OGH vom 05.04.2017, 13Os9/17y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Ing. Mag. Rudolf F***** wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie über die Berufung der Finanzstrafbehörde gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom , GZ 40 Hv 27/16y-68, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der von den Schuldsprüchen 1 und 2 umfassten Taten nach § 38 Abs 1 FinStrG und demzufolge im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Auf diese Entscheidung wird die Staatsanwaltschaft mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde und ihrer Berufung ebenso verwiesen wie die Finanzstrafbehörde mit ihrer Berufung.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ing. Mag. Rudolf F***** mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG „teils idF vor dem Inkrafttreten des BGBl. I Nr. 104/2010“ schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe von 170.000 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Gemäß „§ 26 Abs 1 FinStrG idF BGBl 1999/28 iVm § 43 Abs 1 StGB idF BGBl 1997/105“ wurde die Geldstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat der Angeklagte in T***** als unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person iSd § 1 EStG im Bereich des Finanzamts B***** in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme bzw einen nicht bloß geringfügigen fortlaufenden abgabenrechtlichen Vorteil zu verschaffen, vorsätzlich in mehrfachen Tathandlungen unter Verletzung seiner abgabenrechtlichen Anzeige, Offenlegungs oder Wahrheitspflicht eine Verkürzung bescheidmäßig festzusetzender Abgaben, nämlich an Einkommensteuer, bewirkt, und zwar durch die Abgabe unrichtiger Jahressteuererklärungen
1. am für das Jahr 2005 um 51.977,80 Euro;
2. am für das Jahr 2006 um 57.308,95 Euro;
3. am für das Jahr 2007 um 68.034,31 Euro;
4. am für das Jahr 2008 um 58.563,37 Euro;
5. am für das Jahr 2009 um 52.177,17 Euro.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die gänzlich bedingte Nachsicht der verhängten Geldstrafe richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass zum Nachteil des Angeklagten das Gesetz unrichtig angewendet wurde (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Selbstständige Tat in Bezug auf die Verkürzung jährlich zu veranlagender Steuern ist die Jahreserklärung zu einer Steuerart. Durch jede solche Tat wird ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG verwirklicht (RISJustiz RS0118311, RS0124712). Demnach ist unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) auch hinsichtlich jeder Tat getrennt zu prüfen, ob der Qualifikationstatbestand der Gewerbsmäßigkeit erfüllt ist. Stellt das Gericht die Absicht der fortlaufenden Einnahmenerzielung durch wiederkehrende Begehung nur bezüglich eines Teils der zu beurteilenden Taten fest, hat der Schuldspruch wegen mehrerer qualifizierter und mehrerer nicht qualifizierter Finanzvergehen zu erfolgen (vgl 13 Os 87/10h; Lässig in WK² FinStrG § 38 Rz 10).
Die Konstatierung des Erstgerichts bringen zum Ausdruck, dass es dem Angeklagten bei der jeweiligen unrichtigen Abgabe von Abgabenerklärungen zur Einkommensteuer immer darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung von Finanzvergehen eine fortlaufende Einnahme bzw einen nicht bloß geringfügigen fortlaufenden abgabenrechtlichen Vorteil von bei jährlicher Betrachtung monatlich 400 Euro zu verschaffen (US 4). Rechtlich unterstellte es „aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung des § 265 Abs 1p FinStrG die Fakten 1. bis 4. unter § 38 FinStrG in der vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 104/2010 geltenden Fassung“, während es in Ansehung des Faktums 5 „aufgrund der Vielzahl der Angriffe auch § 38 Abs 1 FinStrG idgF erfüllt“ sah (US 5).
Nach § 4 Abs 2 FinStrG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung des Gerichts erster Instanz geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre. Bei dem anzustellenden Günstigkeitsvergleich ist die jeweilige Rechtslage in ihrer Gesamtauswirkung zu betrachten. Es sind also nicht nur die angedrohten Strafen oder einzelne Sanktionselemente einander gegenüberzustellen, sondern auch alle Bestimmungen über den Entfall, die Einschränkung oder die Erweiterung der Strafbarkeit in den Vergleich einzubeziehen (RISJustiz RS0118096, RS0119085).
Nach dem mit der FinStrGNovelle 2010 BGBl I 2010/104 eingefügten Abs 1p des § 265 FinStrG war (unter anderem) § 38 FinStrG in der bis dahin geltenden Fassung auf vor dem InKraftTreten dieser Novelle begangene Finanzvergehen weiterhin anzuwenden. Solcherart wurde für den Regelungsbereich des § 38 FinStrG das Tatzeitrecht ex lege zum Urteilszeitrecht erklärt, womit der gemäß § 4 Abs 2 FinStrG anzustellende Günstigkeitsvergleich diesbezüglich stets zur Anwendung des Tatzeitrechts führte. Demgegenüber besteht zu § 38 FinStrG in der Fassung des AbgÄG 2015 BGBl I 2015/163 keine Übergangsregelung, woraus folgt, dass insoweit für nach dem ergangene erstinstanzliche Entscheidungen Urteilszeitrecht diese Gesetzesfassung ist (§ 265 Abs 1y FinStrG).
Demgemäß hat der Schöffensenat hinsichtlich der den Schuldsprüchen 3 und 4 zugrunde liegenden Taten zutreffend Tatzeitrecht angewendet. Nach den Urteilsfeststellungen verwirklichte der Beschwerdeführer die Tatbestandselemente des § 38 FinStrG nämlich sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtslage (US 4 f). Hievon ausgehend ist aber – da der Günstigkeitsvergleich nicht abstrakt, sondern streng fallbezogen vorzunehmen ist (RISJustiz RS0119085 [T1]; Lässig in WK² FinStrG § 4 Rz 5) – das zur Zeit der Entscheidung des Gerichts erster Instanz geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Angeklagten nicht günstiger als das Tatzeitrecht, aus welchem Grund gemäß § 4 Abs 2 FinStrG eben Letzteres anzuwenden ist (vgl 13 Os 47/16k).
Die Anwendung des § 38 FinStrG idgF auf die dem Schuldspruch 5 zugrunde liegende Tat ist hingegen aus den dargestellten Erwägungen verfehlt. Rechtsrichtig wäre diese § 38 FinStrG idF BGBl I 2010/104 zu subsumieren gewesen. Mangels Nachteils für den Angeklagten besteht insoweit jedoch kein Anlass für amtswegiges Vorgehen gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO.
Anderes gilt in Ansehung der den Schuldsprüchen 1 und 2 zugrunde liegenden Taten. Dem Urteil sind nämlich keine Feststellungen zum Vorliegen einer der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 38 Abs 2 FinStrG (hier allenfalls in Betracht zu ziehen: § 38 Abs 2 Z 2 FinStrG) zu entnehmen. Eine abschließende rechtliche Beurteilung ist daher nicht möglich.
Dies erforderte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Urteils in der rechtlichen Unterstellung der von den Schuldsprüchen 1 und 2 umfassten Taten unter § 38 Abs 1 FinStrG idF vor BGBl I 2010/104 (§ 285e StPO iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) und demzufolge im Strafausspruch.
Die Staatsanwaltschaft war mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde und ihrer Berufung ebenso auf diese Entscheidung zu verweisen wie die Finanzstrafbehörde mit ihrer Berufung.
Im zweiten Rechtsgang wird im Fall neuerlicher Verhängung einer Geldstrafe zu beachten sein, dass – wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, aber entgegen der Ansicht des Erstgerichts – diese gemäß § 26 Abs 1 FinStrG in der seit
Inkrafttreten der FinStrG-Novelle 2010 BGBl I 2010/104 geltenden Fassung nur bis zur Hälfte bedingt nachgesehen werden kann und der nicht bedingt nachgesehene Teil mindestens 10 % des strafbestimmenden Wertbetrags ausmachen muss.
Denn für die Bemessung der im Fall echter (Real-
oder Ideal-)Konkurrenz zu verhängenden einheitlichen Geldstrafe (§ 21 Abs 1 erster Satz FinStrG) sieht § 21 Abs 2 erster Satz FinStrG grundsätzlich die Absorption der geringeren Strafdrohungen durch die jeweils höchste vor (vgl näher Lässig in WK2 FinStrG § 21 Rz 2), wobei jedoch keine geringere Strafe als die höchste der in den zusammentreffenden Strafdrohungen vorgesehenen Mindeststrafen verhängt werden darf (§ 21 Abs 2 zweiter Satz FinStrG). Da auch die bedingte Strafnachsicht einen Teil des Sanktionenbereichs darstellt (vgl Jerabek in WK2 StGB § 43 Rz 2) wäre folglich § 26 Abs 1 FinStrG idgF anzuwenden.
Hinzugefügt sei, dass das Zitieren des § 33 Abs 3 lit a FinStrG (US 2) im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verfehlt ist, weil § 33 Abs 3 FinStrG (bloß) Legaldefinitionen des Bewirkens (von Abgabenverkürzungen), also der möglichen Arten und des Zeitpunkts der technischen Vollendung der Finanzvergehen nach § 33 Abs 1 und Abs 2 FinStrG, enthält, die finanzstrafrechtlichen Tatbestände der Abgabenhinterziehung hingegen in diesen Normen und in § 33 Abs 4 FinStrG umschrieben sind (RISJustiz RS0087102; Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 29).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00009.17Y.0405.000 |
Schlagworte: | 3 Alle Os-Entscheidungen |
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