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OGH vom 25.07.2017, 9ObA75/17w

OGH vom 25.07.2017, 9ObA75/17w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Oblasser und ADir. Gabriele Svirak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** S*****, vertreten durch hba Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei H***** T***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Evelyn Heidinger, Rechtsanwältin in Graz, wegen Feststellung des aufrechten Arbeitsverhältnisses (Streitwert 21.800 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Ra 18/17i-29, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 32 Cga 66/16y-24, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.489,86 EUR (darin 248,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger war bei der Beklagten als Kraftfahrer von bis beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Beklagten vom .

Zwischen der Beklagten, der T***** T***** GmbH und 22 anderen Mitarbeitern der Beklagten wurden jeweils „Arbeitsvertragsübernahmen ohne Betriebsübergang“ vereinbart. Danach wurden die bestehenden Arbeitsverhältnisse dieser Mitarbeiter ab auf die T***** T***** GmbH übertragen und von dieser unter Aufrechterhaltung der Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten übernommen (Beil ./21–./42).

Die Beklagte hat keine Anzeige gemäß § 45a AMFG erstattet.

Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass in dem 30-tägigen Zeitraum des § 45a Abs 1 AMFG, in den der Ausspruch der Kündigung des Klägers fällt, der Schwellwert für die Verständigung des Arbeitsmarktservice ohne Berücksichtigung der Vertragsübernahmen durch die T***** T***** GmbH nicht überschritten wurde. Strittig ist, ob diese Vertragsübernahmen bei der Berechnung des Schwellenwerts des § 45a Abs 1 Z 1 AMFG zu berücksichtigen sind und die Kündigung des Klägers dann infolge unterlassener Anzeige der Beklagten nach § 45a Abs 5 Z 1 AMFG rechtsunwirksam ist.

Die Vorinstanzen wiesen das – allein revisionsgegenständliche – auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses gerichtete Klagebegehren ab. Der Zweck des Frühwarnsystems bestehe darin, die Arbeitsmarktverwaltung durch die normierte Anzeigeverpflichtung in die Lage zu versetzen, Maßnahmen im Rahmen der Arbeitsmarktförderung in die Wege zu leiten bzw bis zum Wirksamwerden der Kündigungen Ersatzarbeitsplätze ausfindig zu machen und somit zur Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung sowie zur Verhütung von Arbeitslosigkeit beizutragen. Davon ausgehend sei die Bestimmung des § 45a Abs 1 AMFG dahin teleologisch zu reduzieren, dass jedenfalls solche Auflösungen von Arbeitsverhältnissen nicht erfasst seien, bei denen die betroffenen Arbeitnehmer in der Folge nahtlos in ein weiteres, vom Arbeitgeber organisiertes Arbeitsverhältnis übertreten und so zu keiner Zeit dem (restlichen) Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Es sei nicht ersichtlich, welche Maßnahmen im Rahmen der Arbeitsmarktförderung bei derartigen Fallkonstellationen gesetzt werden sollten. Selbst wenn es sich bei den vorliegenden Vertragsübernahmen rechtlich um einvernehmliche Auflösungen der Arbeitsverhältnisse handle – so das Berufungsgericht ergänzend –, dann seien diese Auflösungen, weil arbeitsmarktpolitisch nicht relevant, nicht auf den Schwellenwert des § 45a Abs 1 AMFG in Anrechnung zu bringen.

Das Berufungsgericht hat die Revision mit der Begründung zugelassen, dass der hier maßgeblichen Rechtsfrage über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme und zum Zweck des § 45a AMFG keine bzw keine neuere höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere. Nach Ansicht des Revisionswerbers sei die Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung, ob einvernehmliche Auflösungen von Arbeitsverhältnissen iSd § 45a Abs 1 AMFG zu berücksichtigen seien, wenn im Anschluss an diese einvernehmlichen Auflösungen ein Teil der Belegschaft sofort ein neues Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber eingehe.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Auch die Revision vermag keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Die inder Revision relevierte und als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO bezeichnete Rechtsfrage stellt sich hier nicht.

1. Gemäß § 45a Abs 1 Z 1 AMFG haben die Arbeitgeber die nach dem Standort des Betriebs zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice durch schriftliche Anzeige zu verständigen, wenn sie beabsichtigen, Arbeitsverhältnisse von mindestens fünf Arbeitnehmern in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Beschäftigten innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tagen aufzulösen.

2. Nach der Rechtsprechung (9 ObA 146/98f; RIS-Justiz RS0053050) ist auch die Zahl der – jedenfalls vom Arbeitgeber veranlassten – einvernehmlichen Auflösungen von Arbeitsverhältnissen auf die zahlenmäßigen Voraussetzungen nach § 45a AMFG anzurechnen.

3. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde durch Arbeitgeberkündigung aufgelöst. Bei den gegenständlichen Arbeitsvertragsübernahmen (bezüglich anderer Arbeitnehmer der Beklagten) handelt es sich rechtlich (vgl RIS-Justiz RS0017911; RS0043422) aber nicht um (einvernehmliche) Arbeitsvertragsauflösungen iSd § 45a Abs 1 AMFG. Bei einer rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme übernimmt der Rechtsnachfolger mit Zustimmung aller Beteiligten (RIS-Justiz RS0032607) die gesamte vertragliche Rechtsstellung ohne Änderung des Inhalts oder der rechtlichen Identität des bisherigen Schuldverhältnisses (Neumayr in KBB5§§ 14051406 ABGB Rz 5 f; Ertl in Rummel, ABGB³ § 1406 Rz 2; RIS-Justiz RS0117578; RS0032623; RS0032653). Dabei wird gerade nicht ein bestehendes Arbeitsverhältnis beendet und ein neues Arbeitsverhältnis abgeschlossen, sondern das bisherige fortgesetzt (vgl 9 ObA 191/92; 8 ObA 308/01d; 8 ObS 14/16s). Die mit der Vertragsübernahme herbeigeführte Rechtsfolge in den übernommenen Vertrag bewirkt die bloße Auswechslung des Vertragspartners unter Aufrechterhaltung der Identität des Vertrags (8 Ob 34/08w; Lukas in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01§ 1406 Rz 14 mwN).

4. Dasseine rechtsgeschäftliche Vertragsübernahme eines Arbeitsverhältnisses nicht auf die zahlenmäßigen Voraussetzungen nach § 45a AMFG anzurechnen ist, wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Diese Rechtsauffassung steht nicht nur mit dem Gesetzeswortlaut des § 45a Abs 1 AMFG („...Arbeitsverhältnisse...aufzulösen...“), sondern auch mit dem von den Vorinstanzen hervorgehobenen Zweck des gesetzlichen Frühwarnsystems in Einklang. Der Zweck der frühzeitigen Verständigung der Arbeitsmarktverwaltung durch den Arbeitgeber von der Auflösung von Arbeitsverhältnissen liegt vor allem darin, die Vollbeschäftigung aufrecht zu erhalten und damit zur Verhütung von Arbeitslosigkeit beizutragen (Olt, Das Frühwarnsystem bei „Massenkündigungen“ nach § 45a AMFG, ARD 6448/5/2015; 9 ObA 2287/96f; 9 ObA 146/98f; vgl RV 149 BlgNR 14. GP, 6, 10 f; AB 274 BlgNR 14. GP, 2). Da in den vorliegenden Arbeitsvertragsübernahmen keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses lag, war sie arbeitsmarktpolitisch nicht relevant und daher vom Arbeitgeber weder beim Arbeitsmarktservice anzuzeigen noch in die Schwellenwerte des § 45a Abs 1 AMFG einzurechnen.

5. Die hypothetisch aufgeworfene Frage, ob die Bestimmung des § 45a Abs 1 AMFG für den Fall einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Vorhandensein eines Ersatz- bzw Nachfolgearbeitsplatzes einer teleologischen Reduktion bedarf, ist hier nicht weiter zu erörtern.

Da die Revision des Klägers damit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979 [T16]).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00075.17W.0725.000
Schlagworte:
1 Generalabonnement,11 Arbeitsrechtssachen

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