OGH vom 28.11.2001, 9ObA86/01i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Stefan und Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Handel, Transport, Verkehr, Teinfaltstraße 7, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Georg Grießer ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die Antragsgegnerin Wirtschaftskammer Österreich, Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag in nichtöffentlicher Sitzung folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Es wird festgestellt,
1) dass den als Billeteuren bezeichneten Arbeitnehmern des Publikumsdienstes des Österreichischen Bundestheaterverbandes, die zum Zeitpunkt der Übernahme ihrer Dienstverhältnisse durch die G***** Austria AG bereits Ansprüche auf Zettelgeld besaßen, diese Ansprüche gegenüber der G***** AG als Arbeitgeber auch dann zustehen, obwohl sie diese ab deren Entstehen deshalb nicht innerhalb der kollektivvertraglichen Verfallsfrist von drei Monaten geltend gemacht haben, weil sie wussten, dass die Ansprüche prinzipiell von ihrem Arbeitgeber abgelehnt werden und sie bei deren Geltendmachung mit Grund eine Kündigung durch den Arbeitgeber befürchten müssen, insbesondere weil die G***** AG angekündigt hat, jeden Billeteur zu kündigen, der einen Anspruch auf Zettelgeld geltend mache;
2) dass die Ansprüche auf Zettelgeld den zuvor bezeichneten Billeteuren gegenüber der G***** AG als Arbeitgeber auch dann zustehen, wenn die Billeteure im aufrechten Arbeitsverhältnis ohne darüber hinausgehende rechtsgeschäftliche Erklärung vom Arbeitgeber verfasste und ihnen zur Unterschrift vorgelegte Dienstzettel unterfertigten, in denen das Recht des Arbeitgebers festgehalten war, überkollektivvertragliche Leistungen einseitig zu widerrufen.
Text
Begründung:
Die G***** AG (im Folgenden G*****), ein Bewachungsunternehmen, ist kollektivvertragsangehöriges Mitglied der Antragsgegnerin. Auf sie findet der Kollektivvertrag für Wachorgane im Bewachungsgewerbe Anwendung.
Die G***** übernahm ab (Saison 1996/97) den so genannten "Publikumsdienst" des Österreichischen Bundestheaterverbandes im Bereich von Staats- und Volksoper sowie Burg- und Akademietheater. Es lag insoweit ein Betriebsteil-Übergang gemäß § 3 Abs 1 AVRAG an die G***** vor, die damit als Arbeitgeber in die im Zeitpunkt des Überganges zum Österreichischen Bundestheaterverband bestehenden Dienstverhältnisse der Billeteure eintrat.
Die Billeteure hatten auf Grund einer mit Wissen und Willen des früheren Dienstgebers uneingeschränkt seit zumindest 30 Jahren praktizierten Übung, die Eingang in die Einzelarbeitsverträge gefunden hatte, neben ihrer Entlohnung auch das so genannte "Zettelgeld" bezogen. Dabei hatte es sich um einen 10 %igen Anteil am Erlös der anlässlich der jeweiligen Abendvorstellung verkauften Programme gehandelt, der vom Oberbilleteur nach bestimmten Richtlinien auf die Billeteure aufgeteilt worden war.
Der infolge des Betriebsteil-Überganges auf die Billeteure anzuwendende Kollektivvertrag für die Wachorgane im Bewachungsgewerbe enthält folgende Verfallsregelung (§ 19):
"Sämtliche Ansprüche verfallen, sofern sie nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich beim Arbeitgeber geltend gemacht werden. Als Fälligkeit gilt der Auszahlungstag jener Lohnperiode, in welcher der Anspruch entstanden ist. Bei rechtzeitiger Geltendmachung bleibt die gesetzliche dreijährige Verjährungsfrist gewahrt."
Der Antragsteller begehrt gemäß § 54 Abs 2 ASGG die beiden aus dem Spruch ersichtlichen Feststellungen mit dem Ziel, dass der kollektivvertragliche Verfall und der in den Dienstzetteln enthaltene Widerrufsvorbehalt den Ansprüchen der Billeteure auf Zettelgeld nicht anspruchsvernichtend entgegengehalten werden können:
Eine Verfallsregelung verfolge grundsätzlich den Zweck, dass sich der Arbeitgeber ein Bild über die von seinen Arbeitnehmern behaupteten Ansprüche machen könne, um späteren Beweisschwierigkeiten vorzubeugen. Die G***** habe aber den Anspruch auf Zettelgeld bereits dem Grunde nach kategorisch abgelehnt. Diese Ablehnung sei allen Billeteuren bekannt gewesen. Es wäre daher sinnlos gewesen, in drei-Monats-Abständen die jeweils fällig gewordenen Ansprüche auf Zettelgeld gegenüber der G***** geltend zu machen. Ein Anspruchsschreiben habe schon begrifflich nur dann einen Sinn, wenn zumindest die theoretische Möglichkeit bestehe, dass der geltend gemachte Anspruch vom Schuldner ganz oder zumindest teilweise anerkannt werde. Verfallsbestimmungen würden zu einem letztlich demütigenden Ritual, wenn sie auch dann Anwendung finden, obwohl der Arbeitgeber den Anspruch schon dem Grunde nach bestreite und dies den betroffenen Arbeitnehmern auch bewusst sei.
Der vorliegende Sachverhalt zeichne sich auch dadurch aus, dass der Arbeitgeber einen jahrzehntelang unstrittigen Anspruch einseitig widerrufen habe. Es habe für den Arbeitgeber kein Anlass für die Annahme bestanden, dass die vom Widerruf betroffenen Arbeitnehmer mit dieser einseitigen Kürzung eines für sie maßgeblichen Entgeltbestandteiles einverstanden seien; vielmehr habe er aus dem Verhalten seiner Arbeitnehmer wissen müssen, dass diese den Widerruf bekämpfen. Der Einwand des Verfalls verstoße nach der Judikatur gegen Treu und Glauben, wenn sich der Arbeitgeber selbst kollektivvertragswidrig verhalten habe. Dies müsse umso mehr gelten, wenn der Arbeitgeber ankündige, jede Geltendmachung eines Anspruches auf Zettelgeld mit Kündigung zu sanktionieren.
Der Dienstzettel sei eine Wissenserklärung, mit der keine Vereinbarung geschlossen, sondern lediglich ihr Inhalt aus Sicht des Arbeitgebers wiedergegeben werde. Der Dienstzettel sei vom Arbeitsvertrag, der konstitutiv eine Vereinbarung begründe, streng zu unterscheiden; er würde nicht dadurch zu einem Arbeitsvertrag, dass er vom Arbeitnehmer zur Kenntnis genommen werde. Die bloße Unterschrift auf einem Dienstzettel bestätige nur, soweit keine anderen Sachverhaltselemente vorliegen, dass der Arbeitnehmer die Vorstellungen des Arbeitgebers, welche Vereinbarung geschlossen worden sei, zur Kenntnis nehme.
Dazu behauptet der Antragsteller folgenden Sachverhalt:
Die G***** stellte ab (Saison 1997/98) die Zahlung des Zettelgeldes ein. Sie begründete dies unrichtig damit, dass ihr Auftraggeber, der Österreichische Bundestheaterverband, keine weiteren Zettelgeldzahlungen mehr leisten wolle; tatsächlich zahlte der Österreichische Bundestheaterverband weiterhin einen Prozentsatz der Einnahmen aus den Programmverkäufen an die G*****, die es allerdings ablehnte, diese Zahlungen an die Billeteure weiterzuleiten.
Daraufhin wandten sich einige Billeteure an die G***** und machten ihre Ansprüche auf Zettelgeld im Zeitraum September 1997 bis September 1998 schriftlich geltend. Die Ansprüche wurden von der G***** abgelehnt. Sie stellte sich auf den Standpunkt, sie wäre "nach AVRAG" lediglich verpflichtet gewesen, Mehrleistungen gegenüber dem anzuwendenden Kollektivvertrag für die Dauer eines Jahres zu gewähren; da diese Periode mit abgelaufen sei, müsse sie das Zettelgeld nicht mehr weiter zahlen. Die G***** bezog sich in ihrer Ablehnung weiters auf neue "Dienstzettel", die von den Billeteuren beginnend ab Dezember 1996 unterfertigt worden waren; sie würden die G***** zum Widerruf des Zettelgeldes berechtigen.
In den Dienstzetteln hieß es unter der Rubrik "Zulagen" wörtlich:
"Außerkollektivvertragliche Zulagen, Mehrverdienste und Spesenvergütungen sind an den jeweiligen Dienstplatz gebunden und können jederzeit vom Arbeitgeber einseitig widerrufen werden." Eine Erörterung dieser Dienstzettel mit den Billeteuren hatte allerdings nicht stattgefunden. Die Billeteure waren lediglich von den Oberbilleteuren oder anderen Vorgesetzten aufgefordert worden, diese Dienstzettel zu unterfertigen, wobei dies als "bloße Formsache" dargestellt worden war. Über die Unterfertigung der Dienstzettel hinaus wurde weder mündlich noch schriftlich eine rechtsgeschäftliche Handlung gesetzt oder eine Erklärung abgegeben.
Es war allen bei der G***** beschäftigten Billeteuren ab Oktober/November 1996 bekannt, dass die G***** den Anspruch auf Zettelgeld kategorisch ablehne. Der Vorstand der G***** teilte mit, jeden Billeteur zu kündigen, der einen Anspruch auf Zettelgeld geltend mache. Da die Einstellung des Zettelgeldes einen erheblichen Teil (bis zu 20 %) der Entlohnung betraf, wurde unter den Billeteuren über diese Einstellung debattiert. Den Billeteuren war auch das Schicksal eines Kollegen bekannt, der, obwohl er einer der tüchtigsten Mitarbeiter der G***** gewesen und vom Publikum sogar zum beliebtesten Billeteur gewählt worden war, zunächst versetzt und schließlich gekündigt worden war, weil er seinen Anspruch auf Zettelgeld außergerichtlich und gerichtlich geltend gemacht hatte. Die Billeteure wussten, dass sie für den Fall der Geltendmachung damit rechnen müssen, gekündigt zu werden. Aus diesem Grunde nahmen sie davon Abstand, ihre Ansprüche auf Zettelgeld gegenüber der G***** geltend zu machen.
Der geltend gemachte Sachverhalt trifft auf mindestens drei Arbeitnehmer zu, welche kollektivvertragsangehörige Mitglieder des Antragstellers sind. Diese Mitgliedschaft ist durch den Kollektivvertrag für Wachorgane im Bewachungsgewerbe begründet.
Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Feststellungsantrags. Sie bestreitet eine Reihe von Sachverhaltselementen. Die Einstellung des Zettelgeldes sei auf den Österreichischen Bundestheaterverband zurückzuführen. Zu den Dienstzetteln habe es vorher durchaus eine entsprechende Information der Arbeitnehmer gegeben. Mit den Billeteuren sei vereinbart worden, dass das Zettelgeld widerrufen werden könne. Die Dienstzettel seien von beiden Parteien des Arbeitsverhältnisses unterfertigt worden; es handle sich daher um Arbeitsverträge. Die teilweise Verschlechterung habe nur die Zukunft und nicht bereits erworbene Zettelgelder betroffen. Eine ganze Reihe von Arbeitnehmern habe wiederholt Ansprüche gestellt; es habe daher offenbar keine Angst um den Arbeitsplatz bestanden. Es sei nur das Anspruchsschreiben eines einzigen Arbeitnehmers beantwortet worden; es werde daher bestritten, dass der Inhalt von Schreiben der G***** allen Arbeitnehmern bekannt gewesen sei. Es sei keine verschlechternde Versetzung erfolgt. Provisionsansprüche seien abdingbar. Ohne laufende Geltendmachung der Ansprüche könne sich die G***** kein Bild machen, wieviele Arbeitnehmer für welche Zeiträume Anspruch auf Zettelgeld erheben. Die Rechtsprechung habe bisher nur dann von einem Verstoß des Arbeitgebers gegen Treu und Glauben gesprochen, wenn er sich auf den Verfall stütze, obwohl er beharrlich gegen seine kollektivvertragliche Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Lohnabrechnung verstoßen habe. Falls tatsächlich auf Grund der Geltendmachung von Ansprüchen eine Kündigung erfolge, habe der betroffene Arbeitnehmer ohnehin die Möglichkeit der Anfechtung (§ 105 ArbVG); sollte es zu einer unzulässigen Versetzung kommen, könne er nach § 101 ArbVG vorgehen bzw habe die Möglichkeit des vorzeitigen Austritts. Im Übrigen habe die G***** gar nicht gedroht, jede Geltendmachung eines Anspruchs mit einer unzulässigen Versetzung oder Kündigung zu sanktionieren. Es hätte lediglich einen Fall einer Kündigungsanfechtung und Behauptung einer unzulässigen Versetzung gegeben. Der gegenständliche Antrag sei auch deshalb abzuweisen, weil die Sachverhaltssituation bezüglich der einzelnen Arbeitnehmer erhebliche Unterschiede aufweise. Der Antragsteller stelle auch keinen Sachverhalt dar, der für mindestens drei Arbeitnehmer von Bedeutung wäre. Der Antrag sei nicht geeignet, künftige Streitigkeiten abzuschneiden.
Rechtliche Beurteilung
Der Feststellungsantrag ist zulässig und berechtigt.
Im Verfahren gemäß § 54 Abs 2 ASGG ist unter anderem die aktive und passive Legitimation von Amts wegen zu prüfen. Aktiv und passiv legitimiert sind ausschließlich kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer (§ 54 Abs 2 ASGG unter Hinweis auf §§ 4 bis 7 ArbVG), welche im Rahmen ihres Wirkungsbereiches Anträge stellen können (Kuderna, ASGG**2 352 f). Dies ist hier der Fall (RIS-Justiz RS0051126, RS0051182, RS0085676).
Der Oberste Gerichtshof hat auf der Grundlage der auf ihre Richtigkeit nicht zu überprüfenden Tatsachenbehauptungen des Antragstellers über den Feststellungsantrag zu entscheiden (§ 54 Abs 4 ASGG; Kuderna aaO 359). Der Einwand der Antragsgegnerin, dass das Sachvorbringen strittig sei, ist daher nicht zielführend; die Antragsgegnerin ist auf rechtliche Argumente beschränkt (JBl 1998, 598; RIS-Justiz RS0109384).
Ad 1) Verfallsfrist
Der infolge des Betriebsteil-Überganges auf die Billeteure anzuwendende Kollektivvertrag für die Wachorgane im Bewachungsgewerbe regelt in § 19, dass sämtliche Ansprüche verfallen, sofern sie nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich beim Arbeitgeber geltend gemacht werden; bei rechtzeitiger Geltendmachung bleibe die gesetzliche dreijährige Verjährungsfrist gewahrt. Die Antragsgegnerin hält der Forderung der Billeteure auf Zahlung des Zettelgeldes diese Verfallsklausel entgegen. Der Antragsteller erwidert, dass die Geltendmachung des Verfalls gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße.
Eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung über die Zulässigkeit von Verfallsvereinbarungen besteht nicht. Die Rechtsprechung bejaht jedoch grundsätzlich deren Zulässigkeit für Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag, zumal es den Parteien grundsätzlich freistünde, auch eine kürzere als die gesetzliche Verjährungsfrist zu vereinbaren (§ 1502 ABGB). Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verfallsvereinbarung ist aber, dass sie nicht sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB ist. Sittenwidrigkeit wird regelmäßig dann angenommen, wenn sie die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschwert.
Durch die Vereinbarung einer dreimonatigen Verfallsfrist wird die Geltendmachung des Zettelgeldanspruches noch nicht übermäßig erschwert; die dreimonatige Frist ist nicht unangemessen kurz. Verfallsfristen von dieser Dauer sind in Kollektivverträgen durchaus üblich; sie haben gerade bei Provisionsansprüchen, deren Ermittlung mit zunehmendem Zeitablauf zu Beweisschwierigkeiten führt, einen sachlichen Grund (ZAS 1983/19 [Irresberger]; Arb 10.475; ARD 4723/30/96; infas 1996, A 96; ARD 5178/8/2000).
Sittenwidrig kann aber nicht nur die Vereinbarung als solche im Hinblick auf ihre inhaltliche Ausgestaltung sein; sittenwidrig kann auch die Berufung auf eine für sich allein betrachtet noch nicht sittenwidrige Verfallsklausel sein, und zwar dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs in einer Art und Weise erschwert oder praktisch unmöglich macht, die die spätere Berufung auf die Verfallsklausel als rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt. Dies wurde vom Obersten Gerichtshof zuerst für den Fall bejaht, dass der Arbeitgeber die durch den Kollektivvertrag vorgesehene Aufzeichnung von Überstunden nicht vorgenommen hat (SozM III E, 141). Hieraus kann allerdings kein allgemeiner Rechtssatz abgeleitet werden, dass sich der Arbeitgeber nicht auf die Verfallsklausel aus einem Kollektivvertrag berufen könne, wenn er selbst gegen diese verstoßen habe (RdW 1985, 380; ecolex 1997, 447). Gegen Treu und Glauben verstößt es aber auch, wenn sich der Arbeitgeber auf den im Kollektivvertrag vorgesehenen Verfall beruft, obwohl er es beharrlich unterlassen hat, eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung iSd Kollektivvertrages auszufolgen (infas 1994, A 161; ecolex 1997, 446; ARD 5226/36/2001; 9 ObA 92/01x). Ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist schließlich auch dann anzunehmen, wenn es der Arbeitgeber geradezu darauf anlegt, die (rechtzeitige) Anspruchsdurchsetzung durch den Arbeitnehmer zu verhindern (infas 1996, A 151). Auf diesen Aspekt wird von der Rechtsprechung auch bei der Beurteilung zurückgegriffen, ob eine Verjährungseinrede gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt (RIS-Justiz RS0014838, RS0014850, RS0034501, RS0034537).
Der vorstehende Gedanke kann aber auch dann nutzbar gemacht werden, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern damit droht, dass jeder gekündigt werde, der einen Anspruch auf Zettelgeld geltend mache. Von einer derartigen Drohung ist nach dem bindenden Tatsachenvorbringen des Antragstellers auszugehen. Einer solchen Drohung des Arbeitgebers muss die Absicht zugrundegelegt werden, die Anspruchsdurchsetzung durch die Arbeitnehmer zu verhindern. Die Antragsgegnerin bestreitet zwar in ihrer Stellungnahme eine derartige Drohung durch den Vorstand der G*****, stellt aber - unterstellt man die Tatsache der Drohung als richtig - die vorstehende Bewertung der Drohung als Versuch des Arbeitgebers, die Anspruchsdurchsetzung zu verhindern, nicht in Frage, sondern meint nur, der betroffene Arbeitnehmer habe ohnehin die Möglichkeit der Kündigungsanfechtung (§ 105 ArbVG), falls tatsächlich auf Grund der Geltendmachung von Ansprüchen eine Kündigung erfolgen sollte.
Einer Auffassung, die sich darauf gründet, durch Rechtsmissbrauch die eigene Position zu verbessern, kann nicht beigetreten werden. Der Arbeitnehmer, dem vom Arbeitgeber ein Anspruch unrechtmäßig vorenthalten wird, kommt ohnehin nicht umhin, eine Abwägung zwischen Ausmaß und Dauer seiner offenen Forderung einerseits und der möglichen Reaktion des Arbeitgebers im Fall der Geltendmachung der Forderung andererseits vorzunehmen. Vor dem Hintergrund einer dem Ablauf entgegensteuernden kurzen Verfallsfrist von drei Monaten und der Drohung des Arbeitgebers mit Kündigung im Fall der Geltendmachung der Forderung gerät aber der Arbeitnehmer unter zusätzlichen Druck, der die spätere Berufung des Arbeitgebers auf die Verfallsklausel bzw den eingetretenen Verfall als Rechtsmissbrauch erscheinen lässt. Ein derartiges sittenwidriges Verhalten des Arbeitgebers erschwert dem Arbeitnehmer nicht nur die rechtzeitige Geltendmachung, sondern legt es geradezu darauf an, ihn durch Einschüchterung infolge Sorge um den Arbeitsplatz an der Geltendmachung seiner Ansprüche zu hindern.
Unterstellt man die Richtigkeit des Tatsachenvorbringens des Antragstellers, dann erweist sich die begehrte Feststellung als berechtigt, dass den oben näher bezeichneten Billeteuren die Ansprüche auf Zettelgeld gegenüber der G***** als Arbeitgeber selbst dann zustehen, wenn sie die Ansprüche ab deren Entstehen deshalb nicht innerhalb der kollektivvertraglichen Verfallsfrist von drei Monaten geltend gemacht haben, weil sie wussten, dass die Ansprüche prinzipiell von ihrem Arbeitgeber abgelehnt werden und sie bei deren Geltendmachung mit Grund eine Kündigung durch den Arbeitgeber befürchten mussten. Dieser Ausspruch war zwecks Klarstellung durch die Beifügung "insbesondere weil die G***** ankündigte, jeden Billeteur zu kündigen, der einen Anspruch auf Zettelgeld geltend mache" zu verdeutlichen.
Die gleichen Erwägungen können grundsätzlich auch für den Fall einer Drohung des Arbeitgebers mit einer verschlechternden Versetzung mit Entgelteinbußen gelten. Eine derartige Drohung wird zwar vom Antragsteller an Hand eines konkreten Arbeitnehmers rechtlich erörtert, nicht jedoch als Tatsache behauptet, die mindestens drei Arbeitnehmer betroffen habe. Die begehrte Feststellung war daher auf den Fall der Kündigungsandrohung zu beschränken.
Ad 2) Widerrufsvorbehalt
§ 2 Abs 1 AVRAG normiert, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer unverzüglich nach Beginn des Arbeitsverhältnisses eine schriftliche Aufzeichnung über die wesentlichen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag (Dienstzettel) auszuhändigen hat. Die Angaben, die der Dienstzettel zu enthalten hat, sind in den Z 1 bis 12 geregelt. Durch
§ 2 AVRAG wird die Richtlinie 91/533/EWG des Rates vom über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen (Nachweisrichtlinie) ins österreichische Arbeitsrecht umgesetzt. Die Motivation für die Nachweisrichtlinie besteht laut Präambel darin, angesichts der Entwicklung neuer Arbeitsformen und der daraus resultierenden Vielfalt der Arten von Arbeitsverhältnissen Maßnahmen in Richtung einer gewissen Formbindung zu treffen, die darauf abzielen, die Arbeitnehmer besser vor etwaiger Unkenntnis ihrer Rechte zu schützen und den Arbeitsmarkt transparenter zu gestalten. Auch der Zweck des § 2 AVRAG ist demgemäß darin zu sehen, einerseits den Arbeitnehmer über die Hauptpunkte des Vertrages zu informieren und ihm andererseits ein Instrument zur Beweissicherung in die Hand zu geben (Holzer/Reissner, AVRAG 43 f mwN; vgl auch Martinek/M. Schwarz/W. Schwarz, AngG7 Anm 12 zu § 6; ecolex 2000/190 [Mazal]).
Der Dienstzettel darf nicht mit dem Arbeitsvertrag verwechselt werden. Schon an der gesetzlichen Definition, wonach der Dienstzettel eine "schriftliche Aufzeichnung über die wesentlichen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag" darstellt, ist zu ersehen, dass dieser als deklaratorisches Schriftstück dem konstitutiv das Arbeitsverhältnis begründenden Arbeitsvertrag gegenüberzustellen ist (Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht8 227; Holzer/Reissner aaO 44). Der Dienstzettel soll also als Beweisurkunde den Inhalt des Dienstvertrages wiedergeben (ecolex 1995, 825). Der Dienstzettel bezeichnet eine Dokumentation der vereinbarten Rechte und Pflichten (Binder, AVRAG § 2 Rz 15). Er ist damit eine "Wissenserklärung des Arbeitgebers über die Rechtslage" bzw. "Vorstellungsmitteilung", also etwas "Faktisches", das vom rechtlichen Phänomen des Arbeitsvertrages, der aus übereinstimmenden Willenserklärungen, mit denen Rechtsfolgen herbeigeführt werden sollen, streng zu unterscheiden ist. Dienstzettel geben nur etwas bereits Vereinbartes wieder und vermögen daher gemachte Vereinbarungen nicht abzuändern oder zu ersetzen (Holzer/Reissner aaO 45;ecolex 2000/190 [Mazal]).
Der Dienstzettel ist eine Aufzeichnung des Arbeitgebers; er bedarf keiner Unterfertigung durch den Arbeitnehmer. Ob trotz Unterzeichnung durch den Arbeitnehmer ein bloßer Dienstzettel oder ein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliegt, ist von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles abhängig. Die Bezeichnung des Schriftstücks ist nicht allein entscheidend, kann aber in der Praxis bei der Qualifikation des Schriftstückes hilfreich sein (Holzer/Reissner aaO 45;ecolex 2000/190 [Mazal]).
Der Oberste Gerichtshof hat, wie schon ausgeführt, auf der Grundlage des vom Antragsteller angegebenen Sachverhalts - ungeachtet der Tatsacheneinwände des Antragsgegners - zu entscheiden (§ 54 Abs 2 ASGG). Nach dem Vorbringen des Antragstellers kam bei mindestens drei Billeteuren die Unterfertigung der Dienstzettel der G***** auf die Weise zustande, dass den Billeteuren ohne besondere Erörterung eines erstmals in die Dienstzettel aufgenommen, bis dahin nicht Inhalt der Arbeitsverträge gewesenen Widerrufsvorbehalts des Arbeitgebers hinsichtlich außerkollektivvertraglicher Zulagen, Mehrverdienste und Spesenvergütungen, die Dienstzettel mit dem Bemerken, es handle sich um eine "bloße Formsache", zur Unterfertigung vorgelegt wurden. Über die Unterfertigung der Dienstzettel hinaus wurde weder mündlich noch schriftlich eine rechtsgeschäftliche Handlung gesetzt oder eine Erklärung abgegeben.
Legt man diesen Sachverhalt als bindend zugrunde, dann ist auch die vom Antragsteller begehrte zweite Feststellung zutreffend, dass die Ansprüche auf Zettelgeld den vorstehend bezeichneten Billeteuren auch dann zustehen, wenn sie im aufrechten Arbeitsverhältnis ohne darüber hinausgehende rechtsgeschäftliche Erklärung vom Arbeitgeber verfasste und ihnen zur Unterschrift vorgelegt Dienstzettel unterfertigt haben, in denen das Recht des Arbeitgebers festgehalten ist, überkollektivvertragliche Leistungen einseitig zu widerrufen. Überlegungen der Antragsgegnerin zum Verzicht der Billeteure auf künftige Zettelgelder lassen unberücksichtigt, dass der Verzicht als zweiseitiges Rechtsgeschäft der übereinstimmenden Willenseinigung bedarf (§ 1444 ABGB; RIS-Justiz RS0033948). Werden Arbeitnehmer mit dem Bemerken, die Unterfertigung sei eine "bloße Formsache" zur Unterfertigung veranlasst, kann unter den gegebenen Umständen von einem Konsens über einen Verzicht bzw eine Zustimmung zu einem Widerrufsvorbehalt des Arbeitgebers keine Rede sein. Bezeichnenderweise konnte die Antragsgegnerin auch keinen plausiblen Grund nennen, weshalb die Arbeitnehmer auf das Zettelgeld verzichten bzw einer einseitigen Widerrufsmöglichkeit des Arbeitgebers hätten zustimmen sollen. Die G***** kann sich daher gegenüber diesen Billeteuren nicht auf den in den Dienstzetteln enthaltenen Passus, dass außerkollektivvertragliche Zulagen, Mehrverdienste und Spesenvergütungen jederzeit vom Arbeitgeber einseitig widerrufen werden können, bzw einen hierauf gestützten Widerruf des Zettelgeldes berufen.