VwGH vom 04.09.2001, 2000/05/0155

VwGH vom 04.09.2001, 2000/05/0155

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde der Sieglinde Salida in Klagenfurt, vertreten durch Dr. Dieter Havranek, Rechtsanwalt in Klagenfurt, Kramergasse 3, gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom , Zl. 8 B-BRM-450/1/2000, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. Landeshauptstadt Klagenfurt, vertreten durch den Bürgermeister, 2. HUMANIC Gesellschaft m. b. H. in Graz, Lastenstraße 11), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Kärnten hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen..

Begründung

Die zweitmitbeteiligte Bauwerberin beantragte mit Eingabe vom "für ihre Filiale in der Kramergasse 5, 9020 Klagenfurt, Grst. Nr. 315, KG Klagenfurt" die Erteilung der Baubewilligung für "eine Verlegung der Geschäftsstiege in den nördlichen Bereich des Geschäftslokal(s); zusätzlich wird ein Lift zur Erschließung der Geschäftsebenen vom KG ins 2. OG eingebaut". Das auf dem vorgenannten Grundstück an den Grundstücksgrenzen errichtete Gebäude grenzt auf Höhe der Kramergasse im Norden an das Grundstück Nr. 314 der Beschwerdeführerin. Rd. 8 m westlich der Kramergasse werden beide vorgenannten Grundstücke jedoch durch die dort rd. 2,40 m breite öffentliche Verkehrsfläche Eisengasse getrennt. Die mitbeteiligte Bauwerberin plant die Errichtung der "Stiege neu" auf der öffentlichen Verkehrsfläche Eisengasse in einer Höhe von 6,8 m, einer Breite von 0,85 m und einer Länge von 8,05 m, sohin mit 6,85 m2 unmittelbar gegenüber dem Grundstück der Beschwerdeführerin derart, dass die Eisengasse an der schmalsten Stelle auf rd. 1,7 m eingeengt wird.

Die Beschwerdeführerin wendete ein, dass der bestehende Bebauungsplan aus dem Jahre 1948 ("Hoffmannplan" genannt) die Grundstücksgrenze als Gebäudegrenze vorsehe. Unmittelbar gegenüber der geplanten "vitrinenartigen Ausbuchtung" befinde sich eine von ihr benützte Garconniere; im oberen Stockwerk ihres Hauses liege die Wohnung ihrer Tochter.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Landeshauptstadt vom wurde die beantragte Baubewilligung "nach Maßgabe der mit den baubehördlichen Genehmigungsvermerken versehenen Projektsunterlagen (Pläne, Baubeschreibungen und Berechnungen)" unter Nebenbestimmungen erteilt. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin wurden abgewiesen. Der geltende Bebauungsplan (Hoffmannplan) lege die Baulinien der jeweiligen Bauhauptkörper fest; diese Baulinie werde durch das gegenständliche Bauvorhaben nicht geändert. Auskragungen, Erker, Dachvorsprünge, Vitrinen, Balkone, Resalite seien als untergeordnete Baukörperteile nicht in diesem Plan dargestellt.

Mit Bescheid der Bauberufungskommission der mitbeteiligten Landeshauptstadt wurde die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Wie den maßgeblichen Plänen zu entnehmen sei, soll die direkt an der Grenze zwischen den Grundstücken .315 und 320/3 (Eisengasse) situierte, 20 m breite und ca. 20,5 m hohe Südfassade des von der Bauführung betroffenen Objektes zum Zwecke eines Geschäftstreppeneinbaues in ihrer rechten Hälfte einen 85 cm in das Grundstück 320/3 ragenden Gebäudevorsprung in Form einer Glas-Stahl-Konstruktion erhalten. Dieser Fassadenvorsprung soll ca. 2,5 m über dem Boden etwa in der Fassadenmitte beginnend eine Höhe von 6,8 m aufweisen und diese Höhe beibehaltend nach 1,7 m Richtung Osten 3,5 m schräg auf ca. 5 m über dem Boden ansteigen und 1,8 m danach mit einer Gesamtbreite von 8 m enden. Der Abstand dieses Treppenhauserkers zum gegenüberliegenden Gebäude der Beschwerdeführerin an der Südseite der Eisengasse würde an der engsten Stelle 1,7 m aufweisen. Wenngleich dem Hoffmannplan eine in der geltenden textlichen Klagenfurter Bebauungsplanverordnung vom enthaltene ähnliche ausdrückliche Regelung fehle, wonach Vorbauten von Gebäuden (wie z. B. Erker, Treppenhäuser, Loggien, etc.) wie auch Dachvorsprünge die Baulinie im bestimmten Ausmaß überragen dürften und auch die Kärntner Bauvorschriften - zufolge der Bestimmung des § 4 Abs. 2 hier nicht anwendbare - ähnliche Regelungen ausdrücklich vorsehen, könne nicht davon ausgegangen werden, dass jeglicher Überbau der dargestellten Baulinie unzulässig wäre, zumal im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Hoffmannplanes derartige Bauteile bereits nachweislich zum Baubestand gehört hätten und dennoch bewusst keine planliche Darstellung oder ergänzende textliche Erwähnung gefunden hätten. Ein Überbauen der Baulinien werde daher, sofern es sich um untergeordnete Bauteile handle, für zulässig angesehen. Der unter 60 m2 Ansichtsfläche aufweisende Gebäudeteil sei im Hinblick auf eine Gesamtfassadenfläche von 410 m2 als untergeordnet anzusehen; er betrage nur 1/7 der Gesamtfläche. Auch wenn es sich nicht um eine "herkömmliche" Erkergestaltung handle, müsse dies im Hinblick auf eine dem "Zeitgeist angepasste architektonische Gestaltungsfreiheit" akzeptiert werden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Einen "untergeordneten Bauteil" könne man nur an einem "übergeordneten (größeren)" messen. Zutreffenderweise habe daher die Berufungsbehörde bei Klärung der Frage, ob ein untergeordneter Bauteil vorliegt, die Gesamtfassadenfläche mit der Ansichtsfläche des gegenständlichen Gebäudeteiles verglichen. Darüber hinaus könne dieser Gebäudeteil "auch der Art nach" als ein untergeordneter Bauteil angesehen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid ihrem Vorbringen zu Folge in dem Recht auf Einhaltung der Abstände von den Grundstücksgrenzen und von Gebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen auf Nachbargrundstücken verletzt. Das bewilligte Bauvorhaben widerspreche dem geltenden Bebauungsplan, welcher vorsehe, dass die Grundstücksgrenze die Gebäudegrenze sei. Eine Regelung, dass untergeordnete Bauteile über die Grundstücksgrenze hinaus errichtet werden dürften, enthalte dieser Bebauungsplan nicht. Der in Beschwerde gezogene Bauteil könne auch nicht als von "untergeordneter Bedeutung" beurteilt werden (Vergleich Gesamtfassadenfläche mit Ansichtsfläche des gegenständlichen Gebäudeteiles).

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die mitbeteiligten Parteien haben jeweils eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde eingebracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin hat mit ihrem Vorbringen, das Bauvorhaben der mitbeteiligten Bauwerberin überschreite unzulässigerweise die im bestehenden Bebauungsplan festgesetzte Baulinie (Baufluchtlinie), eine öffentlich-rechtliche Einwendung erhoben, die sich auf Bestimmungen über die Abstände von den Grundstücksgrenzen und von Gebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen auf Nachbargrundstücken im Sinne des § 23 Abs. 3 lit. e Kärntner Bauordnung 1996 (BO) bezieht. Bestimmungen über die Abstände von Grundstücksgrenzen und von Gebäuden, welche auch dem Interesse der Nachbarschaft dienen, ergeben sich entweder aus den §§ 4 bis 10 Kärntner Bauvorschriften oder aus einem Bebauungsplan (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/05/0371).

Der im Beschwerdefall anzuwendende Bebauungsplan der mitbeteiligten Stadtgemeinde (sog. Hoffmannplan) sieht in seiner Plandarstellung als Baulinien (Grenzlinien auf einem Baugrundstück, innerhalb derer Gebäude errichtet werden dürfen; siehe § 25 Abs. 2 lit. c Kärntner Gemeindeplanungsgesetz) für das vom Bauvorhaben betroffene Grundstück der mitbeteiligten Bauwerberin die Grundstücksgrenzen vor.

§ 4 Abs. 2 Kärntner Bauvorschriften ordnet an, dass "wenn und soweit in einem Bebauungsplan Abstände festgelegt sind", die Bestimmungen des Abs. 1 letzter Satz dieses Paragraphen und der §§ 5 bis 10 nicht anzuwenden sind. Zu dieser Regelung hat der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom , Zl. 96/05/0226, ausgeführt, dass die §§ 4 bis 10 Kärntner Bauvorschriften jedoch dann zur Anwendung kommen, insoweit der Bebauungsplan keine Reglung bezüglich der Abstände enthält (arg. "wenn und soweit" im § 4 Abs. 2 Kärntner Bauvorschriften).

Der hier anzuwendende Bebauungsplan enthält (auch in seinem Textteil) für das vom Bauvorhaben betroffene Grundstück mit Ausnahme der bereits erwähnten Baulinie keine näheren Regelungen über die Abstände. Die Frage, ob und inwiefern die durch den Bebauungsplan festgesetzte Baulinie überschritten werden darf, kann daher nicht auf Grund des Bebauungsplanes beantwortet werden, vielmehr ist insoweit auf die Vorschriften der §§ 4 bis 10 der Kärntner Bauvorschriften Bedacht zu nehmen.

Für die Überschreitung der im Bebauungsplan festgelegten Baulinie - deren Zulässigkeit grundsätzlich vorausgesetzt - ist daher zunächst von der Regelung des § 4 Abs. 3 Kärntner Bauvorschriften auszugehen, wonach der Abstand oberirdischer Gebäude und baulicher Anlagen voneinander so festzulegen ist, "dass

a) jener Freiraum gewahrt bleibt, der zur angemessenen Nutzung von Grundstücken und Gebäuden auf dem zu bebauenden Grundstück und auf den Nachbargrundstücken erforderlich ist;

b) eine nach Art des Vorhabens ausreichende Belichtung möglich ist und

c) Interessen der Sicherheit und des Schutzes des Ortsbildes nicht verletzt werden."

Jedenfalls ist bei der gegebenen Anordnung einer Baulinie im Bebauungsplan die Regelung des § 6 Kärntner Bauvorschriften über die Wirkung von Abstandsflächen zu beachten. Der grundsätzlich in Abstandsflächen (§ 5 Kärntner Bauvorschriften) gemäß § 4 Abs. 1 zweiter Satz leg. cit. auszudrückende Abstand wurde nämlich im Bebauungsplan als bestimmte Baulinie gemäß § 25 Abs. 2 lit. c Kärntner Gemeindeplanungsgesetz festgelegt und geht zufolge der Anordnung des § 4 Abs. 2 leg. cit. der gesetzlichen Regelung über die Abstandsflächen vor. Da der Bebauungsplan aber keine Regelungen über die Wirkungen der Abstandsregelung enthält, ist im Beschwerdefall diesbezüglich auf § 6 Kärntner Bauvorschriften zurückzugreifen.

§ 6 Kärntner Bauvorschriften hat - soweit für den Beschwerdefall relevant - folgenden Wortlaut:

"(1) Oberirdische Gebäude sind so anzuordnen, dass sich in den Abstandsflächen ihrer Außenwände nur die in Abs. 2 lit. a bis d angeführten Gebäude oder sonstigen baulichen Anlagen befinden.

(2) In Abstandsflächen dürfen nur die nachstehend angeführten Gebäude oder sonstige bauliche Anlagen errichtet werden, und zwar unabhängig davon, ob sie in Verbindung mit einem Gebäude oder einer sonstigen baulichen Anlage oder für sich allein errichtet werden:


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a)
...
b)
...
c)
Dachvorsprünge, Sonnenblenden, Erker, Balkone, Wetterdächer u. ä. bis zu einer Ausladung von 1,30 m;
d) ... ."
Für die Frage, ob der hier bewilligte, in die öffentliche Verkehrsfläche ragende Bauteil (Vorbau) gemäß der vorgenannten Gesetzesstelle zulässig ist, kommt es aber nicht darauf an, ob es sich um einen "untergeordneten Bauteil" oder um einen Bauteil von "untergeordneter Bedeutung" handelt und/oder in welchem Größenverhältnis er zur Fassade des vom Bauvorhaben betroffenen Gebäudes steht, vielmehr ist zu klären, ob dieser Bauteil Dachvorsprüngen, Sonnenblenden, Erkern Balkonen oder Wetterdächern vergleichbar ist, wobei im Beschwerdefall auf Grund der Gestaltung des hier zu beurteilenden Bauteiles nur ein sinnvoller Vergleich mit einem Erker gezogen werden kann. Die Kärntner Bauvorschriften enthalten keine nähere Regelung über Erker. Nach dem Sprachgebrauch wird unter einem Erker ein in der Regel geschlossener, überdachter, vorspringender Teil an Gebäuden verstanden, der unter Umständen über ein Geschoß oder mehrere Geschosse reichen kann. Dieser Gebäudeteil wird in der Regel nicht vom Boden hochgeführt, sondern ragt dem Gebäude frei vor oder er wird von einem Mauervorsprung oder einer Säule gehalten (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/06/0096). Im hg. Erkenntnis vom hat der Verwaltungsgerichtshof einen Erker als eine raumbildende Auskragung der Auswand definiert (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/05/0001, m. w. N.). Als Erker oder erkerähnliche Bauteile werden aber keinesfalls großflächige, vor die Fassade vorspringende, sondern vielmehr nur Ausbauten zur geringfügigen Vergrößerung eines Raumes verstanden. Einem Bauteil, der über die gesamte Breite des dahinter liegenden Raumes vor die Fassade vorspringt, kann nicht mehr der Charakter eines Erkers oder erkerähnlichen Bauteiles zuerkannt werden (siehe hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/06/0135, in welchem einem vorspringenden Bauteil von rd. 5 m Breite der Charakter als Erker abgesprochen worden ist).
Ausgehend von dieser Rechtslage kann der hier zu beurteilende erkerähnliche Vorbau mit einer Länge von rd. 8 m und einer Höhe von rd. 7 m, welcher für die Unterbringung eines Stiegenhauses vorgesehen ist, nicht mehr als privilegierter Bauteil im Sinne des § 6 Abs. 2 lit. c Kärntner Bauvorschriften bewertet werden, zumal er eine flächenmäßige Ausgestaltung erreicht, die die üblichen Größenvorstellungen von Erkern und Balkonen bei weitem übersteigt.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG Abstand genommen werden. Wien, am