OGH vom 04.08.2009, 9ObA76/09f

OGH vom 04.08.2009, 9ObA76/09f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingeborg Bauer-Manhart und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ingrid S*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei R***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Walter Rett, Rechtsanwalt in Mauerkirchen, wegen 8.517,11 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 12/09b-15, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 20 Cga 117/08w-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 742,27 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 123,71 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Im Betrieb der Beklagten waren im Sommer 2007 durchschnittlich 29 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin am - spätestens um 9:30 Uhr - zum auf. Am selben Tag übergab die Beklagte gegen 11:55 Uhr der regionalen Geschäftsstelle des AMS Salzburg eine „Anzeige über die beabsichtigte Kündigung von Dienstverhältnissen gemäß § 45a AMFG". Nach dem Inhalt dieser Anzeige beabsichtigte die Beklagte die Kündigung von 20 Arbeitnehmern in der Zeit vom bis . Als Grund für die Kündigungen wurde ua die Schließung zweier Standorte angeführt.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten 8.517,11 EUR brutto an Kündigungsentschädigung für die Zeit vom bis . Die Kündigung sei gemäß § 45a Abs 5 AMFG rechtsunwirksam.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. § 45a AMFG sei nicht anwendbar, weil die Klägerin noch vor der Abgabe der Erklärung an das AMS gekündigt worden sei. Erst nach der Kündigung sei beim AMS die Anzeige über die beabsichtigte Auflösung weiterer Arbeitsverhältnisse per angemeldet worden. Zudem habe die Klägerin ihre Aufgriffsobliegenheit verletzt; sie habe die Klage erst 10 ½ Monate nach dem Ausspruch der Kündigung eingebracht und mit Unterstützung der Beklagten bereits am ein anderes Arbeitsverhältnis angetreten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - abgesehen von der (unangefochten gebliebenen) Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens - statt. Da die Beklagte die Kündigung schon vor der Anzeige an das AMS ausgesprochen habe, sei sie nach § 45a Abs 5 Z 1 AMFG rechtsunwirksam. Die Klägerin habe ihre Aufgriffsobliegenheit nicht verletzt.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Der Schwellenwert, der die Frühwarnverpflichtung des § 45a AMFG bei „Massenkündigungen" auslöse, liege bei Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmern bei mindestens fünf Arbeitnehmern, bezogen auf 30 Tage. Maßgebend sei die Zahl der den Betrieb betreffenden Kündigungsaussprüche (bzw der vom Arbeitgeber initiierten einvernehmlichen Auflösungen), nicht hingegen die Abläufe der Kündigungsfristen. Die Frist von 30 Kalendertagen sei kein starrer, sondern ein kontinuierlich wandernder Zeitraum (ein Tag fällt weg, einer kommt dazu). Für die Feststellung, ob eine anzeigepflichtige Auflösung „innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen" vorliege, sei der Zeitpunkt des beabsichtigten Ausspruchs der Kündigung (bzw der Zeitpunkt der einvernehmlichen Lösung) heranzuziehen.

Nach § 45a Abs 5 AMFG seien frühwarnpflichtige Kündigungen rechtsunwirksam, wenn sie vor Einlangen der vorgeschriebenen Anzeige oder innerhalb der Frist von 30 Kalendertagen ausgesprochen werden. Damit eine frühwarnpflichtige Kündigung rechtswirksam ausgesprochen werden könne, müsse also ein Zeitraum von 30 Tagen nach Einlangen der die Absicht dieser Kündigungen beinhaltenden Anzeige beim AMS verstrichen sein. Der 30-Tage-Zeitraum wandere kontinuierlich. Wolle der Arbeitgeber nicht verständigungspflichtig werden, dürften die Auflösungsaussprüche nicht den Schwellenwert erreichen, indem die Kündigungsaussprüche zeitlich ausreichend gestreut werden. Da die Kündigung der Klägerin am nicht in den von der Anzeige über die beabsichtigte Auflösung von Dienstverhältnissen gemäß § 45a AMFG ab beginnenden 30-tägigen Zeitraum für die Auflösung von mehr als fünf Arbeitsverhältnissen falle, sei sie, auch wenn sie vor Einlangen dieser Anzeige bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS ausgesprochen worden sei, nicht rechtsunwirksam. Von § 45a Abs 5 Z 1 AMFG seien nach dem Wortlaut nur Kündigungen umfasst, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen iSd Abs 1 bezwecken, also Arbeitsverhältnisse, die von der Anzeige über die beabsichtigte Auflösung von Dienstverhältnissen gemäß § 45a AMFG umfasst seien.

Der von der Klägerin ins Treffen geführten Entscheidung 9 ObA 146/98f, in der der Oberste Gerichtshof ausgeführt habe, dass es bei Verwirklichung des Tatbestands nach § 45a Abs 1 AMFG keine AMFG-freie Kündigung mehr geben könne, liege ein anderer Sachverhalt zugrunde. Damals habe ein Arbeitgeber, der alle Arbeitsverhältnisse habe beenden wollen, nach der Anzeige beim AMS innerhalb der temporären Sperrfrist vorweg zunächst vier Arbeitnehmer gekündigt und dann nach 30 Tagen die übrigen Arbeitnehmer. Die Unwirksamkeit der Kündigungen dieser vier Arbeitnehmer habe der Oberste Gerichtshof damit begründet, dass nach Bekanntgabe der Absicht nach § 45a Abs 1 AMFG der Kündigungsvorgang im Hinblick auf die in Abs 5 AMFG normierte Folge der Unwirksamkeit als Einheit anzusehen sei. Der Standpunkt, diese Begründung gelte auch für § 45a Abs 5 Z 1 AMFG, weil verhindert werden solle, dass die Arbeitgeber durch Stückelung der Anzahl der Kündigungen jeweils unter dem Schwellenwert bleiben und dadurch die §§ 45a ff AMFG unterlaufen, werde vom Berufungsgericht nicht geteilt. In der zitierten Entscheidung habe der Oberste Gerichtshof ausdrücklich darauf verwiesen, dass die in der Lehre vertretene Rechtsauffassung vom „stetig wandernden" 30-Tage-Zeitraum, innerhalb dessen der Arbeitgeber mit der Anzahl der Kündigungen unter dem Schwellenwert bleiben müsse, diesem Ergebnis nicht entgegenstehe, weil in diesen Fällen keine Anzeige gemäß § 45a Abs 1 AMFG erfolge.

Dass - wie die Klägerin überdies meine - der Beginn der 30-Tage-Sperrfrist analog zur Rechtsprechung zu § 5 EFZG auf 00:00 Uhr des Überreichungstags zurückwirke, weshalb die Kündigung der Klägerin auch gemäß § 45a Abs 45 Z 2 AMFG rechtsunwirksam sei, sei ebenfalls unzutreffend. Die Sperrfrist von 30 Tagen beginne erst nach Einlangen der Anzeige beim Arbeitsmarktservice zu laufen. Für die von der Klägerin begehrte Analogie bestehe kein Anlass.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof noch nicht ausdrücklich mit der Frage auseinandergesetzt habe, ab welchem Zeitpunkt die 30-tägige Sperrfrist des § 45a Abs 1 AMFG zu laufen beginne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht zulässig.

Die überaus knapp gehaltene Revision enthält zu der vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage keinerlei substantielle Ausführungen. Auch sonst zeigt sie keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage auf. Sie beschränkt sich auf die Behauptung, dass die Kündigung der Klägerin unwirksam sei, weil sie vor der Anzeige der Beklagten nach § 45a Abs 1 AMFG ausgesprochen worden sei; dass die Beklagte mehr als fünf Arbeitsverhältnisse aufzulösen beabsichtigt habe, ergebe sich aus Beil ./B (gemeint: Beil ./E). Mit dieser Behauptung wird die Revision aber nicht in zulässiger Weise ausgeführt. Die Revisionswerberin bleibt jede Auseinandersetzung mit der (ua auch diesen Einwand verneinenden) ausführlichen Begründung des Berufungsgerichts schuldig. Es fehlt jegliche Behauptung darüber, mit welchen Überlegungen die zweite Instanz von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sein soll bzw zu welcher Frage Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlen oder uneinheitlich sein soll.

Die der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde liegende Rechtsauffassung, dass die 30-tägige Frist des § 45a Abs 1 AMFG „kontinuierlich wandere" und dass der Arbeitgeber durch die zeitliche Streuung von Kündigungen das Erreichen des Schwellenwerts der genannten Bestimmung verhindern könne, entspricht den vom Berufungsgericht zitierten Lehrmeinungen (s die bereits von der zweiten Instanz zitierten Belegstellen; ferner Mazal/Risak, Arbeitsrecht XVIII Rz 84) und wird in der von der Klägerin im Verfahren vor den Vorinstanzen ins Treffen geführten Entscheidung 9 ObA 146/98f ausdrücklich nicht in Frage gestellt. In der Revision wird diese Rechtsauffassung nicht einmal erwähnt, geschweige denn bestritten. Sie kommt aber hier zum Tragen: Wann die von der Beklagten am beim AMS angemeldeten Kündigungen ausgesprochen wurden, steht nicht fest. Dass der Ausspruch dieser Kündigungen vor dem in der Meldung angeführten Zeitraum ( bis ) erfolgte, wurde von der Klägerin nicht einmal behauptet und kann daher nicht unterstellt werden (vgl dazu das unwidersprochene Vorbringen in der Berufung der Beklagten, nach dem die Kündigungen im Zeitraum 27. bis ausgesprochen wurden). Damit hat die Beklagte die Kündigung der Klägerin (wenn auch möglicherweise knapp) mehr als 30 Tage vor den weiteren, beim AMS rechtzeitig gemeldeten Kündigungen ausgesprochen. Dass der hier zu beurteilende Fall mit der in 9 ObA 146/98f beurteilten Konstellation nicht vergleichbar ist, hat schon das Berufungsgericht überzeugend ausgeführt. Auch die dazu von der zweiten Instanz angestellten Überlegungen werden in der Revision nicht bestritten.

Auf ihr vom Berufungsgericht verneintes Argument, die Anzeige des Arbeitgebers wirke auf 00:00 Uhr des Anzeigetags zurück, kommt die Revisionswerberin ebenfalls nicht mehr zurück.

Da somit die Revisionswerberin in keiner Weise eine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage aufzeigt, ist ihre Revision als unzulässig zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.