OGH vom 07.06.2001, 9ObA295/00y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter MR Mag. Norbert Riedl und Mag. Albert Ullmer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Inge W*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr. Georg Grießer und andere, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Bank ***** AG, ***** vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, wegen S 60.492,70 sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 251/00s-18, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 29 Cga 207/99v-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie einschließlich des im Urteil des Erstgerichtes als unbekämpft unberührt bleibenden klagsstattgebenden Zuspruches von S 3.552,30 samt 4 % Zinsen seit und 4 % Zinseszinsen ab insgesamt zu lauten haben:
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 64.045,- brutto samt 4 % Zinsen aus S 3.552,30 brutto seit bis und 4 % Zinsenzinsen auf S 3.552,30 brutto ab und 4 % Zinsen aus S 8.064,70 ab bis und 4 % Zinsen aus S 64.045 brutto ab binnen 14 Tagen zu bezahlen. Das Zinsenmehrbegehren wird abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei folgende Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen:
erste Instanz S 9.054
zweite Instanz S 9.300 jeweils zu Handen der Gewerkschaft der Privatangestellten, Deutschmeisterplatz 2, 1013 Wien,
dritte Instanz S 10.678,88 (davon S 676,48 Umsatzsteuer und S 6.620 Pauschalgebühr).
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war bis zum als Angestellte im Giropostdienst (= Schichtdienst) der beklagten Partei beschäftigt. Für alle Tage, an denen Schichtdienst geleistet wurde, wurde eine tägliche Schichtzulage in Anwendung des § 200 Punkt 9 Abs 2 lit d iVm § 261 Abs 15 der Betriebsvereinbarung 1969 ausgezahlt. Ohne ihr vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verschulden am Dienst durch Krankheit oder Unglücksfall verhinderte Angestellte erhalten im Krankheitsfall die Bezüge gemäß § 8 AngG. Monatsgehälter sowie (monatliche) Zulagen, die Gehaltsbestandteile sind, werden von der Entgeltfortzahlung während Urlaub, Feiertagen und Krankenstandstagen (bezahlte Abwesenheitstage) umfasst. Gleiches gilt für Pauschalien und Zulagen, die mindestens 12 x jährlich zur Auszahlung gelangen. Bei der Schichtzulage sind gemäß § 77a Abs 2 der BV 69 20 % der täglichen Schichtzulage für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gewidmet, so dass 80 % der Zulage als Entgelt für die Leistung der täglichen Schicht gebührt. Im Krankheitsfall erhält der Arbeitnehmer keine Prämie und muss auf die für diesen Fall als Entgeltfortzahlung gewidmeten und für diesen Fall "reservierten" 20 % der erhaltenen vollen Prämie zurückgreifen.
1997 war die Klägerin an 119 Arbeitstagen im Krankenstand, 1998 an 50 Arbeitstagen, 1999 an 36 Arbeitstagen. Für 45 Krankenstandstage im Jahr 1997 wurde ihr eine Schichtzulage nachbezahlt. Für die übrigen Krankenstandstage wurde keine Schichtzulage gewährt. Die tägliche Schichtzulage betrug im Jänner 1997 S 387,30, von 2/1997 bis 1/98 S 394,70; von 2/1998 bis 1/1999 S 401,40 und ab 2/1999 bis 6/1999 S 410,20. Die Klägerin hat im Jänner 1997 S 6.971,40, von 2/1997 bis 1/1998 S 56.442,10, von 2/1998 bis 1/1999 S 59.005,20 und von 2/1999 bis 6/1999 S 11.075,40 brutto an Schichtzulagen erhalten.
Die Klägerin begehrt den Klagebetrag mit der Behauptung, dass die Widmung von 20 vH des jeweils zur Auszahlung gelangenden Betrages der Schichtzulage für Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall eine unzulässige Pauschalierung darstelle und dem Entgeltfortzahlungsprinzip widerspreche. Sie habe daher Anspruch auf die volle Schichtzulage für sämtliche Krankenstandstage.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil diese Regelung in Form einer Pauschalierung einen finanziellen Vorteil für die im Giropostdienst tätigen Mitarbeiter bewirke, wenn sie ein geringeres Krankenstandsausmaß erreichen als die pauschalierte Entgeltfortzahlung von 20 vH der Schichtzulage abdecke. Die rechnerische Höhe des Klagebegehrens stellte die beklagte Partei außer Streit.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 3.552,30 brutto sA statt und wies das Mehrbegehren von S 60.492,70 sA ab. Die Regelung der Betriebsvereinbarung über die Pauschalierung für 13 Wochen Entgeltfortzahlung sei für den Arbeitnehmer günstiger als die gesetzliche Regelung. Bei Krankenständen, die unter 13 Wochen jährlich bleiben, erhalte der Angestellte nach der Betriebsvereinbarung durch die Vorwegpauschalierung mehr. Die tatsächlich ausbezahlte Giropostdienstzulage von 100 % enthalte nämlich eine pauschalierte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für 13 Wochen (= 20 vH der Schichtzulage). Im Falle von Krankenständen, die über 13 Wochen hinaus reichten, ergebe sich nur eine Differenz, wenn der betroffene Angestellte mehr als 25 Dienstjahre aufweise. Die Klägerin habe 1998 und 1999 weniger als 13 Wochen im Krankenstand verbracht, sodass ihr mehr als die bereits erhaltene Pauschalierung nicht zustehe. 1997 sei die Klägerin an 119 Arbeitstagen im Krankenstand gewesen, habe für 45 Tage die volle Giropostzulage nachbezahlt erhalten, sodass nur mehr für 74 Tage eine Zulage begehrt werde. 74 Tage entsprechen aber einem Ausmaß von 13 Arbeitswochen, das schon durch die pauschalierten 20 % der Schichtzulage abgedeckt sei. Bei der hier anzustellenden Berechnung nach Arbeitstagen verbleibe jedoch noch ein Zeitraum von 9 Tagen, der für den Pauschalzeitraum von 13 Wochen nicht bezahlt worden sei. Für diese 9 Tage stehe der Klägerin noch ein Betrag von S 3.552,30 zu. Die Pauschalierung der Fortzahlung der Giropostzulage für die Dauer von 13 Wochen sei zulässig und wirksam, sodass ein weiterer Anspruch der Klägerin nicht bestehe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Dem Entgeltausfallsprinzip des § 8 AngG entspreche die Regelung des Kollektivvertrages und der Betriebsvereinbarung. Die Regelung sei nicht mit einer Anwesenheitsprämie vergleichbar. Die Klägerin habe die pauschalierte Entgeltfortzahlung für 13 Wochen im Jahr erhalten und werde die Zulage nicht unter der Bedingung, dass der Dienstnehmer einen Krankenstand in Anspruch nimmt, sondern unabhängig von der Anwesenheit oder der krankheitsbedingten Abwesenheit jedenfalls für die Dauer von 13 Wochen gezahlt. Für ein Viertel der Arbeitszeit werde tatsächlich pauschalierte Entgeltfortzahlung geleistet, was 13 Wochen jährlich entspreche. Aufgrund der Ermächtigung des Sparkassenkollektivvertrages könnten in Anbetracht der Besserstellung der Dienstnehmer durch Gewährung weiterer Zulagen zusätzlich zu den Bezügen diese Zulagen für den Fall der Entgeltfortzahlung auf das gesetzliche Ausmaß der Entgeltfortzahlung und die dort vorgesehenen Zeiträume limitiert werden. Die Klägerin erhalte daher wie andere Dienstnehmer für den Krankheitsfall eine pauschalierte Leistung für 13 Wochen, sodass in ihrem Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht eingegriffen werde. Einer Schlechterstellung im Vergleich zu § 8 AngG liege nicht vor.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im vollen klagestattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragte, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen die Rechtsprechung über die Unzulässigkeit einer Anwesenheitsprämie verkannt haben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist auch berechtigt.
Nach den Bestimmungen über die Entgeltfortzahlung nach § 8 AngG behält der Arbeitnehmer im Krankheitsfall seinen Anspruch auf jenes Entgelt, das er vor der Dienstverhinderung bezogen hat (SZ 70/20 = DRdA 1997, 404; DRdA 1994/47 ((Andexlinger)), 8 ObA 361/97i; 8 ObS 13/00w). Zur Beurteilung dieses regelmäßigen Entgelts ist eine Durchschnittsbetrachtung der vor dem Krankenstand bezogenen Entgelte in einem Beobachtungszeitraum notwendig, wobei der Zeitraum nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessen ist und bei Schwankungen des Monatsentgelts für die Berechnung des Entgelts nach § 8 AngG regelmäßig ein Jahr heranzuziehen ist (DRdA 1994/47 ((Andexlinger)).
Da die Klägerin vom 2/97 bis 1/98 S 56.442,10 an Schichtzulagen a S 394,70 erhielt, ergibt sich bei 119 Krankenstandstagen, dass sie an 143 Tagen eine Schichtzulage bezogen hat. Ungeachtet der erstmals in der Berufungsbeantwortung erfolgten Bestreitung der Regelmäßigkeit der Schichtzulage durch die beklagte Partei (vgl hingegen S 11 und 35) wurde daher die Schichtzulage in einer Häufigkeit bezogen, die auf den Durchschnittszeitraum bezogen als regelmäßiges Entgelt zu bezeichnen ist.
Der Begriff Entgelt ist weit auszulegen und umfasst alles, was dem Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis zukommt, also nicht nur das eigentliche Gehalt, sondern auch Leistungen zusätzlicher Art (Martinek/M. und W. Schwarz AngG7 221 mwN; 8 ObA 361/97i). Daher sind auch die Schichtzulagen, die nicht einem Aufwandsersatz oder Diäten, wie die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung meint„ zu unterstellen sind, Entgelt im Sinn des § 8 Abs 1 AngG.
Es ist ständige Rechtsprechung, dass Vereinbarungen unzulässig sind, wonach der erkrankte Arbeitnehmer letztlich eine Entgelteinbuße dadurch erleidet, dass er eine Leistung in voller Höhe nur dann erhält, wenn er während eines bestimmten Zeitraumes tatsächlich und ununterbrochen gearbeitet hat; wenn Fehlzeiten zum Entfall oder zur Minderung von Entgelt ohne Rücksicht, ob es sich um berechtigte oder unberechtigte Fehlzeiten handelt, führen. Das Bedenkliche der gegen kranheitsbedingte Fehlzeiten gerichteten sogenannten Anwesenheitsprämie liegt in der Reizwirkung, dass auch wirklich kranke Arbeitnehmer, um finanzielle Einbußen zu vermeiden, auf ihre Krankheit keine Rücksicht nehmen und "Raubbau" mit ihrer Gesundheit treiben (Petrovic, Sind Anwesenheitsprämien zulässig SWK 1989, B I 36; RIS-Justiz RS0058620; DRdA 1978, 252 ((Schwarz)); DRdA 1983/10 ((Klein)); DRdA 1991/1 ((Grillberger)); ZAS 1997/19 ((Risak)); 8 ObS 13/00w).
Der Schutzzweck der Entgeltfortzahlungsbestimmungen, der durch Anwesenheitsprämien beeinträchtigt wird, wird auch im vorliegenden Fall verletzt. Wenn auch gesunde und kranke Arbeitnehmer zunächst dadurch gleichbehandelt werden, dass ihnen der der Entgeltfortzahlung gewidmete 20 %ige Anteil der Zulage zukommt, muss der kranke Arbeitnehmer jedoch diesen Teil der Zulage im Krankheitsfall dafür verwenden, seinen ihm zustehenden Entgeltfortzahlungsanspruch abzudecken. Während der gesunde Arbeitnehmer 100 % der Zulage erhält, dh 80 % für die Leistung des Schichtdienstes (= Entgelt) und 20 % gewidmet als Entgeltfortzahlung und diese auch behalten darf, - wie die beklagte Partei selbst vorbrachte, und dadurch wenn er keine Krankenstände aufweist, eine zusätzliche Prämie (20 %) erhält - , erhält der kranke Arbeitnehmer die Prämie nicht und wird auf die schon "reservierte" Entgeltfortzahlung verwiesen.
Das bedeutet, dass der gesunde Arbeitnehmer tatsächlich eine "Anwesenheitsprämie" von 20 % dafür erhält, dass er als Gesunder Schichtdienst leistet. Der kranke Arbeitnehmer erhält nichts, sohin weder den an die Leistung der Schicht geknüpften Entgeltteil von 80 % der Schichtzulage noch deren als Entgeltfortzahlung gewidmeten Anteil von 20 %. Er kann lediglich im Krankheitsfall auf den ihm bereits mit Leistung der Schicht als Gesunder zugekommenen Anteil von 20 % der Schichtzulage, der der Entgeltfortzahlung gewidmet ist, greifen. Der kranke Arbeitnehmer ist daher insoweit schlechter gestellt als ein gesunder Arbeitnehmer, sodass der Anreiz besteht, um den Zulagenanteil von 20 % als zusätzliche Prämie behalten zu dürfen, auf seine Krankheit keine Rücksicht zu nehmen. Daher hat die Krankheit für den Arbeitnehmer negative Folgen, was aber im Sinne der Judikatur zur Unzulässigkeit dieser einer unzulässigen Anwesenheitsprämie gleichzusetzenden Bestimmung über die Widmung eines Teiles der Schichtzulage als Entgeltfortzahlung führt.
Die Folge der an die tatsächliche Anwesenheit im Betrieb anknüpfenden Bestimmung ist die Nichtigkeit der Widmung. Die Widmung der 20 % als Entgeltfortzahlung hat daher als nicht beigesetzt zu gelten, sodass die Schichtzulage im ganzen (100 %) Entgelt ist (DRdA 1978, 252 [Schwarz]; DRdA 1991/1 ((Grillberger)); 8 ObS 13/00w).
Aus diesem Grunde ist die Reservierung der 20 % für den Krankheitsfall unwirksam, sodass die Klägerin einen Anspruch auf den der Höhe unstrittigen von ihr geltend gemachten Zulagenbetrag für die von ihr angeführten Arbeitstage (74 + 50 + 36) von S 64.045 brutto hat. Zudem mit dem Urteil des Erstgerichtes unbekämpft zugesprochenen Betrag von S 3.552,30 brutto stehen daher auch noch weitere S 60.492,70 brutto zu.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO sowie die entsprechende Aufwandsersatzverordnung. Der Zinsenausspruch beruht darauf, dass der in der Klage begehrte Zinsenzuspruch mit der am der beklagten Partei zugestellten Ausdehnung des Klagebegehrens modifiziert wurde, für einen 4 % übrsteigenden Zinsenzuspruch aus den schon vom Erstgericht angeführten Gründen (wofür schon spricht, dass zwei Intanzen den Standpunkt der beklagten Partei teilten), kein Raum ist und der Zinsenlauf, soweit er den Betrag von S 60.492,70 betrifft, erst mit der Behändigung der Klageänderung beginnt.