OGH vom 26.01.2018, 8ObS9/17g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. TarmannPrentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und Mag. Susanne Haslinger in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H***** L*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler und Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei IEFService GmbH, Geschäftsstelle Graz, 8020 Graz, Europaplatz 12, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 2.788 EUR sA (Insolvenz-Entgelt), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 24/17d15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 21 Cgs 162/16w11, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seiner Revision selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der späteren Insolvenzschuldnerin, die ein Café und Cateringservice betrieb, vom bis als gewerberechtlicher Geschäftsführer beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe (in der Folge: KV) und endete durch Dienstgeberkündigung.
Der Kläger hat keine Gehaltsabrechnungen erhalten. Die im vorliegenden Verfahren strittigen Ansprüche, und zwar kollektivvertragliches Mindestentgelt für November und Dezember 2011 samt anteiliger Jahresremuneration, machte der Kläger erstmals am gegenüber der Schuldnerin schriftlich geltend, im November 2014 erhob er gegen sie Klage auf Zahlung (unter anderem) der strittigen Ansprüche. Am wurde über das Vermögen der ehemaligen Dienstgeberin das Konkursverfahren eröffnet und das arbeitsgerichtliche Verfahren dadurch unterbrochen.
Die Beklagte lehnte den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Insolvenz-Entgelt für November und Dezember 2011 samt Jahresremuneration wegen Verfalls nach Punkt 6 lit c KV ab.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage wird vorgebracht, die kollektivvertragliche Verfallsregelung sei nicht anwendbar. Die Schuldnerin habe dem Kläger nämlich keine Gehaltsabrechnungen ausgefolgt, sodass ihm eine frühere Geltendmachung seiner Ansprüche praktisch unmöglich gewesen wäre.
Das wies das Klagebegehren ab. Die kollektivvertragliche Verfallsklausel sei wirksam. Die Berufung auf den Verfall verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben, weil der Kläger nur das Grundgehalt geltend mache und nicht ersichtlich sei, weshalb ihm dessen frühere Geltendmachung ohne Abrechnung nicht möglich gewesen wäre.
Das gab dem Rechtsmittel des Klägers im Ausmaß eines Zuspruchs von 439,41 EUR teilweise Folge, im Übrigen bestätigte es die Entscheidung des Erstgerichts. Die Anwendung der kollektivvertraglichen Verfallsfrist setze nicht voraus, dass dem Dienstnehmer eine Lohnabrechnung ausgehändigt wurde; dem Kläger sei die Geltendmachung des Grundgehalts dadurch nicht erschwert worden. Die Verfallsbestimmung gelte ihrem Wortlaut nach aber nur für laufende Bezüge, sodass ein Verfall der anteiligen Jahresremuneration 2011 nicht eingetreten sei.
Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil es zur Frage, ob die vorangegangene Aushändigung einer Lohnabrechnung Voraussetzung für den Verfall nach Pkt 6 lit c KV sei, divergierende zweitinstanzliche Entscheidungen gebe und dazu noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Mit seiner strebt der Kläger die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im zur Gänze stattgebenden Sinn an. Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil die Rechtslage im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichts einer Klarstellung bedarf. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
1. Nach ständiger Rechtsprechung ist zwischen der Frage der vertraglichen Unabdingbarkeit eines Anspruchs und der Frist für dessen Geltendmachung zu unterscheiden und kann auch bei unabdingbaren Ansprüchen eine kürzere als die dreijährige gesetzliche Verjährungsfrist nach § 1486 ABGB für die Geltendmachung der Ansprüche vereinbart werden (vgl RIS-Justiz RS0034517 mwN; 8 ObA 86/11x = DRdA 2013/22 [krit Eypeltauer]; 9 ObA 1/14h mwN; 9 ObA 44/14g). An der Zulässigkeit vertraglicher Verfallsfristen im Arbeitsrecht hat der Oberste Gerichtshof unter Auseinandersetzung mit den teilweise kritischen Stimmen in der Literatur ausdrücklich festgehalten (vgl ausf 9 Ob 1/14h).
2. Die Revision vermag gegen die ständige Rechtsprechung keine stichhältigen neuen Argumente ins Treffen zu führen. Insbesondere sind die in der zitierten Literatur (Felten/Pfeil, Strafbare Unterentlohnung nach dem LSD-BG und Verfall von Entgeltansprüchen, DRdA 2017, 79) angeführten Argumente nicht überzeugend.
So kann daraus, dass der historische Gesetzgeber ein Verbot der Verkürzung der Verjährungsfrist für unabdingbare Ansprüche zwar ins Auge gefasst, aber dann doch nicht beschlossen hat, nicht logisch schlüssig gefolgert werden, dass die vom Gesetzgeber im offenkundigen Bewusstsein des Problems verworfene Regelung als sein Wille gelten sollte. Das Gleiche trifft auf die Überlegung, dass der Gesetzgeber Verfallsfristen wohl „kritisch gegenüberstehe“, weil er sie in Einzelfällen ausdrücklich beschränkend geregelt hat, als Argument für eine generelle Nichtgeltung zu.
3. Die Revision führt weiters aus, die Geltung von Verfallsklauseln sei nunmehr auch aufgrund der Bestimmungen und des Zwecks des Lohn- und SozialdumpingbekämpfungsG (zum hier maßgeblichen Zeitpunkt: §§ 7e ff AVRAG) zu bezweifeln. Die darin enthaltenen Strafbestimmungen gegen Lohndumping (§ 29 LSD-BG; bis § 7i Abs 3 AVRAG) seien nach der Rechtsprechung des VwGH (AZ Ra 2016/11/0007) auch dann anzuwenden, wenn ein der Höhe nach kollektivvertraglich richtig ermitteltes Entgelt bei Fälligkeit tatsächlich nicht gezahlt wurde.
Bejahe man die Möglichkeit des kurzfristigen Verfalls von Entgeltansprüchen, würde die verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung einer Unterentlohnung erschwert und wäre es möglich, dass sich ein Dienstgeber die zur Erlangung einer nachträglichen Straffreiheit zu leistende Nachzahlung teilweise ersparen könnte, weil nach dem Verfall nicht einmal eine Naturalobligation bestehen bleibe. Diese Konsequenzen stünden mit dem vom LSD-BG beabsichtigten Schutz des Entgeltanspruchs nicht im Einklang.
Auch diese Ausführungen können nicht überzeugen. Soweit in der vom Revisionswerber für seine Argumentation zitierten Literaturstelle (Felten/Pfeil aaO) behauptet wird, der zur Strafverfolgung nach dem LSD-BG zur Verfügung stehende Zeitraum von drei Jahren bezwecke offenbar eine Gleichschaltung mit der zivilrechtlichen Verjährungsfrist, womit die Anwendung kürzerer Verfallsfristen offenbar im Widerspruch stehe, lässt sie eine Auseinandersetzung mit den Gesetzesmaterialien vermissen. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (ErlRV 1111 Beil 25. GP 23) wird nämlich erklärt, die dreijährige Frist sei deswegen normiert bzw beibehalten worden, weil aufgrund des Ablaufs der Erhebungen und Kontrollen und der Komplexität der Sachmaterie und der zu berücksichtigenden Umstände die allgemeinen Verjährungsfristen des VStG für eine wirkungsvolle Strafverfolgung zu kurz seien. Von einer (auch nur subsidiär) beabsichtigten Angleichung an § 1486 Z 5 ABGB ist nicht die Rede.
4. Die vom Revisionswerber behauptete Behinderung der Strafverfolgung nach dem LSD-BG durch die Geltung von Verfallsfristen ist nicht ganz nachvollziehbar.
Der Straftatbestand der Entgeltvorenthaltung wird bereits mit dem ungenutzten Verstreichen des Fälligkeitstermins verwirklicht. Zwar kann der Dienstgeber die Strafbarkeit bzw die Verhängung einer Strafe nachträglich gemäß § 29 Abs 2 und 3 LSD-BG durch rechtzeitige Nachzahlung der geschuldeten Beträge verhindern, aber das LSD-BG sieht keine Befreiung bei Verjährung oder Verfall des vorenthaltenen Entgelts vor.
Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Bei einer fortgesetzten Entgeltverkürzung liegt nach § 29 Abs 4 LSD-BG ein Dauerdelikt vor und beginnt die dreijährige Verfolgungsverjährungsfrist erst mit Fälligkeit des Entgelts für den letzten Lohnzahlungszeitraum der Unterentlohnung. Da die Frist für die Strafbarkeitsverjährung (§ 31 Abs 2 VStG) fünf Jahre beträgt, ergibt sich daraus, dass selbst nach § 1486 Z 5 ABGB bereits verjährte vorenthaltene Entgelte von der Strafbarkeit erfasst werden können.
Überhaupt knüpft der verwaltungsstrafrechtliche Tatbestand der Entgeltverkürzung am zivilrechtlichen Entgeltbegriff in seinem gesetzlichen und kollektivvertraglichen Istbestand an. Kollektivvertragliche Verfallsklauseln widersprechen nicht den von der Strafbestimmung geschützten Mindestentgeltbedingungen, sondern sind selbst Teil davon.
5. Grundsätzlich zu Recht führt die Revision ins Treffen, dass vertragliche Verfallsklauseln der Sittenwidrigkeitsprüfung nach § 879 ABGB unterliegen und dieser nicht standhalten können, wenn sie die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschweren (RIS-Justiz RS0016688 mwN).
Nach dem hier maßgeblichen Pkt 6 lit c KV verfallen Gehaltsansprüche, wenn sie nicht vier Monate nach Fälligkeit vom Angestellten beim Arbeitgeber oder dessen Stellvertreter schriftlich geltend gemacht werden. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass durch eine solche Klausel die Geltendmachung weder in zeitlicher Hinsicht, noch unter dem Gesichtspunkt des nötigen Aufwands übermäßig erschwert wird, deckt sich mit der herrschenden Rechtsprechung (ua RIS-Justiz RS0016688 [T10]). Soweit in Entscheidungsleitsätzen mitunter davon die Rede ist, dass die Verfallsfrist erst mit der Aushändigung einer ordnungsgemäßen Lohnabrechnung beginne (zB RIS-Justiz RS0029277; RS0034487; RS0064548; RS0034461), betreffen sie entweder kollektivvertragliche Regelungen, die dieses Erfordernis ausdrücklich vorsehen, oder besondere Fallkonstellationen, in denen sich der Dienstnehmer nur durch eine Abrechnung Klarheit über offene Ansprüche verschaffen konnte.
6. Der Dienstgeber kann sich nämlich auch auf eine grundsätzlich zulässige Verfallsklausel im Einzelfall dennoch nicht berufen, wenn er durch sein Verhalten die rechtzeitige Geltendmachung vereitelt oder erschwert hat (RIS-Justiz RS0034487; RS0051974 [T6] ua). Eine Vereitelung oder Erschwernis ist nicht zu vermuten, sondern nach den allgemeinen Beweislastregeln von jener Partei zu beweisen, die daraus für sich günstige Rechtsfolgen ableitet (vgl RIS-Justiz RS0037797).
Die Vorinstanzen sind dem Argument des Klägers, das Vorenthalten einer Gehaltsabrechnung habe ihm eine rechtzeitige Geltendmachung der rückständigen Gehälter, insbesondere deren Nettoberechnung, erschwert, zutreffend nicht gefolgt. Nach Pkt 6 lit c KV beginnt die Frist zur Geltendmachung etwaiger Differenzen nicht erst mit der Übergabe der verpflichtenden Gehaltsabrechnung, sondern unabhängig davon mit der Fälligkeit des Gehaltsanspruchs. Die Verletzung der Abrechnungspflicht könnte den Beginn der Verfallsfrist dann hemmen, wenn der Dienstnehmer ohne Gehaltsabrechnung nicht oder nur schwer beurteilen kann, ob für eine bestimmte Periode noch Entgeltansprüche offen sind. Auf die Bestimmbarkeit der Höhe des Rückstands kommt es nicht an, weil die Geltendmachung nach Pkt 6 lit c KV keine Bezifferung verlangt, sodass es bereits ausreicht, wenn der Arbeitgeber aus der Einmahnung erkennen kann, welche Ansprüche der Art und Periode nach gemeint sind.
Hier hat der Kläger nach den Feststellungen im November 2011 nur ein Akonto in Höhe von rund einem Drittel des kollektivvertraglichen Mindestgehalts erhalten, im Dezember überhaupt nichts. Unter diesen Umständen konnte für ihn aber kein Zweifel bestehen, dass ihm die Dienstgeberin für beide Monate bei Fälligkeit am jeweiligen Monatsletzten noch Entgelt schuldete.
Das Revisionsvorbringen, die Verfallsklausel verfehle in Ansehung des kollektivvertraglichen Mindestentgelts ihren Zweck, durch rasche Geltendmachung der Ansprüche das Entstehen von Beweisschwierigkeiten zu verhindern (ua RIS-Justiz RS0034417), überzeugt nicht. Die Ansicht, über die Zahlung des Mindestgehalts könne es überhaupt keine Beweisschwierigkeiten geben, trifft nur auf dessen Höhe, aber nicht auf den Anspruchsgrund zu. Ob das Gehalt tatsächlich gezahlt wurde oder nicht, ist nicht immer ohne weiteres nachvollziehbar, insbesondere nicht unter den im Verfahren hervorgekommenen besonderen Verhältnissen des Schuldnerbetriebs (Barlohnzahlungen; dem Kläger übergebene Vorschüsse für Cateringaufträge im fünfstelligen Eurobereich; Meinung des Geschäftsführers, dass die Klagsforderungen bezahlt seien).
Das Ergebnis der Vorinstanzen, dass das Fehlen einer Gehaltsabrechnung für den Kläger hier zu keiner Vereitelung oder Erschwerung der rechtzeitigen Geltendmachung der klagsgegenständlichen kollektivvertraglichen Mindestgehälter geführt hat, ist unter den festgestellten Umständen zu billigen.
Eine Geltendmachung der Gehälter dem Grunde nach innerhalb von vier Monaten wäre möglich, zumutbar und letztlich für einen typischen Angestellten in der Funktion eines gewerberechtlichen Geschäftsführers zu erwarten gewesen, zumal der Kläger praktisch von Beginn an überhaupt kein Entgelt erhalten hat. Dass er darauf mehr als fünf Monate weder mit schriftlicher Mahnung, noch mit berechtigtem vorzeitigem Austritt reagiert hat, sondern das Dienstverhältnis durch Arbeitgeberkündigung endete, hält einem Fremdvergleich schwer stand, wenngleich sich die Beklagte auf einen diesbezüglichen Einwand nicht berufen hat (RIS-Justiz RS0112127; RS0076409).
Der Revision war daher keine Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenersatz nach Billigkeit wurden nicht vorgebracht (RIS-Justiz RS0085829).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBS00009.17G.0126.000 |
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