VfGH vom 12.12.2003, B916/02

VfGH vom 12.12.2003, B916/02

Sammlungsnummer

17096

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung der Umsatzsteuerbefreiung für den Verkauf von Kunstwerken aus einem Nachlass an einen ausländischen Abnehmer wegen fehlenden Buchnachweises; gleichheitswidrige Gesetzesauslegung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2142,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Berufungssenates I der Finanzlandesdirektion für Tirol vom wurden dem Beschwerdeführer Einkommensteuer für die Jahre 1989 und 1990 in der Höhe von rd. 4,3 Mio Schilling, Gewerbesteuer für die Jahre 1989 und 1990 in der Höhe von rd. 1,3 Mio Schilling und Umsatzsteuer für die Jahre 1989, 1990 und 1992 in der Höhe von rd. 1,6 Mio Schilling sowie Säumniszuschläge, Stundungs- und Aussetzungszinsen von rd. 1,3 Mio Schilling vorgeschrieben.

2. Dem vorliegenden Beschwerdefall liegt - ausgehend vom Beschwerdevorbringen - im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:

2.1. Nach der letztwilligen Anordnung der am verstorbenen Malerin H G sollte ein Teil ihres künstlerischen Nachlasses einer zu gründenden Stiftung und ein weiterer Teil bestimmten Erben zufallen. Die A-H B.V. mit Sitz in N (Niederlande) habe diesen künstlerischen Nachlass in zwei Tranchen erworben, und zwar von den Erben mit Kaufvertrag vom die an diese übergegangenen Werke zum Preis von DM 90.000,-- und von der Stiftung mit Kaufvertrag vom den übrigen Nachlass zum Preis von ATS 1.698.000,--. Die Finanzierung dieses Erwerbes sei durch ein Darlehen der A-B-GmbH erfolgt, die dafür ihrerseits ein Fremddarlehen aufgenommen habe.

Gemeinsame Gesellschafterin der beiden Gesellschaften sei R W, die damalige Gattin des Beschwerdeführers, gewesen. Die Genannte sei seit 1981 Alleineigentümerin der A-H B.V. und seit 1983 auch Alleineigentümerin der A-B-GmbH gewesen. Der Beschwerdeführer sei an der A-H B.V. niemals, an der A-B-GmbH seit 1977 nicht mehr beteiligt gewesen.

Die belangte Behörde vertrete im bekämpften Bescheid die Auffassung, dass es sich bei der A-H B.V. um eine "typisch nicht tätige Gesellschaft" ohne eigene Infrastruktur handle, die bereits aus diesem Grund "am Erwerbsleben gar nicht teilnehmen" habe können und überdies bei ihren jeweiligen steuerlichen Vertretern domiziliert gewesen sei. Die Geschäftsgebarung dieser Gesellschaft sei steuerlich beim Beschwerdeführer als dem "tatsächlichen Träger" der dort entfalteten Tätigkeit zu erfassen. Es handle sich dabei um eine "in Wahrheit nicht tätige Sitzgesellschaft", für die [der Beschwerdeführer] das Interesse gehabt habe, "selbst sämtliche Schritte ... zu unternehmen".

2.2. Die A-H B.V. habe das Gesamtwerk der H G mit Kaufvertrag vom 12. und an ihre Tochtergesellschaft, die M Anstalt mit Sitz in N (Liechtenstein), um den Preis von ATS 1,7 Mio verkauft. Dieser Verkauf sei erfolgt, um einen Zugriff des Galeristen K A auf diese Bilder zu verhindern, nachdem dieser zur Geltendmachung behaupteter Provisionsansprüche eine Klage gegen die A-H B.V. erhoben habe, die aber erfolglos geblieben sei. Die belangte Behörde bestreite - mangels vollständiger Bezahlung des Kaufpreises - das Eigentum der A-H B.V. an den Bildern und vertrete die Auffassung, dass das Eigentum daran "direkt" auf die M Anstalt übergegangen sei.

Alleingesellschafter der M Anstalt sei die A-H B.V. gewesen, "nachdem [der Beschwerdeführer] sie als deren Prokurist mit Vertrag vom von Prof. E F für sie erworben habe". Dies habe der Beschwerdeführer dem damaligen - zwischenzeitig verstorbenen - steuerlichen Vertreter der A-H B.V. mit Schreiben vom mitgeteilt. Die A-H B.V. - und nicht der Beschwerdeführer - sei Inhaber des Originaldokumentes über die so genannten Gründerrechte, die die Gesellschafterstellung nach liechtensteinischem Recht dokumentierten.

Nach Ansicht der belangten Behörde sei auch die M Anstalt eine "reine Sitzgesellschaft", also eine "Briefkastenfirma", deren Geschäftsgebarung daher steuerlich dem Beschwerdeführer zuzurechnen sei. Dies gelte insbesondere auch für die von dieser Gesellschaft getätigten Bilderverkäufe. Dabei handle es sich um folgende Vorgänge der Jahre 1989 und 1990:


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Verkauf des Bildes "Landschaft in Wales" am an die BAWAG-Foundation um ATS 520.000,--,


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Verkauf von zwei Bildern im Jahr 1989 an die A Kunsthandlungs GmbH, R-W (Deutschland), um ATS 168.000,--,


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Verkauf der restlichen G-Sammlung mit Vertrag vom an die M A Limited um SFR 2.150.000,--.

Die M A Limited sei eine im Mai 1990 gegründete Aktiengesellschaft nach dem Recht der British Virgin Islands. Die Gründung dieser Gesellschaft und der Bilderverkauf an sie sei in einem gemeinsamen Vertrag zwischen DDr. B, der A-H B.V. und der M Anstalt geregelt worden. Nach den Feststellungen der belangten Behörde habe es sich dabei um ein "zentrales Vertragsdokument in der Art eines Fahrplanes" gehandelt, in dem die erforderlichen Maßnahmen und Schritte "in detailliertester Form" festgehalten seien. Daraus gehe klar hervor, wie sich die Abwicklung des Verkaufes des restlichen Nachlasses von H G an die M A Limited dargestellt habe. Dieser Vertrag enthalte Aussagen zur Gesellschafterstruktur der M A Limited; an dieser Gesellschaft sei der Beschwerdeführer nicht - auch nicht mittelbar - beteiligt gewesen.

2.3. Ausgangspunkt des gegenständlichen Abgabenverfahrens sei eine - im Zuge eines gegen R W, die damalige Gattin des Beschwerdeführers, und gegen den Beschwerdeführer selbst vor dem Landesgericht Innsbruck anhängigen Finanzstrafverfahrens - im Jahre 1994 durchgeführte Hausdurchsuchung gewesen. Das Strafverfahren befinde sich im zweiten Rechtszug; es sei - in Bezug auf den Beschwerdeführer - noch nicht einmal erstinstanzlich abgeschlossen.

3. Sowohl im erstinstanzlichen als auch in dem nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurden die in den Jahren 1989 und 1990 erzielten Umsätze und Gewinne aus der Tätigkeit des Erwerbes und der Vermarktung des künstlerischen Nachlasses der

H G dem Beschwerdeführer zugerechnet. In Anwendung des abgabenrechtlichen Grundsatzes der wirtschaftlichen Betrachtungsweise (§21 BAO) wurde der Beschwerdeführer - abweichend von der äußeren Erscheinungsform - unter Hinweis auf den "wahren wirtschaftlichen Gehalt des Sachverhaltes" als Träger der Erwerbstätigkeit und die vertragliche Einbindung der Gesellschaften A-H B.V. und M Anstalt als eine solche lediglich formaler Natur angesehen. Die Tätigkeit wurde als solche aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 23 Z 1 EStG 1988 beurteilt, da der Erwerb der Kunstwerke bereits in Verwertungsabsicht erfolgt sei und die Vermarktung sich als zielgerichtetes und planvolles Handeln darstelle. Bei der umsatzsteuerlichen Behandlung der Veräußerung zweier Gemälde an die A Kunsthandlung GmbH im Jahr 1989 wurde dem Antrag auf Zuerkennung der Steuerbefreiung gemäß § 6 Z 1 iVm. § 7 Abs 1 UStG 1972 nicht entsprochen, weil die Voraussetzung des Buchnachweises gemäß § 7 Abs 1 Z 3 iVm. § 18 Abs 8 UStG 1972 nicht erbracht werden konnte.

4. In seiner auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde macht der Beschwerdeführer die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung des behauptetermaßen verfassungswidrigen § 18 Abs 8 UStG 1972, allenfalls auch des § 6 Z 1 und/oder des § 7 Abs 1 Z 3 UStG 1972, geltend.

4.1. Begründend verweist der Beschwerdeführer zum einen auf "zahlreiche - überwiegend einfachgesetzliche - Rechtswidrigkeiten des angefochtenen Bescheides, die in ihrer Gesamtheit den Eindruck eines 'gehäuften Verkennens' der Sach- und Rechtslage durch die belangte Behörde vermitteln" (vgl. S 18 der Beschwerde). Im Wesentlichen erachtet es der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang als rechtswidrig, dass die in Rede stehenden Bilderverkäufe ihm zugerechnet worden sind.

4.2. Zum anderen bringt der Beschwerdeführer vor, die M Anstalt habe 1989 zwei Bilder um insgesamt ATS 168.000,-- an die A Kunsthandlung GmbH mit Sitz in Deutschland verkauft. Diese beiden Umsätze seien dem Beschwerdeführer steuerlich zugerechnet worden. Er habe dafür erfolglos die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen reklamiert. Nach Ansicht der belangten Behörde sei der erforderliche Buchnachweis nicht erbracht worden, da der Beschwerdeführer überhaupt keine Bücher geführt habe. Beides sei korrekt und werde vom Beschwerdeführer auch als richtig außer Streit gestellt.

Dagegen bestünden jedoch gravierende verfassungsrechtliche Bedenken. Es sei überzogen, eine Verletzung des Buchnachweises - somit letztlich einer reinen Formvorschrift - mit dem Verlust der Steuerbefreiung zu bestrafen. Dazu komme noch - als Besonderheit des vorliegenden Falles -, dass die Zurechnung dieser Umsätze an den Beschwerdeführer erst im Jahr 1995 erfolgt sei, somit zu einer Zeit, zu der der Buchnachweis nicht mehr erbracht werden konnte.

4.3. Im Weiteren hält der Beschwerdeführer eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des UStG für möglich, und zwar auf Grund folgender Überlegungen:

Der Wortlaut des § 18 Abs 8 UStG 1972 lasse es zu, die Bestimmung dahingehend zu deuten, dass es dem Unternehmer obliege, für die "leichte Nachprüfbarkeit" der Befreiungsvoraussetzungen zu sorgen. Dafür stünden ihm alle nur erdenklichen Beweismittel zur Verfügung (§166 BAO), zu denen auch der Buchnachweis im traditionellen Sinn zähle. Gelinge dieser aber nicht, so könne der Nachweis auch auf andere Weise erbracht werden. Das UStG lege nicht fest, wie der Buchnachweis zu erbringen sei bzw. wann er vorliege. Daher könne der Unternehmer diesen Nachweis auf jede erdenkliche Weise führen (§166 BAO). Entscheidend sei nur die leichte Nachprüfbarkeit der Befreiungsvoraussetzungen durch die Finanzbehörde; dafür habe der Unternehmer - egal wie - zu sorgen.

4.4. Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof eine derartige verfassungskonforme Auslegung des § 18 Abs 8 (allenfalls iVm. § 6 Z 1 und/oder § 7 Abs 1 Z 3) UStG 1972 nicht für möglich halte, regt der Beschwerdeführer die amtswegige Prüfung dieser Bestimmungen im Verfahren nach Art 140 B-VG an.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 8823/1980, 9478/1982) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg. 9478/1982 ausgesprochen hat, bestehen gegen die gesetzlichen Grundlagen des angefochtenen Bescheides - was den in der Beschwerde bekämpften Aspekt der Vorschreibung von Umsatzsteuer (auch) für Ausfuhrlieferungen betrifft -, nämlich § 6 Z 1 und § 7 Abs 1 Z 3 iVm. § 18 Abs 8 UStG 1972, keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich mit Blick auf den vorliegenden Beschwerdefall nicht veranlasst, von dieser Auffassung abzugehen.

2.2. Aus dem angefochtenen Bescheid geht hervor, dass hinsichtlich des Verkaufes zweier Bilder an die A Kunsthandlung GmbH in Deutschland auch die belangte Behörde sowohl von der Tatsache des Abschlusses eines Umsatzgeschäftes mit einem ausländischen Abnehmer (§7 Abs 1 Z 1 UStG 1972) als auch davon ausgeht, dass der Ausfuhrnachweis über die in Erfüllung dieses Umsatzgeschäftes erfolgte Beförderung des Gegenstandes in das Ausland erbracht ist (§7 Abs 1 Z 2 leg. cit.). Dennoch meint die belangte Behörde, dass in dieser Hinsicht ein steuerbefreiter Umsatz nicht vorliege; u.zw. deshalb, weil für die genannten Tatsachen der Buchnachweis fehle und vom Beschwerdeführer auch nicht erbracht werden könne, da er keine Bücher iSd. § 18 UStG 1972 geführt habe.

Damit hat die belangte Behörde der Bestimmung des § 7 Abs 1 Z 3 UStG 1972 den Sinn beigelegt, dass ungeachtet des im vorliegenden Fall völlig zweifelsfreien Vorliegens der materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit des in Rede stehenden Umsatzes die Steuerbefreiung allein deshalb nicht zu gewähren sei, weil der darüber hinausgehende - hier also bloß formelle - Buchnachweis fehlt. Eine solche Auslegung ist überschießend und verstößt gegen das dem Gleichheitssatz innewohnende Verhältnismäßigkeitsgebot (vgl. zB VfSlg. 10.517/1985, 10.926/ 1986, 11.295/1987, 11.833/1988). Der angefochtene Bescheid verletzt daher den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.

Schon im Hinblick darauf war der Bescheid aufzuheben, ohne dass geprüft werden musste, ob der Beschwerdeführer auch in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- sowie die gemäß § 17a VfGG entrichtete Eingabengebühr in Höhe von € 180,-- enthalten.

4. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.