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VfGH vom 12.03.1992, b101/91

VfGH vom 12.03.1992, b101/91

Sammlungsnummer

13035

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung durch die Verhängung einer Ordnungsstrafe wegen Beleidigung der Abgabenbehörde; Inhalt und Form der Äußerung der Beschwerdeführerin (Verdacht der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch die Behörde) keine beleidigende Schreibweise

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Vertreters die mit 15.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die Beschwerdeführerin beantwortete in einem Schreiben vom die Aufforderung des Finanzamtes im Berufungsverfahren betreffend die Umsatzsteuer 1986, näher bezeichnete Unterlagen vorzulegen, mit folgenden Ausführungen (Hervorhebung im Original):

"... (Wir) wiederholen unser Anerbieten alle Unterlagen, nicht nur die Angeforderten, einer wirklich zur Verschwiegenheit verpflichteten und sachverständigen Person vorzulegen, die auch in der Lage und bereit ist, die erbrachte Leistung zu beurteilen. Nicht bereit sind wir, Unterlagen in Kopie oder im Original aus der Hand zu geben, weil wir aus der bisher gemachten Erfahrung damit rechnen müssen diese eventuell bei Mitbewerbern oder auch nur bei Zeitungen wiederzufinden. 'Interviews' der Betriebsprüfer sind zwar gemäß BAO § 48 A ausdrücklich untersagt aber die Erfahrung zeigt die durchaus gehandhabte Übung zumindest der in unserem Betriebsprüfungsverfahren involvierten Beamten des Finanzamtes für Körperschaften."

Im Hinblick auf die beiden letzten Sätze dieser Passage verhängte das Finanzamt wegen Beleidigung der Abgabenbehörde gemäß § 112 Abs 3 der Bundesabgabenordnung (BAO) eine Ordnungsstrafe von 1000 S. Durch die verwendeten Ausdrücke werde einerseits der Boden einer sachlichen Kritik verlassen und andererseits hätten sie einen verunglimpfenden, schmähenden bzw. unsachlichen Charakter.

Der von der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Berufung wurde nur insoweit stattgegeben, als die Ordnungsstrafe auf 200 S herabgesetzt wurde. Den Vorwurf der beleidigenden Schreibweise hielt die Berufungsbehörde mit folgender Begründung aufrecht:

"Die von der Bw. geäußerte Kritik diente zur Begründung der Weigerung, einer Vorhaltsaufforderung zu entsprechen, und steht insofern in engem Zusammenhang mit dem Vorhalt der Behörde. Auch handelt es sich - ungeachtet ihrer Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit - nicht um Behauptungen, die dem Grunde nach einer Beweisführung nicht zugänglich wären. Nicht erfüllt ist jedoch die weitere Voraussetzung, daß die Kritik in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht wird:

Ein Vorwurf von strafgesetzwidrigen Handlungen, der nicht auch konkrete bzw. überprüfbare Angaben enthält, widerspricht jedenfalls den Mindestanforderungen des Anstandes (Verwaltungsgerichtshof , 87/03/0237, 0238, VwSlg. 12.768/A). Die Bw. hat zwar insofern den Vorwurf der strafgesetzwidrigen Handlung (Verletzung des Amtsgeheimnisses) konkretisiert, als sie die Umstände und die Personen der angeblichen Strafrechtsverletzung präzisiert hat ('die in unserem Betriebsprüfungsverfahren involvierten Beamten des Finanzamtes für Körperschaften'), und hat damit auch ihre eigene strafrechtliche Verfolgung im Falle der Unrichtigkeit dieses Vorwurfes in Kauf genommen. Die Bw. hat jedoch insofern den Mindestanforderungen des Anstandes nicht entsprochen, als sie über den Fall des Betriebsprüfungsverfahrens hinausgehend ohne nähere Konkretisierung eine 'durchaus gehandhabte Übung' behauptet hat und in verallgemeinernder Weise (vgl. die Formulierung 'zumindest') den Vorwurf nicht auf den genannten Personenkreis beschränkt hat sowie auch die behauptete 'bisher gemachte Erfahrung' nicht näher erläutert bzw. für die Behörde überprüfbar dargestellt hat."

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, die eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art13 StGG, 10 EMRK) rügt. Es dürfe nicht vom Wortsinn einer einzelnen Stelle ausgegangen, sondern es müsse der gesamte Inhalt der Eingabe sowie der bisherige Verlauf des Verfahrens berücksichtigt werden. Die Beschwerdeführerin habe das "seinerzeitige" Betriebsprüfungsverfahren bei der Behörde als bekannt voraussetzen dürfen. In verschiedenen - von der Beschwerde näher bezeichneten - Zeitungsartikeln sei über Einzelheiten der Betriebsprüfung einer anderen Gesellschaft berichtet worden, deren Gesellschafterin die Beschwerdeführerin sei, und diese Einzelheiten hätten nur von kompetenter Stelle stammen können. Sie habe daher nur eine zusammenfassende, sachlich vorgebrachte Beurteilung von Umständen gegeben, in denen sie eine von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Amtsführung der Behörde zu erkennen glaube (wie dies in BGHSlg. 1063 A/1936 zu § 34 Abs 3 AVG toleriert worden sei).

II. Die Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Bescheid verletzt die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf freie Meinungsäußerung.

1. Nach Art 13 Abs 1 StGG hat jedermann das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Das Recht der freien Meinungsäußerung ist zwar nur innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet, doch darf auch ein solches Gesetz keinen Inhalt haben, der den Wesensgehalt des Grundrechtes einschränkt (vgl. VfSlg. 6166/1970). Eine nähere Bestimmung dieses Wesensgehaltes findet sich nunmehr in Art 10 EMRK. Diese Bestimmung bekräftigt den Anspruch auf freie Meinungsäußerung (Abs1) und stellt klar, daß dieses Recht die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen einschließt, sieht aber im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringe, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor,

"wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten."

Die Freiheit der Meinungsäußerung darf also nur aus den dort angeführten Gründen beschränkt werden (VfSlg. 10700/1985).

Nach § 112 Abs 3 BAO kann die Abgabenbehörde eine Ordnungsstrafe (bis 1000 S: Abs 2) gegen Personen verhängen, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen. Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, daß diese Bestimmung als eine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit gelten kann, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung unentbehrlich und daher auch unter dem Blickwinkel des Art 10 EMRK unbedenklich ist (vgl. VfSlg. 7900/1976). Wie der Begriff des öffentlichen Anstands (vgl. VfSlg. 10700/1985) erlaubt es auch der - verhältnismäßig vage - unbestimmte Rechtsbegriff der beleidigenden Schreibweise, eine Gesetzesverletzung nur dann anzunehmen, wenn die Notwendigkeit der damit verbundenen Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung unter Bedachtnahme auf das einschlägige Grundrecht außer Zweifel steht. Der konkrete Verwaltungsakt, der sich gegen die Meinungsäußerungsfreiheit richtet, indem er eine schriftliche Äußerung gegenüber der Behörde mit einer Ordnungsstrafe belegt, ist daher unter diesem Blickwinkel nur dann - aber auch immer dann - verfassungswidrig, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen die Schranken des Abs 10 EMRK mißachtenden Inhalt unterstellt.

2. Eben dies wirft die Beschwerde der Behörde hier zu Recht vor:

Geht man von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus, so liegt eine beleidigende Schreibweise (im Sinn des gleichlautenden § 34 Abs 3 AVG) dann vor, wenn eine Eingabe ein unsachliches Vorbringen enthält, das in einer Art gehalten ist, die ein ungeziemendes Verhalten gegenüber der Behörde darstellt (vgl. VwSlg. 5067 A/1959). Eine solche Vorschrift dient nicht dem Schutz der in einer Eingabe kritisierten Personen, sondern der Wahrung des Anstandes im Verkehr mit Behörden (vgl. zu § 34 Abs 3 AVG Zl. 783/56; , Zl. 87/11/0271,0277).

a) Zunächst erweist sich die Äußerung der Beschwerdeführerin ihrem Inhalt nach nicht als unsachlich. Sie enthält die Begründung für die Verweigerung der Herausgabe von Unterlagen - unter anderem in der Berufungsschrift zitierte und der Betriebsprüfung nicht vorgelegte "detaillierte Berechnungen wie auch das dafür notwendige Basis-Zahlenmaterial" -, und bringt das Mißtrauen gegen die Verschwiegenheit der Behörde zum Ausdruck, das die Beschwerdeführerin "aus der bisher gemachten Erfahrung" glaubt ableiten zu müssen. Akte der Rechtsverfolgung dürfen aber nicht durch übertriebene Empfindlichkeit der Behörde behindert werden (vgl. zur Verhängung einer Zwangsstrafe nach § 111 BAO VfSlg. 8510/1979). Würde die Befürchtung der Beschwerdeführerin zutreffen, wäre die Eingabe ungeachtet der Frage der Berechtigung ihrer Schlußfolgerungen durchaus verständlich.

Ihr Verdacht ist auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. So findet sich in der Kleinen Zeitung vom ein mit verschiedenen Details versehener Bericht, wonach ein näher bezeichnetes Unternehmen, als dessen Gesellschafterin die Beschwerdeführerin namentlich genannt ist, einen "einst erfolgreichen obersteirischen Schlossermeister" ruiniert habe, Hauptgeschädigter aber der um rund 60 Millionen S geprellte Staat sei, in der Kärntner Tageszeitung vom ein Bericht unter der Überschrift "Millionenaffäre: Kommt es zu einer Anklage?", in dem es unter anderem heißt: "Von erhebender Behördenseite sickerte durch, daß ..." (folgen Ausführungen über Scheingeschäfte und fingierte Buchungen), und im Kurier vom ein Beitrag, wonach "die Steuerfahndung jedenfalls einige Geschäfte im Dunstkreis dieser Firma höchst merkwürdig" finde. Gewiß ergibt sich aus solchen mehr oder weniger sorgfältig verfaßten Berichten von Tageszeitungen noch kein konkreter Verdacht auf eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch die Behörde. Wenn aber die Beschwerdeführerin einen solchen Verdacht äußert, um die Verweigerung der Vorlage von Unterlagen zu rechtfertigen, liegt darin allein kein sachfremdes Vorbringen.

b) Aber auch die Einschätzung der belangten Behörde, die Kritik sei nicht in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht, kann der Verfassungsgerichtshof nicht teilen. Denn auch der falsche - aber nicht offenkundig aus der Luft gegriffene - Vorwurf in der Beantwortung einer Aufforderung durch die Behörde, ihre Betriebsprüfer hätten "Interviews" gegeben und solche seien nach der Erfahrung "durchaus gehandhabte Übung" (weshalb Unterlagen nicht vorgelegt würden), mag vielleicht ein zur Rechtsverfolgung untaugliches Vorbringen sein, ist aber kein ungeziemendes Verhalten. Daß es sich um keine beleidigende Formulierung handelt, ergibt schon ein oberflächlicher Vergleich mit jenen Äußerungen, die - unter den jeweils gegebenen Umständen - in der bisherigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts als beleidigend gewertet wurden (ohne daß damit zum Ausdruck gebracht werden soll, daß diese Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit in allen Fällen vor Art 10 EMRK standhalten könnte): wenn die mangelnde Bildung des Meldungslegers als entschuldigend und mildernder Umstand bezeichnet ( Zl. 932/66) oder behauptet wurde, die Unterschrift des Beamten auf einem Bescheid ähnle "sehr der eines Analphabeten" ( Zl. 1188/80), es dürfe nicht "dem Mutwillen eines Wachebeamten überlassen bleiben", entgegen den Gepflogenheiten eine Amtshandlung zu setzen ( Zl. 1843/63), die Behörde wende "Diktaturmethoden" an (VwSlg. 7029 A/1966), übe "fiskalfaschistischen Widerstand", operiere als "Rache-Justiz" mit "Unterschlagungen und Unterstellungen" und handle "in traditionsbewußter Fortführung der Vertuschungs- und Unterdrückungspraktiken des Habsburger-, Dollfuß- und Hitlerfaschismus" (VfSlg. 7900/1976), ihr Verhalten sei "unsauber und unkorrekt" und in seiner Sache "kriminell" (VfSlg. 2960/1956) oder es sei "unverschämt" ( Zl. 731/76), zeige "von einer Anmaßung und Präpotenz, die in einem Polizeistaat ... gebräuchlich ist" ( Zl. 87/11/0271,0277), es könne die Strafgelder, die der Behördenleiter bei Freunden verfallen ließ und solcherart unterschlagen hat, nicht wieder hereinbringen ( Zl. 84/03/0155) oder der Leiter der ein Strafverfahren wegen Übertretung der StVO führenden Behörde, unter dem es "zu himmelschreienden Mißständen gekommen sei", habe Untergebene zum Austausch von Unterlagen gezwungen, anonyme Schreiben verfaßt, Frauen diffamiert und "mit seinem schwarzen Dienstmercedes im Rausch einen Unfall gebaut und alles niedergedrückt und in Überstunden bei Mercedes reparieren lassen" (VwSlg. 12768 A/1988).

Von derartigen Ausfällen ist die Wortwahl der Beschwerdeführerin weit entfernt. Der Gerichtshof ist der Auffassung, daß Behörden einer demokratischen Gesellschaft ihre Äußerung unter den oben näher geschilderten Umständen hinnehmen können, ohne daß die öffentliche Ordnung darunter leidet. Eine verfassungskonforme Auslegung des angewendeten Gesetzes muß daher zum Ergebnis führen, daß sich die Beschwerdeführerin keiner beleidigenden Schreibweise bedient hat.

Indem der angefochtene Bescheid dies verkennt, verletzt er die Beschwerdeführerin im Recht auf freie Meinungsäußerung. Er ist aufzuheben.

Da von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs 4 VerfGG).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind 2.500 S an Umsatzsteuer enthalten.