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OGH vom 25.11.2016, 8ObS15/16p

OGH vom 25.11.2016, 8ObS15/16p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Dr. Peter Schnöller als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. R***** P*****, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, wegen Insolvenzentgelt (3.285 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 83/16m 12, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 18 Cgs 43/16h 7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1. 6. bis bei der späteren Schuldnerin, einem Sanatorium, als Orthopäde beschäftigt; er war freier Dienstnehmer. Im zugrunde liegenden freien Dienstvertrag war vereinbart, dass der Vertrag von beiden Vertragsparteien unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat zu jedem Monatsletzten gekündigt werden konnte.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger erklärte daraufhin am seinen vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis gemäß § 25 IO.

Der Kläger begehrte Insolvenzentgelt für den Zeitraum vom 5. 10. bis . Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte die geltend gemachte Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 2. 11. bis als nicht gesichert ab.

Im vorliegenden Verfahren begehrte der Kläger den Klagsbetrag. Strittig ist nur das zeitliche Ausmaß der dem Kläger gebührenden Kündigungsentschädigung. Der Kläger brachte vor, dass im freien Dienstvertrag die Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat zu jedem Monatsletzten vereinbart worden sei. Für freie Dienstnehmer sei der vereinbarte Kündigungstermin maßgebend, sofern kein Missbrauch vorliege. Die geltend gemachte Kündigungsentschädigung sei daher zur Gänze gesichert.

Die Beklagte entgegnete, dass gemäß § 3 Abs 3 IESG der Ermittlung der Kündigungsentschädigung nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine zugrunde zu legen seien. Für den Kläger bestehe kein kollektivvertraglicher Kündigungstermin. Die Kündigungsmodalitäten würden sich daher nach dem ABGB richten. Nach § 1159a ABGB bestehe nur eine vierwöchige Kündigungsfrist, aber kein Kündigungstermin.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Gemäß § 3 Abs 3 IESG seien der Berechnung des Insolvenzentgelts für gesicherte Ansprüche nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrunde zu legen. Die Sicherung könne daher nicht über gesetzliche und kollektivvertragliche Fristen und ebensolche Termine hinausgehen. Der Gesetzgeber habe zur Vermeidung von Missbrauchsfällen mit § 3 Abs 3 IESG eine generalisierende Lösung getroffen. Für freie Dienstnehmer bestünden in Bezug auf die Kündigungsmodalitäten weder gesetzliche noch kollektivvertragliche Bestimmungen. Nach der Rechtsprechung und Lehre seien aber die Kündigungsmodalitäten der §§ 1159, 1159a, 1159b sowie der §§ 1162 bis 1162d ABGB analog anzuwenden. Davon ausgehend sei für den Kläger eine vierwöchige Kündigungsfrist ohne Kündigungstermin maßgebend. Die Kündigungsfrist sei vom Tag des Zugangs der Beendigungserklärung an zu berechnen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach § 3 Abs 3 IESG sei die Sicherung der Ansprüche auf das beschränkt, was allgemein durch gesetzliche oder kollektivvertragliche Regelungen vorgegeben sei. Der Umfang der Sicherung der Ansprüche solle demnach der Disposition der Einzelvertragsparteien entzogen sein. Eine vertraglich vereinbarte Verlängerung der Kündigungsfrist sei nicht zu berücksichtigen. Das Gleiche gelte für die Vereinbarung eines Kündigungstermins. Auf einen freien Dienstvertrag seien die Kündigungsmodalitäten der §§ 1159 ff ABGB anzuwenden, nicht aber die Kündigungsfristen und Kündigungstermine des Angestelltengesetzes. Die vom Kläger vorgetragene Ungleichbehandlung zwischen echten und freien Dienstnehmern sei sachlich gerechtfertigt. Die ordentliche Revision sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Mit ihrer vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage der Sicherung der einem freien Dienstnehmer zustehenden Kündigungsentschädigung im Sinn des § 3 Abs 3 IESG noch nicht ausführlich Stellung genommen hat. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1. Der Kläger steht weiterhin auf dem Standpunkt, dass für einen freien Dienstnehmer im Sinn des § 3 Abs 3 IESG die einzelvertraglichen Kündigungstermine maßgebend sein müssten, weil weder gesetzliche noch kollektivvertragliche Kündigungstermine bestünden. Außerdem sei in § 3 Abs 3 IESG zwar von gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen, nicht aber von gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsterminen die Rede. Der Zweck des § 3 Abs 3 IESG bestehe nur darin, Missbräuche zu verhindern. Bei einer vereinbarten Kündigungsfrist von einem Monat sei ein Missbrauch jedoch nicht zu erkennen.

Mit diesen Ausführungen ist der Kläger nicht im Recht.

2. Seit langem ist klargestellt, dass bei einem privilegierten Austritt des Arbeitnehmers nach § 25 Abs 1 IO diesem als Insolvenzforderung eine als Schadenersatzanspruch zu qualifizierende Kündigungsentschädigung gemäß § 29 AngG bzw § 1162b ABGB gebührt, die sich nicht am begünstigten Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters oder des eigenverwaltenden Schuldners, sondern an der ordentlichen Arbeitgeberkündigung nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen orientiert. Der Anrechnungsausschluss für die ersten drei Monate des § 29 AngG bzw § 1162b ABGB ist auf den Schadenersatzanspruch des § 25 Abs 2 IO uneingeschränkt anzuwenden (8 ObS 16/04t; vgl auch 8 ObS 4/07g; Sundl , Insolvenz- und Arbeitsrecht, in Nunner-Krautgasser/Kapp/Clavora , Insolvenz- und Sanierungsrecht 2013, 211). Gemäß § 29 AngG bzw § 1162b ABGB stehen die in Rede stehenden Schadenersatzansprüche für den Zeitraum zu, der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordnungsgemäße Arbeitgeberkündigung hätte verstreichen müssen.

Die besonderen Lösungsrechte der Arbeitsvertragsparteien nach § 25 IO sind auf freie Dienstverträge sinngemäß anzuwenden. Dementsprechend steht einem nach § 25 IO ausgetretenen freien Dienstnehmer die Kündigungsentschädigung im Sinn des § 1162b ABGB analog zu ( Reissner in Neumayr/Reissner , ZellKomm 2 § 25 IO Rz 14; Watzinger , Der freie Dienstvertrag im Arbeits- und Sozialrecht 192).

3.1 Die Sicherung von Arbeitnehmeransprüchen durch den Insolvenzentgeltsicherungsfond ist durch das IESG sondergesetzlich geregelt. Aus diesem Grund ist die Frage, welche Ansprüche einem Arbeitnehmer im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers als Insolvenzforderung gegenüber der Masse zustehen, von jener nach der Sicherung nach dem IESG zu unterscheiden.

3.2 Der Kläger ist freier Dienstnehmer. Nach § 1 Abs 1 IESG haben seit Jänner 2008 (§ 2a IESG idF BGBl I 2007/104 bzw § 1 Abs 1 IESG idF BGBl I 2010/29) neben Arbeitnehmern auch freie Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs 4 ASVG Anspruch auf Insolvenzentgelt, wenn sie in einem freien Dienstverhältnis stehen oder gestanden sind. Dabei ist vom innerstaatlichen arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitnehmers bzw des freien Dienstnehmers auszugehen. Dementsprechend richtet sich der in § 1 Abs 1 IESG verwendete Arbeitnehmerbegriff nach dem innerstaatlichen Recht (8 ObS 3/14w; vgl auch 8 ObS 8/13d).

3.3 Das Ausmaß des Insolvenzentgelts richtet sich nach § 3 IESG. Diese Bestimmung ist auch für den Kläger als freien Dienstnehmer maßgebend. § 3 Abs 3 IESG bestimmt ausdrücklich, dass der Berechnung des Insolvenzentgelts für gesicherte Ansprüche nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrunde zu legen sind.

Der Wortlaut ist eindeutig. Der Zweck dieser Bestimmung liegt in der Begrenzung der gesicherten Ansprüche. Nach dieser Begrenzung sollen die gesicherten Ansprüche in Ausmaß und Dauer der Sicherung von Einzelvereinbarungen unabhängig sein. Die Sicherung der Ansprüche soll auf das beschränkt werden, was durch gesetzliche oder kollektivvertragliche Regelungen vorgegeben ist. Das Ausmaß der gesicherten Ansprüche ist demnach für die Zeit bis zum Ablauf der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen beschränkt. Eine einzelvertraglich vereinbarte Verlängerung der Kündigungsfrist kann daher keine anspruchserhöhende Wirkung haben (vgl Liebeg , IESG 3 § 3 Rz 32).

Daraus folgt eindeutig, dass – entgegen der Ansicht des Klägers – in § 3 Abs 3 IESG nicht nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen, sondern ebenso die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungstermine angesprochen werden. Eine Wiederholung der Wortfolge „gesetzlichen oder kollektivvertraglichen“ unmittelbar vor dem Wort „Kündigungstermine“ ist aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung unterblieben.

3.4 Der Berechnung des Insolvenzentgelts für gesicherte Ansprüche sind somit die einschlägigen gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die entsprechenden gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrunde zu legen. Sind etwa in einer Betriebsvereinbarung oder in einem Arbeitsvertrag für den Arbeitnehmer günstigere (längere) Kündigungsfristen des Arbeitgebers geregelt, so sind diese bei der Berechnung des Insolvenzentgelts nicht zu berücksichtigen.

Davon ausgehend stehen sowohl Kündigungsfristen als auch Kündigungstermine unter der Bedingung, dass eine Sicherung nur insoweit besteht, als sie nicht über gesetzliche oder kollektivvertragliche Fristen und Termine hinausgehende Ansprüche betrifft. Werden im Arbeitsvertrag abweichende Kündigungsfristen und/oder Kündigungstermine vereinbart, so ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen. Dabei ist ausgehend von den gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und Kündigungsterminen jeweils zu bestimmen, ob sich die konkret geltend gemachten Ansprüche noch innerhalb der nach den gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Regelungen bestehenden Ansprüche bewegen (8 ObS 1/05p; Reissner in Neumayr/Reissner , ZellKomm 2 § 3 IESG Rz 8).

3.5 Da sich der Kläger unstrittig weder auf einen gesetzlichen noch auf einen kollektivvertraglichen Kündigungstermin berufen kann, ist die Kündigungsfrist ab Wirksamkeit der Auflösungserklärung zu berechnen.

4.1 Die Überlegungen des Klägers zu einer angeblichen Ungleichbehandlung freier Dienstnehmer sind nicht stichhaltig. Zwischen der in Rede stehenden Bestimmung des § 3 Abs 3 IESG einerseits und der begünstigten Kündigungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters nach § 25 Abs 1 IO besteht ein eindeutiger Zusammenhang, der vom Gesetzgeber bewusst hergestellt wurde (vgl dazu auch 8 ObS 16/04t). Für eine Kündigung durch den Insolvenzverwalter ist eine einzelvertraglich vereinbarte längere Kündigungsfrist nicht maßgebend. Derselbe Ansatz wurde für die Begrenzung der Sicherung der Kündigungsentschädigung nach § 3 Abs 3 IESG gewählt. Daraus folgt, dass ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung nach § 25 Abs 1 IO nicht zur Gänze gesichert sein muss. Darin liegt keine Ungleichbehandlung zwischen echten Arbeitnehmern und freien Dienstnehmern.

Auch im Nichtbestehen einer gesetzlichen Regelung zu einem Kündigungstermin für freie Dienstnehmer kann keine unsachliche Ungleichbehandlung freier Dienstnehmer erblickt werden. Dieser Umstand ist in der besonderen arbeitsrechtlichen Qualifikation als freier Dienstnehmer begründet, die wegen Fehlens der persönlichen Abhängigkeit nicht mit jener eines echten Arbeitnehmers vergleichbar ist. Aus diesem Grund wurde auch schon in der Entscheidung 8 ObS 374/97a ausgesprochen, dass – abweichend von § 25 KO (IO) – nach § 3 Abs 3 IESG nicht nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen, sondern auch die entsprechenden Kündigungstermine zu berücksichtigen sind.

4.2 Der Kläger kann sich auch nicht auf die Entscheidung 8 ObS 4/04b stützen. In dieser Entscheidung sprach der Oberste Gerichtshof einem Angestellten ex contractu die gegenüber dem Kollektivvertrag für Handelsarbeiter höheren Ansprüche nach dem Angestelltengesetz zu und führte dazu aus, dass zwischen dem Kläger und dem früheren Dienstgeber keine Kündigungsfrist, sondern vielmehr die Anwendung des Angestelltengesetzes vereinbart worden sei. Aus diesem Grund sei die Kündigungsfrist des Angestelltengesetzes als „gesetzliche Kündigungsfrist“ im Sinn des § 3 Abs 3 IESG anzusehen.

Durch die Bezugnahme auf die gesetzliche Kündigungsfrist und den Hinweis, dass es sich nicht um eine vereinbarte Kündigungsfrist handle, folgt ebenso, dass eine (zwischen den Arbeitsvertragsparteien) vereinbarte Kündigungsfrist für die Sicherung nach § 3 Abs 3 IESG nicht maßgebend ist.

5.1 Insgesamt ergibt sich:

Auch freie Dienstnehmer haben Anspruch auf Insolvenzentgelt. Nach § 3 Abs 3 IESG sind für die Berechnung gesicherter Ansprüche ausschließlich gesetzliche oder kollektivvertragliche Kündigungsfristen und Kündigungstermine maßgebend. Eine einzelvertragliche Regelung dazu bleibt unbeachtlich. Da für einen freien Dienstnehmer weder ein kollektivvertraglicher noch ein gesetzlicher Kündigungstermin besteht, ist die Kündigungsfrist ab Wirksamkeit der Auflösungserklärung zu berechnen.

5.2 Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit diesen Grundsätzen im Einklang. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden weder behauptet noch haben sich dafür Anhaltspunkte ergeben.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBS00015.16P.1125.000