VfGH vom 25.09.2015, G111/2015
Leitsatz
Abweisung bzw Zurückweisung eines Antrags des Bundesfinanzgerichtes auf Aufhebung von Bestimmungen über die Immobilienertragsteuer; keine Verletzung des Vertrauensschutzes durch Ausdehnung der Ertragsteuerpflicht auf die Veräußerung auch der am nicht steuerverfangenen, privaten Grundstücke; keine Rückwirkung
Spruch
I. Soweit sich der Antrag gegen die Wortfolge "aus privaten Grundstücksveräußerungen (§30) und" in § 29 Z 2 EStG 1988 sowie gegen die §§30 und 30a EStG 1988 richtet, wird er abgewiesen.
II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art 140 Abs 1 Z 1 lita B VG gestützten Antrag begehrt das Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch), die Wortfolge "aus privaten Grundstücksveräußerungen (§30) und" in § 29 Z 2 EStG 1988 sowie die §§30, 30a, 30b und 30c EStG 1988 idF BGBl I 22/2012 (1. Stabilitätsgesetz 2012) als verfassungswidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
1. Der mit dem vorliegenden Antrag zum Teil angefochtene § 29 EStG 1988 (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben) sowie die zur Gänze angefochtenen §§30, 30a, 30b und 30c EStG 1988, die durch das mit in Kraft getretene 1. Stabilitätsgesetz 2012 (BGBl I 22/2012) novelliert bzw. in das Einkommensteuergesetz eingefügt wurden, lauten wie folgt:
"Sonstige Einkünfte (§2 Abs 3 Z 7)
§29. Sonstige Einkünfte sind nur:
1. Wiederkehrende Bezüge, soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs 3 Z 1 bis 6 gehören. Bezüge, die
– freiwillig oder
– an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person oder
– als Leistung aus einer Pensionszusatzversicherung (§108b) gewährt werden, soweit für die Beiträge eine Prämie nach § 108a oder – gegebenenfalls vor einer Verfügung im Sinne des § 108i Z 3 – eine Prämie nach § 108g in Anspruch genommen worden ist, oder es sich um Bezüge handelt, die auf Grund einer Überweisung einer BV-Kasse (§17 BMSVG oder gleichartige österreichische Rechtsvorschriften) geleistet werden,
sind nicht steuerpflichtig. Werden die wiederkehrenden Bezüge als angemessene Gegenleistung für die Übertragung von Wirtschaftsgütern geleistet, gilt folgendes: Die wiederkehrenden Bezüge sowie gänzliche oder teilweise Abfindungen derselben sind nur insoweit steuerpflichtig, als die Summe der vereinnahmten Beträge (Renten, dauernde Lasten, gänzliche oder teilweise Abfindungen derselben sowie allfällige Einmalzahlungen) den Wert der Gegenleistung übersteigt. Besteht die Gegenleistung nicht in Geld, ist als Gegenwert der kapitalisierte Wert der wiederkehrenden Bezüge (§§15 und 16 des Bewertungsgesetzes) zuzüglich allfälliger Einmalzahlungen anzusetzen. Stellt ein aus Anlaß der Übertragung eines Betriebes, Teilbetriebes oder Mitunternehmeranteils vereinbarter wiederkehrender Bezug keine angemessene Gegenleistung für die Übertragung dar, sind die Renten oder dauernden Lasten nur dann steuerpflichtig, wenn
– sie keine Betriebseinnahmen darstellen und
– sie keine derart unangemessen hohen wiederkehrenden Bezüge darstellen, daß der Zusammenhang zwischen Übertragung und Vereinbarung der wiederkehrenden Bezüge wirtschaftlich bedeutungslos ist und damit eine freiwillige Zuwendung (§20 Abs 1 Z 4 erster Satz) vorliegt.
2. Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen (§30) und aus Spekulationsgeschäften (§31).
3. Einkünfte aus Leistungen, wie insbesondere Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten (§2 Abs 3 Z 1 bis 6) noch zu den Einkünften im Sinne der Z 1, 2 oder 4 gehören. Solche Einkünfte sind nicht steuerpflichtig, wenn sie im Kalenderjahr höchstens 220 Euro betragen. Übersteigen die Werbungskosten die Einnahmen, so darf der übersteigende Betrag bei der Ermittlung des Einkommens nicht ausgeglichen werden (§2 Abs 2).
4. Funktionsgebühren der Funktionäre von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, soweit sie nicht unter § 25 fallen.
Private Grundstücksveräußerungen
§30. (1) Private Grundstücksveräußerungen sind Veräußerungsgeschäfte von Grundstücken, soweit sie keinem Betriebsvermögen angehören. Der Begriff des Grundstückes umfasst Grund und Boden, Gebäude und Rechte, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen. Bei unentgeltlich erworbenen Grundstücken ist auf den Anschaffungszeitpunkt des Rechtsvorgängers abzustellen. Bei Tauschvorgängen ist § 6 Z 14 sinngemäß anzuwenden.
(2) Von der Besteuerung ausgenommen sind die Einkünfte:
1. Aus der Veräußerung von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen samt Grund und Boden (§18 Abs 1 Z 3 litb), wenn sie dem Veräußerer
a) ab der Anschaffung bis zur Veräußerung für mindestens zwei Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben und der Hauptwohnsitz aufgegeben wird oder
b) innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung mindestens fünf Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben und der Hauptwohnsitz aufgegeben wird.
2. Aus der Veräußerung von selbst hergestellten Gebäuden, soweit sie innerhalb der letzten zehn Jahre nicht zur Erzielung von Einkünften gedient haben.
3. Aus der Veräußerung von Grundstücken infolge eines behördlichen Eingriffs oder zur Vermeidung eines solchen nachweisbar unmittelbar drohenden Eingriffs.
4. Aus Tauschvorgängen von Grundstücken im Rahmen eines Zusammenlegungs- oder Flurbereinigungsverfahrens im Sinne des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes 1951, BGBl Nr 103/1951, sowie im Rahmen behördlicher Maßnahmen zur besseren Gestaltung von Bauland, insbesondere nach den für die bessere Gestaltung von Bauland geltenden Vorschriften. Das in solchen Verfahren erworbene Grundstück tritt hinsichtlich aller für die Ermittlung der Einkünfte relevanter Umstände an die Stelle des hingegebenen Grundstückes.
(3) Als Einkünfte ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Veräußerungserlös und den Anschaffungskosten anzusetzen. Die Anschaffungskosten sind um Herstellungsaufwendungen und Instandsetzungsaufwendungen zu erhöhen, soweit diese nicht bei der Ermittlung von Einkünften zu berücksichtigen waren. Die Anschaffungskosten sind um Absetzungen für Abnutzungen, soweit diese bei der Ermittlung von Einkünften abgezogen worden sind, sowie um die in § 28 Abs 6 genannten steuerfreien Beträge zu vermindern. Müssen Grundstücksteile im Zuge einer Änderung der Widmung auf Grund gesetzlicher Vorgaben an die Gemeinde übertragen werden, sind die Anschaffungskosten der verbleibenden Grundstücksteile um die Anschaffungskosten der übertragenen Grundstücksteile zu erhöhen.
Die Einkünfte sind zu vermindern um
- die für die Mitteilung oder Selbstberechnung gemäß § 30c anfallenden Kosten und um anlässlich der Veräußerung entstehende Minderbeträge aus Vorsteuerberichtungen gemäß § 6 Z 12;
- 2% jährlich ab dem elften Jahr nach dem Zeitpunkt der Anschaffung oder späteren Umwidmung, höchstens jedoch um 50% (Inflationsabschlag); dies gilt nicht, soweit der besondere Steuersatz gemäß § 30a Abs 4 nicht anwendbar ist.
(4) Soweit Grundstücke am nicht steuerverfangen waren, sind als Einkünfte anzusetzen:
1. Im Falle einer Umwidmung des Grundstückes nach dem der Unterschiedsbetrag zwischen dem Veräußerungserlös und den mit 40% des Veräußerungserlöses anzusetzenden Anschaffungskosten. Als Umwidmung gilt eine Änderung der Widmung, die nach dem letzten entgeltlichen Erwerb stattgefunden hat und die erstmals eine Bebauung ermöglicht, die in ihrem Umfang im Wesentlichen der Widmung als Bauland oder Baufläche im Sinne der Landesgesetze auf dem Gebiet der Raumordnung entspricht. Dies gilt auch für eine spätere Umwidmung in engem zeitlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Veräußerung.
2. In allen übrigen Fällen der Unterschiedsbetrag zwischen dem Veräußerungserlös und den mit 86% des Veräußerungserlöses anzusetzenden Anschaffungskosten.
(5) Auf Antrag können die Einkünfte statt nach Abs 4 auch nach Abs 3 ermittelt werden.
(6) Für die Anwendung des Abs 4 gilt Folgendes:
a) (Anm.: Tritt mit in Kraft)
b) Werden gemäß § 4 Abs 10 Z 3 lita in der Fassung vor dem 1. Stabilitätsgesetz, BGBl I Nr 22/2012, auf- oder abgewertete Grundstücke entnommen, gilt bei deren Veräußerung § 4 Abs 3a Z 3 litc sinngemäß.
(7) Führen die privaten Grundstücksveräußerungen in einem Kalenderjahr insgesamt zu einem Verlust, ist dieser nicht ausgleichsfähig (§2 Abs 2); dies gilt auch im Falle der Regelbesteuerungsoption (§30a Abs 2).
(8) Die Einkommensteuer, die auf Grundstücksveräußerungen entfällt, wird im Ausmaß der sonst entstehenden Doppelbelastung der Einkünfte aus Grundstücksveräußerungen auf Antrag ermäßigt oder erlassen, wenn der Steuerpflichtige infolge des Erwerbes der Grundstücke innerhalb der letzten drei Jahre Erbschafts- oder Schenkungssteuer, Grunderwerbsteuer oder Stiftungseingangssteuer entrichtet hat.
Besonderer Steuersatz für Einkünfte aus Grundstücksveräußerungen
§30a. (1) Einkünfte aus der Veräußerung von Grundstücken im Sinne des § 30 unterliegen einem besonderen Steuersatz von 25% und sind bei der Berechnung der Einkommensteuer des Steuerpflichtigen weder beim Gesamtbetrag der Einkünfte noch beim Einkommen (§2 Abs 2) zu berücksichtigen, sofern nicht die Regelbesteuerung (Abs2) anzuwenden ist.
(2) Anstelle des besonderen Steuersatzes von 25% kann auf Antrag der allgemeine Steuertarif angewendet werden (Regelbesteuerungsoption). Die Regelbesteuerungsoption kann nur für sämtliche Einkünfte, die dem besonderen Steuersatz gemäß Abs 1 unterliegen, angewendet werden.
(3) Die Abs 1 und 2 gelten auch für betriebliche Einkünfte aus der Veräußerung, der Zuschreibung oder der Entnahme von Grundstücken. Dies gilt nicht:
1. Wenn das Grundstück dem Umlaufvermögen zuzurechnen ist. Wurde das veräußerte Grundstück in das Betriebsvermögen eingelegt, sind hinsichtlich des Unterschiedsbetrages zwischen dem Teilwert im Einlagezeitpunkt und den niedrigeren Anschaffungs- oder Herstellungskosten Abs 1 und 2 anzuwenden; für Grund und Boden, der zum nicht steuerverfangen war, ist § 30 Abs 4 anzuwenden, wobei an die Stelle des Veräußerungserlöses der Teilwert im Einlagezeitpunkt tritt.
2. Wenn ein Schwerpunkt der betrieblichen Tätigkeit in der gewerblichen Überlassung und Veräußerung von Grundstücken liegt. Z 1 zweiter und dritter Satz gelten entsprechend.
3. Soweit der Buchwert durch eine vor dem vorgenommene Teilwertabschreibung gemindert ist.
4. Soweit stille Reserven übertragen wurden, die vor dem aufgedeckt worden sind.
(4) Die Abs 1 und 2 gelten nicht für Einkünfte, bei denen der Veräußerungserlös in Form einer Rente geleistet wird und diese nach Maßgabe des § 4 Abs 3 oder des § 19 zu Einkünften führt.
Immobilienertragsteuer
§30b (1) Für Einkünfte aus Grundstücksveräußerungen ist im Falle der Selbstberechnung gemäß § 30c Abs 2 eine auf volle Euro abzurundende Steuer in Höhe von 25% der Bemessungsgrundlage zu entrichten (Immobilienertragsteuer). Die Immobilienertragsteuer ist spätestens am 15. Tag des auf den Kalendermonat des Zuflusses zweitfolgenden Kalendermonats zu leisten.
(2) Mit der Entrichtung der selbstberechneten Immobilienertragsteuer durch Parteienvertreter gilt die Einkommensteuer für Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen gemäß § 30 als abgegolten. Dies gilt jedoch nicht, wenn die der Selbstberechnung zugrunde liegenden Angaben des Steuerpflichtigen nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen.
(3) Auf Antrag sind die Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen gemäß § 30, für die eine selbstberechnete Immobilienertragsteuer entrichtet wurde, mit dem besonderen Steuersatz gemäß § 30a zu veranlagen (Veranlagungsoption). Dabei ist die Immobilienertragsteuer auf die zu erhebende Einkommensteuer anzurechnen und mit dem übersteigenden Betrag zu erstatten.
(4) Wird außer in den Fällen des § 30c Abs 4 erster und dritter Teilstrich keine Immobilienertragsteuer entrichtet, ist vom Steuerpflichtigen eine auf volle Euro abzurundende besondere Vorauszahlung in Höhe von 25% der Bemessungsgrundlage zu entrichten. Abs 1 letzter Satz gilt entsprechend.
(5) Abs 1 und 4 gelten auch für betriebliche Einkünfte aus der Veräußerung von Grundstücken, es sei denn, der besondere Steuersatz ist aufgrund des § 30a Abs 3 Z 1 und 2 zumindest teilweise nicht anwendbar.
Mitteilung und Selbstberechnung der Immobilienertragsteuer durch Parteienvertreter
§30c. (1) Im Rahmen einer Abgabenerklärung gemäß § 10 Abs 1 des Grunderwerbsteuergesetzes 1987 ist mitzuteilen, wenn aus dem zugrundeliegenden Erwerbsvorgang Einkünfte gemäß § 2 Abs 3 Z 1 bis 3 oder 7 erzielt werden. Die Mitteilung hat die am Veräußerungsgeschäft beteiligten Parteien unter Angabe ihrer Steuernummer und die Höhe der nach den Angaben des Steuerpflichtigen zu entrichtenden besonderen Vorauszahlung gemäß § 30b Abs 4 zu enthalten.
(2) Parteienvertreter, die eine Selbstberechnung gemäß § 11 des Grunderwerbsteuergesetzes 1987 vornehmen, haben gleichzeitig
1. dem für den Steuerpflichtigen zuständigen Finanzamt mitzuteilen, wenn aus dem zugrundeliegenden Erwerbsvorgang Einkünfte gemäß § 2 Abs 3 Z 1 bis 3 oder 7 erzielt werden, und diesfalls
2. die Immobilienertragsteuer gemäß § 30b Abs 1 auf Grund der Angaben des Steuerpflichtigen selbst zu berechnen. Dabei hat der Steuerpflichtige dem Parteienvertreter die für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage erforderlichen Unterlagen vorzulegen und deren Richtigkeit und Vollständigkeit schriftlich zu bestätigen.
Die Mitteilung gemäß Z 1 hat die am Veräußerungsgeschäft beteiligten Parteien unter Angabe ihrer Steuernummer und die für die Selbstberechnung der Steuer notwendigen Daten zu enthalten.
(3) Die Parteienvertreter haben die selbstberechnete Immobilienertragsteuer gemäß § 30b Abs 1 zu entrichten und haften für deren Entrichtung. Ist die Fälligkeit noch nicht eingetreten, erlischt die Verpflichtung zur Entrichtung nach einem Jahr ab Vornahme der Mitteilung nach Abs 2 Z 1. Zusätzlich haften die Parteienvertreter für die Richtigkeit der Immobilienertragsteuer nur, wenn diese wider besseren Wissens auf Grundlage der Angaben des Steuerpflichtigen berechnet wird.
(4) Die Selbstberechnung der Immobilienertragsteuer gemäß Abs 2 Z 2 kann auch bei Vornahme einer Selbstberechnung gemäß § 11 des Grunderwerbsteuergesetzes 1987 unterbleiben, soweit
– die Einkünfte aus dem Veräußerungsgeschäft nach § 30 Abs 2 befreit sind oder
– der Zufluss voraussichtlich später als ein Jahr nach dem Veräußerungsgeschäft erfolgt oder
– bei der Veräußerung von Grundstücken des Betriebsvermögens, die stillen Reserven gemäß § 12 übertragen oder einer Übertragungsrücklage zugeführt werden.
In diesem Fall ist in der Mitteilung gemäß Abs 2 Z 1 anzugeben, warum die Selbstberechnung unterbleibt."
2. Die Inkrafttretensbestimmung des § 124b EStG 1988 idF BGBl I 22/2012 lautet (auszugsweise) wie folgt:
"§124b. […]
215. §§3 Abs 1 Z 33, 4 Abs 3a, 20 Abs 2, 29 Z 2, 30, 30a, 31 und § 98 Abs 1 Z 7, jeweils in der Fassung des 1. Stabilitätsgesetzes 2012, BGBl I Nr 22/2012, treten mit in Kraft und sind erstmals für Veräußerungen nach dem anzuwenden. Die §§41 Abs 1 Z 10 und 42 Abs 1 Z 5 in der Fassung des 1. Stabilitätsgesetzes 2012, BGBl I Nr 22/2012, sind erstmalig bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 2012 anzuwenden. § 12 Abs 4 in der Fassung des 1. Stabilitätsgesetzes 2012, BGBl I Nr 22/2012, ist erstmals anzuwenden für die Übertragung stiller Reserven auf nach dem anfallende (Teil-) Anschaffungs- oder Herstellungskosten.
[…]
217. §§30b, 30c, § 94 Abs 4 und 102 Abs 1, jeweils in der Fassung des 1. Stabilitätsgesetzes 2012, BGBl I Nr 22/2012, sind für Veräußerungen nach dem anzuwenden. § 46 Abs 1 in der Fassung des 1. Stabilitätsgesetzes 2012, BGBl I Nr 22/2012, ist erstmalig bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 2013 anzuwenden.
218. Für Grundstücksveräußerungen nach dem und vor dem können Parteienvertreter, die eine Selbstberechnung gemäß § 11 des Grunderwerbsteuergesetzes vornehmen, einen Betrag in Höhe der Immobilienertragsteuer gemäß § 30b Abs 1 selbst berechnen und entrichten. Mit der Entrichtung gilt unter den Voraussetzungen des § 30b Abs 2 die Einkommen-steuer als abgegolten. In diesem Fall sind die §§30b Abs 3, 30c Abs 2 Z 2 und Abs 3, 41 Abs 1 Z 10, 42 Abs 1 Z 5 und 46 Abs 1 Z 2 sinngemäß anzuwenden."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beschwerdeführerin in dem vor dem Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch) anhängigen Verfahren erwarb im Jahr 1972 im Erbwege eine näher bezeichnete Liegenschaft, die sie mit am unterfertigtem Kaufvertrag veräußerte. Mit Bescheid vom unterzog das Finanzamt Feldkirch erklärungsgemäß 14% des Veräußerungserlöses als Veräußerungsgewinn (§30 Abs 4 Z 2 EStG 1988) mit dem in § 30a Abs 1 EStG 1988 vorgesehenen besonderen Steuersatz von 25% der Einkommensteuer. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch).
2. Hinsichtlich der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen verweist das Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch) auf den Bescheid des Finanzamtes Feldkirch, in dem in Bezug auf die Berechnung der Einkommensteuer wörtlich ausgeführt wird: "Steuer für Einkünfte aus Grundstücksveräußerungen (besonderer Steuersatz von 25%)". Daraus sei zu schließen, dass die angefochtenen Bestimmungen – "vor allem § 29 Z 2, § 30 Abs 4 und § 30a Abs 1 EStG 1988" – vom Finanzamt Feldkirch angewendet worden und somit auch vom Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch) anzuwenden seien.
2.1. Das Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch) legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:
Einleitend hält das Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch) fest, dass es vor dem Hintergrund des Beschwerdefalles – mit Verweis auf die in § 30 Abs 5 EStG 1988 vorgesehene Option – keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die mit dem 1. Stabilitätsgesetz 2012 eingeführte Ertragsbesteuerung privater Grundstücksveräußerungen habe.
"Es hegt jedoch dahingehende Bedenken, dass der Systemwechsel legistisch in einer Art und Weise durchgeführt worden ist, die in zweifacher Hinsicht als unecht bzw faktisch rückwirkende, unvorhersehbare und plötzliche Änderung unter Verletzung der Vertrauensschutzprinzips zu werten ist (vergleichbar der Abschaffung der Firmenwertabschreibung für sog. Altfälle: […]).
Aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz leitet der Verfassungsgerichtshof das verfassungsrechtlich zu beachtende Vertrauensschutzprinzip ab, das die Vertrauenspositionen der Bürger vor überraschenden und nicht vorhersehbaren Rechtsänderungen zu ihren Lasten schützt. Dieses verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Beschwerdeführerin wurde in materiell-rechtlicher Hinsicht durch die übergangslose, gleichsam rückwirkende steuerliche Erfassung an sich nicht mehr steuerverfangener Grundstücke und in formalrechtlicher Hinsicht durch die Eile der Gesetzwerdung an sich, das Fehlen von Übergangsregelungen und die sofortige, somit unterjährige Wirksamkeit mit der Kundmachung des Gesetzes bewirkt."
Die Besteuerung von Altvermögen, dh von zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der angefochtenen Bestimmungen nicht mehr steuerverfangenen Grundstücken, stelle einen völligen Systemwechsel dar, da die Steuerpflicht von privaten Grundstücksveräußerungen mit dem 1. Stabilitätsgesetz 2012 von der Ausnahme zur Regel geworden sei. Rückwirkend belastende Regelungen seien unsachlich und damit gleichheitswidrig, wenn die Normunterworfenen – wie im vorliegenden Fall – durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht würden. Die Anwendung des neuen Regelwerkes führe dazu, dass der Steuerpflichtige durch die Veräußerung eines 40 Jahre zuvor im Erbwege erworbenen Grundstückes unvorhersehbar belastet werde und dieser Belastung erhebliches Gewicht zukomme, da sie eine Verdoppelung der Grunderwerbsteuer darstelle. Der Steuerpflichtige sei bereits seit Jahrzehnten in einer Rechtsposition, nach der die Veräußerung des Grundstückes nicht ertragsteuerpflichtig gewesen sei. Nach der alten, bis geltenden Rechtslage und den bis dahin geltenden Grundsätzen sei eine ertragsteuerpflichtige Veräußerung "unvorstellbar" und "unvorhersehbar" gewesen. Die Besteuerung stelle insoweit eine Enttäuschung des Vertrauens auf die Beibehaltung der alten Rechtslage, allenfalls auf eine Änderung der Rechtslage in angemessenen Fristen bzw. in zumutbaren Stufen dar, zumal die Steuer nicht angefallen wäre, wäre der Kaufvertrag elf Tage früher unterfertigt worden. Ferner seien keine besonderen Umstände erkennbar, die diese Quasi-Rückwirkung verlangten.
Die Veräußerung eines Grundstückes unterscheide sich nach allgemeiner Lebenserfahrung erheblich von anderen Veräußerungsgeschäften. Dem förmlichen Abschluss des Kaufvertrages (durch beglaubigte Unterzeichnung der Vertragsurkunde am ) sei im Ausgangsverfahren eine gewisse Vorbereitungszeit vorausgegangen (Entscheidung zur Veräußerung, Käufersuche, Kaufverhandlungen, faktische Einigung, Errichtung der Vertragsurkunde, förmliche Unterfertigung). Insofern unterziehe das angefochtene Regelwerk über die Immobilienertragsteuer in faktischer Hinsicht rückwirkend einen bereits vor Inkrafttreten des 1. Stabilitätsgesetzes 2012 mit in wesentlichen Teilen abgeschlossenen Veräußerungsvorgang einer neuartigen Steuer. Der Beschwerdeführerin sei keine Zeit für entsprechende Dispositionen verblieben. Im Ergebnis verändere die neue Rechtslage die steuerlichen Konsequenzen der faktisch bereits erfolgten, jedenfalls nicht mehr wirklich beeinflussbaren Veräußerung zum Nachteil der Beschwerdeführerin.
2.2. Zum Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen führt das Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch) unter Verweis auf die vom Verfassungsgerichtshof in seiner ständigen Judikatur zur Zulässigkeit von Gerichtsanträgen aufgestellten Grundsätze (vgl. VfSlg 14.131/1995, 14.308/1995, 15.935/2000) wörtlich aus:
"Beachtet man diese Grundsätze, zeigt sich, dass eine bloße Aufhebung der begünstigenden Regelung des § 30 Abs 4 EStG geradezu kontraproduktiv wäre. Denn dies hätte zur Folge, dass auch bei sogenanntem Altvermögen die Regeleinkünfteermittlung von § 30 Abs 3 EStG 1988 immer (und nicht nur optional) zur Anwendung käme. Würde hingegen nur die Wortfolge ' aus privaten Grundstücksveräußerungen (§30) und ' des § 29 Z 2 EStG und § 30 Abs 1 EStG als verfassungswidrig aufgehoben, wäre zwar die für bedenklich erachtete, geradezu plötzlich erfolgte ertragsteuerliche Erfassung von privaten Grundstücksveräußerungen ausgeschlossen, allerdings bildete der verbleibende, an sich nach Überzeugung des antragstellenden Gerichtes verfassungsrechtlich unbedenkliche Rest des Regelwerks einen legislativen Torso ohne Regelungsinhalt […]. Die Bestimmungen über die Steuerpflicht von privaten Grundstücksveräußerungen (insbesondere §§29 Z 2, 30 Abs 1), die dabei heranzuziehenden Besteuerungsgrundlagen (§30 Abs 3 und 4), den dabei anzuwendenden Steuersatz (§30a), die primär vorgesehene Erhebungsform (§30b) sowie die in diesem Zusammenhang normierten Pflichten von Parteienvertretern können im gegebenen Zusammenhang nicht legistisch sinnvoll von einander getrennt werden. Daraus folgert das BFG: Wurden die gravierenden systematischen Änderungen des EStG 1988 durch die Einführung der Immobilienertragsteuer in verfassungswidriger Weise durchgeführt, dann kann dieser Mangel im vor dem BFG anhängigen Beschwerdefall nur dadurch beseitigt werden, indem das gesamte Regelwerk wegen Verletzung des Vertrauensschutzprinzips als verfassungswidrig aufgehoben wird."
3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie zum einen die Zurückweisung des Antrages begehrt, soweit dieser über § 30 Abs 4 Z 2 EStG 1988 idF BGBl I 22/2012 hinausgeht, und zum anderen den im Antrag erhobenen Bedenken mit näherer Begründung entgegentritt:
3.1. Aus den vom Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch) getroffenen Feststellungen ergebe sich kein Hinweis dafür, dass sich der dem Anlassverfahren zugrunde liegende Sachverhalt (auch) unter § 30 Abs 4 Z 1 EStG 1988 subsumieren ließe; die Z 1 stehe zudem in keinem untrennbaren Zusammenhang zur (präjudiziellen) Z 2. Mit der Anfechtung des § 30 Abs 4 Z 1 EStG 1988 sowie der §§29 Z 2, 30, 30a, 30b und 30c EStG 1988 verkenne das antragstellende Gericht seine Verpflichtung zur engstmöglichen Absteckung des Aufhebungsumfanges. Um die vom Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch) aufgezeigte Verfassungswidrigkeit zu beseitigen, sei es nach Ansicht der Bundesregierung nämlich ausreichend, die Aufhebung auf § 30 Abs 4 Z 2 EStG 1988 zu beschränken. Die vom antragstellenden Gericht getroffene Annahme, dass durch die bloße Aufhebung der Z 2 Altvermögen automatisch unter die Regeleinkünfteermittlung des § 30 Abs 3 EStG 1988 fiele, sei nicht zwingend. Vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung zur Erwägung gestellten Präjudizialitätsüberlegungen ließe sich ebenso die Auffassung vertreten, dass im Falle der Aufhebung des § 30 Abs 4 Z 2 EStG 1988 mit der Z 1 weiterhin eine lex specialis für Altvermögen bestehen bliebe. Altvermögen wäre nur in jenen Fällen steuerlich erfasst, in denen es nach dem zu einer Umwidmung des Grundstückes gekommen sei. Durch einen solcherart beschränkten Aufhebungsumfang würde einerseits die vom antragstellenden Gericht behauptete Verfassungswidrigkeit beseitigt und andererseits – der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entsprechend – in geringstmöglichem Ausmaß in den Rechtsbestand eingegriffen.
3.2. In der Sache verweist die Bundesregierung auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 15.739/2000; ua.), nach der im Anlassfall nicht vom Bestehen eines berechtigten Vertrauensschutzes auszugehen sei. Entgegen der Ansicht des antragstellenden Gerichtes habe der Gesetzgeber mit § 30 Abs 4 EStG 1988 idF BGBl I 22/2012 nicht rückwirkend für in der Vergangenheit realisierte Sachverhalte nachträglich steuerliche Folgen vorgesehen, sondern die Rechtslage ausschließlich pro futuro verändert. Der im Ausgangsverfahren maßgebliche Besteuerungstatbestand sei der nach dem Inkrafttreten der Regelung erfolgte Veräußerungsvorgang. Dass diesem – wie vom antragstellenden Gericht dargelegt – eine gewisse Vorbereitungszeit vorausgegangen sei, könne nach Ansicht der Bundesregierung nichts daran ändern, dass die steuerliche Anknüpfung tatbestandsmäßig auf den zivilrechtlichen Veräußerungszeitpunkt abstelle.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei das Vertrauen in den unveränderten Fortbestand der Rechtslage nur unter besonderen Umständen geschützt. Das Vertrauen in eine fortwährende Steuerfreiheit von Grundstücksveräußerungen außerhalb der Spekulationsfrist sei jedenfalls nicht als ein solcher besonderer Umstand zu werten, der geeignet wäre, eine verfassungsrechtlich berücksichtigungswürdige Vertrauenslage zu schaffen. Es sei für die Bundesregierung nicht zu erkennen, inwiefern der Gesetzgeber die Beschwerdeführerin durch eine in Aussicht gestellte Begünstigung gezielt zu einem bestimmten Aufwand veranlasst habe, der auf Grund des Wegfalls der Begünstigung frustriert worden sei.
Auch reiche ohne das Vorliegen besonderer Umstände ein intensiver Eingriff für sich allein nicht aus, um die Regelung verfassungsrechtlich bedenklich erscheinen zu lassen. Da jede Schaffung eines neuen Steuertatbestandes einen intensiven, weil erstmaligen Eingriff darstelle, könne ansonsten argumentiert werden, dass der Normunterworfene auf den Fortbestand der Rechtslage vertraut habe und die Einführung des neuen Steuertatbestandes dieses Vertrauen verletze. Der Gesetzgeber wäre insoweit seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes weitgehend beraubt, als ausschließlich begünstigende Gesetzesänderungen zulässig wären. Diese Auffassung entspreche auch der bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes iZm belastenden Änderungen steuerlicher Bestimmungen (mit Verweis auf VfSlg 13.655/1993, 15.739/2000, 19.615/2012).
Zudem mangle es im Ausgangsverfahren an der im Falle der Verletzung einer schutzwürdigen Vertrauenslage notwendigen Eingriffsintensität. Gemäß § 30 Abs 4 Z 2 EStG 1988 sei in jenen Fällen, in denen ein Grundstück am nicht steuerverfangen gewesen sei, der Unterschiedsbetrag zwischen dem Veräußerungserlös und den mit 86% des Veräußerungserlöses anzusetzenden Anschaffungskosten als Einkünfte anzusetzen. Die Anwendung des besonderen Steuersatzes von 25% auf Einkünfte aus der Veräußerung von Grundstücken iSd § 30 Abs 4 Z 2 EStG 1988 führe somit zu einer effektiven Besteuerung des Altvermögens iHv 3,5% des Veräußerungserlöses. Die Einkommensteuer bemesse sich somit am "Gewinn" aus der Grundstücksveräußerung. Der sich daraus ergebenden effektiven Steuerbelastung mangle es auf Grund des relativ geringen Steuersatzes an der notwendigen Intensität des Eingriffs.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 139 Abs 1 Z 1 B VG bzw. des Art 140 Abs 1 Z 1 lita B VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Was den erforderlichen Umfang der Anfechtung anlangt, so ist dieser durch folgende Überlegungen zu bestimmen: Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003) notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt, und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Aus dieser Grundposition folgt zunächst, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Antrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 18.142/2007, 19.496/2011).
Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen demgegenüber nicht in jedem Fall unzulässig. Soweit der Antrag nur Normen erfasst, die iSd Pkt. 1.1. präjudiziell sind oder mit solchen untrennbar zusammenhängen, führt dies, ist der Antrag in der Sache begründet, im Fall der Aufhebung nur eines Teiles der angefochtenen Bestimmungen im Übrigen zur partiellen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; ua.). Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig nicht präjudiziell sind, führt dies – wenn die angefochtenen Bestimmungen insoweit offensichtlich trennbar sind – im Hinblick auf diese Bestimmungen zur teilweisen Zurückweisung des Antrages (siehe VfSlg 16.246/2001, 16.816/2003, 16.819/2003, 17.572/2005, 18.766/2009); soweit diese Voraussetzungen vorliegen, führen zu weit gefasste Anträge also nicht zur Zurückweisung des gesamten Antrages (VfSlg 19.746/2013; ua.; , G133/2014; , G139/2015).
1.3. Nach Auffassung des Bundesfinanzgerichtes (Außenstelle Feldkirch) habe es im vorliegenden Fall die in seinem Antrag angeführten Bestimmungen, sohin den § 29 Z 2 EStG 1988 sowie die §§30, 30a, 30b und 30c EStG 1988 idF BGBl I 22/2012 (1. Stabilitätsgesetz 2012) anzuwenden.
1.4. Die Bundesregierung erachtet den Antrag auf Grund eines zu weit gefasst Aufhebungsumfanges als unzulässig: Nach Ansicht der Bundesregierung wäre es ausreichend, eine allfällige Aufhebung auf § 30 Abs 4 Z 2 EStG 1988 zu beschränken. Es lasse sich die Rechtsansicht vertreten, dass bei Aufhebung der Z 2 für Altvermögen mit § 30 Abs 4 Z 1 EStG 1988 weiterhin eine lex specialis für Altvermögen bestehen bliebe. Demnach wäre Altvermögen nur mehr in jenen Fällen steuerlich erfasst, in denen es nach dem zu einer Umwidmung des Grundstückes gekommen sei. Alle übrigen Fälle von Altvermögen würden damit nicht mehr der Steuerpflicht unterliegen, da Altvermögen nur mehr in diesem sachlich eingeschränkten Bereich besteuert werden würde. Nach dieser Auslegung würde auch die vom antragstellenden Gericht als verfassungsrechtlich unbedenklich bezeichnete Ertragsbesteuerung privater Grundstücksveräußerungen bestehen bleiben.
1.5. Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden:
1.5.1. Nach § 30 Abs 3 EStG 1988 ist für private Grundstücksveräußerungen grundsätzlich der Unterschiedsbetrag zwischen dem Veräußerungserlös und den (tatsächlichen) Anschaffungskosten als Einkünfte anzusetzen. § 30 Abs 4 EStG 1988 sieht daneben eine pauschale Ermittlung der Einkünfte für jene Grundstücke vor, die am nicht steuerverfangen waren. Abs 4 unterscheidet zwischen der Umwidmung eines Grundstückes nach dem (Z1) und allen übrigen Fällen (Z2), wobei für die Anschaffungskosten jeweils ein bestimmter Prozentsatz des Veräußerungserlöses zum Ansatz gelangt. Zugleich sieht § 30 Abs 5 EStG 1988 vor, dass die Einkünfte statt nach Abs 4 auf Antrag auch nach Abs 3 ermittelt werden können.
1.5.2. Nach der Inkrafttretensbestimmung des § 124b Z 215 EStG 1988 sind diese Bestimmungen erstmals für Veräußerungen nach dem anzuwenden. Hieraus folgt aber, dass bei Entfall der pauschalen Einkünfteermittlungsvorschrift des § 30 Abs 4 Z 2 EStG 1988 die Einkünfte aus der Veräußerung eines am nicht steuerverfangenen privaten Grundstückes, auf das die Voraussetzungen der Z 1 nicht zutreffen, nach Abs 3 zu berechnen wären. In Anbetracht der angesprochenen Regelungen wäre entgegen der Ansicht der Bundesregierung aus dem Entfall des § 30 Abs 4 Z 2 EStG 1988 keinesfalls ableitbar, dass die Veräußerung von nicht steuerverfangenen Grundstücken nur mehr im sachlich eingeschränkten Bereich der Z 1 – sohin in Umwidmungsfällen – steuerpflichtig wäre und in allen übrigen Fällen keine Steuerpflicht bestünde. Da die Regelungen des § 30 Abs 3 und 4 EStG 1988 unzweifelhaft auf Veräußerungen nach dem anzuwenden sind, wären vielmehr bei Entfall der Z 2 die Einkünfte aus der Veräußerung von nicht steuerverfangenen Grundstücken nur in Fällen der Umwidmung pauschal, in allen übrigen Fällen aber zwingend nach Abs 3 zu ermitteln, ohne dass eine Pauschalregelung zur Anwendung gelangen könnte.
1.5.3. Insofern ist dem antragstellenden Gericht zu folgen, dass eine bloße Aufhebung der begünstigenden Regelung des § 30 Abs 4 EStG 1988 für den dem Anlassverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt "geradezu kontraproduktiv wäre". In diesem Fall entfiele die durch die Pauschalregelung bewirkte Deckelung der Einkünfte nicht steuerverfangener Grundstücke mit 14% des Veräußerungserlöses und wären nach Abs 3 tatsächlich höhere Einkünfte zu versteuern, sofern die Anschaffungskosten weniger als 86% des Veräußerungserlöses betragen.
1.6. Vor diesem Hintergrund kann den Bedenken des antragstellenden Gerichtes somit nur durch Aufhebung der Anordnung der Steuerpflicht für private Grundstücksveräußerungen Rechnung getragen werden, um die ertragsteuerliche Erfassung solcher Veräußerungen nicht steuerverfangener privater Grundstücke auszuschließen.
Der Verfassungsgerichtshof vermag jedoch nicht zu erkennen, dass auf Grundlage des festgestellten Sachverhaltes die §§30b und 30c EStG 1988 denkmöglich eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes bilden. Diese Vorschriften stehen auch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang mit den Regelungen des § 29 Z 2 EStG 1988 sowie der §§30 und 30a EStG 1988, die das antragstellende Gericht denkmöglich für anwendbar erachtet.
1.7. Der Antrag des Bundesfinanzgerichtes ist somit insoweit unzulässig, als er sich gegen die §§30b und 30c EStG 1988 richtet. Im Übrigen ist der Antrag zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
2.2. Soweit zulässig, ist der Antrag jedoch nicht begründet:
Das antragstellende Gericht begründet seine Bedenken dahingehend, dass die mit dem 1. Stabilitätsgesetz 2012 bewirkte Neuregelung privater Grundstücksveräußerungen als "unecht bzw faktisch rückwirkende, unvorhergesehene und plötzliche Änderung unter Verletzung des Vertrauensschutzprinzips zu werten ist (vergleichbar der Abschaffung der Firmenwertabschreibung für sog. Altfälle: [...])". Die Verletzung des Vertrauensschutzprinzips sei durch die "übergangslose, gleichsam rückwirkende steuerliche Erfassung an sich nicht mehr steuerverfangener Grundstücke und [...] durch die Eile der Gesetzwerdung an sich, das Fehlen von Übergangsregelungen und die sofortige, somit unterjährige Wirksamkeit mit der Kundmachung des Gesetzes bewirkt". Die ertragsteuerpflichtige Veräußerung eines vor vierzig Jahren im Erbwege erworbenen Grundstückes sei nach den bis geltenden Grundsätzen "unvorstellbar" gewesen, die Höhe der Belastung "unvorhersehbar" und von erheblichem Gewicht, da sie im Ergebnis zur Verdoppelung der Grunderwerbsteuer führe. Weil der Gesetzgebungsvorgang derart rasch betrieben worden sei, sei rückwirkend ein bereits vor Inkrafttreten der neuen Rechtslage in wesentlichen Teilen abgeschlossener Veräußerungsvorgang einer neuartigen Steuer unterzogen worden und der Beschwerdeführerin vor dem Bundesfinanzgericht keine Zeit verblieben, um entsprechende Dispositionen zu treffen.
2.3. Mit diesen Bedenken vermag das antragstellende Gericht jedoch nicht darzutun, dass die durch das 1. Stabilitätsgesetz 2012 bewirkte Ausdehnung der Ertragsteuerpflicht auf die Veräußerung auch jener dem Privatvermögen zuzurechnender Grundstücke, die am nicht steuerverfangen waren, jene verfassungsrechtliche Grenzen verletzt, die der Vertrauensschutz dem Gesetzgeber setzt.
2.3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass das bloße Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der gegebenen Rechtslage als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genießt (vgl. VfSlg 16.687/2002 mwN). Vielmehr bleibt es dem Gesetzgeber auf Grund des ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes unbenommen, die Rechtslage auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern (zB VfSlg 18.010/2006 mwN).
Nur unter besonderen Umständen setzt der Vertrauensschutz dem Gesetzgeber verfassungsrechtliche Grenzen, so insbesondere, wenn dem Betroffenen zur Vermeidung unsachlicher Ergebnisse die Gelegenheit gegeben werden muss, sich rechtzeitig auf die neue Rechtslage einzustellen (vgl. VfSlg 13.657/1993, 15.373/1998, 16.754/2002 mwN). Vertrauensschutz begründende Umstände können nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darin liegen, dass rückwirkend an in der Vergangenheit liegende Sachverhalte geänderte (für die Normunterworfenen nachteilige) Rechtsfolgen geknüpft werden (vgl. VfSlg 13.020/1992, 16.850/2003) oder dass der Gesetzgeber in Rechtsansprüche, auf die sich die Normunterworfenen nach ihrer Zweckbestimmung rechtens einstellen durften (wie auf Pensionsleistungen bestimmter Höhe), plötzlich und intensiv nachteilig eingreift (vgl. VfSlg 11.288/1987, 16.764/2002, 17.254/2004) oder dass der Gesetzgeber, der Normunterworfene zu Dispositionen veranlasst hat, durch eine spätere Maßnahme diese im Vertrauen auf die Rechtslage vorgenommenen Dispositionen frustriert bzw. ihrer Wirkung beraubt (vgl. VfSlg 12.944/1991, 13.655/1993, 16.452/2002).
2.3.2. Dem antragstellenden Gericht ist zunächst einzuräumen, dass die umfassende Besteuerung privater Grundstücksveräußerungen unter Einbeziehung auch jener Grundstücke, die zum – infolge bereits abgelaufener Spekulationsfrist – nicht steuerverfangen waren, am im Nationalrat beschlossen und am im Bundesgesetzblatt (BGBl I 22/2012) kundgemacht worden ist. Mit der Einbeziehung nicht steuerverfangener Grundstücke greift der Gesetzgeber aber nicht rückwirkend in bestehende Rechtspositionen ein. Maßgeblicher Besteuerungstatbestand ist nämlich die Veräußerung in Form des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäftes (s. RV 1680 BlgNR 24. GP, 7). Da die Regelung Veräußerungen nach dem und somit Veräußerungen ab Inkrafttreten (vgl. § 124b Z 215 EStG 1988) erfasst, knüpft sie nicht an die bereits vor Inkrafttreten verwirklichten Veräußerungsvorgänge geänderte, für den Steuerpflichtigen nachteilige Rechtsfolgen. Sie regelt vielmehr aus der zeitlichen Perspektive der Erlassung des Gesetzes die Rechtsfolgen für Veräußerungen ab dem Inkrafttreten der Regelung.
Dass dem Abschluss des Verpflichtungsgeschäftes – wie das antragstellende Gericht ausführt – "geraume Zeit in Anspruch nehmende weitere Schritte vorausgehen" und daher auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass bereits vor Inkrafttreten der Regelung möglicherweise "ein in wesentlichen Teilen abgeschlossener Veräußerungsvorgang" vorliegen konnte, führt zu keiner anderen Betrachtung, geht es doch auch in solchen Konstellationen im Kern um das Interesse des Steuerpflichtigen am unveränderten Fortbestand der vor Inkrafttreten gegebenen Rechtslage.
2.3.3. Aus der Verfassung ist keine allgemeine Garantie dafür abzuleiten, dass sich auf Grund geltender Rechtslage erwartete Vorteile zukünftig auch auf Grund geänderter Rechtslage tatsächlich realisieren ( ua.). So wie im Einzelfall auch rückwirkende Verschlechterungen der Rechtslage im Steuerrecht ihrer Zielsetzung und dem Ausmaß und der Art ihrer Auswirkungen nach verfassungsrechtlich zulässig sein können (vgl. VfSlg 12.416/1990, 14.515/1996), kann die Enttäuschung des Vertrauens der Normunterworfenen auf den Fortbestand und die zukünftige Entwicklung der Rechtsordnung auch ohne Rückwirkung unter Umständen gegen den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Vertrauensschutz verstoßen. Hier greift der verfassungsrechtlich gewährleistete Vertrauensschutz jedoch nur für ganz bestimmte, auf Grund besonderer Konstellation schutzwürdige Positionen und setzt damit einer gesetzlichen Änderung unter engen Voraussetzungen verfassungsrechtliche Schranken. Einen solchen Fall hat der Verfassungsgerichtshof etwa angenommen, wenn der Normunterworfene durch eine in Aussicht gestellte Begünstigung zu einem bestimmten Aufwand veranlasst werden sollte, der dann durch Wegfall der Begünstigung frustriert wird (VfSlg 12.944/1991 zum Nachtfahrverbot für lärmarme Lastkraftwagen) oder wegen Durchführung der geförderten Planungsmaßnahmen und Vorhaben nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (VfSlg 13.655/1993 zur Abschaffung der Energieförderungsrücklage).
2.3.4. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht erkennen, dass vor der mit dem 1. Stabilitätsgesetz 2012 erfolgten Einführung der Besteuerung privater Grundstücksveräußerungen eine Rechtslage bestanden hätte, bei der der Gesetzgeber bestimmte Verhaltensweisen gefördert hätte, die durch das 1. Stabilitätsgesetz 2012 mit Blick auf die dem Privatvermögen zuzurechnenden Grundstücke, die zum nicht steuerverfangen waren, entwertet wären. Demgemäß hatte der Verfassungsgerichtshof auch keine Bedenken gegen die mit BGBl 400/1988 erfolgte Verlängerung der Spekulationsfrist von fünf auf zehn Jahre (VfSlg 13.461/1993). Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall – anders als das antragstellende Gericht vermeint – auch von jenem, den der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis zur Firmenwertabschreibung (VfSlg 15.739/2000) zu entscheiden hatte.
2.3.5. Der Umstand, dass bis zum Inkrafttreten des 1. Stabilitätsgesetzes 2012 Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht im Rahmen der Besteuerung des Einkommens zu erfassen waren, vermag nicht zu bewirken, dass auf den unveränderten Fortbestand dieser Rechtslage ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen bestünde, und zwar auch dann nicht, wenn im Einzelfall die für das Bestehen einer Steuerpflicht relevante Frist bereits abgelaufen gewesen sein sollte. Die Tatsache, dass der Steuerpflichtige nach Ablauf einer bestimmten Frist nach Erwerb eines Grundstückes gemäß der jeweils maßgebenden Rechtlage – so wie die Beschwerdeführerin vor dem Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch) möglicherweise auch über Jahrzehnte – davon ausgegangen ist, dass die Veräußerung des Grundstückes infolge Ablaufs dieser Frist keiner Ertragsteuerpflicht unterliegen werde, begründet für sich allein keine schutzwürdige Position, die einer in der vorgenommenen Weise erfolgten gesetzlichen Änderung verfassungsrechtliche Schranken setzen würde.
V. Ergebnis
1. Die vom Bundesfinanzgericht (Außenstelle Feldkirch) ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "aus privaten Grundstücksveräußerungen (§30) und" in § 29 Z 2 EStG 1988 sowie der §§30 und 30a EStG 1988 erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher insoweit abzuweisen.
Im Übrigen ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2015:G111.2015