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OGH vom 22.11.1989, 9ObA306/89

OGH vom 22.11.1989, 9ObA306/89

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Eberhard Piso und Margarethe Heidinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Maria W***, Hilfsarbeiterin, Wartberg/ Krems, Auern 83, vertreten durch Mag.Erich G***, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Linz, Volksgartenstraße 40, dieser vertreten durch Dr.Harry Zamponi und andere, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei U*** Spritz- und Druckguß Gesellschaft mbH, Kirchdorf/Krems, Steiermärkerstraße 49, vertreten durch Dr.Klaus Braunegg und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 30.001,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 51/89-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeitsund Sozialgericht vom , GZ 9 Cga 46/88-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.207,-- (darin S 514,50 Umsatzsteuer und S 120,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, daß ihr Urlaubanspruch zum anstatt 35 Werktage 39 Werktage betragen habe, in eventu die Zahlung von S 1.872,-- brutto sA. In die Zeit ihres Sommerurlaubes 1987 seien sowohl die Hochzeit ihrer Tochter als auch der Tod ihres Vaters gefallen. Für beide Anlässe habe sie nach dem Kollektivvertrag für die eisenund metallerzeugende und -verarbeitende Industrie (kurz KV) einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung des Verdienstes in der Dauer von insgesamt 4 Tagen gehabt. Sie habe der Beklagten beide Anlässe unverzüglich mitgeteilt; diese habe jedoch die im Kollektivvertrag vorgesehene Dienstfreistellung abgelehnt und auch eine Unterbrechung des Urlaubs nicht anerkannt. Die Beklagte beantragte, die Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin habe die Anlässe ihres Dienstfreistellungsbegehrens nicht unverzüglich, sondern erst mehrere Tage nach Beendigung des Urlaubs mitgeteilt. Auch seien diese beiden Fälle kein Grund zur Unterbrechung des Urlaubs gewesen.

Das Erstgericht wies beide Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest:

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit als Hilfsarbeiterin beschäftigt. Über ihr Ansuchen vom April oder Mai 1987 kam es zu einer Urlaubsvereinbarung für die Zeit vom 20. Juli bis . Vom 20.Juli bis hatte die Beklagte eine generelle Betriebssperre. Im Juni 1987 wurde als Termin für die Hochzeit der Tochter der Klägerin der (Samstag) festgelegt. Einige Tage vor dem Urlaubsantritt fragte die Klägerin ihren Vorgesetzten B***, ob sie aus diesem Anlaß einen Urlaubstag erhalte. B*** meinte, daß er das nicht wisse, er werde sich aber bei der Personalreferentin erkundigen. Bis zu ihren Urlaubsantritt erhielt die Klägerin aber keine Antwort. Am starb der Vater der Klägerin. Das Begräbnis fand am (Dienstag) statt. Die Klägerin rief am den Vorsitzenden des Betriebsrats der Beklagten an, teilte den Sterbefall mit und fragte, ob sie dafür 3 Tage frei bekomme. Der Betriebsratsvorsitzende versprach, dies der Beklagten zu melden und meinte, daß der Klägerin seiner Ansicht nach 3 freie Tage zustünden. Als die Klägerin am wieder ihre Arbeit antrat, sprach sie noch in dieser Woche bei ihrem Vorgesetzten B*** wegen der 4 Tage Dienstfreistellung vor. Nachdem dieser mit der Personalreferentin Rücksprache gehalten hatte, wurde ihr mitgeteilt, daß im Kollektivvertrag die Gewährung dieser zusätzlichen freien Tage nicht vorgesehen sei. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß eine Urlaubsvereinbarung eine Art befristetes Dauerschuldverhältnis sei, das aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist jederzeit wieder gelöst werden könne. Dieser Rücktritt bedürfe aber einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung, die unverzüglich nach Bekanntwerden bzw. Eintritt des wichtigen Grundes abzugeben sei. Eine solche Willenserklärung habe die Klägerin in beiden Fällen unterlassen, so daß es in keinem der beiden Fälle zu einer Unterbrechung ihres Urlaubs gekommen sei.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne des Feststellungsbegehrens ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß es für die fragliche Dienstfreistellung nicht darauf ankomme, ob die Klägerin zur Zeit der auslösenden Anlässe tatsächlich gearbeitet habe oder gerade auf Urlaub gewesen sei. Nach dem Kollektivvertrag sollten dem Arbeitnehmer die Ansprüche auf Dienstfreistellung nämlich auch dann gebühren, wenn das jeweilige Ereignis auf einen arbeitsfreien Tag falle. Familiäre Ereignisse, wie die Hochzeit der Tochter oder der Tod des Vaters, seien grundsätzlich mit dem Erholungszweck des Urlaubs, der als Wesensmerkmal des Urlaubsanspruches anzusehen sei, unvereinbar. Die richtige Auslegung der kollektivvertraglichen Bestimmung führe daher zum Ergebnis, daß ein Arbeitnehmer in den genannten Fällen auch dann einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung des Verdienstes haben müsse, wenn das jeweilige Ereignis in den vorher vereinbarten Urlaub des Arbeitnehmers falle. Es bedürfe weder einer Unterbrechung des Urlaubs noch einer Rücktrittserklärung für den Urlaubsrest, sondern es müsse genügen, daß der Arbeitnehmer den Anspruch auf Dienstfreistellung rechtzeitig geltend mache. Dieser Voraussetzung habe die Klägerin entsprochen, daß sie die bevorstehende Hochzeit der Tochter ihrem Vorgesetzten noch vor Urlaubsantritt mitgeteilt habe und an diesen hinsichtlich der durch den Tod des Vaters begründeten Dienstfreistellung bereits am ersten Arbeitstag herangetreten sei. Die 4 arbeitsfreien Tage hätten der Klägerin von der Beklagten daher nicht als verbrauchte Urlaubstage angerechnet werden dürfen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem sinngemäßen Antrag auf Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob sich in der "Gefühlssphäre" der Klägerin während des Urlaubs aufgrund der Hochzeit der Tochter oder des Todes des Vaters subjektiv eine "wie immer geartete Erholungsunfähigkeit abgespielt" hat.

Der Rechtsrüge, in der die Beklagte im wesentlichen geltend macht, die Klägerin hätte ihren Urlaub nur unterbrechen oder vom Resturlaub zurücktreten dürfen, wobei sich als Rechtsgrundlage formal allein die Bestimmung des § 5 UrlG anbiete, ist entgegenzuhalten, daß es im vorliegenden Fall nicht allein auf die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 5 UrlG ankommt, sondern vor allem auch Sinn und Zweck der von den Vorinstanzen zitierten kollektivvertraglichen Bestimmungen zu berücksichtigen sind. § 4 Abs 2 UrlG verbietet den Parteien des Arbeitsvertrages die Vereinbarung des Urlaubsverbrauches für Zeiten, für welche die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers unter Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts ohnehin aus anderen Gründen entfällt. Wird entgegen diesem gesetzlichen Verbot der Urlaub trotzdem für die Zeit der Arbeitsverhinderung vereinbart, so vermindern die in die Zeiten der Arbeitsverhinderung fallenden Urlaubstage den gesetzlichen Urlaubsanspruch nicht (Klein-Martinek, Urlaubsrecht 62). Auch wenn das Gesetz keine besonderen Regelungen für den Fall enthält, daß ein Verhinderungsgrund erst nach Abschluß der Urlaubsvereinbarung oder nach Urlaubsantritt bekannt wird oder entsteht, bleibt der immanente Zweck dieser Regelung beachtlich, daß der Arbeitnehmer nicht durch Doppelanrechnungen um Urlaubsansprüche gebracht werden soll (vgl. Arb. 10561 ua).

Wie das Berufungsgericht richtig erkannte, ist bei Auslegung des Urlaubsgesetzes in erster Linie der Erholungszweck des Urlaubs zu berücksichtigen, der durch den vorübergehenden Entfall der arbeitsrechtlichen Pflichtbindungen und die Schaffung eines Freiraumes zur Selbstbestimmung erreicht wird (vgl Strasser, Der Verbrauch des Urlaubes, ÖJZ 1958, 398 ff, 401; Cerny, Urlaubsrecht4 71; Winderlich, Der Urlaubszweck, ArbuR 1989, 300 ff; 303). Der Ansicht der Revisionswerberin, jedem Arbeitnehmer sei es zumutbar, bei der Festlegung des Urlaubs die Teilnahme an einem Begräbnis oder an der Eheschließung des Kindes einzuplanen, den Urlaub nötigenfalls zu unterbrechen oder eine Rücktrittserklärung für den Urlaubsrest abzugeben, kann nicht beigepflichtet werden. Einerseits können etwa Todesfälle in der Familie zeitlich nicht "eingeplant" werden und andererseits hätte gerade eine Rücktrittserklärung der Klägerin vom Urlaubsrest in der Zeit der Betriebssperre der Beklagten zur Folge, daß die Beklagte für die restliche Zeit das Entgelt gemäß § 1155 ABGB ohne Arbeitsleistung weiterzahlen hätte müssen, ohne daß sich das Urlaubsguthaben der Klägerin verringert hätte. Die Interessen und Dispositionsmöglichkeiten der Beklagten wären in einem solchen Fall wesentlich schwerer beeinträchtigt worden (vgl. Strasser aaO 401 f), als bei Aufrechterhaltung der Urlaubsvereinbarung durch die Klägerin und der Anrechnung der kollektivvertraglichen Freistellung auf das Urlaubsausmaß. Nach der von Cerny zutreffend vertretenen Ansicht (Urlaubsrecht4 71) ist die analoge Anwendung der Bestimmungen des § 5 UrlG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer nach den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechtes von der Urlaubsvereinbarung zur Gänze zurücktreten könnte, von diesem Rücktrittsrecht aber nicht Gebrauch machen möchte.

Nach Art. XVI Z 15 des bis Anfang November 1987 anzuwendenden Kollektivvertrags gebührten die gegenständlichen Ansprüche auf kollektivvertraglichen Sonderurlaub der Klägerin auch dann, wenn das jeweilige Ereignis auf einen arbeitsfreien Tag fiel. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist dieser Bestimmung weder zu entnehmen, daß der Freistellungsanspruch nach Art. XVI Z 6 und 13 (Z 12 des ab November 87 geltenden) Kollektivvertrags vom Arbeitnehmer unbeeinflußbar an "fixe arbeitsfreie Tage" gebunden ist noch daß etwa Urlaubstage nicht als arbeitsfreie Tage gelten. Auch der ab Anfang November 1987 in Kraft getretene Kollektivvertrag schränkt diese Ansprüche im Sinne der einen Mißbrauch ausschließenden Judikatur (vgl. Arb. 8.149) lediglich dahin ein, daß die freien, auf einen arbeitsfreien Tag fallenden Tage im Gegensatz zu anderen anlaßbezogenen Fällen (Z 10, 13 bis 15) "im Zusammenhang mit dem betreffenden Ereignis konsumiert werden müssen". Diesem Erfordernis des zeitlichen Zusammenhanges hat die Klägerin unbestritten entsprochen und überdies ihre Ansprüche auf kollektivvertraglichen Sonderurlaub nach dem Wiederantritt der Arbeit rechtzeitig geltend gemacht (vgl Krejci in Rummel ABGB § 1154 b Rz 23; Adler-Höller in Klang2 V 278; auch Basalka in Adametz-Basalka-Mayr-Stummvoll; Kommentar zum Urlaubsgesetz § 4 Erl 19). Die in die Zeit des Urlaubs fallenden 4 Tage der kollektivvertraglichen Dienstfreistellung haben den Urlaub der Klägerin sohin zwar nicht automatisch verlängert (vgl SZ 56/150 ua), sie sind aber auf das Urlaubsausmaß nicht anzurechnen. Es ist ihr im Ergebnis daher ein Urlaubsrest von 4 Tagen geblieben, so daß das Klagebegehren berechtigt ist.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.