TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 09.10.2002, g136/02

VfGH vom 09.10.2002, g136/02

Sammlungsnummer

16679

Leitsatz

Aufhebung einer neueren Fassung der Strafbestimmung im Kommunalsteuergesetz bei Zahlungsverzug unter Hinweis auf die Vorjudikatur zur Stammfassung; keine unzulässige Berichtigung der Prüfungsanträge durch Anführung der - lediglich den Ersatz der Schillingbeträge durch Euro beinhaltenden - Neufassung

Spruch

§ 15 des Bundesgesetzes, mit dem eine Kommunalsteuer erhoben wird (Kommunalsteuergesetz 1993 - KommStG 1993), BGBl. Nr. 819, in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2001, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die als verfassungswidrig aufgehobene Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Beim UVS Wien sind Verwaltungsstrafverfahren anhängig, in welchen seitens des Magistrats der Stadt Wien den Berufungswerbern die Verkürzung der Kommunalsteuer in näher bezeichnetem Umfang vorgeworfen und in Anwendung des § 15 Kommunalsteuergesetz 1993 (im folgenden: KommStG 1993), BGBl. 819, in der Fassung BGBl. I 144/2001, Geldstrafen verhängt wurden.

Aus Anlaß dieser Strafverfahren stellte der UVS Wien gemäß Art 140 Abs 1 iVm Art 129a Abs 3 und Art 89 B-VG Anträge an den Verfassungsgerichtshof (hg. protokolliert zu G136/02, G144/02, G146/02, G147/02, G159/02, G162/02, G166/02, G173/02, G190/02, G193/02, G198/02, G200/02, G206/02 und G207/02), § 15 KommStG 1993 in der Stammfassung (BGBl. 819/1993) als verfassungswidrig aufzuheben. Mit Schriftsätzen vom , bzw. vom berichtigte der UVS Wien diese Anträge dahingehend, daß § 15 KommStG 1993, BGBl. 819 in der Fassung BGBl. I 144/2001 als verfassungswidrig aufzuheben sei.

In den übrigen vom UVS Wien gestellten Anträgen (hg. protokolliert zu G249/02, G250/02, G256/02, G257/02, G280/02 bis G285/02) wurde sogleich begehrt, § 15 KommStG 1993, BGBl. 819 in der Fassung BGBl. I 144/2001 als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Die Bundesregierung erstattete aufgrund ihrer Beschlüsse vom bzw. vom zu den hg. Verfahren G136/02, G144/02, G146/02, G147/02, G159/02, G162/02, G166/02, G173/02, G198/02 und G200/02 eine Äußerung, in der sie beantragt, die Anträge als unzulässig zurückzuweisen.

In Anbetracht des hg. Erkenntnisses vom , G110, 111/02 u.a. Zlen., sah die Bundesregierung mit Beschluß vom von der Erstattung einer Stellungnahme in den hg. Verfahren G190/02, G193/02, G206/02 und G207/02 ab und beantragte lediglich, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um mit den Ländern Einvernehmen über die künftige Gestaltung der Straftatbestände herstellen zu können. In den übrigen Verfahren (hg. protokolliert zu G249/02, G250/02, G256/02, G257/02 sowie G280/02 bis G285/02) verweist die Bundesregierung auf diese Äußerung.

2. Zur Rechtslage:

2.1. Der mit "Strafbestimmungen" überschriebene § 15 KommStG 1993 qualifiziert die nicht fristgerechte Entrichtung der Kommunalsteuer sowie alle Handlungen oder Unterlassungen, durch welche die Kommunalsteuer verkürzt wird, als Verwaltungsübertretungen. Er hatte in der Stammfassung (BGBl. 819/1993) folgenden Wortlaut:

"(1) Handlungen oder Unterlassungen, durch welche die Kommunalsteuer verkürzt wird, sind als Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafe bis zum Zweifachen des verkürzten Betrages, höchstens aber mit 800 000 S, zu bestrafen; für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe ist eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen festzusetzen.

(2) Wer die Kommunalsteuer nicht bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit entrichtet oder die Steuererklärung nicht termingemäß einreicht, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist, soweit die Tat nicht nach Abs 1 zu bestrafen ist, mit Geldstrafen bis zu 6 000 S zu bestrafen; für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe ist eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen festzusetzen.

(3) Die Ahndung der Verwaltungsübertretungen richtet sich nach dem Verwaltungsstrafgesetz 1991."

Mit Erkenntnis vom , G110, 111/02 u.a. Zlen., sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß § 15 KommStG 1993 in dieser Fassung verfassungswidrig war.

2.2. Durch ArtIV des Abgabenänderungsgesetzes 2001, BGBl. I 144, wurden die in § 15 KommStG 1993 vorgesehenen Schillingbeträge durch (geringfügig abgerundete) Eurobeträge ersetzt; § 15 KommStG 1993 hat nunmehr folgenden Wortlaut:

"(1) Handlungen oder Unterlassungen, durch welche die Kommunalsteuer verkürzt wird, sind als Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafe bis zum Zweifachen des verkürzten Betrages, höchstens aber mit 58.135 Euro, zu bestrafen; für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe ist eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen festzusetzen.

(2) Wer die Kommunalsteuer nicht bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit entrichtet oder die Steuererklärung nicht termingemäß einreicht, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist, soweit die Tat nicht nach Abs 1 zu bestrafen ist, mit Geldstrafen bis zu 435 Euro zu bestrafen; für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe ist eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen festzusetzen.

(3) Die Ahndung der Verwaltungsübertretungen richtet sich nach dem Verwaltungsstrafgesetz 1991."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat die Gesetzesprüfungsverfahren in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.

III. Zur Zulässigkeit der Gesetzesprüfungsverfahren:

1. In ihrer Äußerung vom (zu G159/02, G162/02 und G166/02) bzw. vom (zu G136/02, G144/02, G146/02, G147/02, G173/02, G198/02 und G200/02) vertritt die Bundesregierung zur Frage der Prozeßvoraussetzungen - im Ergebnis - die Auffassung, daß der antragstellende UVS mit seinen Anträgen, da diese sich auf § 15 KommStG 1993 in der Fassung BGBl. 819/1993 bezogen hätten, eine im Anlaßfall nicht präjudizielle Gesetzesbestimmung angefochten habe und die (jeweiligen) Berichtigungen unzulässig seien.

Bei den berichtigten Anträgen des UVS Wien handle es sich um eine Ausweitung des Anfechtungsumfanges bzw. einen Austausch des Prüfungsgegenstandes, da die zunächst angefochtene Regelung des § 15 KommStG 1993 in der Fassung BGBl. 819/1993 nunmehr in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I 144/2001 angefochten werde. Da sich der Gegenstand des Anfechtungsantrages geändert habe, liege nunmehr ein neuer Anfechtungsgegenstand vor. In diesem Stadium des Verfahrens sei aber eine solche "Ausweitung" des Antrages nicht mehr zulässig, da der Prüfungsgegenstand durch das ursprüngliche Antragsbegehren festgelegt sei und danach nicht mehr ausgetauscht werden könne; die Bundesregierung verweist in diesem Zusammenhang auf die hg. Entscheidungen VfSlg. 13.794/1994 und VfSlg. 6998/1973. Für die beabsichtigte Berichtigung des ursprünglichen Antrages und den damit bewirkten Austausch des Prüfungsgegenstandes bestehe - nach Ansicht der Bundesregierung - keine gesetzliche Grundlage.

Wörtlich führt die Bundesregierung überdies noch folgendes aus:

"Nach Auffassung der Bundesregierung verbietet sich aber auch eine Auslegung des (berichtigten) Antrages des antragstellenden UVS dahingehend, dass diesbezüglich von der Einbringung eines neuerlichen Antrages zur Anfechtung des § 15 Kommunalsteuergesetz 1993, BGBl. 819, nunmehr in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 144/2001, auszugehen sei. Dies schon deshalb, weil dieser Antrag sowohl ein Aufhebungsbegehren als auch die Darlegung der gegen die angefochtene Bestimmung sprechenden Bedenken zur Gänze vermissen lässt."

2. Dem ist folgendes zu entgegnen:

2.1. Vorweg sieht sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung lediglich in den Verfahren G136/02, G144/02, G146/02, G147/02, G159/02, G162/02, G166/02, G173/02, G198/02 und G200/02 die Zurückweisung der Anträge begehrt, obwohl die zu G190/02, G193/02, G206/02 und G207/02 protokollierten Anträge ebenfalls - nahezu wortgleich - berichtigt wurden.

2.2. Im übrigen vermag der Verfassungsgerichtshof dem Argument der Bundesregierung, der UVS Wien habe - durch die "Berichtigung" der ursprünglichen Anträge - einen unzulässigen Austausch des Prüfungsgegenstandes bewirkt, nicht zu folgen:

Der UVS Wien hatte - dies ergibt sich sowohl aus den Anträgen als auch aus den vom UVS Wien jeweils vorgelegten Verwaltungsakten - § 15 KommStG 1993 in der Fassung BGBl. I 144/2001 anzuwenden, die sich von der von ihm angefochtenen Fassung lediglich dadurch unterscheidet, daß die dort früher ausgewiesenen Schillingbeträge durch (abgerundete) Eurobeträge ersetzt wurden. Da er dies in den hg. Verfahren G136/02, G144/02, G146/02, G147/02, G159/02, G162/02, G166/02, G173/02, G190/02, G193/02, G198/02, G200/02, G206/02 und G207/02 vorerst übersehen hat, wurden die diesbezüglichen Anträge dahingehend berichtigt. Daß derartige Berichtigungen noch vor Beginn der Beratungen im Gesetzesprüfungsverfahren unzulässig sein sollten, vermag die Bundesregierung nicht darzutun; solches wurde von ihr im übrigen in vergleichbaren Fällen bisher nicht vorgebracht (vgl. z.B. das hg. Verfahren G109/00).

Insofern sich die Bundesregierung auf die hg. Entscheidung VfSlg. 13.794/1994 stützt, ist ihr zu entgegnen, daß in diesem Verfahren keine Berichtigung des (Individual)Antrages vorgenommen wurde, sondern vielmehr vom Antragsteller die Auffassung vertreten wurde, daß der Derogation des Salzburger Jagdgesetzes 1977 durch das Salzburger Jagdgesetz 1993 im Gesetzesprüfungsverfahren, welches § 70 des Salzburger Jagdgesetzes 1977 betraf, keinerlei Bedeutung zukäme, weil sich das "verfolgte Anliegen" nicht geändert habe. In der Entscheidung VfSlg. 6998/1973 hingegen ging es um den - ebenfalls nicht vergleichbaren - Fall einer Ausweitung des Anfechtungsumfanges einer Beschwerde im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof.

3. Im übrigen hegt der Verfassungsgerichtshof keinen Zweifel daran, daß der antragstellende UVS Wien bei der Erledigung der bei ihm anhängigen Verwaltungsstrafverfahren, da die erstinstanzlichen Bescheide nach Inkrafttreten der Novelle BGBl. I 144/2001 ergangen sind (vgl. § 1 Abs 2 VStG), § 15 KommStG 1993 in der Fassung dieser Novelle anzuwenden hat.

4. Da auch sonst keine Prozeßhindernisse hervorgekommen sind, sind die Anträge des UVS Wien zulässig.

IV. In der Sache:

1. Die Bedenken des UVS Wien gegen § 15 KommStG 1993 in der Fassung BGBl. I 144/2001 haben sich als gerechtfertigt erwiesen:

1.1. Mit Erkenntnis vom , G110, 111/02 u.a. Zlen., sprach der Verfassungsgerichtshof - wie oben bereits dargelegt - aus, daß § 15 KommStG 1993 in der Fassung BGBl. 819/1993 verfassungswidrig war.

1.2. Da sich die nunmehr vom UVS Wien angefochtene Fassung des § 15 KommStG 1993 (BGBl. I 144/2001) von der im eben zitierten Erkenntnis aufgehobenen Bestimmung - wie bereits erwähnt - lediglich dadurch unterscheidet, daß die in der Stammfassung enthaltenen Schillingbeträge durch abgerundete Eurobeträge ersetzt wurden, genügt es, hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe auf das - eben zitierte - hg. Erkenntnis vom zu verweisen; eine Ausfertigung desselben ist dieser Entscheidung angeschlossen.

2. Die Bedenken des UVS Wien haben sich daher als gerechtfertigt erwiesen, weshalb § 15 KommStG 1993 in der Fassung BGBl. I 144/2001 als verfassungswidrig aufzuheben war.

3. Der Verfassungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, dem Antrag der Bundesregierung zu folgen und eine Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmung festzusetzen. Er geht davon aus, daß die Aufhebung des § 15 KommStG 1993 in der Fassung BGBl. I 144/2001 zur Folge hat, daß bis zu einer allfälligen bundesgesetzlichen Neuregelung - da sich der Anwendungsbereich der einzelnen Abgabenordnungen der Länder durchwegs auch auf die Kommunalsteuer bezieht - die allgemeinen Strafbestimmungen der jeweiligen Landesabgabenordnungen anzuwenden sind.

4. Der Ausspruch, daß die als verfassungswidrig aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, stützt sich auf Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG.

5. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I erfließt aus Art 140 Abs 5 B-VG.

V. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.