VfGH vom 28.06.2003, G78/00
Sammlungsnummer
16928
Leitsatz
Verstoß von Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Legitimation zur Bestreitung der Ehelichkeit eines Kindes gegen das Recht auf Privat- und Familienleben auf Grund der rechtlichen Unmöglichkeit des Kindes als Hauptbetroffenen zur Bestreitung seiner Abstammung vom Ehemann der Mutter; Interessen des Kindes durch Bestreitungsrecht des Staatsanwaltes mangels eigenen Rechtsanspruches nicht ausreichend gewahrt
Spruch
I. Die Anträge
1. §§156, 157 und 158 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches vom 1. Juni 1811 JGS 946 (ABGB), jeweils zur Gänze,
in eventu
2. §§156 und 157 ABGB, jeweils zur Gänze,
in eventu
3. § 156 ABGB zur Gänze sowie § 157 Abs 1 ABGB,
in eventu
4. § 156 ABGB zur Gänze sowie die folgenden
Wortfolgen:
"durch den Ehemann der Mutter" und "des Mannes. Ist der Mann minderjährig, so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters" in § 157 Abs 1 ABGB,
"dem Mann" in § 157 Abs 2 erster Satz ABGB,
"dem Mann" und "der Mann die Ehelichkeit selbst bestreiten kann oder in dem ihm" in § 157 Abs 2 zweiter Satz
ABGB,
"kann der Mann nach Beendigung der Sachwalterschaft selbst bestreiten; mit dem Zeitpunkt der Beendigung der Sachwalterschaft" in § 157 Abs 2 letzter Satz ABGB,
in eventu
5. § 156 ABGB
als verfassungswidrig aufzuheben, werden zurückgewiesen.
II. Im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch vom 1. Juni 1811 JGS 946 (ABGB) werden § 156 in der Fassung dRGBl. 1943 I 80, § 157 in der Fassung BGBl. Nr. 136/1983, § 158 in der Fassung dRGBl. 1943 I 80 und in § 159 Abs 1 in der Fassung dRGBl. 1943 I 80 dessen zweiter Satz "Die Klage ist gegen das Kind zu richten." als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Landesgericht Innsbruck ist eine Berufung gegen das Urteil eines Bezirksgerichtes anhängig, mit dem das Klagebegehren auf Feststellung, daß die von der Klägerin geborenen Beklagten nicht die ehelichen Kinder des G seien, abgewiesen wurde.
2. Die Klägerin und G heirateten am in der Dominikanischen Republik. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Eheschließung österreichische Staatsbürgerin und ist dies nach wie vor, während G Staatsangehöriger der Dominikanischen Republik ist. Das beim Bezirksgericht zwischen der Klägerin und G anhängige Ehescheidungsverfahren ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Die beiden am und am in Österreich geborenen Beklagten, die österreichische Staatsbürger sind, gelten als aus dieser Ehe entstammend. Die Klägerin begehrte die Feststellung, daß die von ihr geborenen Beklagten nicht die ehelichen Kinder des G seien. Sie brachte vor, K sei der Vater der beiden Beklagten. Sie habe seit Jänner oder Feber 1995 keinerlei Kontakte mehr zu G, dessen Aufenthalt ihr unbekannt sei. Die Staatsanwaltschaft habe die Einbringung einer Ehelichkeitsbestreitungsklage abgelehnt. Die Beklagten bestritten, beantragten Klagsabweisung und wandten ein, daß die Klägerin zur Klagsführung nicht legitimiert sei.
Das Bezirksgericht wies das Klagebegehren wegen mangelnder Aktivlegitimation ab, da das Recht zur Bestreitung der Ehelichkeit ausschließlich dem Ehemann der Mutter und im Falle seines unbekannten Aufenthaltes dem Staatsanwalt zukomme.
3. Aus Anlaß der bei ihm anhängigen Berufung gegen dieses Urteil stellte das Landesgericht Innsbruck gemäß Art 89 Abs 2 B-VG, der Sache nach iVm Art 140 Abs 1 B-VG, "den Antrag
1. auf Aufhebung der §§156, 157 und 158 ABGB, jeweils zur Gänze,
in eventu
2. auf Aufhebung der §§156 und 157 ABGB, jeweils zur Gänze,
in eventu
3. auf Aufhebung des § 156 ABGB zur Gänze sowie des § 157 Abs 1 ABGB,
in eventu
4. auf Aufhebung des § 156 ABGB zur Gänze sowie der Wortfolgen: 'durch den Ehemann der Mutter' und 'des Mannes. Ist der Mann minderjährig so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters' in § 157 Abs 1 ABGB, sowie der Wortfolge 'dem Mann' in § 157 Abs 2 erster Satz ABGB, sowie der Wortfolge 'dem Mann' in § 157 Abs 2 zweiter Satz ABGB, weiters der Wortfolge 'der Mann die Ehelichkeit selbst bestreiten kann oder in dem ihm' in § 157 Abs 2 zweiter Satz ABGB, schließlich der Wortfolge 'kann der Mann nach Beendigung der Sachwalterschaft selbst bestreiten; mit dem Zeitpunkt der Beendigung der Sachwalterschaft',
in eventu
5. auf Aufhebung des § 156 ABGB,
in eventu
6. - 10. jeder der oben angeführten Anträge, mit der zusätzlichen Aufhebung der Wortfolge 'Die Klage ist gegen das Kind zu richten.' in § 159 ABGB,
wegen Verfassungswidrigkeit."
Das antragstellende Gericht hegt das Bedenken, daß die angefochtenen Bestimmungen gegen Art 6, Art 8 (auch in Verbindung mit Art 13 und 14) EMRK und gegen Art 7 B-VG verstoßen.
4. Die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen (im Zeitpunkt der Antragstellung) lauten bzw. lauteten:
4.1. § 138 Abs 1 ABGB idF BGBl. 403/1977 lautete:
"Wird ein Kind nach der Eheschließung und vor Ablauf des 302. Tages nach Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe seiner Mutter geboren, so wird vermutet, daß es ehelich ist. Diese Vermutung kann nur durch eine gerichtliche Entscheidung widerlegt werden, mit der festgestellt wird, daß das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammt."
§156 ABGB idF dRGBl. 1943 I 80 lautet:
"(1) Der Ehemann der Mutter kann die Ehelichkeit des Kindes binnen Jahresfrist bestreiten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Mann Kenntnis von den Umständen erlangt, die für die Unehelichkeit des Kindes sprechen. Sie beginnt frühestens mit der Geburt des Kindes.
(3) Der Lauf der Frist ist gehemmt, solange der Mann innerhalb der letzten sechs Monate der Frist durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der Bestreitung gehindert ist."
§157 ABGB, zuletzt geändert durch BGBl. 136/1983, lautet:
"(1) Die Bestreitung der Ehelichkeit durch den Ehemann der Mutter ist, abgesehen vom Fall des Abs 2, ein höchstpersönliches Recht des Mannes. Ist der Mann minderjährig, so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters.
(2) Ist dem Mann ein Sachwalter nach § 273 bestellt worden und gehört zu den von ihm zu besorgenden Angelegenheiten die Bestreitung der Ehelichkeit, so steht das Recht der Bestreitung dem Sachwalter allein zu; er bedarf hierzu der gerichtlichen Genehmigung. Ist dem Mann ein solcher Sachwalter nicht bestellt, obwohl die Voraussetzungen vorliegen, so endet die Frist für die Bestreitung nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt, von dem ab der Mann die Ehelichkeit selbst bestreiten kann oder in dem ihm ein Sachwalter bestellt wird. Hat der Sachwalter die Ehelichkeit nicht rechtzeitig bestritten, so kann der Mann nach Beendigung der Sachwalterschaft selbst bestreiten; mit dem Zeitpunkt der Beendigung der Sachwalterschaft beginnt die Frist neu zu laufen."
§158 ABGB idF dRGBl. 1943 I 80 lautet:
"Hat der Mann die Ehelichkeit eines Kindes nicht innerhalb eines Jahres seit der Geburt bestritten, oder ist er gestorben oder ist sein Aufenthalt unbekannt, so kann der Staatsanwalt die Ehelichkeit bestreiten, wenn er dies im öffentlichen Interesse oder im Interesse des Kindes oder seiner Nachkommenschaft für geboten erachtet."
§159 ABGB idF dRGBl. 1943 I 80 lautete:
"(1) Die Bestreitung der Ehelichkeit erfolgt bei Lebzeiten des Kindes durch Erhebung der Klage. Die Klage ist gegen das Kind zu richten. Wird sie zurückgenommen, so ist die Bestreitung als nicht erfolgt anzusehen.
(2) Nach dem Tode des Kindes kann nur der Staatsanwalt die Ehelichkeit bestreiten. Die Bestreitung erfolgt durch Antrag auf Feststellung der Unehelichkeit. Über den Antrag entscheidet das Vormundschaftsgericht."
§21 des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht BGBl. 304/1978 (IPRG) lautete:
"Die Voraussetzungen der Ehelichkeit eines Kindes und deren Bestreitung sind nach dem Personalstatut zu beurteilen, das die Ehegatten im Zeitpunkt der Geburt des Kindes oder, wenn die Ehe vorher aufgelöst worden ist, im Zeitpunkt der Auflösung gehabt haben. Bei verschiedenem Personalstatut der Ehegatten ist dasjenige Personalstatut maßgebend, das für die Ehelichkeit des Kindes günstiger ist."
4.2. Die angefochtenen Bestimmungen haben durch das Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001 BGBl. I 135/2000 (KindRÄG) keine Änderung erfahren.
§138 Abs 1 ABGB idF des KindRÄG lautet nunmehr:
"Wird ein Kind nach der Eheschließung und vor
Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe seiner Mutter geboren, so wird vermutet, daß es ehelich ist. Gleiches gilt, wenn das Kind vor Ablauf des 300. Tages nach dem Tod des Ehemannes der Mutter geboren wird. Diese Vermutung kann, vorbehaltlich des § 163e, nur durch eine gerichtliche Entscheidung widerlegt werden, mit der festgestellt wird, dass das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammt."
In § 159 Abs 2 ABGB wurde durch das KindRÄG das Wort "Vormundschaftsgericht" durch das Wort "Pflegschaftsgericht" ersetzt.
Durch das KindRÄG wurde ein § 163e ABGB mit folgendem Wortlaut eingefügt:
"(1) Steht zum Zeitpunkt der Anerkennung bereits die Vaterschaft eines anderen Mannes fest, so wird das Anerkenntnis erst rechtswirksam, sobald mit allgemein verbindlicher Wirkung festgestellt ist, dass der andere Mann nicht der Vater des betreffenden Kindes ist.
(2) Ein zu einem Zeitpunkt, zu dem die Vaterschaft eines anderen Mannes feststand, abgegebenes Vaterschaftsanerkenntnis wird jedoch rechtswirksam, wenn die Mutter den Anerkennenden als Vater bezeichnet und das Kind dem Anerkenntnis zustimmt. Das Anerkenntnis wirkt ab dem Zeitpunkt seiner Erklärung, sofern die Urkunde oder ihre öffentlich-beglaubigte Abschrift sowie die Urkunden über die Bezeichnung des Anerkennenden als Vater und die Zustimmung zum Anerkenntnis dem Standesbeamten zukommen.
(3) Der Mann, der als Vater feststand, kann gegen das Anerkenntnis bei Gericht Widerspruch erheben. § 163d gilt sinngemäß.
(4) Für minderjährige Kinder hat der Jugendwohlfahrtsträger die Zustimmung als gesetzlicher Vertreter zu erklären; er hat hiebei soweit wie möglich den Willen des Minderjährigen zu berücksichtigen."
Der letzte Satz des § 21 IPRG idF des KindRÄG lautet nunmehr:
"Bei verschiedenem Personalstatut der Ehegatten ist das Personalstatut des Kindes zum Zeitpunkt der Geburt maßgebend."
Diese Bestimmungen idF des KindRÄG sind mit in Kraft getreten (sohin erst nach dem Antrag des Landesgerichtes Innsbruck).
5. Das Landesgericht Innsbruck ist der Ansicht, daß eine verfassungskonforme Auslegung der angefochtenen Bestimmungen (also eine Auslegung, die seinen Bedenken Rechnung trägt) angesichts des klaren Wortlautes nicht möglich sei. Die ausdrückliche Zuweisung der Klags- bzw. Antragslegitimation an den Ehemann der Mutter einerseits und an den Staatsanwalt andererseits unter der Überschrift "Bestreitung der Ehelichkeit" stelle eine offenbar vom Gesetzgeber gewollte, abschließende Regelung dar, welche die Annahme der Klagslegitimation anderer Personen ausschließe.
6. Zur Präjudizialität bringt das Landesgericht Innsbruck folgendes vor:
Alle angefochtenen Bestimmungen, die das Klagsrecht ausdrücklich ausschließlich dem Ehemann oder dem Staatsanwalt zuwiesen, seien präjudiziell für das zivilgerichtliche Verfahren. Würde beispielsweise nur die Bestimmung über die Klagslegitimation des Ehemannes vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, so führte die Interpretation des verbleibenden Gesetzestextes zum gleichen Ergebnis. Es wäre wiederum von einer abschließenden Regelung auszugehen, die ebenfalls der Mutter, den Kindern und dem "natürlichen" Vater die Ehelichkeitsbestreitung verwehre. Diesfalls wäre nur der Staatsanwalt legitimiert. Das Gleiche gelte, wenn der Verfassungsgerichtshof nur die Bestimmung über die Legitimation des Staatsanwaltes aufhebe. Die Interpretation des verbleibenden Textes ergebe dann eine ausschließliche Klagslegitimation des Ehemannes.
Die einzige Variante, welche eine verfassungskonforme Interpretation zuließe, wäre die Beseitigung aller Bestimmungen mit ausdrücklichen Zuweisungen der Klags- bzw. Antragslegitimation. In diesem Fall würde die Interpretation nicht mehr zwingend zum Ausschluß der Klagslegitimation der Mutter, der Kinder und des natürlichen Vaters führen.
Die ausdrücklichen Zuweisungen der Klagslegitimation stellten inhaltlich (spezielle) Verfahrensnormen dar. Da die Abweisung der Ehelichbestreitungsklage der Mutter auf deren mangelnder Aktivlegitimation beruhe, seien vom Erstgericht und vom Berufungsgericht jene Bestimmungen anzuwenden (und damit präjudiziell), die die Aktivlegitimation ausdrücklich (nur) dem Ehemann oder dem Staatsanwalt zubilligten.
Eine solche ausdrückliche Zuweisung sei nicht
unbedingt erforderlich. In Ermangelung einer solchen ausdrücklichen Bestimmung wären die generellen Verfahrensregeln der ZPO anwendbar, womit der formelle Parteibegriff Geltung hätte und schließlich die Aktivlegitimation von der materiellrechtlichen Frage der Klärung der tatsächlichen Abstammung - und gemäß § 138 Abs 1 ABGB letzter Satz von deren Feststellung - abhängen würde. Ein rechtliches Interesse im Sinne des § 228 ZPO an dieser Feststellung hätte jeder, dessen rechtliche Stellung durch die Aufhebung der Ehelichkeitsvermutung geändert wäre: das Kind, die Mutter sowie zB der natürliche Vater, der beabsichtige, die Vaterschaft anzuerkennen.
7. In der Sache hegt das Landesgericht Innsbruck folgende Bedenken:
7.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ergebe sich aus Art 8 EMRK die positive Verpflichtung des Staates, ein effektives Familienleben auch rechtlich anzuerkennen. Dies setze voraus, rechtliche Hindernisse für eine solche Anerkennung (so zB die Vermutung zugunsten eines "Scheinvaters") zu beseitigen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in seinem Urteil in der Rechtssache Kroon ua. gegen die Niederlande (Urteil vom , ÖJZ 1995/20 MRK) - zu einer Situation, die jener im Anlaßfall sehr ähnlich sei - ausgesprochen, daß eine gesetzliche Regelung, die die Aktivlegitimation der betroffenen Kinder, der Mutter und des natürlichen Vaters ausschließe, über den "Beurteilungsspielraum" hinausgehe, der den Konventionsstaaten im Rahmen des Art 8 Abs 2 EMRK zukomme. Hinsichtlich dieses Beurteilungsspielraumes könne für Österreich nichts anderes gelten als für die Niederlande. Daher widerspreche auch die österreichische Rechtslage in den angefochtenen Punkten dem Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
7.2. Weiters hegt das antragstellende Gericht mit näherer Begründung Bedenken, daß die angefochtenen Bestimmungen auch gegen Art 7 B-VG, Art 6 sowie Art 8 iVm Art 13 bzw. Art 14 EMRK verstoßen.
8. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie beantragt, den Antrag auf Aufhebung der §§156, 157 und 158 ABGB zurückzuweisen, in eventu hinsichtlich der §§157 und 158 zurückzuweisen und hinsichtlich des § 156 abzuweisen, in eventu hinsichtlich der genannten Bestimmungen zur Gänze abzuweisen.
8.1. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß im vorliegenden Fall unter Bedachtnahme darauf, daß nur die Mutter der beklagten Kinder österreichische Staatsbürgerin sei, gemäß § 21 IPRG dominikanisches Abstammungsrecht zur Anwendung komme und daher sämtliche angefochtenen Bestimmungen des ABGB nicht anzuwenden und nicht präjudiziell seien. Im Gesetzesprüfungsantrag des Landesgerichtes Innsbruck fänden sich keine Ausführungen, mit denen die (denkmögliche) Anwendbarkeit der einschlägigen Bestimmungen des ABGB dargetan werde.
8.2. Im Lichte der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, derzufolge in Gesetzesprüfungsanträgen die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen im einzelnen darzulegen seien, hänge die Zulässigkeit des Antrages hinsichtlich der mitangefochtenen §§157 und 158 ABGB im Hinblick darauf, daß gegen diese Bestimmungen keine selbständigen Bedenken vorgebracht worden seien, davon ab, ob zwischen § 156 ABGB einerseits und den §§157 und 158 ABGB andererseits ein untrennbarer Zusammenhang bestehe. Dies sei nicht der Fall. Wer zur Bestreitung der Ehelichkeit des Kindes legitimiert sei, werde ausschließlich in § 156 ABGB geregelt.
§157 ABGB habe mit der Frage, ob auch andere Personen als der Ehemann der Mutter zur Bestreitung der Ehelichkeit des Kindes legitimiert seien, nichts zu tun. Gleiches gelte für § 158 ABGB, der lediglich das Verhältnis der Klagslegitimation des Staatsanwaltes zu jener des Ehemannes der Mutter regle, sowie für die in eventu angefochtene Wortfolge des § 159 ABGB.
8.3. Die Bundesregierung verweist auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, derzufolge der Gerichtshof in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG sich auf die Erörterungen der aufgeworfenen Bedenken zu beschränken hat. Nach Ausführungen zum Bestreitungsrecht des Staatsanwaltes (insbesondere als Vertreter des Kindes) bringt die Bundesregierung zu den erhobenen Bedenken folgendes vor:
8.3.1. Die von der österreichischen Rechtsordnung vorgenommenen Einschränkungen der Klagslegitimation erfolgten aus legitimen Gründen und fänden im Gesetzesvorbehalt des Art 8 Abs 2 EMRK Deckung.
Da es sich bei der ehelichen Abstammung geradezu um den Status schlechthin handle, liege es im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wen er neben den Hauptbetroffenen, nämlich dem als Vater festgestellten Mann und dem Kind, mit einem Anspruch auf Bestreitung der Abstammung ausstatte. Die Hauptbetroffenen müßten sich darauf verlassen können, daß der Gesetzgeber das zwischen ihnen bestehende Statusverhältnis gegen die Eingriffe von Personen schütze, die außerhalb dieses Verhältnisses stünden. Auch andere europäische Rechtsordnungen schlössen die Mutter von einem eigenen Klagsrecht aus, was ein Indiz dafür sei, daß die vorgenommene Einschränkung im Interesse einer demokratischen Gesellschaft erforderlich und insofern europäischer Standard sei.
Wenn der Gesetzgeber dem Recht auf Achtung des Familienlebens jenes Mannes, welcher als ehelicher Vater gilt, den Vorrang einräume, liege die Einschränkung der Rechte jener Personen, welche außerhalb des Statusverhältnisses stünden, im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.
Die vom Landesgericht Innsbruck zitierte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Kroon) sei insofern nicht auf das österreichische Recht übertragbar, als das seinerzeitige niederländische Recht der Legalisierung von Ehebruchsverhältnissen besonders restriktiv gegenübergestanden sei. Anders als im erwähnten Fall sehe das österreichische Recht einen Weg vor, der es ermögliche, daß der tatsächliche Vater an die Stelle des - aufgrund der Ehelichkeitsvermutung iSd § 138 ABGB als Vater geltenden - Ehemannes der Mutter trete. Entweder der Ehemann der Mutter bestreite oder die Staatsanwaltschaft bringe - im Interesse des Kindes - eine Ehelichkeitsbestreitungsklage ein, womit in der Folge dem biologischen Vater die Anerkennung oder dem Kind die Klage auf Feststellung der unehelichen Vaterschaft ermöglicht werde. Der Ausschluß der Mutter von einem eigenen klagbaren Anspruch habe damit zu tun, daß es nicht um die Abstammung des Kindes von ihr, sondern um die Abstammung von einer anderen Person gehe, die nicht Partei des Anlaßverfahrens sei.
8.3.2. Die Bundesregierung tritt auch den weiteren Bedenken des antragstellenden Gerichts entgegen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Landesgericht Innsbruck an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf der Antrag iSd Art 140 Abs 1 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig, also gleichsam denkunmöglich ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989).
Davon kann aber im vorliegenden Verfahren nicht die Rede sein.
1.1. Die Bundesregierung verweist darauf, daß die Mutter österreichische Staatsbürgerin, ihr Ehemann aber Staatsangehöriger der Dominikanischen Republik sei. Das antragstellende Gericht habe nicht dargetan, weshalb es von der Anwendbarkeit österreichischen Rechtes ausgehe. Die Bundesregierung bestreitet die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen mit der Behauptung, daß dominikanisches Recht zur Anwendung komme, und führt hiezu unter anderem aus:
Bei verschiedenem Personalstatut der Ehegatten sei gemäß der Günstigkeitsbestimmung des § 21 IPRG (idF vor dem KindRÄG) jenes Recht maßgebend, das für die Ehelichkeit des Kindes günstiger sei, sohin jenes, nach dem die einmal festgestellte Ehelichkeit schwerer beseitigt werden könne. Das dominikanische Recht enthalte zwar keine Kollisionsregeln; es sei jedoch davon auszugehen, daß es die Verweisung annehmen würde. Daher seien die österreichischen mit den dominikanischen Sachnormen zu vergleichen.
Dem antragstellenden Gericht ist nicht
entgegenzutreten, wenn es annimmt, daß es österreichisches Recht anzuwenden hätte; insbesondere trifft dies zu bei der Abwägung gemäß § 21 IPRG (idF vor dem KindRÄG), ob österreichisches oder dominikanisches Recht für die Ehelichkeit des Kindes günstiger ist; zur Beurteilung dieser Frage hätte das Gericht die Vorschriften des österreichischen Rechts über die Ehelichkeitsbestreitung anzuwenden.
Angesichts dessen geht das antragstellende Gericht jedenfalls nicht denkunmöglich von der Anwendbarkeit österreichischen Rechts aus.
1.2. Die Bundesregierung erachtet lediglich § 156 ABGB als präjudiziell, da einerseits nur diese Bestimmung die Legitimation zur Bestreitung der Ehelichkeit regle, andererseits die übrigen angefochtenen Bestimmungen nicht in einem untrennbaren Zusammenhang mit § 156 ABGB stünden und gegen diese auch keine selbständigen Bedenken vorgebracht worden seien.
Dies trifft nicht zu. Dem antragstellenden Gericht kann nicht entgegengetreten werden, wenn es der Meinung ist, daß es zur Beurteilung der Frage, ob der Mutter ein aktives Klagsrecht auf Bestreitung der Ehelichkeit zusteht, jene Bestimmungen anzuwenden hat, die die Aktivlegitimation ausdrücklich nur dem Ehemann und dem Staatsanwalt zubilligen (s. oben unter I.6.), nicht aber dem Kind und der Mutter, sohin die §§156 und 158 ABGB. Das antragstellende Gericht hat den Anfechtungsumfang daher insoweit zutreffend beurteilt. Der Verfassungsgerichtshof ist hinsichtlich des § 157 ABGB und des zweiten Satzes des § 159 Abs 1 ABGB entgegen der Bundesregierung der Ansicht, daß diese Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang mit § 156 und § 158 ABGB stehen, da sie Teil des Systems sind, welches das Anfechtungsrecht ausschließlich dem Ehemann der Mutter und dem Staatsanwalt einräumt.
1.3. Der Primärantrag und die Eventualanträge 2. bis 5. werden, da sie zu eng gefaßt sind, zurückgewiesen.
Der Eventualantrag zu 6. ist - da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen - zulässig.
2. Die Bedenken des Landesgerichtes Innsbruck zu Art 8 EMRK erweisen sich im Ergebnis als zutreffend.
2.1.1. Das ABGB sah in seiner Stammfassung vor, daß nur der Ehemann, zu dessen Gunsten und Lasten "die Vermutung der ehelichen Geburt streitet", die Ehelichkeit des Kindes durch Erhebung der Klage "zu bestreiten befugt" ist (§158 ABGB). (Dies binnen drei Monaten nach Kenntnis der Geburt des Kindes. Bei Tod des Ehemannes vor Ablauf der Bestreitungsfrist kam dessen Erben, denen "Abbruch an ihren Rechten geschähe", ein Bestreitungsrecht zu.)
2. erfolgte durch die III. Teilnovelle zum ABGB eine gewisse Lockerung dieses Grundsatzes. Das Kind konnte mit Zustimmung der Mutter ausnahmsweise seine Ehelichkeit selbst bestreiten, falls der Mann "vor Ablauf der Bestreitungsfrist gestorben oder seit der Geburt des Kindes dauernd unbekannten Aufenthaltes" war; dies bis Ablauf eines Jahres nach Erreichung der Großjährigkeit.
2.1.3. Mit der (deutschen) Verordnung über die Angleichung familienrechtlicher Vorschriften vom , dRGBl. I 80, wurde das Anfechtungsrecht des Kindes gemäß dem ABGB idF der III. Teilnovelle (und das Bestreitungsrecht der Erben) beseitigt und die Bestreitung durch den Staatsanwalt (im öffentlichen Interesse oder im Interesse des Kindes) eingeführt (§158 ABGB) sowie die Frist für die Ehelichkeitsbestreitung durch den Ehemann auf ein Jahr ab Kenntnis der Umstände, die für die Unehelichkeit des Kindes sprechen, verlängert (§156 ABGB).
2.1.4. In dieser Fassung wurden die geänderten Bestimmungen durch § 2 R-ÜG - in den Rechtsbestand der Republik Österreich übernommen und - zT 1977 bzw. 1983 novelliert.
2.1.5. § 163e ABGB (wiedergegeben unter I.4.2.), der erst nach Antragstellung des anfechtenden Gerichtes in Kraft getreten ist, eröffnet nunmehr die Möglichkeit, daß ein Vaterschaftsanerkenntnis, das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Vaterschaft eines anderen Mannes feststand, abgegeben wird, rechtswirksam wird, wenn die Mutter den Anerkennenden als Vater bezeichnet und das Kind dem Anerkenntnis zustimmt, wobei bestimmte Formerfordernisse einzuhalten sind. Gegen das Anerkenntnis kann der Mann, der als Vater feststand, bei Gericht Widerspruch erheben.
Hiezu führen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 296 BlgNR 21. GP 42, aus:
"Einen Sonderfall unnötigen Aufwands stellt die notwendige Führung eines Ehelichkeitsbestreitungsprozesses dar, wenn allen Beteiligten die Unrichtigkeit der Vermutung des § 138 Abs 1 bewusst ist. Ein vom tatsächlichen Vater abgegebenes Anerkenntnis ist bis zu einem rechtskräftigen stattgebenden Urteil im Streitverfahren nicht rechtswirksam. Abgesehen davon, dass außer dem Mann, für den die Ehelichkeitsvermutung gilt, und dem Staatsanwalt keiner der Beteiligten ein Bestreitungsrecht hat, bringt die Führung eines streitigen Verfahrens für alle (einschließlich der Gerichte) erhebliche Kosten (vor allem auch für das allenfalls unterliegende Kind) und Belastungen sowie einen unnötigen Aufwand an Zeit und Mühe mit sich. Der Entwurf schlägt daher für klare Fälle, in denen sich alle Beteiligten über die tatsächliche Vaterschaft einig sind und gemeinsam den Wunsch haben, dass diese auch - auf einfachem Wege - festgestellt werde, ein einfaches Verfahren vor, in dem die Vermutung des § 138 Abs 1 durch ein Anerkenntnis durchbrochen werden kann (§163e idF des Entwurfs). Damit wird einem besonderen Bedürfnis der Praxis entsprochen."
Zu § 163e ABGB wird unter anderem ausgeführt
(296 BlgNR 21. GP 61 f.):
"Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit eines
späteren Anerkenntnisses soll jedoch grundsätzlich die Beseitigung der früheren Vaterschaftsfeststellung sein. Eine Ausnahme von dieser Regel ordnen die Abs 2 bis 4 des § 163e an. Durch ein unter bestimmten Voraussetzungen abgegebenes Anerkenntnis soll - ohne Beseitigung der früheren Vaterschaftsfeststellung etwa im Rahmen eines Verfahrens wegen Bestreitung der ehelichen Geburt - die bereits bestehende Vaterschaftsfeststellung durchbrochen werden.
Die besonderen Voraussetzungen für die Wirksamkeit eines späteren Anerkenntnisses sind, dass a) die Mutter den später Anerkennenden als Vater bezeichnet und b) das vom Anerkenntnis betroffene Kind diesem zustimmt. Das spätere Anerkenntnis soll ab dem Zeitpunkt seiner Erklärung wirken, sofern die Urkunden über das Anerkenntnis, die Bezeichnung des Anerkennenden als Vater durch die Mutter und die Zustimmung des Kindes zum Anerkenntnis dem Standesbeamten zukommen.
Nach geltendem Recht bedarf es zur Beseitigung einer Vaterschaftsfeststellung (gegründet etwa auf die Ehelichkeitsvermutung des § 138 Abs 1 oder auf ein Anerkenntnis) in jedem Fall der Durchführung eines streitigen Verfahrens, in dem das Kind die Rolle des Beklagten mit dem im Falle des Unterliegens damit verbundenen Kostenrisiko zu übernehmen hat. Dieses Erfordernis besteht selbst in jenen Fällen, in denen allen Beteiligten bewusst ist, dass die festgestellte Vaterschaft nicht den biologischen Gegebenheiten entspricht. Als Beispiel sei genannt, dass der zur Anerkennung bereite Lebensgefährte einer Frau, deren Ehemann trotz aufrechter Ehe seit Jahren von dieser getrennt im fernen Ausland lebt, nach geltender Rechtslage keine Möglichkeit hat, die Vaterschaft zu einem mit dieser Frau gemeinsamen Kind rechtswirksam anzuerkennen, bevor die für den getrennt lebenden Ehemann sprechende Vaterschaftsvermutung durch gerichtliche Entscheidung in einem Verfahren gegen das Kind beseitigt wurde. Lässt der Ehemann überdies noch die Jahresfrist für die Bestreitung der Ehelichkeitsvermutung im Bewusstsein seiner Nichtvaterschaft verstreichen, kann die Vaterschaft des Lebensgefährten überhaupt nur nach Intervention der Staatsanwaltschaft (§158) festgestellt werden. Der Mann, der im Glauben, Vater zu sein, die Vaterschaft zu einem Kind anerkannt hat, muss - selbst wenn auf Grund eines außergerichtlich eingeholten Blutgutachtens seine Vaterschaft ausgeschlossen ist - zunächst das Kind auf die Feststellung der Unwirksamkeit seines Anerkenntnisses klagen (§164b), bevor der nach den Erkenntnissen des Blutgutachtens als biologischer Vater feststehende Mann ein rechtswirksames Anerkenntnis abgeben kann. Diese Situation, die nicht zuletzt alle Beteiligten mit erheblichen Mühen und Kosten belastet, wurde in letzter Zeit zunehmend als unbefriedigend befunden.
Freilich ist auch klar, dass nicht jedes von einem beliebigen Mann abgegebene Anerkenntnis die Ehelichkeitsvermutung, oder ein bereits früher abgegebenes Anerkenntnis außer Wirksamkeit setzen kann. Möglichen Missbrauch durch in die wahre Vater/Mutter/Kind-Beziehung - aus welchen Gründen immer - als Väter 'hineindrängende' Männer muss daher vorgebeugt werden. Deshalb soll die Rechtswirksamkeit eines eine frühere Vaterschaftsfeststellung 'durchbrechenden' Anerkenntnisses zunächst davon abhängen, dass die Mutter den Anerkennenden als Vater bezeichnet und das Kind (vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger ...) dem Anerkenntnis zustimmt. Erst wenn die Nachweise über das Vorliegen dieser Voraussetzungen dem Standesbeamten zugekommen sind, wird dieser das Anerkenntnis am Rand des Geburtseintrags zu vermerken sowie den Mann, dessen Vaterschaft feststand, zu befassen und über die Möglichkeit, Widerspruch zu erheben, zu informieren haben."
2.2. Zu den Bedenken gemäß Art 8 EMRK vertritt die Bundesregierung die Auffassung, die Einschränkung der Klagslegitimation auf die Hauptbetroffenen, nämlich den Ehemann und das Kind (offenbar gemeint: den Staatsanwalt in "Vertretung" des Kindes), erfolge aus legitimen Gründen, da es um den Status zwischen den beiden gehe. Diese Einschränkung finde im Gesetzesvorbehalt des Art 8 Abs 2 EMRK Deckung (s. unter I.8.3.1.). Auf Grund des in § 21 ABGB zum Ausdruck kommenden Schutzgedankens sei davon auszugehen, daß die Staatsanwaltschaft ihre Klagebefugnis immer dann auszuüben habe, wenn dies im Interesse des vom Staat zu schützenden Wohles des minderjährigen Kindes erforderlich sei.
Die Bundesregierung ist offenbar der Meinung, daß die Klagslegitimation des Staatsanwaltes zur Bestreitung der Ehelichkeit (deren Ausübung jedoch mangels Rechtsanspruches nicht durchsetzbar ist, s. II.2.2.2.) zur Wahrung der Interessen des Kindes als Hauptbetroffenen ausreicht.
Es widerspricht jedoch dem Recht auf Achtung des Familienlebens gemäß Art 8 EMRK - wie noch näher darzulegen sein wird -, dem Kind in jedem Fall einen durchsetzbaren Rechtsanspruch zu verwehren.
Aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erhellt, daß der Begriff "Familienleben" in Art 8 EMRK nicht allein auf Beziehungen beschränkt ist, die sich auf eine Ehe gründen, sondern auch andere De-facto-Familienbande umfassen kann (s. EGMR , Keegan gegen Irland, ÖJZ 1995/2 MRK; weiters das Kroon-Urteil; vgl. auch EGMR , X, Y u. Z gegen das Vereinigte Königreich, ÖJZ 1998/14 MRK).
Bei der Entscheidung, ob ein Familienleben vorliegt, kann eine Reihe von Faktoren maßgebend sein, wie etwa das Zusammenleben des Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (X, Y u. Z-Urteil). Im Fall Kroon hielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, daß, obwohl in der Regel das Zusammenleben eine Voraussetzung für eine solche Beziehung darstellen mag, ausnahmsweise auch andere Faktoren dazu dienen zu demonstrieren, daß eine Beziehung ausreichend konstant ist, um de facto "Familienbande" zu schaffen; dies sei in jenem Verfahren der Fall, weil aus der Beziehung vier Kinder geboren seien. Ein in einer solchen Beziehung geborenes Kind sei ipso jure vom Augenblick seiner Geburt an und bereits allein auf Grund des Umstandes dieser Geburt Teil dieser "Familieneinheit" (vgl. das Keegan-Urteil). Daher bestehe zwischen dem Sohn und dem biologischen Vater ein Naheverhältnis, das auf ein Familienleben hinauslaufe, was immer der Beitrag des zuletzt Genannten zur Sorge und Erziehung seines Sohnes sein möge.
Nach den vom Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte in seiner Rechtsprechung zum Ausdruck gebrachten Grundsätzen muß der Staat dort, wo das Vorliegen eines Familienbandes mit einem Kind erwiesen ist, in einer Art und Weise handeln, die darauf ausgerichtet ist, daß dieses Band weiterentwickelt wird, und es müssen rechtliche Sicherungen geschaffen werden, die es vom Augenblick der Geburt oder, sobald dies praktisch möglich ist, danach ermöglichen, das Kind in seine Familie zu integrieren (s. das Kroon-Urteil, vgl. das Keegan-Urteil).
2.2.1. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in der soeben referierten Judikatur im Kern ausgesprochen, (erstens) daß zwischen dem Kind und seinem biologischen Vater vom Zeitpunkt der Geburt an eine "Familieneinheit" im Verständnis des Art 8 Abs 1 EMRK bestehe, sowie (zweitens) daß wegen dieses Familienbandes der Staat sein Handeln auf eine Weiterentwicklung dieses Familienbandes ausrichten und "rechtliche Sicherungen" schaffen müsse, die vom Augenblick der Geburt oder "sobald diese praktisch möglich ist" eine Integration des Kindes in die Familie ermöglichen. Die "Achtung des Familienlebens" verlange es (aber auch), daß die biologische und die gesellschaftliche Realität Vorrang vor einer Rechtsvermutung hätten.
Diese Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wird vom Verfassungsgerichtshof nicht so verstanden, daß ein faktisch bestehendes Familienband zwischen dem Kind, seiner Mutter und deren Ehemann (der rechtlich als Vater des Kindes gilt) insofern einen geringeren Schutz nach Art 8 EMRK genießt, daß es der Staat generell zulassen dürfte oder gar müßte, daß sich ein Mann, der sich für den leiblichen Vater des Kindes hält, in bestimmter rechtlicher Form (zB durch Führung eines Abstammungsprozesses) in diese Familie (gegen den Willen aller übrigen Beteiligten und daher zum Nachteil dieser bestehenden Familiengemeinschaft) hineindrängt (vgl. zu dieser Problematik EGMR , Nylynd gegen Finnland, ÖJZ 2000/5 MRK, und aus der durchaus vergleichbaren Sicht des Art 6 GG abwägend das Urteil des BVerfG vom , 1 BvR 1492/96, 1 BvR 1724/01). Gerade das Wohl des Kindes kann nämlich einen Eingriff in das Grundrecht im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK rechtfertigen und es auch erfordern, daß unter bestimmten Voraussetzungen der Zugang zu einem solchen Verfahren nicht allen in Betracht kommenden Personen offensteht.
Zumindest dann, wenn zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind sowie der Mutter keine Familiengemeinschaft, diese vielmehr ausschließlich zwischen dem Kind, der Mutter und dem (behauptetermaßen) biologischen Vater des Kindes besteht, liegt aber jener Fall vor, in welchem - in den Worten des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte - der Vorrang einer Rechtsvermutung vor dem (allenfalls) erwiesenen Sachverhalt den Wünschen der Betroffenen Hohn sprechen würde, ohne tatsächlich irgendjemandem zu nützen.
Die durch Art 8 EMRK gebotene Achtung der bestehenden Familiengemeinschaft erfordert im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jedenfalls in einem Fall, in welchem eine Störung eines nach Art 8 EMRK geschützten Familienlebens von vornherein nicht in Betracht kommt, zumindest für das Kind (wenn auch bei Minderjährigkeit durch eine von den übrigen Beteiligten unabhängige Person, etwa einen Kollisionskurator, vertreten, vgl. EFSlg. 33.661, 36.070, 66.170) die Bereitstellung eines mit Rechtsanspruch zugänglichen Verfahrens, welches in rechtsförmlicher und verbindlicher Weise die Feststellung einer biologischen Vaterschaft gegen die bloß rechtlich vermutete ermöglicht.
2.2.2. Zwar kann der Staatsanwalt gemäß § 158 ABGB die Ehelichkeit bestreiten, wenn er dies im öffentlichen Interesse oder im Interesse des Kindes für geboten erachtet und wenn der Mann die Ehelichkeit des Kindes nicht innerhalb eines Jahres seit dessen Geburt bestritten hat, gestorben oder sein Aufenthalt unbekannt ist. Gemäß § 159 ABGB ist die Klage (bei Lebzeiten des Kindes) gegen das Kind zu richten.
Daraus ergibt sich, daß der Staatsanwalt, selbst wenn er auch im Interesse des Kindes einschreitet, jedenfalls nicht als Vertreter des Kindes tätig wird - wie es die Bundesregierung darzustellen versucht -, zumal ja seine Klage gegen das Kind zu richten ist. Im übrigen muß und wird sich auch häufig nicht das, was der Staatsanwalt als im Interesse des Kindes gelegen sieht - weder bei Bestreitung noch bei Unterlassung der Bestreitung - mit den subjektiven Interessen des Kindes decken. Das Kind kann (aber auch die Mutter oder Dritte können) die Bestreitung der Ehelichkeit durch den Staatsanwalt nur anregen. Ob die Voraussetzungen zur Bestreitung der Ehelichkeit gegeben sind, fällt aufgrund der
Bestimmung des § 158 ABGB ("... kann ..., wenn er dies ... für
geboten erachtet ...") in das Ermessen des Staatsanwaltes (s. Rechberger/Oberhammer, Der Staatsanwalt als Kläger im Ehelichkeitsbestreitungsverfahren, ÖJZ 1996, 41 [42]; Schwind, Familienrecht 141; Hinteregger, Die Bedeutung der Grundrechte für das Privatrecht, ÖJZ 1999, 745) und darf nicht durch das Gericht überprüft werden (SZ 21/92; SZ 21/137; OGH
2 Ob 174/60; EvBl. 1972/243).
Durch das Bestreitungsrecht des Staatsanwaltes werden jedenfalls die Interessen des Kindes an der Feststellung seiner Abstammung nicht ausreichend gewahrt; es vermag ein persönliches Bestreitungsrecht des Kindes nicht zu ersetzen.
2.2.3. Auf welche Weise und unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber etwa den Beteiligten an einer durch Art 8 EMRK geschützten Familiengemeinschaft, in jedem Fall aber dem Kind als dem Hauptbetroffenen aus dem Statusverhältnis, einen durchsetzbaren Rechtsanspruch einräumt, liegt in seinem rechtspolitischen Ermessen. Derzeit schließt das Gesetz aber - worauf das antragstellende Gericht zu Recht hinweist - durch die angefochtenen Bestimmungen in ihrer Gesamtheit einen solchen Rechtsanspruch gänzlich aus.
2.3. Auch die mittlerweile erfolgte Einführung des § 163e ABGB, welcher mit in Kraft getreten ist, hat die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Regelungen nicht beseitigt, denn es bedarf des gemeinsamen Zusammenwirkens aller Beteiligten, um die gesetzliche Vaterschaftsvermutung zu widerlegen (s. II.1.5.).
2.4. Schon allein durch die rechtliche Unmöglichkeit des Kindes als Hauptbetroffenen aus dem Statusverhältnis, seine Abstammung vom Ehemann der Mutter zu bestreiten, erweisen sich die angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig. Sie waren daher wegen Verstoßes gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens gemäß Art 8 EMRK antragsgemäß aufzuheben.
Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das weitere Vorbringen des antragstellenden Gerichtes einzugehen.
3. Die Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen beruht auf Art 140 Abs 5 dritter Satz B-VG.
Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.
Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur
unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche im Bundesgesetzblatt I erfließt aus Art 140 Abs 5 B-VG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.