie zugestellt erhalten zu haben, und aus den Verwaltungsakten nur die schon in der vorstehenden Sachverhaltsdarstellung erwähnten Feststellungen getroffen werden können, wurde vom Gerichtshof die Einvernahme des damaligen Masseverwalters veranlaßt, um zu erheben, ob dieser die ihm nachweisbar zugestellte Strafverfügung (sowie die ihm ebenfalls zugestellte Aufforderung zum Antritt der Ersatzarreststrafe) an den Beschwerdeführer weitergeleitet hat.

Anläßlich dieser Einvernahme hat der Masseverwalter u.a.

erklärt, er habe "grundsätzlich sämtliche Post", welche "die

Konkursmasse betraf", worunter er "zum Beispiel

Strafverfügungen wie die hier gegenständlichen verstehe, an den

Schuldner weitergeleitet". Es sei ferner "nicht auszuschließen,

daß ich ihm das eine oder andere Poststück, welches eindeutig

ihm persönlich gehörte, einmal persönlich übergeben habe". Er

könne "es nicht mehr sagen, aber auch nicht ausschließen, daß

ich ihm allenfalls aus Anlaß einer ... Sitzung Post, die ihm

gehörte, persönlich übergeben habe. Grundsätzlich glaube ich,

daß alle behördlichen Schreiben, welche" dem Beschwerdeführer

"persönlich zuzustellen waren und zu mir gelangten, mittels

eingeschriebenen Briefkuverts an diesen übersendet wurden... In

der Regel war es auch vor dem Jahre 1987, daß ich derartige Schreiben, sofern sie nicht den Adressaten von mir persönlich ausgehändigt wurden, eingeschrieben weitergeleitet habe. Zumindest habe ich die eingeschriebene Weiterleitung solcher Schriftstücke angeordnet." Im übrigen legte der Masseverwalter anläßlich dieser Einvernahme eine Ablichtung seines Schreibens an den Beschwerdevertreter vom vor, aus welchem sich ergibt, daß in der Kanzlei des Masseverwalters keine Hinweise auf die in Rede stehende Strafverfügung aufgefunden worden seien. Schließlich übermittelte der Masseverwalter dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien, welches die erwähnte Einvernahme durchgeführt hat, ein mit datiertes Schreiben, welches u.a. folgende Ausführungen enthält:

"Aufgrund meiner Vernehmung und der mir damals mitgeteilten Daten der Zustellung der Schriftstücke habe ich meine Akte nochmals durchsehen lassen. Zu dem Zeitpunkt wurden die eingeschriebenen Schreiben meiner Kanzlei in einem sogenannten Postaufgabebuch eingetragen und von der Post bestätigt. In der Zeit zwischen März und August 1986 scheint lediglich ein Schreiben auf, das ich an Herrn P eingeschrieben aufgegeben habe und zwar am 26.8. unter der Aufgabenummer 223b, bestätigt vom Postamt 1013 Wien. Ich kann allerdings nicht sagen, ob die Aufforderung zum Antritt der Arreststrafe beigelegt war. Aus einem anderen Schreiben habe ich ersehen, daß ich in der Zeit zwischen 12. und 25.8. auf Urlaub war.

Es wurden allerdings an Herrn P andere nicht eingeschriebene Schreiben in dieser Zeit abgeschickt, was ich daraus entnehme, daß ich z.B. am Herrn P gebeten habe, in meine Kanzlei zu kommen, am war er in meiner Kanzlei, weiters habe ich noch einen weiteren Aktenvermerk über eine Besprechung im Juli 1986 gefunden. Eingetragen ist er in meinem Kalender noch am 18.3. um 15.30 Uhr, 18.6. um 16.00 Uhr, am 3.7. um 17.00 Uhr, am 31.7. um 15.00 Uhr; ob er zu diesen Terminen auch tatsächlich bei mir war, weiß ich nicht, kann ich nicht mehr mit Sicherheit sagen - mit Ausnahme der genannten Aktenvermerke. In den genannten Aktenvermerken ist von der gegenständlichen Sache keine Rede.

Dies schließt aber nicht aus, daß ich ihm selbstverständlich die für ihn bestimmte Post übergeben habe."

Dieses Ermittlungsergebnis wurde den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unter Berufung auf § 45 Abs. 3 AVG (§ 62 Abs. 1 VwGG) zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit einer Stellungnahme hiezu eingeräumt.

Der Beschwerdeführer hat in seiner dazu abgegebenen Äußerung im wesentlichen die Auffassung vertreten, daß die Vernehmung des Masseverwalters keine verläßlichen Anhaltspunkte für eine Zustellung der Strafverfügung an den Beschwerdeführer ergeben habe.

Die belangte Behörde hat innerhalb der ihr eingeräumten Frist keine Stellungnahme abgegeben.

Auch der Gerichtshof geht aufgrund des geschilderten Ermittlungsergebnisses und sohin in Ermangelung eines ausreichenden Beweises davon aus, daß die erwähnte Strafverfügung vom nicht an den Beschwerdeführer zugestellt worden ist, was aber bedeutet, daß diese Strafverfügung dem Beschwerdeführer gegenüber nicht rechtswirksam geworden ist und daher auch nicht als Titel für seine zwangsweise Vorführung zum Strafantritt und den anschließenden Freiheitsentzug dienen konnte. Für diese Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt fehlte daher eine Rechtsgrundlage, weshalb sie nach der im Spruch zitierten gesetzlichen Bestimmung für rechtswidrig zu erklären war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.