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OGH vom 08.09.2005, 8ObS13/05b

OGH vom 08.09.2005, 8ObS13/05b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende sowie den Hofrat des des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Georg Eberl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johanna K*****, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Graz, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, ***** vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 12.623,15 EUR netto Insolvenz-Ausfallgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 108/04w-11, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 37 Cgs 396/04t-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin war vom bis zur einvernehmlichen Beendigung des Dienstverhältnisses per als Angestellte im administrativem Bereich einer GmbH & Co KG beschäftigt. Sie war Kommanditistin der KG und - nach Abtretung der Geschäftsanteile durch ihren Exgatten - zu 50 % an der Komplementär-GmbH beteiligt. Mit Notariatsakt hatte sie an ihren Exgatten ein unwiderrufliches Anbot zur Abtretung der von ihr gehaltenen Gesellschaftsanteile gestellt. Hintergrund dieser Konstruktion war, dass der Exgatte der Klägerin wegen eines Konkursverfahrens, das über ein ihm gehörendes Unternehmen eröffnet worden war, keine Einkünfte erzielen wollte. Er überredete daher die Klägerin, bloß „am Papier" die Beteiligung an der Gesellschaft zu übernehmen. Tatsächlich wirkte die Klägerin an der Leitung des Unternehmens nicht mit.

Mit Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom wurde über das Vermögen der GmbH & Co KG das Konkursverfahren eröffnet. Ein von der Klägerin gegen die KG und gegen die GmbH angestrengtes Gehaltszahlungsverfahren wurde infolge der Konkurseröffnung unterbrochen.

Die Klägerin begehrt 12.623,15 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld (restliche Abfertigung vier Monatsentgelte; Urlaubsersatzleistung für 80 Werktage; Zinsen und Kosten). Sie habe keinerlei Einfluss auf die Geschäftsführung in der Gesellschaft ausgeübt. Sie sei in einem Angestelltendienstverhältnis tätig gewesen.

Die Beklagte wendet ein, dass der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs 6 Z 4 IESG verwirklicht sei. Das Tatbestandsmerkmal des beherrschenden Einflusses im Sinne dieser Bestimmung sei auch dann erfüllt, wenn der beherrschende Gesellschafter von tatsächlich eingeräumten Einflussmöglichkeiten aufgrund konkreter Umstände keinen Gebrauch mache.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es entspreche der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung, dass bei Prüfung des Vorliegens des Tatbestandsmerkmales des § 1 Abs 6 Z 4 IESG nur auf die typischerweise gegebenen Einfluss- und Informationsmöglichkeiten abgestellt werde. Die von der Klägerin angestrebte richtlinienkonforme Auslegung des § 1 Abs 6 Z 4 IESG vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2002/74/EG vom scheitere daran, dass einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Vorschrift durch die richtlinienkonforme Auslegung kein entgegengesetzter Sinn verliehen werden könne. Eine richtlinienkonforme Auslegung sei somit überhaupt nur dann möglich, wenn das nationale Recht auslegungsfähig sei. Das sei in Ansehung des § 1 Abs 6 Z 4 IESG wegen des klaren Wortlautes der Bestimmung nicht der Fall.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes und sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung dazu, ob bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist von den Gerichten eine richtlinienkonforme Interpretation vorzunehmen sei, nicht bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Klägerin ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruches des Berufungsgerichtes mangels Darstellung einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

Durch die RL 2002/74/EG vom wurde die RL 80/987/EWG dahin geändert, dass dem bisherigen Artikel 10 eine lit c angefügt wurde. Art 10 lit c idF der RL 2002/74/EG vom lautet nun dahin, dass die Richtlinie der Möglichkeit der Mitgliedsstaaten nicht entgegensteht, die in Art 3 vorgesehene Zahlungspflicht oder die in Art 7 vorgesehene Garantiepflicht in den Fällen abzulehnen oder einzuschränken, in denen ein Arbeitnehmer allein oder zusammen mit engen Verwandten Inhaber eines wesentlichen Teils des Unternehmens oder Betriebes des Arbeitgebers war und beträchtlichen Einfluss auf dessen Tätigkeiten hatte. Art 2 Abs 1 ÄRL der InsolvenzRL sieht eine Umsetzungsfrist bis vor (Details dazu siehe bei Liebeg, Neue gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit - Eine vergleichende Darstellung der Rechtslage in Deutschland und in Österreich, wbl 2003, 157 ff).

Nach der ausdrücklichen Anordnung in § 1 Abs 6 Z 4 IESG haben Gesellschafter, denen ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zusteht, auch dann keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld, wenn dieser Einfluss ausschließlich oder teilweise auf der treuhändigen Verfügung von Gesellschaftsanteilen Dritter beruht oder durch treuhändige Weitergabe von Gesellschaftsanteilen ausgeübt wird. Aus diesem klaren Wortlaut (beherrschender Einfluss „zusteht", nicht „ausübt") hat die ständige Rechtsprechung abgeleitet, dass es bei der Stellung als Gesellschafter mit beherrschendem Einfluss nur auf die typischerweise gegebene Einfluss- und Informationsmöglichkeit ankommt; bereits diese rechtfertigt sachlich den Ausschluss (8 ObS 315/97z; siehe auch RIS-Justiz RS0077381; zuletzt 8 ObS 21/03a).

Ausgehend von diesem klaren Gesetzeswortlaut scheitert aber auch die von der Klägerin angestrebte „richtlinienkonforme Interpretation" des § 1 Abs 6 Z 4 IESG vor Ablauf der Umsetzungsfrist. Das nationale Gericht hat zwar bei Anwendung seines (nationalen) Rechtes dieses im Lichte des Wortlautes und des Zweckes der RL auszulegen, richtlinienkonforme Interpretation kommt jedoch nur zur Anwendung, wenn das nationale Recht dem Rechtsanwender einen Spielraum einräumt. Sie wird durch die nationalen Auslegungsregeln begrenzt. Daraus folgt aber, dass einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung im Wege der richtlinienkonformen Interpretation kein entgegengesetzter Sinn verliehen werden darf. Richtlinienkonforme Interpretation darf somit den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen ( 6 Ob 167/00b= SZ 73/131 mwN).

Einer Auseinandersetzung mit der - in der Lehre umstrittenen - Frage der richtlinienkonformen Interpretation vor Ablauf der Umsetzungsfrist (s. dazu etwa Lutter, Die Auslegung angeglichenen Rechts, JBl 1992,593 [605]; Leible/Sosnitza, Richtlinienkonforme Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist und vergleichende Werbung, NJW 1998,2507 ff; Rüffler, Richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, ÖJZ 1997,121[125]; Ehricke, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts vor Ende der Umsetzungsfrist einer Richtlinie, EuZW 1999, 553 ff) bedarf es daher hier nicht, weil in der derzeitigen Fassung des § 1 Abs 6 Z 4 IESG in nicht zu überbietender Klarheit normiert ist, dass Gesellschafter, denen ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zusteht, auch dann keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld haben, wenn dieser Einfluss ausschließlich oder teilweise auf der treuhändigen Verfügung von Gesellschaftsanteilen Dritter beruht oder durch treuhändige Weitergabe von Gesellschaftsanteilen ausgeübt wird. Damit unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall grundlegend von jenen vom 4. Senat entschiedenen Fällen (RIS-Justiz RS0110869), bei welchen eine richtlinienkonforme Interpretation vor Ablauf der Umsetzungsfrist deshalb für möglich erachtet wurde, weil sich die Konformität mittels Auslegung im nationalen Recht herstellen ließ, also in den dort zu beurteilenden Fällen kein Widerspruch zwischen dem österreichischen Recht und dem Gemeinschaftsrecht bestand.

Da die Revision auch sonst eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht aufzeigt, war sie ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruches des Berufungsgerichtes (§ 508a Abs 1 ZPO) zurückzuweisen.

Der Kostenausspruch gründet sich auf § 77 Abs 2 lit b ASGG.