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VfGH vom 13.12.2016, G572/2015

VfGH vom 13.12.2016, G572/2015

Leitsatz

Kein Verstoß einer erbrechtlichen Regelung des ABGB betreffend die (unbefristete) Anrechnung von Schenkungen auf den Pflichtteil gegen das Bestimmtheitsgebot und den Gleichheitsgrundsatz; sachlich gerechtfertigte, dem Grundgedanken der "familia suspecta" und dem Ziel eines vermögensmäßigen Ausgleichs unter den Pflichtteilsberechtigten Rechnung tragende Bestimmung; keine Unsachlichkeit infolge Abhängigkeit der Anrechnung von der Reihenfolge des Ablebens von (potentiell) Erb- und Pflichtteilsberechtigten; kein Widerspruch zum Prinzip der Teilung nach Stämmen (Parentelen); Abweisung des Parteiantrags

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG gestützten Antrag wird begehrt, § 785 Abs 3 letzter Satz Allgemeines bürgerliches GesetzbuchABGB idF BGBl 280/1978 als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben):

§785 Allgemeines bürgerliches GesetzbuchABGB, JGS 946/1811 idF BGBl 280/1978, lautet:

"§785. (1) Auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten Kindes oder des pflichtteilsberechtigten Ehegatten sind bei der Berechnung des Nachlasses Schenkungen des Erblassers in Anschlag zu bringen. Der Gegenstand der Schenkung ist dem Nachlaß mit dem Wert hinzuzurechnen, der für die Anrechnung nach § 794 maßgebend ist.

(2) Das Recht nach Abs 1 steht einem Kind nur hinsichtlich solcher Schenkungen zu, die der Erblasser zu einer Zeit gemacht hat, zu der er ein pflichtteilsberechtigtes Kind gehabt hat, dem Ehegatten nur hinsichtlich solcher Schenkungen, die während seiner Ehe mit dem Erblasser gemacht worden sind.

(3) In jedem Fall bleiben Schenkungen unberücksichtigt, die der Erblasser aus Einkünften ohne Schmälerung seines Stammvermögens, zu gemeinnützigen Zwecken, in Entsprechung einer sittlichen Pflicht oder aus Rücksichten des Anstandes gemacht hat. Gleiches gilt für Schenkungen, die früher als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers an nicht pflichtteilsberechtigte Personen gemacht worden sind. "

§762 ABGB, JGS 946/1811 idF BGBl 280/1978 und § 763 ABGB, JGS 946/1811, lauten:

"Vierzehntes Hauptstück.

Von dem Pflichttheile und der Anrechnung in den Pflicht- oder Erbtheil.

Welchen Personen als Notherben ein Pflichttheil gebühre.

§762. Die Personen, die der Erblasser in der letzten Anordnung bedenken muß, sind seine Kinder, in Ermangelung solcher seine Eltern, und der Ehegatte.

§763. Unter dem Nahmen Kinder werden nach der allgemeinen Regel (§. 42) auch Enkel und Urenkel; und unter dem Nahmen Aeltern alle Großältern begriffen. Es findet hier zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlechte; zwischen ehelicher und unehelicher Geburt kein Unterschied Statt, sobald für diese Personen das Recht und die Ordnung der gesetzlichen Erbfolge eintreten würde."

2. Die Anrechnung von Schenkungen bei der Berechnung des Nachlasses geht auf die dritte Teilnovelle des ABGB, RGBl. 69/1916, zurück. § 785 ABGB idF RGBl. 69/1916, lautete:

"§785. (1) Auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten Kindes sind bei der Berechnung des Nachlasses die Schenkungen in Anschlag zu bringen, die der Erblasser unter Lebenden gemacht hat. Der Gegenstand der Schenkung ist dem Nachlasse mit dem Werte hinzuzurechnen, der für die Anrechnung nach § 794 maßgebend ist.

(2) Unberücksichtigt bleiben Schenkungen, die der Erblasser zu einer Zeit machte, da er keine pflichtteilsberechtigten Kinder hatte, ferner Schenkungen, die aus den Einkünften ohne Schmälerung des Grundstockes seines Vermögens gemacht wurden, sowie Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder Rücksichten des Anstandes entsprochen wurde, oder Schenkungen zu gemeinnützigen Zwecken, endlich Schenkungen an nicht pflichtteilsberechtigte Personen, die mehr als zwei Jahre vor dem Tode des Erblassers gemacht wurden. Bei Schenkungen an Ehegatten beginnt die Frist nicht vor Auflösung oder Scheidung der Ehe."

3. Der Oberste Gerichtshof legt die angefochtene Bestimmung des § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB in zahlreichen Entscheidungen aus und bildete u.a. folgende Rechtssätze:

3.1. Den erfassten Personenkreis definiert der Oberste Gerichtshof in RIS-Justiz RS0012855 [T4, T 2]:

"Unter den pflichtteilsberechtigten Personen iSd § 785 ABGB, die zur unbefristeten Schenkungsanrechnung verpflichtet sind, sind nur jene zu verstehen, die im konkreten Fall im Zeitpunkt des Erbanfalls tatsächlich pflichtteilsberechtigt sind und die im Schenkungszeitpunkt 'abstrakt' pflichtteilsberechtigt waren. Pflichtteilsverzicht vor Erbanfall schließt somit fristenlose Anrechnung (grundsätzlich) aus, sofern kein Rechtsmissbrauch vorliegt. Hat hingegen ein Kind des Erblassers auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet, so gilt § 785 Abs 3 ABGB."

3.2. Mit dem Enkelkind befasst sich der Oberste Gerichtshof in RIS-Justiz RS0012913:

"Das Enkelkind ist nicht pflichtteilsberechtigt iS dieser Gesetzesstelle, solange der vom Erblasser abstammende Elternteil noch lebt. Daher ist bei der Berechnung des Pflichtteiles der Toch[t]er eine Schenkung des Erblassers an das von dieser Tochter abstammende Enkelkind nicht zu berücksichtigen, wenn die Sch[e]nkung außerhalb der 2 Jahresfrist bewirkt wurde."

3.3. Zum Rechtsmissbrauch spricht der Oberste Gerichtshof in RIS-Justiz RS0037904 [T1, T 2, T 3] aus:

"Die Berufung auf § 785 Abs 3 ABGB kann auch rechtsmißbräuchlich sein. Eine Berufung auf § 785 Abs 3 ABGB wird dann als missbräuchlich beurteilt, wenn der Pflichtteilsverzicht des Beschenkten offenkundig bezweckte, die Anrechnung der geschenkten Liegenschaften zu verhindern und den Geschenknehmer gegen Pflichtteilsergänzungsansprüche anderer Noterben abzusichern. Die Berufung auf einen rechtsmissbräuchlich veranlassten Pflichtteilsverzicht kann selbst dann rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Verzichtende im Zeitpunkt der Abgabe des Verzichts keinen Missbrauchsvorsatz hatte. Um Rechtsmissbrauch annehmen zu können, bedarf es nicht unbedingt der ausdrücklichen Feststellung der Missbrauchs-/Schädigungsabsicht. Es genügt, dass der beweispflichtige Kläger einen Sachverhalt beweist, der die Vermutung der Missbrauchs-/Schädigungsabsicht nahe legt."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Der Antragsteller bringt vor, er führe als Kläger zu 16 Cg 5/13t des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien einen Pflichtteilsprozess gegen seine Schwester, in der er (unter anderem) die Zahlung eines durch Schenkung erhöhten Pflichtteils nach der verstorbenen Mutter der Streitteile begehre.

1.1. Der Antragsteller habe im Pflichtteilsprozess vorgebracht, dass die Verstorbene neun Jahre vor ihrem Tod den Hälfteanteil einer ihr gehörigen Liegenschaft ihrer Enkeltochter, der Tochter der Beklagten, geschenkt habe. Er begehre von der Beklagten als eingeantworteter Erbin gemäß § 785 Abs 1 ABGB den Schenkungspflichtteil aus dieser Schenkung.

Die Beklagte habe die Ausnahme der Schenkung von der Anrechnung gemäß § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB eingewendet, wonach die Schenkung unberücksichtigt zu bleiben habe, weil sie die Erblasserin früher als zwei Jahre vor ihrem Tod an eine nicht pflichtteilsberechtigte Person gemacht habe. Die beschenkte Enkeltochter sei zum Zeitpunkt des Ablebens der Geschenkgeberin nicht konkret pflichtteilsberechtigt gewesen.

Mit erstinstanzlichem Urteil vom , 16 Cg 5/13t-76, sei das Gericht der Argumentation der Beklagten gefolgt und habe das Leistungsbegehren zum überwiegenden Teil abgewiesen.

1.2. Zur Zulässigkeit seines Antrags bringt der Antragsteller vor, er habe gegen dieses Urteil fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung sowie gleichzeitig den vorliegenden Antrag eingebracht. Er hege Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des vom Gericht im angefochtenen Urteil unmittelbar angewendeten § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB.

1.3. Der Antragsteller legt die Bedenken, die ihn zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"5.4 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diesen Rechtsbegriff bestehen insofern, als er zu unbestimmt ist. Dem Bestimmtheitserfordernis des Art 18 B VG haben auch die zivilrechtlichen Rechtsbegriffe zu entsprechen ().

5.5 Aus der unzureichenden Determination der vom Zivilrechtsgeber gewünschten Rechtsfolgen resultiert auch das gleichheitswidrige und unsachliche Ergebnis, zu dem das erstinstanzliche Gericht in Anlehnung an die von der herrschenden Lehre und Rechtsprechung gefundene Auslegung gelangt, und mit dem die angefochtene Entscheidung den Antragsteller belastet.

5.6 Die tragende ultima ratio des § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB besteht darin, das Pflichtteilsrecht gegen Umgehungen durch Schenkungen unter Lebenden zu schützen (Herrenhausbericht zur III. Teilnovelle des ABGB 111; Erl zur RV [2 BlgHH XXI. Sess] 114; Umlauft , Die Anrechnung von Schenkungen und Vorempfängen im Erb- und Pflichtteilsrecht [2001] 202). § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB liegen im Rahmen des gesamten Systems des Erbrechtes indessen verschiedene bzw unterschiedliche Regelungsziele zu Grunde. Es handelt sich im Wesentlichen um die folgenden Gedanken.

5.6.1 'Familia suspecta'

Im Vordergrund steht bei § 785 Abs 3 ABGB der Gedanke, bei Schenkungen, die kurz vor dem Tod (nicht länger als vor zwei Jahren) vorgenommen wurden, jedenfalls eine Verkürzungsabsicht anzunehmen, sodass eine solche Schenkung auch dann anrechenbar ist, wenn sie an eine familienfremde Person erfolgt ist. Das bedeutet umgekehrt, dass Schenkungen innerhalb der Familie, an Pflichtteilsberechtigte, dem Gesetzgeber grundsätzlich suspekt erscheinen und unbefristet angerechnet werden sollen ( Ehrenzweig/Kralik , Erbrecht 3 , 303 f; Eccher , JBl 1991, 313; Umlauft , Die Anrechnung von Schenkungen und Vorempfängen im Erb- und Pflichtteilsrecht [2001] 199).

5.6.2 Reziprozität der Anrechnung und Ausgleichsprinzip

Auf diesen Aspekt hat Welser (in Zur Berücksichtigung von Schenkungen im Pflichtteilsrecht, FS Kralik, 589 ff), ebenfalls unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zur III. Teilnovelle (Herrenhausbericht 116), hingewiesen. Demnach soll anrechnungspflichtig nur sein, wer auch anrechnungsberechtigt ist. Die unbefristete Anrechnung bei Schenkungen an Noterben sei angeordnet, um diese Reziprozität zu ermöglichen, Deshalb fordert Welser für die unbefristete Anrechnung von Schenkungen die konkrete Pflichtteilsberechtigung des Geschenknehmers zum Todestag. Es soll ausgeschlossen werden, dass ein Geschenknehmer zwar anrechnungspflichtig ist (das Geschenk unter Umständen auch gemäß § 951 ABGB zur Gänze herausgeben muss), in Ermangelung einer konkreten Pflichtteilsberechtigung aber selbst keinen Pflichtteilsanspruch hat und aus Schenkungen an andere für sich daher auch keinen Anrechnungsvorteil ziehen kann.

Die von Welser genannten Beispiele für eine assymetrische, und daher zu vermeidende, Anrechnungslage (Verlust der konkreten Pflichtteilsberechtigung wegen Erbunwürdigkeit, Enterbung oder Scheidung oder durch selbst herbeigeführten Verzicht) sind freilich nicht geeignet, einer Interessenabwägung zu Gunsten des Anrechnungspflichtigen und zu Lasten des Verkürzten Pflichtteilsberechtigten allzu große Sympathien abzugewinnen. Auch hat Eccher in seiner Entscheidungsanmerkung (JBl 1991, 313 ff) zutreffend erkannt, dass das Anrechnungsregime des § 785 Abs 3 ABGB in der Regel wohl nur dort schlagend wird, wo es zur übermäßigen Beschenkung nur eines Ausgleichpflichtigen gekommen ist, sodass die Anrechnung in den meisten Fällen – so wie auch im Fall des Antragstellers – nur in eine Richtung verläuft. Denkt man diesen Einwand fort, macht es wenig Sinn und erscheint es geradezu widersinnig, zwecks Erhaltung einer sehr oft bloß theoretischen 'Reziprozität' eine grob unbillige Unausgewogenheit beim Gros der Fälle hinzunehmen. Wenn der Gedanke der Reziprozität nur dort zu einem Ausgleich führt, wo er ohnehin gar nicht notwendig ist bzw verlangt wird, bleibt er ein leeres und bedeutungsloses Spiel mit Dogmatik.

Welser selbst muss einräumen, dass dem Anknüpfen an die konkrete Pflichtteilsberechtigung des Beschenkten zum Todeszeitpunkt der für die unbefristete Anrechnung ebenfalls einleuchtende Gesetzeszweck der 'familia suspecta' entgegenstehen kann und sich mit dem Reziprozitätsgedanken nicht leicht ausbalancieren lässt. Er verkennt nicht, dass die Bevorzugung von Verwandten zum Nachteil anderer Verwandter recht häufig ist ( Welser in Rummel, ABGB 3 § 785 Rz 17; in Zur Berücksichtigung von Schenkungen im Pflichtteilsrecht, FS Kralik, 588, 590). Zu denken ist vor allem an den Fall, dass die konkrete Pflichtteilsberechtigung durch einen Pflichtteilsverzicht absichtlich zum Wegfall gebracht wird, oder (wie im Pflichtteilsprozess) an eine Enkelkind-Schenkung, um seinem Familienstamm die Anrechnungspflicht zu ersparen. Welser konstatiert, dass der Gesetzgeber solche Fälle offenbar nicht bedacht hat und vom Normalfall ausgegangen sein dürfte, dass der Beschenkte sowohl bei der Schenkung als auch beim Tod des Erblassers zu den (auch konkret) pflichtteilsberechtigten Personen gehört. Er hält die unbilligen Ergebnisse, die sich unter Wahrung des Reziprozitätsgedankens in Einzelfällen ergeben können, für nicht befriedigend und schreibt diese einer nicht korrigierbaren unzulänglichen gesetzlichen Regelung zu (in Zur Berücksichtigung von Schenkungen im Pflichtteilsrecht, FS Kralik, 590).

Dennoch gibt Welser dem Reziprozitätsgedanken den Vorzug.

5.7. Verstoß gegen das Determinierungsgebot des Art 18 B VG und das Rechtsstaatsprinzip

5.7.1 Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist an § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB einmal zu beklagen, dass die Bestimmung derart undeutlich ist, dass von unterschiedlichen Meinungen der Lehre dazu alle denkbaren Positionen eingenommen werden, wobei einige Autoren nicht einmal selbst zu einer einheitlichen eigenen Meinung gefunden haben: Es gibt Stimmen, wonach es für die unbefristete Schenkungsanrechnung lediglich auf die abstrakte Pflichtteilsberechtigung im Schenkungszeitpunkt ankommen soll ( Weiß in Kla[n]g, ABGB III 2 , 916; Ehrenzweig/Kralik , Erbrecht 3 , 303 f). Für die konkrete Pflichtteilsberechtigung entweder zum Todeszeitpunkt oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt spricht sich Umlauft (in Die Anrechnung von Schenkungen und Vorempfängen im Erb- und Pflichtteilsrecht [2001] 212 ff) aus. Ostheim (in Ostheim, Familienrechtsreform 68 f) plädiert für das Erfordernis einer konkreten Pflichtteilsberechtigung lediglich zum Todeszeitpunkt. Nach Migsch (in Floretta, Ehe- und Kindschaftsrecht 58 ff) und Umlauft (in NZ1988, 91 ff; und NZ1989, 257) soll alleine die konkrete Pflichtteilsberechtigung im Schenkungszeitpunkt maßgeblich sein. Für die abstrakte Pflichtteilsberechtigung im Schenkungszeitpunkt und die konkrete Pflichtteilsberechtigung im Todeszeitpunkt plädiert Welser (in FS Kralik 588 ff; ders in Rummel, ABGB I 3 § 785 Rz 17). Die Rechtsprechung ist Welser gefolgt (OGH JBl 1991, 312; siehe die zahlreichen Judikaturnachweise bei Eccher in Schwimann/Kodek ABGB III 4 § 785 Rz 16 in FN 65), scheint aber auch zu schwanken (vgl 6 Ob 185/04f = SZ2004/153).

5.7.2 Diese Rechtsprechung hat unweigerlich Vertragsgestaltungen provoziert, die darauf abgezielt haben, Schenkungen innerhalb der Familie gegen die Anfechtung anderer Noterben zu immunisieren. Schenkungen an Enkelkinder (wie im Pflichtteilsprozess des Antragstellers) oder in Verbindung mit Pflichtteilsverzichten (beides führt dazu, dass die konkrete Pflichtteilsberechtigung zum Todeszeitpunkt nicht vorliegt und die Schenkung nach 2 Jahren anrechnungsfrei wird), haben sich zu einem weitverbreiteten Umgehungsszenario entwickelt (siehe dazu Probst , Aktuelles zur Erbrechtsnovelle 2014, UnternehmerCircle 2014, 20; Umlauft , Die Anrechnung von Schenkungen und Vorempfängen im Erb- und Pflichtteilsrecht [2001] 199). Gegen derartige Gestaltungen hat der OGH zwar den Einwand des Rechtsmissbrauchs zugelassen (SZ68/47 = JBl 1995, 584 = NZ1996, 178). Allerdings besteht in Lehre und Rechtsprechung nun wieder völlige Uneinigkeit über die methodische Begründung derartiger Korrekturen, insbesondere darüber, ob das Vorhandensein eines unlauteren Motives zu verlangen ist (OGH JBl 2003, 375), wenn ja, wann ein solches vorliegen muss (OGH JBl 2005, 180), oder ob ein objektivierter Umgehungstatbestand für die Anrechnung genügt und § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB nur teleologisch zu reduzieren ist ( Peer , JBl 2001, 129 mwN). Umlauft (in Die Anrechnung von Schenkungen und Vorempfängen im Erb- und Pflichtteilsrecht [2001] 214) weist zutreffend darauf hin, dass die einzelfallbezogene Zulassung von Rechtmissbrauchserwägungen, die sich an einem schwammigen 'gute-Sitten-Maßstab' orientieren, für den mit einer Nachlassplanung befassten und auf Berechenbarkeit bedachten Kautelarjuristen eine unerträgliche Rechtsunsicherheit schafft. Umlauft selbst führt aber eine Reihe von Kriterien ein (Basiswertung, subjektives Verhalten der Beteiligten, objektive Beziehung zwischen den Beteiligten, materielle und im[m]aterielle Bedürfnisse sowie heilende Kraft der Zeit), die die Identifikation der Unbilligkeiten, die aus dem judizierten Tatbestand gemäß § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB herausfallen sollen, nicht gerade einfacher oder leichter praktikabel machen. Zankl (in Umgehung der Schenkungsanrechnung, NZ2001, 111, 116) hat im selben Zusammenhang ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Heranziehung von Rechtsinstituten, die von subjektiven Voraussetzungen abhängen, unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit problematisch ist und in Ermangelung eindeutiger normativer Grundlagen nach dem Gesetzgeber gerufen.

5.7.3 Ist aber das Element einer Norm derart undeutlich, dass es nicht durch Auslegung bereinigt werden kann, stellt es nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip dar (vgl VfSlg 12.420/1990 ['Denksporterkenntnis']).

Dies trifft auf § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB zu, der sich insofern als verfassungswidrig erweist.

5.8 Verletzung des Gleichheitssatzes (Art7 B VG)

5.8.1 Unterstellt man § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB den vom Erstgericht beigemessenen Sinn, ist das Ergebnis im Lichte der ratio legis unsachlich und der Kläger in seinem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art7 B VG) verletzt. Der Gesetzgeber mag vielleicht nicht gehalten sein, Erben und Pflichtteilsberechtigte gleich zu behandeln (). Eine Differenzierung zwischen (abstrakt) Pflichtteilsberechtigten, so wie im vorliegenden Fall (sowohl der Kläger als auch die beschenkte Enkeltochter gehören als Nachkommen der Verstorbenen zum Kreis der potentiellen Noterben, weil der Begriff Kinder in § 762 ABGB iSv Deszendenz zu verstehen ist [ Welser in Rummel/Lukas, ABGB 4 §§762 – 764 Rz 2]), erweist sich aus den folgenden Gründen als unsachlich.

5.8.2 Die zur Anwendung gekommene Rechtslage bedeutet im Ergebnis, dass die Schenkung an die Enkeltochter nur deshalb von der Anrechnung ausgenommen bleibt, weil die Mutter der Geschenknehmerin bei Ableben der Geschenkgeberin noch am Leben war. Wäre sie vorverstorben, hätte der Kläger von der Schenkung den Schenkungspflichtteil in voller Höhe geltend machen können. Eine derartige Differenzierung im Tatsachenbereich, die nur vom zufälligen Umstand des Überlebens der beklagten Tochter 1. Grades der Verstorbenen abhängt, kann nicht mit einer so wesentlichen Einschränkung bzw Verkürzung des Pflichtteils des Klägers verbunden sein, ohne damit einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot zu bewirken (VfSlg 7331/1974; 7973/1976). Der von Welser (in Zur Berücksichtigung von Schenkungen im Pflichtteilsrecht, FS Kralik, 589) ins Spiel gebrachte Gedanke der Reziprozität der Anrechnung kann diese unterschiedliche Behandlung nicht sachlich rechtfertigen, weil die Haftungsbestimmung des § 951 ABGB, wo Welser die relevanten Auswirkungen des Reziprozitätsgedankens verortet, für die Geschenknehmerin gar nicht zum Tragen kommen würde. Der erhöhte Pflichtteil des Klägers ist zur Gänze im Nachlass gedeckt und die Geschenknehmerin wurde vom Kläger auch nicht geklagt (vgl § 951 Abs 1 ABGB). Eine Anrechnung oder ein Ausgleich von Schenkungen, die der Kläger erhalten hätte, sind – aus der Sicht der Geschenknehmerin - auch kein Thema: Zum einen hat den überwiegenden Teil des Vermögens sie erhalten, und zwar wesentlich mehr als ein hypothetischer Pflichtteil ihrerseits vom gesamten Vermögen ausmachen würde. Zum zweiten wäre mit der aus der Anrechnung folgenden Zahlungspflicht nur die beklagte Mutter der Geschenknehmerin belastet, die nach der Geschenkgeberin selbst konkret pflichtteilberechtigt ist und allfällige Anrechnungspflichten des Klägers relevieren kann, wodurch das Prinzip der Reziprozität (generationenübergreifend, innerhalb ihres Stammes) ohnehin gewahrt bliebe.

5.8.3 Die Rechtslage nach dem Ergebnis des angefochtenen Urteils verletzt auch sonst systembildende Grundsätze des Erbrechtes. Die gesetzliche Erbfolge des ABGB folgt im Zusammenhang mit der Repräsentation vorverstorbener Aszendenten dem Prinzip der Teilung 'nach Stämmen' ( Koziol/Welser , Bürgerliches Recht 13 [2007] 467). Das Denken des Erbrechtsgesetzgebers in Stämmen kommt auch in der Vermutungsregel des § 551 3. Satz ABGB zum Ausdruck, wonach der Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht im Zweifel auch für Nachkommen gilt.

Dieses Prinzip muss bei sachgerechter und zeitgemäßer Auslegung des Pflichtteilsrechts auch auf die Deutung des Gedankens der 'familia suspecta' in dem der Gesetzesprüfung zu Grunde liegenden Fall durchschlagen. Nimmt man die Schenkung an die Enkeltochter von der Anrechnungspflicht aus, so wäre der Familienstamm der Beklagten nach der Verstorbenen ungebührlich bevorzugt und der Antragsteller bzw. dessen Stamm in seinen Pflichtteilsansprüchen auf das Familienvermögen entsprechend verkürzt. Im Ergebnis würde die auf Basis des zu wenig deutlichen Rechtsbegriffes 'pflichtteilsberechtigte Personen' im Ausgangsverfahren gefundene Auslegung auch dazu führen, dass sich das Entscheidungsergebnis in einen unerträglichen Widerspruch zu systembildenden erbrechtlichen Prinzipien (Denken in Stämmen, 'familia suspecta') setzt, der die Regelung insgesamt als unsachlich und in sich widersprüchlich erscheinen lässt. Gerade ein Fall wie der vorliegende, in dem ein Großteil des Familienvermögens durch Schenkung an ein Enkelkind einseitig in den Stamm eines pflichtteilberechtigten Kindes verschoben wurde, macht deutlich, dass dem Gedanken der 'familia supecta' der Vorrang gebührt, um zu systemkonformen Ergebnissen zu gelangen. Würde man die Schenkung an die Enkeltochter von der Anrechnungspflicht ausnehmen, wäre der Stamm bzw. die Linie der Beklagten nach der Verstorbenen ungebührlich bevorzugt und der Antragsteller bzw dessen Stamm in seinen Pflichtteilsansprüchen grob verkürzt. Generationenübergreifend betrachtet wird auch der Ausgleichsgedanke missachtet.

Die Enkeltochter gehört ebenso zur 'familia suspecta', wie die Tochter ersten Grades (vgl § 32 Abs 1 IO). Die vertypte Annahme einer Verkürzungsabsicht kann bei ihr nicht deshalb wegfallen, weil ihre Mutter, die sie vom Erbrecht nach der Großmutter verdrängt, bei deren Tod zufällig noch am Leben war. Dem Reziprozitäts und Ausgleichsgedanken ist Genüge getan, wenn er generationenübergreifend aufgefasst wird und der Ausgleich bzw die Reziprozität der Anrechnung innerhalb des jeweiligen Stammes gewahrt bleibt.

Schenkungen an (zumindest abstrakt) pflichtteilsberechtigte Personen müssen sohin immer als an Angehörige der 'familia suspecta' betrachtet werden, und zwar unabhängig davon, ob der die Verwandtschaft vermittelnde Elternteil zum Zeitpunkt des Todes des Geschenkgebers noch am Leben ist oder nicht.

Soweit § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB Enkelkinderschenkungen von der Anrechnungspflicht ausnimmt, ist die Bestimmung nicht systemkonform, insofern überschießend und daher außerhalb des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers gelegen.

5.8.4 Schließlich ist darauf zu verweisen, dass mit der gestiegenen Lebenserwartung das Problem der systemwidrigen und unsachlichen pflichtteilrechtlichen Behandlung von Enkelkinderschenkungen an Bedeutung insgesamt zugenommen hat. Vermögen werden immer häufiger in der Familie nicht den unmittelbaren Nachkommen, sondern gleich an die übernächste Generation übertragen. Die praktische Auswirkung der aufgezeigten Gleichheitswidrigkeit hat sich damit verschärft. Unter diesen geänderten Umständen lassen sich die aufgeworfenen Bedenken nicht mehr damit zerstreuen, dass dem Gesetzgeber der Rückgriff auf eine Durchschnittsbetrachtung nicht verwehrt sei (VfSlg 16.744/2002). Die Enkelkinderschenkung ist kein vereinzelter Fall mehr, dessen Ausnahme vom Schenkungspflichtteil in Kauf genommen werden müsse, weil ansonsten insgesamt eine sachliche Regelung vorliegt. Durch die erstreckte Lebenserwartung und gehäufte Umgehungsversuche der Praxis hat sich die aufgezeigte Gleichheitswidrigkeit zugespitzt, sodass sie vom VfGH nun jedenfalls aufzugreifen sein wird (VfSlg 11.048/1986)."

2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie beantragt, die Behandlung des Antrages mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abzulehnen, in eventu auszusprechen, dass die angefochtene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben werde. Den im Antrag erhobenen Bedenken tritt sie wie folgt entgegen:

"2. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot:

2.1. Der Antragsteller hegt das Bedenken, dass die angefochtene Bestimmung dem Bestimmtheitsgebot des Art 18 B VG widerspricht. Begründend führt er aus, der Begriff 'pflichtteilsberechtigte Personen' sei derart undeutlich, dass dazu in der Lehre 'alle denkbaren Positionen' eingenommen werden.

2.2. Ob eine Norm dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot gemäß Art 18 B VG entspricht, richtet sich nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrer Entstehungsgeschichte, dem Inhalt und dem Zweck der Regelung. Bei der Ermittlung des Inhalts einer gesetzlichen Regelung sind daher alle der Auslegung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Eine Regelung verletzt die in Art 18 B VG enthaltenen rechtsstaatlichen Erfordernisse nur dann, wenn nach Heranziehung sämtlicher Interpretationsmethoden nicht beurteilt werden kann, wozu das Gesetz ermächtigt (vgl. VfSlg 16.137/2001; 19.530/2011 jeweils mwN).

2.3. Gemäß § 785 Abs 3 ABGB letzter Satz sind bei der Berechnung des Nachlasses jene Schenkungen nicht zu berücksichtigen, die früher als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers an nicht pflichtteilsberechtigte Personen gemacht worden sind. Schenkungen, die an pflichtteilsberechtigte Personen gemacht worden sind, sind daher zeitlich unbefristet zu berücksichtigen.

2.4. Der Zweck der Schenkungsanrechnung gemäß § 785 ABGB besteht – wie bei der Darstellung der Rechtslage ausgeführt – darin, ungerechtfertigte Beschränkungen des Pflichtteils der Pflichtteilsberechtigten bzw. Umgehungen des Pflichtteilsrechts durch Schenkungen des Erblassers vor seinem Tod zu verhindern. Mit der zeitlich unbeschränkten Anrechnungspflicht von Schenkungen an pflichtteilsberechtigte Personen gemäß § 785 Abs 3 ABGB wird dabei einerseits der Grundannahme einer Verkürzungsabsicht zulasten von Pflichtteilsberechtigten bei Schenkungen an Personen aus dem engsten Familienkreis ('familia suspecta') Rechnung getragen ( Welser in FS Kralik, 588). Andererseits dient die Regelung insoweit der Gleichbehandlung aller pflichtteilsberechtigten Personen im Sinne eines vermögensmäßigen Ausgleichs unter den Pflichtteilsberechtigten. Der mit der Schenkungsanrechnung gemäß § 785 ABGB verfolgte Ausgleich unter den Pflichtteilsberechtigten soll demgemäß nur wechselseitig erfolgen, also nicht bloß zu Lasten der einen und zum Vorteil der anderen Pflichtteilsberechtigten […].

2.5. § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB stellt auf 'pflichtteilsberechtigte Personen' ab. Wer (abstrakt) pflichtteilsberechtigt sein kann, ergibt sich zunächst aus den Regelungen der §§762 und 763 ABGB. Die weiteren Fragen, ob es für die unbeschränkte Anrechnungspflicht von pflichtteilsberechtigten Personen gemäß der angefochtenen Bestimmung darauf ankommt, dass die Person abstrakt und/oder konkret pflichtteilsberechtigt ist bzw. zu welchen Zeitpunkten abstrakte und/oder konkrete Pflichtteilsberechtigung gegeben sein muss, lassen sich nach Auffassung der Bundesregierung unter Bedachtnahme auf die Systematik sowie den Zweck der Regelung beantworten.

Wie dargelegt wurde, trägt die Regelung dem Gedanken der 'familia suspecta' Rechnung, zielt jedoch außerdem auf eine Gleichstellung der pflichtteilsberechtigten Personen im Sinne eines gerechten vermögensmäßigen Ausgleichs unter den pflichtteilsberechtigten Personen ab. Ein solcher Ausgleich setzt aber voraus, dass jede pflichtteilsberechtigte Person jede Schenkung, die sie erhalten hat (d.h. nicht nur Schenkungen aus den letzten zwei Jahren), gegen sich gelten lassen muss, umgekehrt jedoch auch von der Anrechnung einer Schenkung an eine andere pflichtteilsberechtigte Person profitieren kann. Der Gedanke der 'familia suspecta' kann dadurch ebenfalls, wenngleich in nur eingeschränktem Ausmaß verwirklicht werden. Eine diesem Gedanken vollständig Rechnung tragende Auslegung, wonach Pflichtteilsberechtigte zur Zahlung (bzw. zur Herausgabe des Geschenks gemäß § 951 ABGB) verpflichtet werden, aber unter Umständen selbst nicht die Anrechnung (bzw. Herausgabe des Geschenks) begehren können oder wonach Pflichtteilsberechtigte etwas erhalten, aber selbst nicht herausgabepflichtig sein können, würde dagegen dem Ziel der Gleichstellung der pflichtteilsberechtigten Personen gänzlich entgegen stehen. Insofern kann beiden mit der Regelung verfolgten Zielen nur dann Rechnung getragen werden, wenn jene Personen anrechnungspflichtig sind, die auch – gemäß § 785 Abs 1 ABGB – anrechnungsberechtigt sind (vgl. Welser in FS Kralik, 589 f.).

2.6. Diese Auslegung liegt auch d[er] […] Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu Grunde. Danach umfasst der Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen iSd § 785 Abs 3 ABGB, die der unbefristeten Schenkungsanrechnung unterliegen, nur jene Person, die im Schenkungszeitpunkt 'abstrakt' () und im konkreten Fall im Zeitpunkt des Todes tatsächlich (konkret) pflichtteilsberechtigt sind (; RIS-Justiz RS0012855; ). Begründet wird diese Judikatur damit, dass bei Auslegung des Begriffs 'pflichtteilsberechtigte Personen' in § 785 Abs 3 ABGB den Erläuterungen folgend der erbrechtliche Ausgleichsgedanke gegenüber dem Gedanken der 'familia suspecta' den Ausschlag gibt ( […] Welser in FS Kralik 583 ff.). Auf Grund dieser ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes herrscht somit Rechtssicherheit in Bezug auf die Auslegung des in der angefochtenen Bestimmung enthaltenen Begriffs 'pflichtteilsberechtigte Personen'.

2.7. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass sich aus dem Begriff 'pflichtteilsberechtigte Personen' in § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB mit hinreichender Bestimmtheit ableiten lässt, auf welche Personen dies zutrifft. Zudem besteht aufgrund der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs Rechtsklarheit über die Auslegung der angefochtenen Bestimmung. Der bloße Umstand, dass im Schrifttum auch andere Lehrmeinungen vertreten werden, macht die angefochtene Bestimmung vor diesem Hintergrund nicht unbestimmt. § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB entspricht daher nach Ansicht der Bundesregierung dem Bestimmtheitsgebot des Art 18 B VG.

3. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Sachlichkeitsgebot:

3.1. Der Antragsteller bringt vor, dass die angefochtene Bestimmung eine unsachliche Differenzierung zwischen Pflichtteilsberechtigten vorsehe. Begründend führt er aus, dass die Anrechnungspflicht einer 'Enkelkinderschenkung' nur vom zufälligen Umstand des Überlebens des vom Erblasser abstammenden Elternteils abhänge. 'Enkelkinderschenkungen' müssten seiner Ansicht nach auch als Schenkungen an Angehörige der 'familia suspecta' gelten und damit unbefristet anrechnungspflichtig sein, ganz unabhängig davon, ob der vom Erblasser abstammende Elternteil zum Zeitpunkt des Todes noch am Leben ist oder nicht. Andernfalls wird seiner Ansicht nach dessen Familienstamm ungebührlich bevorzugt, während weitere Pflichtteilsberechtigte ungebührlich in ihren Pflichtteilen verkürzt werden.

3.2. Nach Auffassung der Bundesregierung verfügt die Gesetzgebung bei der Regelung des Pflichtteilsrechts über einen weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum. Unter angemessener Bedachtnahme auf die Interessen des Erblassers kann die Gesetzgebung insbesondere weitgehend frei entscheiden, ob und inwieweit Schenkungen unter Lebenden bei der Berechnung des Pflichtteils berücksichtigt werden sollen und ob dabei vorrangig dem Grundgedanken der 'familia suspecta' oder aber (auch) dem Gedanken des vermögensmäßigen Ausgleichs unter den Pflichtteilsberechtigten Rechnung getragen werden soll.

Somit steht es der Gesetzgebung prinzipiell frei, hinsichtlich der Schenkungsanrechnung auf die abstrakte oder auf die konkrete Pflichtteilsberechtigung abzustellen. Auch die Festlegung des Zeitpunkts für die Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen – konkret: welche Voraussetzungen im Schenkungs- und/oder Todeszeitpunkt des Erblassers erfüllt sein müssen – liegt grundsätzlich in ihrem Gestaltungsspielraum. Bei all diesen möglichen Ausgestaltungen handelt es sich prinzipiell um sachliche Anknüpfungspunkte für die Regelung der Schenkungsanrechnung.

3.3. Vor diesem Hintergrund geht die Bundesregierung daher davon aus, dass die angefochtene Bestimmung im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung gelegen und sachlich gerechtfertigt ist.

Im Einzelnen wird zu den Ausführungen des Antragstellers aber noch Folgendes angemerkt:

3.3.1. § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB sieht vor, dass Schenkungen an nicht pflichtteilsberechtigte Personen, die früher als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers gemacht wurden, bei der Anrechnung auf den Pflichtteil unberücksichtigt bleiben. Daraus ergibt sich, dass Schenkungen an pflichtteilsberechtigte Personen grundsätzlich unbefristet zu berücksichtigen sind. Bei der Beurteilung der Pflichtteilsberechtigung im Sinne dieser Regelung ist nach ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofes auf die abstrakte Pflichtteilsberechtigung im Schenkungszeitpunkt einerseits und auf die konkrete Pflichtteilsberechtigung im Todeszeitpunkt des Erblassers andererseits abzustellen. Nicht pflichtteilsberechtigt iSd § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB sind daher etwa Enkelkinder, solange der vom Erblasser abstammende Elternteil noch lebt, oder Personen, die auf ihr Pflichtteilrecht verzichtet haben.

3.3.2. […] Die Gesetzgebung [trägt] mit der angefochtenen Regelung einerseits dem Gedanken der 'familia suspecta' Rechnung, zielt aber zugleich auf die Gleichstellung der pflichtteilsberechtigten Personen im Sinne eines vermögensmäßigen Ausgleichs ab. Die effektive Verwirklichung des Ziels der Gleichstellung der Pflichtteilsberechtigten erfordert aber (wie auch oben unter Punkt 2.5. dargelegt wurde), dass die unbefristete Anrechnungspflicht für Schenkungen an pflichtteilsberechtige Personen davon abhängig ist, ob ein Geschenknehmer im Todeszeitpunkt des Erblassers tatsächlich pflichtteilsberechtigt ist. Im Hinblick darauf, dass nur konkret Pflichtteilsberechtigte anrechnungsberechtigt sind, wird dadurch nämlich vermieden, dass Pflichtteilsberechtigte bloß zur Zahlung bzw. zur Herausgabe einer Schenkung verpflichtet werden, jedoch selbst nicht die Anrechnung oder Herausgabe von Schenkungen begehren können ( Welser in FS Kralik, 589). Insofern wird zwar der Grundgedanke der 'familia suspecta' zugunsten des Ziels des Ausgleichs unter den Pflichtteilsberechtigten eingeschränkt (vgl. ). Eine solche Wertung liegt aber im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung. Daran ändert auch nichts, dass – wie der Antragsteller ohne nähere Nachweise behauptet – mit der gestiegenen Lebenserwartung die Anzahl der Umgehungsversuche durch Vermögensübertragungen an die übernächste Generation zugenommen hätte, gilt doch die Einschränkung der Anrechnungspflicht auf konkret Pflichtteilsberechtigte von vornherein nicht, wenn Schenkungen rechtsmissbräuchlich erfolgt sind (RIS-Justiz RS0037904).

3.3.3. Auch mit dem Vorbringen, dass die Anrechnungspflicht einer Schenkung bei dieser Auslegung alleine 'vom zufälligen Umstand' abhänge, ob der vom Erblasser abstammende Elternteil noch lebt, vermag der Antragsteller keine Unsachlichkeit der angefochtenen Regelung aufzuzeigen. Vielmehr ist die Erbfolge allgemein durch Zufälligkeiten bedingt. Welche Person zur Erbfolge berufen ist, hängt – sowohl bei gewillkürter als auch bei gesetzlicher Erbfolge – vom Zufall ab, welche Personen den Erbfall, also den Tod der verstorbenen Person, (noch) erleben. So kommt etwa dem Prinzip der Repräsentation folgend im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge ein Enkelkind nach § 733 ABGB immer erst dann zum Zug, wenn die Eltern vorverstorben sind (oder aufgrund anderer Umstände nicht an das Erbteil gelangen können). Auch die angefochtene Regelung folgt diesem Grundsatz.

3.3.4. Entgegen der Auffassung des Antragstellers widerspricht die angefochtene Bestimmung auch nicht dem erbrechtlichen Prinzip der Teilung nach Stämmen. Dieses Prinzip besteht darin, dass alle Angehörigen eines Stammes zusammen das erben, was ihrem Vorfahren zugefallen wäre (§§733 ff. ABGB; Welser/Zöchling-Jud , Bürgerliches Recht II 14 Rz 1927; Eccher , Bürgerliches Recht, Erbrecht 5 32). Maßgeblich ist danach somit allein, dass sämtliche Kinder im Sinne von Verwandten ersten Grades (d.h. der gleichen Generation) der verstorbenen Person gleich behandelt werden. Dieses Prinzip wird nach Auffassung der Bundesregierung durch § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB gewahrt. Dass eine Schenkung an ein Enkelkind bei der Anrechnung auf den Pflichtteil wie eine Schenkung an dritte Personen zu werten ist, sofern der vermittelnde Vorfahre noch lebt, ist insoweit systemkonform."

3. Die beteiligte Partei hat eine Äußerung erstattet, in der sie beantragt, den "Individualantrag" des Antragstellers zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.

4. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien hat die Prozessakten mit dem Hinweis, dass die Berufung des Antragstellers rechtzeitig ist, vorgelegt.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

Nach § 62a Abs 1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist sohin – entsprechend der Formulierung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", also eines Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz. Außerdem muss der Parteiantrag gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG "aus Anlass" der Erhebung eines Rechtsmittels gestellt werden.

1.2. Der Antragsteller wendet sich gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , 16 Cg 5/13t-76, zugestellt am . Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat der Antragsteller dadurch Rechnung getragen, dass er den vorliegenden Parteiantrag und die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil innerhalb der Rechtsmittelfrist am erhoben und eingebracht hat.

1.3. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der angefochtenen Gesetzesbestimmung zweifeln ließe. Auch von Seiten der Bundesregierung wurden keine Einwände gegen die Zulässigkeit des Antrages erhoben. Das von der beteiligten Partei eingewandte Prozesshindernis liegt nicht vor. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

Der Antrag ist nicht begründet.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot:

2.2.1. Das im Art 18 Abs 1 B VG

verankerte Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass Gesetze einen Inhalt haben müssen, durch den das Verhalten der Behörde oder des Gerichts vorherbestimmt ist. Dass der Gesetzgeber bei der Beschreibung und Formulierung dieser Kriterien unbestimmte Gesetzesbegriffe verwendet, dadurch zwangsläufig Unschärfen in Kauf nimmt und von einer exakten Determinierung des Behördenhandelns Abstand nimmt, kann im Hinblick auf den Regelungsgegenstand erforderlich sein, steht aber grundsätzlich in Einklang mit Art 18 Abs 1 B VG (vgl. die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum "differenzierten Legalitätsprinzip", VfSlg 13.785/1994 mwN).

2.2.2. Ob eine gesetzliche Vorschrift dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot gem. Art 18 B VG entspricht, richtet sich nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach der Entstehungsgeschichte, dem Inhalt und dem Zweck der Regelung. Bei der Ermittlung des Inhalts einer gesetzlichen Regelung sind daher alle der Auslegung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Eine Regelung verletzt die in Art 18 B VG enthaltenen rechtsstaatlichen Erfordernisse dann, wenn nach Heranziehung sämtlicher Interpretationsmethoden nicht beurteilt werden kann, wozu das Gesetz ermächtigt (VfSlg 16.137/2001).

2.2.3. Der Antragsteller macht zusammengefasst unter Hinweis auf unterschiedliche Literaturmeinungen, faktische Vertragsgestaltungen zur Immunisierung von Schenkungen gegen Anfechtungen anderer Noterben und das Erkenntnis VfSlg 12.420/1990 im Wesentlichen geltend, dass die Heranziehung von Rechtsinstituten, die von subjektiven Voraussetzungen abhängen, gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoße.

2.2.4. Zweck der Schenkungsanrechnung nach § 785 ABGB ist es, bestimmte Minderungen des Pflichtteils bzw. Umgehungen des Pflichtteilsrechts durch Schenkungen des Erblassers vor dessen Tod zu verhindern. Diesen Zweck versucht der Gesetzgeber dadurch zu erreichen, dass er eine Verkürzungsabsicht bei Personen aus dem engsten Familienkreis annimmt ("familia suspecta") und überdies einen vermögensmäßigen Ausgleich unter den Pflichtteilsberechtigten anstrebt, wobei er eine Reziprozität des Ausgleichs anordnet (vgl. bereits 78 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses XXI. Session 1912, 116).

2.2.5. Da die Regelung sowohl der Verkürzungsabsicht innerhalb des engsten Familienkreises entgegenwirken soll als auch auf den Ausgleich innerhalb der pflichtteilsberechtigten Personen gerichtet ist, muss jede pflichtteilsberechtigte Person (auch früher als in den letzten zwei Jahren vor dem Tod des Erblassers) erhaltene Schenkungen gegen sich gelten lassen, ebenso wie umgekehrt jede pflichtteilsberechtigte Person von der Anrechnung einer Schenkung an einen anderen Pflichtteilsberechtigten Vorteile erwirken kann.

2.2.6. Unter Berücksichtigung von Entstehungsgeschichte und Zweck der Regelung erweist sich der Begriff der "pflichtteilsberechtigten Personen" in § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB nicht als in verfassungswidriger Weise unbestimmt. Der Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen kann aus den Vorschriften der §§762 und 763 ABGB abgeleitet werden.

2.2.7. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sind nur Schenkungen an jene Personen von der unbefristeten Schenkungsanrechnung des § 785 Abs 3 ABGB erfasst, die im Schenkungszeitpunkt abstrakt () und auch tatsächlich im Zeitpunkt des Todes – konkret – pflichtteilsberechtigt sind (; ).

2.2.8. Auf Grund der im ABGB enthaltenen Determinanten ist die angefochtene Regelung mit den herkömmlichen Interpretationsmethoden einer Auslegung zugänglich. Dies zeigt die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Der im Antrag hervorgehobene Umstand, dass in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Lehrmeinungen, die zum Teil auch auf unterschiedlichen Vorstellungen über die Zweckmäßigkeit der Auslegung der gesetzlichen Regelung beruhen, vertreten werden, macht die angefochtene Regelung nicht unbestimmt. Sie verstößt daher nicht gegen das Bestimmtheitsgebot für Gesetze nach Art 18 B VG.

2.3. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Sachlichkeitsgebot des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes:

2.3.1. Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s. etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s. etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002). Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (zB VfSlg 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003).

2.3.2. Der Gesetzgeber kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wohl von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen (vgl. zB VfSlg 14.841/1997, 16.124/2001 und 16.771/2002); dass dabei Härtefälle entstehen, macht das Gesetz nicht gleichheitswidrig (zB VfSlg 11.615/1988, 14.841/1997); ebenso wenig können daher Einzelfälle einer Begünstigung die am Durchschnitt orientierte Regelung unsachlich machen (VfSlg 8871/1980).

2.3.3. § 785 Abs 3 letzter Satz ABGB sieht vor, dass Schenkungen an nicht pflichtteilsberechtigte Personen, die früher als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers gemacht wurden, bei der Anrechnung auf den Pflichtteil unberücksichtigt bleiben. Daraus folgt, dass Schenkungen an pflichtteilsberechtigte Personen grundsätzlich unbefristet zu berücksichtigen sind.

2.3.4. Der Antragsteller bringt auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass diese Regelung unsachlich sei, weil – wie im Sachverhalt zum Ausgangsverfahren – Schenkungen an Kinder von Pflichtteilsberechtigten (im Anlassfall an ein Enkelkind) unberücksichtigt blieben. Dies führe zu einer systemwidrigen und unsachlichen pflichtteilsrechtlichen Behandlung von Enkelkinderschenkungen, welche an Bedeutung zugenommen hätten, weil Vermögen immer häufiger an die übernächste Generation übertragen würde.

2.3.5. Mit der in der angefochtenen Bestimmung enthaltenen Regelung folgt der Gesetzgeber jener Überlegung, welche bereits bei der Einführung der Differenzierung zwischen pflichtteilsberechtigten und nicht pflichtteilsberechtigten Personen als Geschenknehmern im Rahmen der dritten Teilnovelle zum ABGB zu-grunde lag. Die Begründung für eine zeitliche Schranke hinsichtlich nicht pflichtteilsberechtigter Personen wurde und wird darin gesehen, "dass die kritische Zeit für Umgehungen des Noterbenrechts hauptsächlich nur die letzte Zeit vor dem Tode des Erblassers ist" (78 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses XXI. Session 1912, 116). Anderes gilt hingegen, wenn der Ge-schenknehmer ein Pflichtteilsberechtigter ist. In diesem Fall empfehle sich eine Ausnahme. Denn wo "sich mehrere Noterben gegenüber stehen, würde sich sonst eine kaum zu rechtfertigende Ungleichheit ergeben […], falls der eine etwas früher, der andere etwas später als zwei Jahre vor dem Tode des Erblassers Begünstigungen empfangen hätte" (78 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses XXI. Session 1912, 116). Mit dieser Differenzierung nimmt der Gesetzgeber den Kreis jener Familienangehörigen von der Nichtanrechnung ab einem gewissen Zeitpunkt vor dem Tod des Erblassers aus (nämlich die pflichtteilsberechtigten Personen), von denen er davon ausgeht, dass eine erhöhte Gefahr der Umgehung und in der Folge der Verkürzung bis hin zur Vernichtung von Pflichtteilsansprüchen besteht (vgl. auch ).

2.3.6. Damit trägt der Gesetzgeber dem Gedanken der "familia suspecta" Rechnung. Allerdings wird von der Rechtsprechung gefordert, dass die unbefristete Pflicht zur Anrechnung von Schenkungen an pflichtteilsberechtigte Personen davon abhängig ist, dass ein Geschenknehmer im Todeszeitpunkt des Erblassers tatsächlich (und damit konkret) pflichtteilsberechtigt war. Wie der Oberste Gerichtshof festgehalten hat, gibt nicht der Gedanke der "familia suspecta" als rechtspolitisch verständlicher Sinn der Vorschrift des § 785 Abs 3 ABGB den Ausschlag, sondern im Widerstreit der Interessen hat der Ausgleichsgedanke so starkes Gewicht, dass für die Anrechnungsverpflichtung die konkrete Pflichtteilsberechtigung beim Erbanfall, also zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers maßgeblich ist (; vgl. auch ; ).

2.3.7. Dadurch, dass nur ein konkret Pflichtteilsberechtigter eine Anrechnung verlangen kann, wird vermieden, dass Pflichtteilsberechtigte bloß zur Zahlung verpflichtet werden (gegebenenfalls auch zur Herausgabe einer geschenkten Sache), selbst jedoch nicht die Anrechnung einer Zahlung begehren können. Das bedeutet im Ergebnis, dass der Grundgedanke der "familia suspecta" eingeschränkt und dem Ziel eines Ausgleichs unter den Pflichtteilsberechtigten ein Vorrang eingeräumt wird.

2.3.8. Der Gesetzgeber hat mit dieser im ABGB einfachgesetzlich verankerten Regelung einerseits die Interessen des Erblassers berücksichtigt, andererseits sowohl dem Grundgedanken der "familia suspecta" als auch dem Gedanken des vermögensmäßigen Ausgleichs unter den Pflichtteilsberechtigten Rechnung getragen. Hinsichtlich des Ausmaßes, in dem dem einen oder dem anderen Gedanken ein Vorrang eingeräumt wird, verfügt der Gesetzgeber über einen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum. Auch in Bezug auf die Frage, welche Voraussetzungen im Schenkungszeitpunkt und welche Voraussetzungen im Zeitpunkt des Todes des Erblassers vorliegen müssen, ist ein Spielraum des Gesetzgebers gegeben, solange er, insgesamt gesehen, sachliche Anknüpfungspunkte für seine Regelungen wählt und nicht Widersprüche zu erbrechtlichen Grundsätzen erzeugt, die sachlich nicht gerechtfertigt sind.

2.3.9. Unsachlich ist es insbesondere nicht, wenn die Anrechnung einer Schenkung von der Reihenfolge des Ablebens von (potenziell) Erb- und Pflichtteilsberechtigten abhängt. Es liegt im Wesen des Erbrechts (und ist in diesem Sinn keine "Zufälligkeit", an die der Gesetzgeber nicht anknüpfen dürfte), dass sich die konkrete Erbfolge und damit auch verschiedene erbrechtliche Rechtsfolgen nach der Reihenfolge des Ablebens bestimmen.

. Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers widerspricht die angefochtene Bestimmung auch nicht dem erbrechtlichen Prinzip der Teilung nach Stämmen (Parentelen), wonach alle Angehörigen eines Stammes zusammen das erben, was ihrem Vorfahren zugefallen wäre. Damit werden alle Verwandten ersten Grades eines Erblassers gleich behandelt. Dass nach der angefochtenen Bestimmung eine Schenkung an einen Verwandten zweiten Grades (zB Enkelkind) dann unberücksichtigt bleibt, wenn der erbberechtige Verwandte ersten Grades (Vater oder Mutter des Geschenknehmers) noch lebt, widerspricht nicht dem Prinzip der Teilung nach Stämmen.

. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu erkennen, inwieweit eine Differenzierung hinsichtlich der Anrechnung von Schenkungen vor dem zweiten Jahr vor dem Tod des Erblassers eine unsachliche Ungleichbehandlung von pflichtteilsberechtigten Personen einerseits und nicht pflichtteilsberechtigten Empfängern von Schenkungen durch den Erblasser andererseits zur Folge hat.

V. Ergebnis

1. Die vom Antragsteller geltend gemachten Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die begehrten Kosten sind nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines Antrages nach Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG Sache des zuständigen ordentlichen Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (vgl. ).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:G572.2015