OGH vom 13.10.2004, 9ObA89/04k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Gerhard Taucher und Dr. Reinhard Drössler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Walter B*****, vertreten durch Dr. Roland Deissenberger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W***** AG, *****, vertreten durch Dr. Helmut Engelbrecht und Mag. Werner Piplits, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 60/04a-23, mit dem die Entscheidung des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 13 Cga 140/03g-19, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.753,20 (darin EUR 292,20 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der bei der beklagten Partei als Angestellter beschäftigte Kläger wurde mit Schreiben vom unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum gekündigt. Mit seiner am beim Erstgericht überreichten Klage focht er die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit an und beantragte, sie als rechtsunwirksam zu erklären. Ein dem Kläger am von der beklagten Partei übergebenes Schreiben vom selben Tag hat folgenden Inhalt:
"Sehr geehrter Herr B*****
Obwohl wir der Ansicht sind, dass die am ausgesprochene Kündigung rechtswirksam war, sprechen wir hiemit - nur um für den Fall der Unrichtigkeit unserer Rechtsansicht abgesichert zu sein - nochmals die Kündigung Ihres Dienstverhältnisses zum nächstmöglichen Kündigungstermin aus. ..."
Mit einem am zur Post gegebenen vorbereitenden Schriftsatz dehnte der Kläger sein Anfechtungsbegehren aus, sodass es nun auch die Rechtsunwirksamerklärung der Kündigung vom umfasste. Die beklagte Partei anerkannte die Rechtsunwirksamkeit der ersten Kündigung wegen eines Verstoßes gegen § 45a AMFG. Dem (neuen) Begehren auf Unwirksamerklärung der Kündigung vom hielt sie unter anderem entgegen, dass der Kläger die einwöchige Anfechtungsfrist versäumt habe. Die Kündigung des Klägers und weiterer vier Dienstnehmer sei aus zwingenden wirtschaftlichen Gründen daher unumgänglich gewesen und nicht sozialwidrig. In einem "Parallelverfahren" anerkannte die beklagte Partei das Begehren des Klägers auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis über den hinaus aufrecht fortbestanden habe, welches Begehren dieser mit der Unwirksamkeit der Kündigung nach § 45a Abs 5 AMFG begründet hatte; darüber erging am ein (unbekämpft in Rechtskraft erwachsenes) Anerkenntnisurteil.
Das Erstgericht wies das Begehren, die am ausgesprochene Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären, ab; über das weitere Begehren (Anfechtung der Kündigung vom ) wurde nicht abgesprochen. Bei Fehlen eines Betriebsrats könne der betroffene Arbeitnehmer gemäß § 107 ArbVG eine Kündigung oder Entlassung binnen einer Woche nach Zugang beim Gericht anfechten, was auch in Form einer Klageausdehnung in einem laufenden Verfahren erfolgen könne. Auch dabei sei die Frist von einer Woche einzuhalten, was der Kläger versäumt habe. Mit der Anfechtung einer Eventualkündigung könne nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Anfechtung der ersten Kündigung zugewartet werden.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass das Begehren nicht abgewiesen, sondern zurückgewiesen wurde, und erklärte den Revisionsrekurs für nicht zulässig. Gegen die grundsätzliche Zulässigkeit einer weiteren Kündigung (Eventualkündigung) bestünden keine Bedenken. Es wäre für den Arbeitgeber unzumutbar, wenn man ihm generell die Möglichkeit nehme, ein bloß schwebend rechtsunwirksames Dienstverhältnis durch eine weitere Kündigung für den Fall beenden zu können, dass dem ersten Anfechtungsbegehren des Dienstnehmers stattgegeben würde. Die Prüfung einer Prozessvoraussetzung, wozu auch die Einhaltung einer gesetzlichen Klagefrist gehöre, müsse an objektive Kriterien geknüpft sein, und zwar unabhängig davon, ob die Klage begründet ist. Eine Bedachtnahme darauf, ob sich die maßgeblichen Umstände zwischen den beiden Kündigungserklärungen geändert hätten, komme daher nicht in Betracht. Nach dem Vorbringen des Klägers sei sowohl ihm als auch der beklagten Partei die Unwirksamkeit der ersten Kündigung wegen Verstoßes gegen § 45a AMFG - und zwar lange vor Einbringung der Feststellungsklage - bekannt gewesen, was die Konsequenz habe, dass es sich bei der Eventualkündigung um die einzige wirksame Kündigung gehandelt habe. Die Anfechtungsfrist für den Kläger habe daher überhaupt erst mit der Übergabe der Eventualkündigung am begonnen. Für eine Erstreckung der Wirkungen der (vorangegangenen) Anfechtung einer früheren Kündigung, die im Ergebnis mangels Beschwer ins Leere gehen müsse, auf die bei Klagseinbringung noch nicht absehbare spätere Kündigung bestehe hingegen keine gesetzliche Grundlage. Da die - zur Wahrung der Klagefrist an sich geeignete - Klageausdehnung außerhalb der Frist des § 107 ArbVG bei Gericht eingebracht worden sei, habe sie das Erstgericht zu Recht als verspätet beurteilt. Es bestehe kein Anlass, die Eventualkündigung bezüglich der Frist zu privilegieren. Die Anwendbarkeit der Frist könne wegen des Charakters einer Prozessvoraussetzung auch nicht davon abhängen, ob sich der Kläger letztlich auf den gleichen Anfechtungsgrund wie im vorangegangenen Verfahren beschränken will oder ob er zusätzlich neue bzw überhaupt andere Anfechtungsgründe geltend machen möchte. Im Erfordernis der Einhaltung der einwöchigen Anfechtungsfrist könne auch keine Schikane gegenüber dem Dienstnehmer gesehen werden. Der Kläger gestehe selbst zu, dass die (einzige) Eventualkündigung im Interesse der rechtlichen Absicherung des Dienstgebers ausgesprochen wurde, der von der Unwirksamkeit der ersten Kündigung ausgehen musste. Da es sich nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des OGH bei der einwöchigen Frist zur gerichtlichen Anfechtung einer Kündigung um eine prozessuale Frist handle, seien verspätete Anfechtungsklagen in analoger Anwendung des § 543 ZPO nicht mittels Urteils abzuweisen, sondern mit Beschluss zurückzuweisen. Auch wenn sich das Erstgericht in der Entscheidungsform vergriffen habe, liege in Wahrheit ein Beschluss vor, der mit Rekurs anzufechten sei.
Die (außerordentliche) Revision des Klägers ist zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof noch nicht mit der Frage beschäftigt hat, ob die Anfechtungsfrist des § 107 (bzw des § 105 Abs 4) ArbVG auch dann einzuhalten ist, wenn während eines bereits laufenden Anfechtungsprozesses das Anfechtungsbegehren auf eine Eventualkündigung ausgedehnt wird, die auf keine anderen Umstände gestützt wurde als die bereits (rechtzeitig) angefochtene erste Kündigung. Der Revisionsrekurs ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zu den Fragen der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Eventualkündigung sowie der Einordnung der Frist des § 107 ArbVG durch die herrschende Rechtsprechung als prozessuale Frist kann auf die zutreffenden Ausführungen des Rekursgerichts sowie dessen einschlägigen Zitate verwiesen werden (jüngst dazu Lovrek, Die Eventualkündigung im Arbeitsrecht und ihre prozessualen Folgen, in FS Bauer/Maier/Petrag [2004], 261 ff mwN). Gerade im vorliegenden Fall erscheint die Eventualkündigung in keiner Weise bedenklich oder gar sittenwidrig, da angesichts der Umstände (Unterlassung einer Anzeige nach den AMFG) die Unwirksamkeit der ersten Kündigung durchaus nicht unwahrscheinlich war. Der Fall läge nicht wesentlich anders, wenn die beklagte Partei von vornherein die Unwirksamkeit der ersten Kündigungserklärung zugestanden und die spätere Kündigung ohne jede Bedingung ausgesprochen hätte.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist nicht allein entscheidend, ob es sich um einen "einheitlichen Kündigungsfall" handelt. Wird etwa die erste Kündigung gar nicht bekämpft, weil der Dienstnehmer (zu Recht) von deren Unwirksamkeit ausgeht, kann kein Zweifel daran bestehen, dass für die Anfechtung einer Eventualkündigung die gesetzliche Anfechtungsfrist einzuhalten ist. Zutreffend hat schon das Rekursgericht darauf hingewiesen, dass es bei der Prüfung, ob die prozessuale Frist von einer Woche eingehalten wurde, nicht auf materiellrechtlich bedeutsame Aspekte ankommen kann, etwa auf die der Kündigung zugrunde liegende Motivation des Dienstgebers oder die vom Dienstnehmer geltend gemachten Anfechtungsgründe. Die leichte Überprüfbarkeit der Einhaltung der Klagefrist ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich und gestattet keine subtile Differenzierung nach verschiedenen Fallgruppen, sodass auch der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Ausspruchs einer Eventualkündigung bereits ein Anfechtungsverfahren wegen einer früheren Kündigung anhängig ist, keine Rolle spielen kann. Ebensowenig kann darauf Bedacht genommen werden, ob der Dienstgeber angesichts der jeweiligen Umstände (typischerweise) auch mit einer Bekämpfung der Eventualkündigung durch den Dienstnehmer rechnen muss oder nicht.
Die vom Kläger gewünschte Annahme eines "einheitlichen Kündigungsfalls" hätte auch zur Konsequenz, dass der Kläger die Anfechtung der Eventualkündigung nicht auf andere oder zusätzliche Gründe stützen dürfte, was aber weder vom Gesetzeswortlaut noch vom Gesetzeszweck gedeckt wäre. Dem Dienstnehmer, der von vornherein den Standpunkt vertritt, die erste Kündigung könne - wegen ihrer Anfechtbarkeit - keinen Bestand haben (bzw hier: die Kündigung wäre von vornherein unwirksam), ist es auch keineswegs unzumutbar, in den Fällen einer unbedenklichen Eventualkündigung ebenso die gesetzliche Klagefrist einzuhalten wie auch sonst bei der Kündigungsanfechtung. Gerade in einem Fall wie dem vorliegenden geht die Argumentation des Klägers, die zweite Kündigungsfrist sei nicht geeignet gewesen, neuerlich eine Anfechtungsfrist auszulösen, weil die Kündigung zum Zeitpunkt ihrer Wiederholung bereits fristgerecht gerichtlich angefochten gewesen sei, schon deshalb ins Leere, weil eben noch keine rechtswirksame Kündigung vorlag. Aber auch in anderen Fällen ist der Dienstnehmer durch das Erfordernis, innerhalb einer Woche (neuerlich) eine gerichtliche Anfechtung vorzunehmen, nicht unzumutbar belastet, was umso mehr für eine Klageänderung in einem bereits anhängigen Anfechtungsprozess gilt.
Soweit der Kläger schließlich vermeint, die Anfechtungsfrist habe für ihn aufgrund der Unwirksamkeit der ersten Kündigung überhaupt erst am begonnen und seine Klageführung sei schon deshalb rechtzeitig, weil er bereits am eine Anfechtung vorgenommen habe, die sich auch auf die "Wiederholung der Kündigung" erstrecken müsse, übersieht er, dass von seinem Klagebegehren ausschließlich die Kündigungserklärung vom erfasst war. Schon wegen des Erfordernisses der Individualisierung des Begehrens konnten davon allfällige weitere Kündigungen nicht betroffen sein. Der Kläger hat die Notwendigkeit einer weiteren Anfechtung auch erkannt und dieser durch eine entsprechende "Erweiterung des Klagebegehrens" Rechnung getragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO iVm §§ 2, 58 Abs 1 ASGG.
Da mit der (hier überprüften) Entscheidung des Erstgerichts lediglich ein Teil des Begehrens erledigt, nämlich zurückgewiesen wurde, wird über das verbliebene Anfechtungsbegehren noch abzusprechen sein. Entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes stehen dem die Bestimmungen über das Ergänzungsurteil nicht entgegen, weil das Erstgericht in diesem Verfahren noch gar keine Sachentscheidung gefällt, sondern sich nur in der Entscheidungsform vergriffen hat, was bereits vom Rekursgericht korrigiert wurde.